Groß-Berlin
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Groß-Berlin ist eine Bezeichnung für das 1920 entstandene Stadtgebiet von Berlin, wie es bis heute mit nur wenigen Änderungen besteht.
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[Bearbeiten] Entwicklung zu Groß-Berlin
Seit der industriellen Revolution, der Gründung des Deutschen Reichs und insbesondere während der Hochindustrialisierung wuchs Berlin sehr schnell an. Die bis dahin freien Flächen zu den Nachbargemeinden mit überwiegend landwirtschaftlicher Nutzung wurden zunehmend für Wohn- und Industriezwecke genutzt.
Seit etwa 1820 wurde diskutiert, ob das Berliner Stadtgebiet durch Eingemeindung der Vororte Moabit und Wedding, des Tiergartens sowie der nördlichen, an Berlin angrenzenden Wohngebiete von Schöneberg und Tempelhof erweitert werden könnte. Die Akteure in Stadt und Umland vertraten bereits damals ausschließlich kurzfristige Eigeninteressen: der Landkreis Niederbarnim befürwortete eine Eingemeindung von Moabit und Wedding, weil die dortigen hohen Sozialausgaben die Kreiskasse belasteten, der Landkreis Teltow war gegen die Angliederung der Schöneberger und Tempelhofer Gebiete, weil die dortige bürgerliche Bevölkerung eine wichtige Quelle von Steuereinnahmen war. Die Berliner Stadtverordnetenversammlung lehnte ihrerseits die Übernahme der finanzschwachen Arbeitergemeinden Moabit und Wedding ab, war aber an den wohlhabenden Schöneberger und Tempelhofer Gebieten sehr interessiert.[1] [2] Nach 40 Jahren ergebnisloser kommunalpolitischer Diskussion wurden die genannten Gebiete durch königlichen Kabinettsbeschluss vom 28. Januar 1860 zum 1. Januar des Folgejahres in die Stadt Berlin eingemeindet.[3]
Um die gegenläufigen Interessen von Stadt und Umland in einer gemeinsamen Instanz zu einen, schlug Oberbürgermeister Arthur Johnson Hobrecht 1875 vor, aus den Städten Berlin, Charlottenburg, Spandau und Köpenick sowie den Landkreisen Teltow und Niederbarnim eine neue „Provinz Berlin“ zu gründen.[4] [5] Um den Interessen der Landkreise entgegenzukommen, wollte Berlin im Gegenzug auf Eingemeindungen verzichten. Der Plan wurde jedoch von den Landkreisen sowie in den Parlamenten der Stadt und des Landes abgelehnt.[6] [7] Auch die preußische Regierung hatte kein Interesse an einem Ausscheiden der Hauptstadtregion aus seiner Kernprovinz Brandenburg.
Seit den 1890er Jahren nahm die Diskussion über die unabgestimmte Entwicklung bei der Stadt- und Verkehrsplanung und die unsolidarische Finanzierung von Gemeinschaftsaufgaben wieder zu. Die reichen Vororte im Süden und Westen profitierten von den geringen Sozialkosten ihrer wohlhabenden Bevölkerung, was ihnen Steuersenkungen ermöglichte, in der Kernstadt und den östlichen Vororten trat der gegenteilige Effekt ein.
Mit der Bildung eines Zweckverbandes Groß-Berlin (Gesetz vom 19. Juli 1911) wurde versucht, einerseits einige der Probleme zu überwinden, andererseits aber eine beherrschende Stellung des „roten“ Berlin in der preußischen und Reichspolitik weiterhin zu verhindern. Dieser Zweckverband war jedoch so unverbindlich, dass er die in ihn gesetzten Erwartungen kaum erfüllen konnte. Die immer stärkere soziale Differenzierung zwischen den Gemeinden bereitete zusätzliche Probleme und der Zweckverband hatte in Fragen des sozialen Ausgleichs keine Kompetenzen. Deshalb bedurfte es des Zusammenbruchs des Kaiserreichs durch Weltkrieg und Revolution, um die Eingemeindung endgültig politisch durchzusetzen. Als bleibender Erfolg des Zweckverbandes sind die ausgedehnten Wälder im Berliner Weichbild bis heute erhalten geblieben. Sie gehen auf den so genannten Dauerwaldvertrag von 1915 zurück.
[Bearbeiten] Das Groß-Berlin-Gesetz
Groß-Berlin-Gesetz wird in der Kurzform das „Gesetz über die Bildung einer neuen Stadtgemeinde Berlin“ genannt, das am 27. April 1920 vom Preußischen Landtag beschlossen wurde und am 1. Oktober 1920 in Kraft trat. Damit wurden in die bisherige Stadtgemeinde Berlin eingegliedert:
- die sieben Stadtgemeinden Lichtenberg, Schöneberg, Wilmersdorf, Charlottenburg, Neukölln, Cöpenick und Spandau sowie
- aus den umliegenden Kreisen Niederbarnim, Osthavelland und Teltow 59 Landgemeinden und 27 Gutsbezirke. Ein kurioser Sonderfall war das Areal des Stadtschlosses Berlin, da es bis dahin ein eigenständiger Gutsbezirk war und erst mit dem Gesetz ein administrativer Teil von Berlin wurde.
Der neue Stadtkreis Berlin schied aus der Provinz Brandenburg aus und bildete fortan einen eigenen Verwaltungsbezirk. Zu den bis dahin 1,9 Millionen Berlinern kamen damit nochmals 1,9 Millionen Einwohner dazu, knapp 1,2 Millionen davon allein durch die 7 umliegenden Städte. Das Stadtgebiet vergrößerte sich von 66 km² auf 883 km².
Es entstanden 20 Verwaltungsbezirke:
- aus Alt-Berlin entstanden die Bezirke Mitte, Tiergarten, Wedding, Prenzlauer Berg (zunächst als Prenzlauer Tor), Kreuzberg (zunächst als Hallesches Tor) und Friedrichshain,
- aus den ehemaligen selbstständigen Städten entstanden die Bezirke Charlottenburg, Spandau, Wilmersdorf, Schöneberg, Neukölln, Köpenick und Lichtenberg,
- und einige neu geschaffene Bezirke, benannt nach den Gemeinden, die zu dieser Zeit die meisten Einwohner hatten: die Bezirke Pankow, Reinickendorf, Steglitz, Zehlendorf, Tempelhof, Treptow und Weißensee.
Bei der Bildung der Verwaltungsbezirke, denen eine Reihe von Selbstverwaltungsaufgaben zugeordnet wurden, wurde darauf geachtet, dass sich „bürgerliche“ und „proletarische“ Bezirke in etwa die Waage hielten. Trotzdem gab es bis 1923 „Los-von-Berlin-Bewegungen“, die jedoch alle scheiterten. Durch das Gesetz gelang es, eine integrierte Stadtplanung und städtebauliche Gestaltung zu realisieren. Damit war auch eine wichtige Grundlage für den Aufstieg Berlins zu einer Metropole mit Weltgeltung in den Zwanziger Jahren geschaffen worden. Das Gesetz entfaltet noch heute juristische Wirkung, denn in den amtlichen Kommentaren zum Einigungsvertrag von 1990 wird darauf Bezug genommen, um die Ausdehnung und die Grenzen des Bundeslandes Berlin zu definieren.
[Bearbeiten] Weitere Verwendung der Bezeichnung Groß-Berlin
Im Laufe der Jahrzehnte verschwand der Begriff Groß-Berlin immer mehr aus dem Sprachgebrauch, war aber in der Verwaltung weiterhin präsent. So wurde er auch in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 aufgenommen, wo er bis zur Wiedervereinigung und der damit verbundenen Änderung des Artikels 23 im Jahr 1990 stand. Auch nannte sich die Stadtverwaltung in Ost-Berlin bis in die 1960er noch Magistrat von Groß-Berlin.
[Bearbeiten] Literatur
- Schwenk, Herbert (2000): Es hing am seidenen Faden. Berlin wird Groß-Berlin. In: Berlinische Monatshefte, Heft 6/2000.
- Splanemann, Andreas (1990): Wie vor 70 Jahren Groß-Berlin entstand. (=Reihe Berliner Forum, Band 3/90. Berlin 1990).
- Reinhardt, Rudolf (1971): Die schwere Geburt von Groß-Berlin. Möllers Vorbild für eine Regionalstadt Frankfurt/Viele Widersacher drinnen und draußen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 49, 27. Februar 1971, Seite 35.
- Koehn, Theodor (1911): Der Verband Groß-Berlin. Vortrag im Architekten-Verein zu Berlin, 20. Februar 1911. Carl Heymanns, Berlin.
- Krappweis, Stefan (1992): Entwicklungsachse Berlin – Sperenberg. Regionale Siedlungspotentiale. Diplomarbeit, Institut für Stadt- und Regionalplanung, Technische Universität Berlin.
[Bearbeiten] Quellen
- ↑ Schwenk 2000, Seite 9
- ↑ Splanemann 1990, Seite 9.
- ↑ Koehn 1911, Seite 1
- ↑ Schwenk 2000, Seite 10
- ↑ Krappweis 1992, Seite 23.
- ↑ Reinhardt 1971
- ↑ Splanemann 1990, Seite 11