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Aaron Nimzowitsch

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Aaron Nimzowitsch (* 7. November 1886 in Riga; † 16. März 1935 in Kopenhagen) war ein lettischer Schach-Großmeister und -theoretiker.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Namensschreibung

Seine Eltern hatten in ihren amtlichen Dokumenten noch den Namen Nêmçoviç verzeichnet. Nach einiger Zeit wurde daraus die deutsche Schreibweise Niemzowitsch. Doch auch dabei blieb es nicht. Als Niemzowitsch nach dem Ersten Weltkrieg aus dem Baltikum endgültig nach dem Westen emigrierte, unterließen die Behörden bei der Ausstellung des Passes den Buchstaben 'e', so dass aus Niemzowitsch nunmehr Nimzowitsch wurde. In diesen unsicheren Zeiten unterließ er es, eine Richtigstellung zu verlangen. Er wäre Gefahr gelaufen, noch ein paar Wochen auf seinen Pass zu warten oder ihn gar gänzlich zu verlieren.

Sein Vorname wird gelegentlich mit Aron angegeben.

[Bearbeiten] Jugend

Nimzowitsch ist der Sohn jüdischer Eltern. Über seine Kindheit und Jugend ist wenig bekannt. In der Zeitschrift Deutsches Wochenschach wird schon 1896 von einem neunjährigen Knaben berichtet, der sich im Baltenland durch gute Schachpartien hervortue. Dieselbe Zeitschrift publiziert 1904 auf S. 213 zum ersten Mal eine Nimzowitsch-Partie, mit der Bemerkung, dass sie von der Kombinationskraft des Führers der Schwarzen ein glänzendes Zeugnis ablegt. Seiner ursprünglichen Absicht nach kommt er aber nicht wegen des Schachspiels nach Deutschland, sondern um dort zu studieren. Jacques Mieses erzählt in seinen Nimzowitsch-Erinnerungen (Schach-Taschenbuch 1953, S. 37ff), dass über Nimzowitsch das gleiche Scherzwort im Umlauf war, wie ein Vierteljahrhundert zuvor über Curt von Bardeleben: „Er studiert Schach und spielt Jura. Tatsächlich studiert er in Berlin Philosophie, aber das ist seitdem gleichgültig geworden, seine Lehrwerkstatt ist das Café Kaiserhof in Berlin und nicht die Aula der Universität.“

Ab 1920 lebt er in Kopenhagen.

[Bearbeiten] Schachlaufbahn

Ab dem Jahr 1903 taucht sein Name regelmäßig in den Schachzeitungen auf und soll dort auch für die nächsten 30 Jahre nicht mehr verschwinden.

Typisch für ihn ist, neben seinen wechselhaften Erfolgen, die „Gewohnheit“ sich unbeliebt zu machen. Später, nachdem er sich seinen schachhistorischen Platz erobert hat, nimmt man das kopfschüttelnd oder lächelnd hin, aber in den Anfängen seiner Karriere bereitet ihm dies große Schwierigkeiten.

Auffallend ist auch die Tatsache, dass er sich immer wieder aus dem öffentlichen Turnierleben zurückzieht und dann teils Jahre später wieder mit großem Erfolg auftritt. Dies ist zum Teil darin begründet, dass er trotz der strikten Abstinenz von Nikotin und Alkohol ein eher kränklicher Mensch ist, den die anstrengenden Turniere sehr viel Kraft kosten. Andererseits aber zeigt sich auch, dass sich in diesen Phasen seine Spielmethodik ändert und seine Theorien reifen.

[Bearbeiten] Streit mit Tarrasch

Der biographische Ausgangspunkt des späteren theoretischen Streits zwischen Nimzowitsch und Tarrasch ist auf eine freie Partie der beiden zurückzuführen, die sie 1904 in Nürnberg gespielt haben[1]. Nimzowitsch berichtet darüber ausführlich in Wie ich Großmeister wurde im Anhang von Die Praxis meines Systems, Rattmann 2006, S.353ff. Er schreibt: "Wenn ich auch schon zu jener Zeit erkannte, daß Tarrasch mein Widersacher war, so sah ich in ihm doch noch nicht meinen "Erbfeind". Aber unsere Beziehung sollte bald sehr gespannt werden. Das geschah so. Etwa zwei Monate nach der Episode mit "Th6" hielt er mich der Ehre für würdig, mit mir eine ernste Partie zu spielen. Die Eröffnung spielte ich aus Gewohnheit ganz seltsam, teils, weil ich mich, wie ich oben erwähnte, zu jener Zeit nur sehr schlecht im Positionsspiel zurechtfand, teils aber auch deshalb, weil ich schon damals bewußt die eingefahrenen Wege mied und mich nur mit einer gewissen Skepsis nach den Dogmen der damals herrschenden Schule richtete. Viel Publikum hatte sich versammelt (obwohl die Partie einen privaten Charakter hatte), denn da der Reichtum meiner kombinatorischen Phantasie zu Unrecht mit schachlicher Stärke gleichgesetzt wurde, erwartete das Publlikum wenn schon keinen ausgeglichen Kampf - denn Tarraschs Ruf stand damals in voller Blüte - so doch eine interessante und gehaltvolle Partie. Nach dem 10. Zug kreuzte Tarrasch die Arme vor der Brust und sagte plötzlich folgenden Satz: "Noch nie in meinem Leben stand ich nach dem 10. Zuge so gewaltig auf Gewinn wie in diesem Fall." Die Partie endete übrigens remis. Aber ich habe Tarrasch alle die mir vor den Zuschauern zugefügten Beleidigungen lange nicht verzeihen können. [...] Für mich war Tarrasch immer Mittelmaß; er spielte wirklich sehr stark, aber alle seine Ansichten, Sympathien und Antipathien, und seine größte Unfähigkeit, nämlich keine neuen Ideen zu schaffen, - all dies bewies klar die Mittelmäßigkeit seiner Geisteshaltung." Die Partie, von Nimzowitsch kommentiert, findet sich ebenfalls in Wie ich Großmeister wurde, S. 365-369. Nimzowitsch war diese Beleidigung eine Motivation, Tarrasch als führenden Theoretiker abzulösen (Wie ich Großmeister wurde, S. 355). Ab 1911 vergewisserten sie sich immer wieder ihrer Antipathie, u.a. in Partiekommentaren. So warf z.B. Tarrasch Nimzowitsch anlässlich der Partie Rubinstein-Nimzowitsch (San Sebastian 1912) vor, „eine ausgesprochene Vorliebe für häßliche Eröffnungszüge“ zu haben und bewertete insgesamt sein Spiel als „unästhetisch“. Nimzowitsch antwortete mit einem offenen Brief auf diese „verzerrte Kritik“ und unterstellte, dass Tarrasch sich „für das theoretische Fiasko in der Variante 3.e5 hierdurch rächen möchte“ (Kamm 2004, S.543, zit. n. Fischer 2006, S. 33). Nimzowitschs im Jahre 1912 publizierter „offener Brief“ an Tarrasch verschärfte den über Jahre ausgetragenen Streit. Kurz vor dem Ausbruch des Weltkrieges erscheint in der Wiener Schachzeitung der 12-seitige Aufsatz Entspricht Dr. Tarraschs 'Die moderne Schachpartie' wirklich moderner Auffassung?. Dann hört man lange Zeit nichts mehr von ihm. Erst im März 1923 findet sich in der Neuen Wiener Schachzeitung ein Artikel von Dr. Tartakower, in dem von Nimzowitschs größtem Anliegen die Rede ist, von der Geburt seines Systems.

Die manchmal vorgetragene Behauptung, der polemische Ton, den Nimzowitsch und Tarrasch in ihrer Auseinandersetzung anschlugen, verhindere die objektive Feststellung, dass beide Parteien nicht so weit voneinander entfernt gewesen seien, wie es den Anschein habe und wohl auch haben sollte, ist umstritten. Insbesondere gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass Nimzowitsch aus Gründen der Propaganda den Abstand zu Tarrasch besonders habe hervorheben wollen. Nimzowitsch hatte unabhängig von allen schachlichen Differenzen bis an sein Lebensende eine starke persönliche Abneigung gegen Tarrasch. In Wie ich Großmeister wurde spricht er von der "ganzen Mittelmäßigkeit von Tarraschs Charakter" (S. 359).

Was die schachlichen Differenzen anbelangt, so unterscheiden sich Nimzowitsch und Tarrasch ganz grundsätzlich in der Bewertung des "Raumvorteils" und des sogenannten "freien Spiels". Man erkennt dies etwa an Tarraschs Aversion gegen die Philidorverteidigung und auch gegen altindische Strukturen und umgekehrt an Nimzowitschs Aversion gegen einen "lockeren Aufbau" ganz allgemein und insbesondere gegen die Tarrasch-Verteidigung des Damengambits, die er auf Grund struktureller Defekte isolierter Bauer für praktisch widerlegt hielt.

Grundsätzlich kann man sagen, dass bei Nimzowitsch das wichtigste Kriterium zur Beurteilung einer Stellung die Bauernstruktur war und bei Tarrasch Entwicklung, Raumvorteil und freies Figurenspiel, Kriterien, die für Nimzowitsch nur von untergeordneter Bedeutung waren. Einig waren Nimzowitsch und Tarrasch darin, dass die Zentralfelder privilegierte Felder seien, die es zu beherrschen gelte. Dies ist aber nicht so erstaunlich, denn diese Auffassung teilen sie mit praktisch allen Schachtheoretikern außer Watson. Nimzowitsch wies aber darauf hin, dass das Zentrum auch anders kontrolliert werden könne, als durch die von Tarrasch propagierte Bauernbesetzung, nämlich durch Figuren.

[Bearbeiten] Erfolge

Beim Schachturnier in Dresden 1926 erhalten Aljechin und Nimzowitsch für ihre Partie als Schönheitspreis 5.000 Zigaretten.

Nimzowitsch gewinnt folgende Turniere: 1914 in Sankt Petersburg (zusammen mit Aljechin), 1923 und 1924 in Kopenhagen, 1925 in Marienbad (zusammen mit Rubinstein), 1926 in Dresden, 1926 in Hannover, 1927 in Niendorf und London beide zusammen mit Tartakower, 1928 in Berlin, 1929 in Karlsbad und 1930 in Frankfurt am Main.

Seine beste historische Elo-Zahl war 2780. Diese erreichte er 1929. Allerdings stand er schon 1913 für sechs Monate auf Platz 2 der Weltrangliste.

Ab Beginn der 1930er Jahre lässt seine Spielstärke nach. Zum letzten Mal zeigt er sich im Zürcher Turnier 1934. Dann plötzlich kommt die Nachricht: Schachmeister A. Nimzowitsch ist im Alter von noch nicht 49 Jahren in Kopenhagen im Hareskow-Sanatorium an den Folgen einer Lungenentzündung verstorben.

[Bearbeiten] Bekannte Partien

[Bearbeiten] Eröffnungssysteme

Zahlreiche Eröffnungsvarianten tragen seinen Namen, zum Beispiel die auch heute noch populäre Nimzo-Indische Verteidigung und die Nimzowitsch-Verteidigung.

[Bearbeiten] Literatur

  • 1925 erscheinen Nimzowitschs bedeutende Werke Mein System und Die Blockade.
  • 1929 folgt das ebenso viel beachtete Werk Die Praxis meines Systems.

Sekundärliteratur:

  • Peter Anderberg: Neues zum Nimzowitsch-Tarrasch-Konflikt. In: Kaissiber. Ausgewählte Beiträge zum Schach. 26, 2006, S. 50-55. ISSN 0948-3217
  • Johannes Fischer: Nimzowitsch vs. Tarrasch: Zwei Dogmatiker im Streit. In: KARL. Das kulturelle Schachmagazin. 23. Jg., 3, 2006, S. 32-37, ISSN 1438-9673
  • Wolfgang Kamm: Siegbert Tarrasch. Leben und Werk. Biographie zum 70. Geburtstag. Unterhaching 2004. ISBN 3-933105-06-4
  • Raymond Keene: Aron Nimzowitsch, master of planning. Batsford, London 1999. ISBN 0-7134-8438-1 (Erstauflage 1974 unter dem Titel Aron Nimzowitsch: a reappraisal)
  • Gero H. Marten: Aaron Nimzowitsch. Ein Leben für das Schach. Verlag Das Schacharchiv, Hamburg 1995.
  • Michael Negele: Schwanengesang an der Limmat. In: KARL. Das kulturelle Schachmagazin. 23. Jg., 3, 2006, S. 38-43, ISSN 1438-9673
  • Per Skoldager: Nimzowitsch in Dänemark. In: KARL. Das kulturelle Schachmagazin. 23. Jg., 3, 2006, S. 24-30, ISSN 1438-9673

[Bearbeiten] Einzelnachweise

  1. Johannes Fischer 2006, S. 32 verlegt die Partie versehentlich nach Coburg; vgl. Peter Anderberg 2006, S. 50, Fußnote 3 und Diskussion:Aaron Nimzowitsch,Streit mit Tarrasch

[Bearbeiten] Weblinks

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