Sexualmagie
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Mit dem Begriff Sexualmagie werden – vor allem in der Ethnologie und Kulturanthropologie – Praktiken und Rituale bezeichnet, die mit der Ausübung der menschlichen Sexualität im Zusammenhang stehen.
Der besonders tabuisierte Bereich der sexuellen Handlungen war von jeher prädestiniert, in allen Völkern der Welt für magische Praktiken herangezogen zu werden. Sexualität ist die wohl stärkste Quelle aller menschlichen Kultur (siehe auch Sublimation), und es wundert nicht, dass ihr in fast allen Völkern auch magische Eigenschaften beigelegt wurden.
Mit der Hilfe der Sexualmagie sollen – ebenso wie auch bei anderen Formen der Magie – zumeist positive Auswirkungen auf das spirituelle, soziale, berufliche oder materielle Leben des Ritualteilnehmers bewirkt werden. Auch das „Aufladen“ eines kultischen Gegenstandes (z. B. eines Talismans oder einer Sigill) kann ihr Ziel sein.
Sexualmagie kann – wie etwa im Tantrismus – die Form einer Sexualmystik annehmen. Auch andere spirituelle Gemeinschaften verbinden Sexualität mit kosmologischen und spirituellen Ideen.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Geschichte
Wahrscheinlich war es den Menschen schon in Urzeiten bewusst, dass die Sexualität auf eine numinose Art das Bewusstsein steigert, die Wachheit vergrößert und darüber hinaus andere Empfindungen verstärkt. Hiervon zeugen die weltweiten Mythen, die die Sexualität zum Inhalt haben.
Sexualmagie bzw. Sexualmystik und ihre rituelle Ausformung traten in unterschiedlichen Kulturen auf, so in Sumer im Hieros gamos und in China bei den Fangshi, wo sie seit der vorchristlichen Zeit nachzuweisen sind und wahrscheinlich bis auf die schamanistischen Praktiken der Shang-Zeit zurückgehen. In Indien entwickelte sich das Tantrayana, eine Form der Sexualmystik, die teilweise sexualmagische Techniken umfasst.
Die moderne Form der westlichen Sexualmagie wurde historisch fassbar mit der Gründung des Ordo Templi Orientis durch Theodor Reuss im Jahre 1906, und in der westlichen Kultur wurde die Sexualmagie hauptsächlich von Aleister Crowley, einem britischen Magier, Mitglied des OTO, Anfang des 20. Jahrhunderts erforscht, systematisiert, popularisiert und wiederbelebt. In dieser Zeit entwickelte Sigmund Freud seine Theorie des Narzissmus.
Die Abgrenzung der westlichen Sexualmagie zum indischen Tantra und der chinesischen Variante, ‚der Kunst des Schlafgemaches’, besteht darin, dass sich die westliche Sexualmagie als magische Technik versteht und nicht zwangsläufig in einen religiösen oder spirituellen Zusammenhang eingebettet ist. Das heißt, sie ist primär ein Mittel, um Veränderungen in Übereinstimmung mit dem Willen herbeizuführen, diese Veränderungen können sich aber natürlich auch auf die Spiritualität beziehen. Der Unterschied zu den westlichen Vorstellungen vom Tantra – welches eher als therapeutisches Neotantra zu bezeichnen wäre – ist, dass Sexualmagie nicht das Ziel hat, die Qualität des sexuellen Erlebens zu verbessern, sondern Sexualität als magische Quelle zu nutzen sucht, um spezifische Ziele zu verwirklichen.
[Bearbeiten] Moderne Praxis der Sexualmagie
Die Anhänger der Sexualmagie arbeiten mit Techniken, die sich auf zwei Ebenen beziehen. Die eine ist physisch-sexueller Art, die andere geistiger bzw. konzentrativer Art.
Für die Praktizierenden bedeutet dies, dass auf der geistigen Ebene zunächst ein Ziel definiert wird. Dieses wird sodann in eine Form gebracht, die als Konzentrationsobjekt dient. Dies kann beispielsweise ein Mantra bzw. eine Affirmation sein, eine Visualisation oder Imagination. Das Ziel oder Konzentrationsobjekt wird so genau wie möglich konkretisiert.
Die Konzentration auf das Objekt (Ziel) wird während des gesamten Sexualaktes oder der rituellen Ausformung des Sexualaktes aufrechterhalten und geht über den oder die Orgasmen hinaus bis in den Bereich der Entspannungsphase. Durch die Willensanstrengung die dazu erforderlich ist, soll eine starke, zugespitzte Konzentration erzeugt werden.
Hierbei wird angestrebt, eine höchstmögliche Erregung beizubehalten, wozu u.a. der Sexualakt solange wie möglich ausgedehnt wird. Dies kann durch langanhaltende Orgasmusvermeidung oder durch das Gegenteil, die Erzeugung vieler Orgasmen hintereinander, erreicht werden. Hierdurch soll die Magie besonders stark werden.
Die Orgasmusformen, die herbeigeführt werden können und angewendet werden, sind der gewöhnliche Genitalorgasmus sowie der Ganzkörper- oder Talorgasmus. Der Ganzkörperorgasmus unterscheidet sich vom normalen Orgasmus durch eine Intensivierung des Empfindens, das sich auf den ganzen Körper ausdehnt, die längere Dauer und beim Mann durch das Ausbleiben oder die Verzögerung der Ejakulation. Der Ganzkörperorgasmus stellt eine Form der Ekstase dar und wird oft erzeugt, um magische Arbeiten mit dem Ziel der Bewusstseinserweiterung durchzuführen.
Bei sexualmagischen Praktiken können auch stimulierende Mittel, wie Tabubruch (im Sinne ungewöhnlicher oder "verbotener" Sexualpraktiken), Ritualmagie, Musik und Drogen eingesetzt werden.
Zur physischen Ebene der Sexualmagie gehören auch Techniken der Verbesserung der Wahrnehmung und der geistigen Übung, wie etwa Gedankenkontrolle, Konzentration, Visualisation und Imagination, Atemübungen (Pranayama) und Meditation.
Sexualmagie kann sowohl autoerotisch als auch hetero- oder homoerotisch praktiziert werden.
[Bearbeiten] Moderne Kritik
Die zeitgenössische Sexualmagie wird gesellschaftlich der Perversion verdächtigt, da teilweise auch Dinge praktiziert werden, die dem 'sexuellen Normalverbraucher' als anrüchig, beunruhigend, ekelerregend oder bizarr erscheinen können. Solche Praktiken sind beispielsweise die bewussten Tabubrüche, in denen absichtlich Formen von Sexualität ausgeübt werden, die als unangenehm, angstbesetzt, ekelerregend oder schmerzvoll erlebt werden.
[Bearbeiten] Weblinks
[Bearbeiten] Literatur
- Bernd Hansen (Hrsg.): Destruktive Kulte, schwarze Magie, Sexualmagie, (Flensburger Hefte; Bd. 33), Flensburger-Hefte-Verlag, Flensburg 1991, ISBN 3-926841-40-0
- Francis King: Sexuality, magic and perversion, Spearman, London 1971, ISBN 0-85435-161-2
- Michael A. Köszegi: Sexuality, religion and magic. A comprehensive guide to sources, Garland, New York 1994, ISBN 0-8153-0921-X
- Jonn Mumford: Tantrische Sexualmagie. Theorie und Praxis der okkulten Liebe, Edition Sphinx, Basel 1991, ISBN 3-85914-329-8
- Benjamin Walker: Sex and the supernatural. Sexuality in religion and magic, Harrow Booka, New York 1973, ISBN 0-356-03464-X