Landeskirche
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Eine Landeskirche ist nach heutigem Verständnis in der Regel ein territorial abgegrenzter Zusammenschluss von volkskirchlichen Gemeinden.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Landeskirche im Mittelalter
Bezogen auf die vorreformatorische Zeit wird unter dem Begriff der Landeskirche die Kirchenorganisation eines bestimmten Territoriums verstanden, die zwar im Regelfall einer übergeordneten Autorität (dem Papst oder einem Patriarchen) unterstellt war, aber ein erhöhtes Maß an Selbstständigkeit besaß, insbesondere was ihre innere Struktur und ihr Verhältnis zum jeweiligen weltlichen Herrscher betraf. Das Vorhandensein einer eigenen Landeskirche spielte eine große Rolle für die Abgrenzung vor allem frühmittelalterlicher Reiche gegenüber anderen Territorien.
[Bearbeiten] Landeskirchen in Deutschland
[Bearbeiten] Entstehung
Der Begriff im heutigen Verständnis ergab sich aus einer Notsituation: Anders als in Skandinavien und England gingen die deutschen Bischöfe in ihrer großen Mehrheit nicht zur Reformation über, so dass es nicht möglich war, das hergebrachte Diözesansystem unter dem Vorzeichen des neuen Bekenntnisses weiter bestehen zu lassen. Daher forderte Martin Luther, dass die weltlichen Landesherren behelfsweise die bischöfliche Funktion in ihren Territorien ausüben sollten.
Aus der Reformationszeit stammt auch der Grundsatz cuius regio, eius religio. Danach bestimmte der Landesherr, welcher Konfession seine Untertanen angehören mussten. Dies beförderte die Ausbildung geschlossener, eigener Landeskirchen. Der Grundsatz wurde allerdings in der Praxis der Religionspolitik im Heiligen Römischen Reich mit und nach dem Dreißigjähriger Krieg bald aufgeweicht.
Bis zur Abschaffung der Monarchie in Deutschland 1918 waren die Landesherren im administrativen Bereich Landesbischöfe, und die Bindung von Kirche und Staat dadurch besonders eng. Das galt auch bei Landesherren anderer Konfession. So war der (römisch-katholische) König von Bayern zugleich oberster Bischof der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern. In der Praxis übten die Landesherren die bischöflichen Funktionen aber nur indirekt durch eine dafür zuständige Behörde aus, die in der Regel den Namen Konsistorium trug.
[Bearbeiten] Situation heute
Die heutigen Grenzen der in Deutschland existierenden 23 evangelischen Landeskirchen sind weitgehend identisch mit denen der Bundesstaaten (in Preußen: der Provinzen) im Deutschen Kaiserreich, wie es bis 1918 bestand. So umfasst beispielsweise das Gebiet der Evangelischen Kirche im Rheinland die frühere preußische Rheinprovinz, welche heute auf vier Bundesländer aufgeteilt ist. Das Gebiet der Landeskirche blieb jedoch nahezu unverändert.
Größere Veränderungen gab es im Bereich des heutigen Hessen, wo sich im Dritten Reich die beiden zuständigen Gauleiter in Kassel und Darmstadt jeweils eine eigene Landeskirche zulegten (heute: Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck und Evangelische Kirche in Hessen und Nassau) und zukunftsweisendere Strukturen verhinderten. Eine andere größere Veränderung betraf Hamburg und Schleswig-Holstein, wo sich in den 1970er Jahren die vier bestehenden Landeskirchen von Schleswig-Holstein, Lübeck, Eutin und Hamburg mit dem Kirchenkreis Harburg der Hannoverschen Landeskirche zur Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche vereinigten.
[Bearbeiten] Ämter und Institutionen
Folgende typischen Ämter und Institutionen der Landeskirche gibt es bis heute:
- Landesbischof, Bischof, Kirchenpräsident/-in, Präsident/-in Präses oder Landessuperintendent genannt, als Oberhaupt der Kirche; er ist quasi "Nachfolger" des jeweiligen Landesherrn bis 1918 (z.B. König, Fürst, Herzog)
- Synode als das "Parlament" der Kirche
- Landeskirchenrat, Oberkirchenrat, Landeskirchenamt oder Konsistorium als Verwaltungsbehörde der Kirche
Als übergreifendes Organ gründeten die Landeskirchen die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), die ihren Sitz in Hannover hat.
[Bearbeiten] Verwaltungshierarchie
Die Verwaltungsstruktur ist von Landeskirche zu Landeskirche unterschiedlich. Oft werden für die gleiche Verwaltungsinstanz verschiedene Bezeichnungen geführt. Um Verwirrungen zu vermeiden, soll folgende Tabelle einen Überblick über die Bezeichnungen der Verwaltungsebenen in den Landeskirchen der EKD geben. Zusätzlich wird in Klammern die Bezeichnung der personalen Leitung genannt, da auch hier in den Landeskirchen mit der gleichen Bezeichnung oft unterschiedliche Dinge gemeint sind. Kursiv werden ergänzend eventuelle Gremien der Verwaltungsebene genannt.
Unterste Instanz |
Untere Instanz |
Mittlere Instanz |
Obere Instanz | |
---|---|---|---|---|
Evang. Landeskirche Anhalts |
Kirchengemeinde Gemeindekirchenrat |
Kirchenkreis (Kreisoberpfarrer) Kreissynode |
Landeskirche (Kirchenpräsident) Landessynode |
|
Evang. Landeskirche in Baden |
Kirchengemeinde Kirchengemeinderat |
Kirchenbezirk, auch Dekanat (Dekan) Bezirkssynode |
Kirchenkreis, auch Prälatur (Prälat) |
Landeskirche (Landesbischof) Landessynode |
Evang.-Luth. Kirche in Bayern |
Kirchengemeinde Kirchenvorstand |
Dekanat (Dekan) Dekanatssynode |
Kirchenkreis (Regionalbischof) |
Landeskirche (Landesbischof) Landessynode |
Evang. Kirche in Berlin- Brandenburg- schlesische Oberlausitz |
Kirchengemeinde Kirchenvorstand |
Kirchenkreis (Superintendent) Kreissynode |
Sprengel (Generalsuperintendent) |
Landeskirche (Bischof) Landessynode |
Evang.-Luth. Landeskirche in Braunschweig |
Kirchengemeinde Kirchenvorstand |
Propstei (Propst) Propsteisynode |
Landeskirche (Landesbischof) Landessynode |
|
Bremische Evangelische Kirche |
Kirchengemeinde |
Landeskirche (Präsident des Kirchenausschusses) Kirchentag |
||
Evang.-Luth. Landeskirche Hannovers |
Kirchengemeinde Kirchenvorstand |
Kirchenkreis (Superintendent) Kirchenkreistag |
Sprengel (Landessuperintendent) |
Landeskirche (Landesbischof) Landessynode |
Evang. Kirche in Hessen und Nassau |
Kirchengemeinde Kirchenvorstand |
Dekanat (Dekan) Dekanatssynode |
Propstei (Propst) |
Landeskirche (Kirchenpräsident) Landessynode |
Evang. Kirche von Kurhessen-Waldeck |
Kirchengemeinde Kirchenvorstand |
Kirchenkreis (Dekan) Kreissynode |
Sprengel (Propst) |
Landeskirche (Bischof) Landessynode |
Lippische Landeskirche | Kirchengemeinde Kirchenvorstand |
Klasse, auch Bezirk (Superintendent) Klassentag |
Landeskirche (Landessuperintendent) Landessynode |
|
Evang.-Luth. Landeskirche Mecklenburgs |
Kirchgemeinde Kirchgemeinderat |
Propstei (Propst) Propsteisynode |
Kirchenkreis (Landessuperintendent) Kirchenkreisrat |
Landeskirche (Landesbischof) Landessynode |
Nordelbische Evang.-Luth. Kirche |
Kirchengemeinde Kirchenvorstand |
Kirchenkreis (Propst) Kirchenkreissynode |
Sprengel (Bischof) |
Landeskirche (Vorsitzender Bischof der Kirchenleitung) Synode |
Evang.-Luth. Kirche in Oldenburg |
Kirchengemeinde Gemeindekirchenrat |
Kirchenkreis (Kreispfarrer) Kreissynode |
Landeskirche (Bischof) Synode |
|
Evang. Kirche der Pfalz | Kirchengemeinde Presbyterium |
Kirchenbezirk, auch Dekanat (Dekan) Bezirkssynode |
Landeskirche (Kirchenpräsident) Landessynode |
|
Pommersche Evangelische Kirche |
Kirchengemeinde Gemeindekirchenrat |
Kirchenkreis (Superintendent) Kreissynode |
Landeskirche (Bischof) Landessynode |
|
Evangelisch-reformierte Kirche |
Kirchengemeinde Kirchenrat oder Presbyterium |
Synodalverband (Präses des Moderamens) Synodalverbandssynode |
Landeskirche (Kirchenpräsident) Gesamtsynode |
|
Evangelische Kirche im Rheinland |
Kirchengemeinde Presbyterium |
Kirchenkreis (Superintendent) Kreissynode |
Landeskirche (Präses) Landessynode |
|
Evang. Kirche der Kirchenprovinz Sachsen |
Kirchengemeinde Gemeindekirchenrat |
Kirchenkreis (Superintendent) Kreissynode |
Propstei (Propst) |
Landeskirche (Bischof) Landessynode |
Evang.-Luth. Landeskirche Sachsens |
Kirchgemeinde Kirchenvorstand |
Kirchenbezirk, auch Ephorie (Superintendent) Kirchenbezirkssynode |
Kirchenamtsratsbereich (Kirchenamtsrat) |
Landeskirche (Landesbischof) Landessynode |
Evang.-Luth. Landeskirche Schaumburg-Lippe |
Kirchengemeinde Gemeindekirchenrat |
Kirchenbezirk (Superintendent) |
Landeskirche (Landesbischof) Landessynode |
|
Evang.-Luth. Kirche in Thüringen |
Kirchengemeinde Gemeindekirchenrat |
Superintendentur (Superintendent) Kreissynode |
Aufsichtsbezirk (Visitator) |
Landeskirche (Landesbischof) Landessynode |
Evangelische Kirche von Westfalen |
Kirchengemeinde Presbyterium |
Kirchenkreis (Superintendent) Kreissynode |
Landeskirche (Präses) Landessynode |
|
Evang. Landeskirche in Württemberg |
Kirchengemeinde Kirchengemeinderat |
Kirchenbezirk (Dekan) Bezirkssynode |
Prälatur, auch Sprengel (Prälat) |
Landeskirche (Landesbischof) Landessynode |
Die unterste Instanz ist in der allgemeinen Verwaltung vergleichbar mit der politischen Gemeinde, die untere Instanz mit dem Landkreis, die mittlere Instanz mit dem Regierungsbezirk und die obere Instanz mit dem Bundesland.
[Bearbeiten] Landeskirchen in der Schweiz
In der Schweiz ist die kirchliche Gesetzgebung kantonal geregelt. Bis auf die Kantone Neuenburg und Genf kennen alle Kantone öffentlich-rechtliche anerkannte Kirchen. Dazu gehören in allen Kantonen die römisch-katholische und die evangelisch-reformierte Kirche, in einigen Kantonen auch die christkatholische Kirche. Diese drei Kirchen werden auch als Landeskirchen bezeichnet. In den Kantonen Basel-Stadt, Freiburg und St. Gallen sind die israelitischen Gemeinden den Landeskirchen gleichgestellt 1 2.
Aus historischen Gründen gibt es im Wesentlichen vier Formen der öffentlich-rechtlichen Anerkennung:
- historisch reformierte Kantone (Appenzell-Ausserrhoden, Basel-Landschaft, Bern, Schaffhausen, Waadt und Zürich), mit einer relativ engen Verbindung zwischen Kanton und reformierter Landeskirche mit synodaler Verfassung
- historisch katholische Kantone (Appenzell-Innerrhoden, Freiburg, Luzern, Nidwalden, Obwalden, Solothurn, Schwyz, Tessin, Uri, Wallis und Zug) in denen den Kirchen, insbesondere der katholischen Kirche, weitgehende Autonomie gewährt wird. In den Kantonen Obwalden, Uri und Tessin ist die evangelisch-reformierte Kirche zwar anerkannt, aber es gibt keine evangelisch-reformierte Kantonalkirche.
- konfessionell paritätische Kantone (Aargau, Glarus, Graubünden, St. Gallen, Thurgau) in denen beide großen Kirchen analoge, autonome Regelungen haben
- die (historisch reformierten) Kantone Neuenburg und Genf, wo die Kirchen nicht öffentlich-rechtlich anerkannt, aber Organisationen von öffentlichem Interesse sind.
[Bearbeiten] Siehe auch
Anhalt | Baden | Bayern | Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz | Braunschweig | Bremen | Hannover | Hessen-Nassau | Kurhessen-Waldeck | Lippe | Mecklenburg | Nordelbien | Oldenburg | Pfalz | Pommern | Reformierte Kirche (Bayern und Nordwestdeutschland) | Rheinland | Sachsen | Kirchenprovinz Sachsen | Schaumburg-Lippe | Thüringen | Westfalen | Württemberg