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Holger Kersten

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Holger Kersten (* 1951) ist Autor mehrerer Bücher über Jesus von Nazaret. Er studierte seit 1975 in Freiburg im Breisgau Religionspädagogik und war in den 1980er Jahren als Religionslehrer an einer Berufsschule in Südbaden tätig. In der Wissenschaft finden seine Bücher keine Beachtung.

Inhaltsverzeichnis

„Jesus in Indien“

Kersten vertrat schon vor 1980 mit Elmar R. Gruber die Auffassung, Jesus habe seine Kreuzigung überlebt, sei danach nach Kashmir gewandert und nicht in Palästina, sondern im Alter von über 100 Jahren in Nordindien verstorben und in Srinagar beigesetzt worden. 1981 mit seinem Buch Jesus in Indien führte er diese Auffassung näher aus und verknüpfte mehrere Einzelthesen zu einer nach eigenen Angaben „lückenlosen Beweiskette“:

  • Jesus sei zwar unter Pontius Pilatus hingerichtet worden, könne aber nicht am Kreuz in Jerusalem gestorben sein. Dazu bezog Kersten sich auf einzelne Verse des Johannesevangeliums.
  • Jesus müsse nach seiner Gesundung nach Indien gewandert sein, wo schon seit Jahrhunderten eine jüdische Minderheit - die Nachfahren der seit dem Untergang des Nordreichs Israel verschollenen „10 verlorenen Stämme“ (Beni Israel) - gelebt habe.
  • Jesus habe auch dort als Wanderprediger gewirkt und sich durch Heiltätigkeit und Lehre Ansehen erworben.
  • Sein Grab sei identisch mit dem heute noch als Tempel genutzten Grabhaus des Yuz Asaf (eines Bodhisattva). Dazu verwies er auf Einkerbungen auf der Grabplatte, die an Kreuzigungswundmale an Händen und Füßen erinnern sollen. Dies entspricht dem Glauben der islamischen Ahmadiyya.

Johannäische Aussagen

Für seine Beweiskette bezog sich Kersten wie seine Vorgänger auch auf Sonderaussagen des Johannesevangeliums über Jesu Kreuzigung und Grablegung (Joh 19,17-43 EU): Danach hätten römische Soldaten den mit Jesus Gekreuzigten die Beine gebrochen. Dies war römischer Brauch, um den Todeskampf der Gehängten abzukürzen. Da Jesus bereits tot war, hätten sie dies bei ihm nicht getan, sondern nur mit einem Lanzenstich seinen Tod überprüft. Dabei seien Blut und Wasser aus seiner „Seite“ (griech. pleura) geflossen (Joh 19,32-34 EU).

Kersten deutet diese Angaben als historisch verlässliche Tatsachen und folgert: Üblich sei ein mehrtägiger Todeskampf bei einer Kreuzigung. Dass die Soldaten Jesu Beine nicht gebrochen hätten, habe ihm das Leben gerettet. Da Blutfluss bei einem Toten unmöglich ist, müsse Jesus bis dahin noch gelebt haben.

Dagegen weisen Neutestamentler wie Gerd Theißen [1] darauf hin, dass der Evangelist hier die Schriftgemäßheit des Todes Jesu als des wahren Passahlamms aussagen wollte (Joh 19,36 EU). Denn die Tora fordert (Ex 12,46 EU): Ihr sollt … keinen Knochen an ihm zerbrechen und verheißt: Sie werden den ansehen, den sie durchbohrt haben (Sach 12,10 EU). Der Lanzenstich in die Seite habe dem Herz gegolten. Diese tödliche Wunde sollte den zweifelnden Thomas überzeugen, dass der auferstandene Jesus wirklich derselbe war wie der zuvor Gekreuzigte (Joh 20,27 EU). Kersten hätte demnach Motive, die zur theologischen Deutung des zuletzt entstandenen Evangeliums gehören, irrtümlich als historische Notizen aufgefasst.

Nach einer weiteren nur bei Johannes zu findenden Aussage wurden die Leintücher, mit denen man den Toten umhüllte, von befreundeten Pharisäern mit 100 Pfund Aloe Vera und Myrrhe getränkt bzw. der tote Körper einbalsamiert und dann in ein frisch ausgehauenes Felsengrab gelegt. Kersten deutete diese Angaben als heimlichen Heilungsversuch: Es habe sich um Heilkräuter gehandelt. Darauf verweise schon die Menge. Zudem sei das Einbalsamieren von Leichen bei palästinischen Juden damals unüblich und verpönt gewesen. Da Jesus keinesfalls ein hellenisierter Jude gewesen sei, müsse es einen anderen Grund gehabt haben. Dass dies für den vornehmen Ratsherrn Joseph von Arimathia nicht zutreffen musste, der als Mitglied des Sanhedrin sehr wahrscheinlich griechisch gebildet war, berücksichtigte Kersten nicht. Nikodemus war für ihn Angehöriger der Essäer: einer damaligen Wüstensekte, die im Neuen Testament nirgends erwähnt wird.

Turiner Leichentuch

In einem weiteren Schritt bezog Kersten diese Angaben auf das Grabtuch von Turin. Spuren darauf sollen auf Rückstände von Heilkräutern verweisen. Um dies zu stützen, balsamierten Kersten und Gruber eine Versuchsperson mit einer Emulsion aus Öl, Aloe und Myrrhe ein. Sie bewerteten den sich ergebenden Abdruck des Leinentuchs als Reproduktion einiger Eigenschaften des Turiner Grabtuchs. Dieses weise eindeutige Spuren einer solchen Behandlung auf. Kersten bezweifelte nicht, dass das Turiner Grabtuch Jesus abbildet und mit den im NT genannten mehreren Leichentüchern identisch sei.

Vorläufer der Indienthese

Die These eines Indien- bzw. Tibet-Aufenthalts Jesu vor oder nach seiner Kreuzigung fußt auf populären Reiseberichten des 19. Jahrhunderts und wird seitdem ständig neu aufgelegt. Die These ist in der Esoterik beliebt, weil sie einen Synkretismus repräsentiert, der religiöse Motive aus dem Gnostizismus vom Scheintod des Erlösers mit Elementen des Hinduismus, Buddhismus und Islam zu verbinden versucht. Bis 2006 erschienen dazu weltweit 18 Bücher und sechs Filmdokumentationen sowie einige Zeitungsartikel, darunter:[2]

  • La Bible dans l’Inde. Vie de Jezeus Christna (1875) von Louis Jacolliot. Dieser französische Bezirksrichter gab sich nach seiner Rückkehr aus Indien als Indologe aus und wollte originale Jesuszitate, -schriften und Wunderberichte in alten religiösen Schriften Indiens entdeckt haben, die Jesu Aufenthalt dort beweisen sollten. Doch bereits 1888 wiesen angesehene Indologen ihm nach, dass er kein Sanskrit beherrschte und die Zitate gefälscht hatte.
  • La vie inconnue de Jésus-Christ („Die Lücke im Leben Jesu“, 1894) von Nikolaj Notowitsch. Dieser russische Journalist behauptete, man habe ihm im Kloster Hemis in Ladakh uralte Schriften gezeigt, in denen Jesu Ankunft und Aufenthalt in Tibet zwischen seinem 12. und 30. Lebensjahr erwähnt sei. Dies widerlegten der Indologe Friedrich Max Müller und der englische Historiker John Archibald Douglas 1894 und 1895: Notowitsch war weder in Hemis noch anderen Klöstern der Region gewesen, und die Buddhisten dort – die gar keine gebundenen Bücher besaßen – hatten erst durch die Begegnung mit europäischen Missionaren von Jesus gehört.
  • Erlösung von Jesus Christo und Von neuem Trug zur Rettung des Christentums (ab 1930) von Mathilde Ludendorff. Diese Mitgründerin einer faschistischen Sekte der Ariosophie berief sich auf Jacolliot, um eine „arische“ Abstammung Jesu zu behaupten.
  • The tomb of Jesus Christ in India (1939) von J. D. Shams, damals Imam der Londoner Moschee. Er berief sich auf Ghulam Ahmad.
  • Jesus ist nicht am Kreuz gestorben (1957) von Kurt Berna. Dieser Journalist mit vielen Pseudonymen wie „Hans Naber“ oder „John Reban“ berief sich wiederum auf Jacolliot und führte 1984 eine „Forschungsgruppe“ nach Kaschmir. Diese besuchte auch den Islamprofessor Fida Mohammed Hassnain in Srinagar, der den Glauben der Ahmadiyya pseudowissenschaftlich zu untermauern versucht. Darüber berichtete die Illustrierte Bunte in dem Artikel Wo starb Jesus wirklich?[3]
  • Jesus starb in Indien (1973), ein Artikel der deutschen Illustrierten Stern[4]. Darin wurde Hassnain als Autorität zitiert.
  • Starb Jesus in Kaschmir? Das Geheimnis seines Lebens und Wirkens in Indien (1973) von Siegfried Obermeier.
  • Jesus died in Kaschmir (1976) von Andreas Faber-Kaiser. Auch er berief sich auf J. D. Shams und Hassnain.
  • Reise nach Kiribati (1981) von Erich von Däniken. Er interviewte Hassnain persönlich und zitierte ihn mit den Worten: „Die Beweiskette ist lückenlos. Sie kann vor jedem Gericht bestehen.“ (S. 219)
  • 1983 erschien schließlich Kerstens Buch Jesus lebte in Indien. Auch er berief sich darin auf Hassnain und behauptete wie dieser eine „lückenlose“ Beweiskette für Jesu Leben in Indien.

Wissenschaftliche Kritik

1985 veröffentlichte der deutsche Indologe und Tibetologe Dr. Günter Grönbold eine umfassende wissenschaftliche Untersuchung der Indienthesen: Jesus in Indien - Das Ende einer Legende (Kösel-Verlag, München 1985). Er führte die Argumente der genannten Autoren auf wenige stets wiederholte Spekulationen zurück und wies ihnen Widersprüche, Abhängigkeiten und Fehler nach. So führte Kersten auch Notowitschs Buch als angeblich verlässlichen Bericht an, obwohl es schon 1894 als Fälschung erwiesen worden war. Kersten verschwieg auch, dass Notowitsch Jesu Wanderschaft nach Tibet nicht nach, sondern vor dessen Tod gelegt hatte, und dass Hassnain die Wiederkunft des Messias für den 21. März 1983 (vor Escheinen seines Buchs) angekündet hatte. Den Namen Yuz Asaf, mit dem viele der genannten Autoren Jesus identifizierten, erklärte Grönbold aus einer islamisierten Fassung des buddhistischen Begriffs Bodhisattva.[5]

Weitere Aktionen Kerstens

1984 will Kersten nach eigenen Angaben den Gouverneur von Kaschmir, Farooq Abdullah, überzeugt haben, das Grab von Yuz Asaf öffnen zu lassen, um weitere Beweise für dessen Identität mit Jesus zu finden. Am Tag vor der geplanten Öffnung seien jedoch gewalttätige politische Auseinandersetzungen ausgebrochen. Um diese nicht zu verschärfen, habe der Polizeichef Srinagars Abdullah davon abgeraten, das Grab zu öffnen.

2005 unternahm Kersten eine Expedition nach Ostanatolien zum Berg Nemrut Dağı und Arsameia. Dort will er die Geburtshöhle des historischen Mithras entdeckt und dessen exaktes Geburtsdatum - den 29. Juli des Jahres 7 v. Chr. - ermittelt haben. Dazu bezog er sich auf das sogenannte Löwenhoroskop und einen künstlichen Schacht, der durch den Einfall des Sonnenlichtes den genauen Geburtszeitpunkt berechenbar mache.

2006 reiste Kersten nach Gandhara in Kaschmir, Taxila in Pakistan und Harwan bei Srinagar, um u.a. auch die letzte Ruhestätte Jesu zu finden. Damit rückte er von seiner Beweiskette ab und bestand nicht mehr darauf, Jesus müsse mit Yuz Asaf identisch sein.

Referenzen

  1. Der historische Jesus, S. 153
  2. vgl. Dr. Tahir Ijaz and Qamar Ijaz Ph.D.: Jesus in India: A Review of the World Literature (1899-1999) (Aufstellung von Jesus-in-Indien-Literatur in The Muslim Sunrise - A Journal of the Islamic Renaissance in America)
  3. Ausgabe 47 / 1984
  4. Ausgabe 16 / 1973
  5. Armin Risi: Ging Jesus nach Indien? Eine Untersuchung der Quellen und Motive dieser Theorie

Werke

  • Jesus lebte in Indien – Sein geheimes Leben vor und nach der Kreuzigung, Berlin, Ullstein-Verlag 1998 (1. Auflage 1981), ISBN 3-5483-5490-4
  • Das Jesus-Komplott: die Wahrheit über das Turiner Grabtuch, Heyne-Verlag, München, 1997, ISBN 3-453-12307-7
  • Der Ur-Jesus - Die buddhistischen Quellen des frühen Christentums, Langen-Müller Verlag, München, 1994, ISBN 3-7844-2504-6
  • Jesus starb nicht am Kreuz - Die Botschaft des Turiner Grabtuchs, Langen-Müller Verlag, München, 1998, ISBN 3-7844-2688-3 (mit Elmar R. Gruber)

Weblinks

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