Bilder einer Ausstellung
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Der Klavierzyklus „Bilder einer Ausstellung“ – Erinnerungen an Viktor Hartmann (russisch „Картинки с выставки“ – Воспоминание о Викторе Гартмане) ist eine Komposition von Modest Mussorgski aus dem Jahr 1874, die allgemein als ein Musterbeispiel für Programmmusik gesehen wird. Die einzelnen Sätze beschreiben Gemälde und Zeichnungen seines im Jahr zuvor gestorbenen Freundes Viktor Hartmann, die Mussorgski auf einer Gedächtnisausstellung gesehen hatte. Die Komposition hatte ein gemeinsamer Freund, der Kunstkritiker Wladimir Stassow, angeregt, der auch an der Namensgebung der Stücke beteiligt war und dem der Zyklus gewidmet ist.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Sätze
Die folgende Tabelle zeigt die zehn Bilder in der Reihenfolge, in der sie im Werk vorkommen, und die verschiedenen Versionen der Promenade.
In der linken Spalte sind die Originaltitel des Komponisten notiert, daneben steht der deutsche Titel bzw. die direkte Übersetzung. In der rechten Spalte finden sich verbreitete alternative deutsche Bezeichnungen der Sätze.
Originaltitel | deutsche Übersetzung | Alternativtitel/Anmerkungen | |
---|---|---|---|
Promenade ?/i | |||
I. | Gnomus | Der Gnom | |
(Promenade) | (im Original steht kein Titel) | ||
II. | Il vecchio castello | Das alte Schloss | |
(Promenade) | (im Original steht kein Titel) | ||
III. | Tuileries (Dispute d'enfants après jeux) |
Die Tuilerien (Spielende Kinder im Streit) |
|
IV. | Bydło ?/i | Der Ochsenkarren | |
(Promenade) | (im Original steht kein Titel) | ||
V. | Балет невылупившихся птенцов |
Ballett der unausgeschlüpften Küken |
Ballett der Küklein in ihren Eierschalen |
VI. | „Samuel“ Goldenberg und „Schmuÿle“ |
„Samuel“ Goldenberg und „Schmuyle“ |
|
Promenade | |||
VII. | Limoges. Le marché (La grande nouvelle) ?/i |
Limoges. Der Marktplatz (Die große Neuigkeit) |
Der Marktplatz von Limoges |
VIII. | Catacombae (Sepulcrum romanum) |
Die Katakomben (Römische Gruft) |
|
Cum mortuis in lingua mortua | Mit den Toten in einer toten Sprache | (eine Version der Promenade) | |
IX. | Избушка на курьих ножках (Баба-Яга) |
Die Hütte auf Hühnerfüßen (Baba-Jaga) |
Die Hütte der Baba-Jaga |
X. | Богатырские ворота (В стольном городе во Киеве) |
Das Heldentor (in der alten Hauptstadt Kiew) |
Das große Tor von Kiew |
[Bearbeiten] Im Einzelnen
Das Werk vermittelt den Eindruck eines Rundgangs durch eine Ausstellung von Werken Hartmanns.
- Am Anfang steht die „Promenade“, die zwischen den nachfolgenden Stücken leicht verändert wiederkehrt. Mussorgski selbst sprach davon, dass die Promenade ihn darstelle, wie er zwischen den Ausstellungsstücken umherwandere, um sie zu betrachten. Die Promenade taucht mehrfach als Überleitung zwischen den Stücken auf.
- „Gnomus“ ist das erste Bild: Ein Zwerg, der linkisch auf missgestalteten Beinen herumhüpft. Die Musik deutet wilde Sprünge an, innerhalb derer kurz pausiert wird; auch der düster anmutende Mittelteil des Stücks wird von eruptiven Musikmotiven des Gnomus unterbrochen.
- „Il vecchio castello“ – „Das alte Schloss“ wurde von Stassow ausgeschmückt mit dem Zusatz: „Vor dem ein singender Troubadour steht“. Es handelt sich um eine ruhige, von einer gleichförmigen Begleitung getragenen Romanze.
- „Tuileries“ geben das nachmittägliche Bild des berühmten Parks in Paris wieder: Tobende Kinder, die von ihren Gouvernanten eindringlich, aber vergeblich ermahnt werden. Die salbungsvollen Worte der Erzieherinnen werden von fröhlichen Einwürfen der nicht zu bändigenden Kinder unterbrochen.
- „Bydło“ ist ein schwerer polnischer Ochsenkarren. Schwerfällig und breit kommt er daher; das Stück stellt die monoton rollenden Räder akustisch dar.
- „Ballett der unausgeschlüpften Küken“ zeichnet das Bild von federleichten, quicklebendigen Küken, die vergnügt herumtrippeln und picken.
- „‚Samuel′ Goldenberg und ‚Schmuÿle′“ sind zwei Juden: Der eine reich und behäbig, der andere arm und abgerissen. Das Motiv zu „Samuel“ Goldenberg ist dementsprechend breit und gewichtig, Goldenberg „spricht“ mit dröhnendem Bass. Ganz anders „Schmuÿle“: Er zeichnet sich durch ein nervtötendes Jammern und Gezeter aus. Die Repetitionen in der rechten Hand sind technisch äußerst anspruchsvoll. Am Ende des Stücks werden beide Motive zusammengeführt, die linke Hand spielt Goldenberg, die rechte Schmuyle.
- „Limoges“ ist ein Abbild alltäglichen Markttreibens: Lebhaftes Gewirr, schreiende Verkäufer, streitende Marktfrauen. Am Ende verdoppelt sich das Tempo der das ganze Stück durchlaufenden Staccato-Bewegung.
- „Catacombae“ und „Cum mortuis in lingua mortua“ stellen den Gang durch die Pariser Katakomben dar. Das Stück hierzu spiegelt eine düstere Stimmung, die angesichts der aufgeschichteten Knochen und Totenschädeln in den Katakomben von Paris leicht aufkommen kann.
- „Die Hütte auf Hühnerfüßen“: Baba-Jaga ist eine russische Hexe, ihre Hütte steht auf einer Hühnerkralle, sie selbst reitet nicht etwa auf einem Besen, sondern auf einem Mörser, den sie mit dem Stößel antreibt. In den Eckteilen dieses Stücks bildet Mussorgski den Hexenritt nach.
- „Das große Tor von Kiew“ ist ein Stadttor mit Glockenturm und einer kleinen Kirche im Innern. Mussorgski verarbeitet in seinem letzten Bild das Motiv der Promenade und gibt dem Werk einen kirchenmusikalischen Charakter. Gegen Ende werden mit schweren Oktavbewegungen in der linken Hand Glockenschläge angedeutet.
[Bearbeiten] Das Verhältnis zu den Bildvorlagen
Ausschlag für Mussorgskis Komposition gab die Gedächtnisausstellung für Viktor Hartmann, die im Februar und März 1874 in der Akademie der Künste in St. Petersburg stattfand. Allerdings sind nicht zu allen Sätzen der „Bilder einer Ausstellung“ auch korrespondierende Bilder Hartmanns erhalten. Interessanterweise waren nur drei der von Mussorgski vertonten Bilder überhaupt in der Ausstellung von 1874 enthalten: das „Ballett der unausgeschlüpften Küken“ (ein Kostümentwurf zu dem Ballett Trilbi des Komponisten Julius Gerber und des Choreographen Marius Petipa), „Die Hütte auf Hühnerfüßen (Baba-Jaga)“ (eine Entwurfszeichnung für eine Bronzeuhr) und „Das große Tor von Kiew“ (ein nicht ausgeführter architektonischer Entwurf). Ferner ist noch eine Vorlage zu den Katakomben von Paris erhalten. Als Vorlage zu „‚Samuel′ Goldenberg und ‚Schmuÿle′“ lassen sich zwei getrennte Bleistiftzeichnungen zweier Juden identifizieren, die sich in Mussorgskis Privatbesitz befanden und verschollen sind, von denen aber jeweils eine Variante als Aquarell erhalten geblieben ist. Ob zu allen weiteren der „Bilder“ tatsächlich jemals Vorlagen existierten, oder ob einige der Bilder vielleicht direkt Mussorgskis Phantasie entsprungen sind, ist angesichts der schwierigen Quellenlage um Viktor Hartmanns Bilder, von denen viele verschollen sind, nur schwer zu klären. Zu der verbindenden Promenade gibt es keine Bildvorlage; hier charakterisiert Mussorgski einfach das Flanieren in der Ausstellung in wechselnden Stimmungen.
[Bearbeiten] Galerie
[Bearbeiten] Bearbeitungen
- Der Komponist Maurice Ravel bearbeitete 1922 das Werk für Orchester. Dies ist die bekannteste Fassung des Werkes. Weitere, seltener gespielte Bearbeitungen stammen von Henry Wood (1915), Leo Funtek (1922), Giuseppe Becce (1922), Leonidas Leonardi (1925), Lucien Cailliet (1937), Leopold Stokowski (1938), Walter Goehr (1942), Sergej Gortschakow (1955), Lawrence Leonard (1975), Elgar Howarth (1979), Wladimir Aschkenasi (1982) und Thomas Wilbrandt (1992). Die früheste Instrumentation (1891) stammt von dem Rimski-Korsakow-Schüler Michail Tuschmalow, enthält jedoch nur eine Satzauswahl. Auch Nikolai Rimski-Korsakow selbst instrumentierte zwei Sätze des Werks.
- Der Maler Wassily Kandinsky schuf eine Bühnenvorstellung, die das Musikstück wiederum programmatisch begleitet. Die Motive sind jedoch rein abstrakt und ohne Bezug zu Viktor Hartmanns Bildern.
- Die Rockgruppe Emerson, Lake and Palmer veröffentlichte 1971 unter dem Titel „Pictures at an Exhibition“ eine moderne Fassung von Mussorgskis Komposition. Dieser Bearbeitung ist zu verdanken, dass das Werk seinerzeit einem breiteren Publikum bekannt wurde.
- Der japanische Musiker und Komponist Isao Tomita schuf 1975 eine Fassung für Synthesizer.
- Der japanische Gitarrist Kazuhito Yamashita hat 1981 eine Transkription für Sologitarre verfasst. Eine Bearbeitung für zwei Gitarren stammt von Heinz Wallisch, eine für Klaviertrio von Giuseppe Becce (1930).
- Der deutsche Musiker und Komponist Hans-Karsten Raecke schuf 1990 eine Bearbeitung für Chor, Chorsolisten, 2 Synthesizer und Schlagwerk, mit eigenen Texten. Die Uraufführung einzelner Stücke fand bereits 1987 in Darmstadt statt. 1992 schuf er eine weitere Bearbeitung für Chor, Chorsolisten, 2 Synthesizer, Bläser-Ensemble und Percussion-Ensemble. 2004 fand eine szenische Aufführung seiner dritten Bearbeitung für Chor, Solisten und 2 Masterkeyboards statt (Uraufführung: 1. Oktober 2004 Alte Feuerwache Mannheim).
- Die Komponisten Oskar Gottlieb Blarr, Arthur Willis und Jean Guillou haben, jeder für sich, eine Fassung für Orgel geschrieben.
- Von Hans Wilhelm Plate stammt eine Fassung für 44 Pianisten an 44 Flügeln und einem präparierten Klavier.
- Die deutsche Progressive Metal-Band Mekong Delta veröffentlichte 1997 eine Bearbeitung mit dem Titel „Pictures at an Exhibition“. Diese orientiert sich sehr stark am Original, das Album enthält neben der bearbeiteten Fassung noch eine zweite Version, in der die orchestrierte Fassung unterlegt ist.
- Das Christof Thewes Undertone Project veröffentlicht 2006 eine Fassung auf CD, die nach eigener Aussage »kein Swing meets Klassik Projekt …, sondern eine moderne zeitgenössische Bearbeitung zwischen Funk, Rock, Free Jazz, Neuer Musik und vielen spontanen Überraschungen« werden sollte. Neben der gelungenen musikalischen Interpretation liegt das besondere hier wohl an den eigens vom Saarbrücker Künstler Thomas Altpeter geschaffenen neuen Bildern, die im Booklet der CD abgebildet sind.
[Bearbeiten] Weblinks
Commons: Bilder einer Ausstellung – Bilder, Videos und/oder Audiodateien |
- Reproduktionen der Bilder Viktor Hartmanns sowie MIDI-Hörbeispiele
- Weitere Seite mit Reproduktionen (englisch)
- Weitere Seite mit Reproduktionen (ungarisch)
- Notenbeispiel der Promenade bei mutopia