Weströmisches Reich
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Das Weströmische Reich (die Bezeichnung ist modernen Ursprungs; nach zeitgenössischer Auffassung gab es nur ein Reich unter zwei Kaisern) entstand aus der Teilung des Römischen Reiches im Jahre 395 n. Chr., nachdem der römische Kaiser Theodosius I. das Reich zwischen seinen Söhnen Honorius (Westrom) und Arcadius (Ostrom/Byzanz) aufteilte. Das Weströmische Reich ging bereits 476 mit der Absetzung des jugendlichen Kaisers Romulus Augustulus durch Odoaker - Oberbefehlshaber der Armee - unter. Im Grunde handelte es sich dabei jedoch nur um einen Militärputsch in einem auf Italien und den Alpenraum reduzierten Herrschaftsgebiet, der den Staat im Kern intakt ließ: Zwar endete das weströmische Kaisertum 476/480, doch manches spricht dafür, auch die neun Jahrzehnte bis zum Langobardeneinfall 568 als ein Nachspiel der weströmischen Geschichte zu verstehen.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Geschichte
Zum Folgenden (vor allem bezüglich Gesellschaft und Staat) vergleiche auch: Spätantike
[Bearbeiten] Die Zeit des Honorius
Obwohl das Weströmische Reich nur 81 Jahre Bestand hielt, hatte es insgesamt zwölf anerkannte Herrscher und zudem noch drei (nach anderer Auffassung vier) Usurpatoren.
Honorius war der jüngste Sohn von Kaiser Theodosius I., dem letzten Kaiser, der beide Reichshälften gemeinsam regiert hat. Flavius Honorius war bei seinem Regierungsantritt 395 noch ein Kind, deshalb hatte Theodosius den Heermeister Stilicho, Sohn eines Vandalen und einer Römerin, zu seinem Vormund eingesetzt.
Die Herrschaft des Honorius war instabil. Bereits 397 erhob sich Gildo in der Provinz Africa. Nach der Invasion der Westgoten 402 auf der italischen Halbinsel, zog Honorius mit seinem Hof von Mediolanum (Mailand) zurück nach Ravenna, welches als uneinnehmbar galt. Auf der britischen Insel rebellierten die Soldaten unter den Führern Marcus (406/407) und Konstantin III. (407–411); die Truppen setzen nach Gallien über und überließen die vom Abzug alles andere als begeisterte Bevölkerung – die sich weiterhin als Römer ansah – sich selbst bzw. den angelsächsischen Angriffen, wobei die Angelsachsen jedoch in kleinen Gruppen vor allem als Söldner nach Britannien kamen.
Daneben kam es zum Zusammenbruch der Rheingrenze: Am 31. Dezember 406 fielen Vandalen, Sueben und die iranischen Alanen, wohl auf Flucht vor den Hunnen, in Nordgallien ein; fränkische foederati, die sich ihnen entgegenstellten, wurden schließlich geschlagen. Zudem fiel ein gotisches Heer unter Radagaisus in Italien ein, welches jedoch von Stilicho vernichtet werden konnte. 408 ließ Honorius seinen Berater und Heermeister Stilicho aus Furcht vor dessen Macht ermorden, während es zu Raubzügen der Westgoten unter Alarich I. kam, die 410 schließlich Rom brandschatzten, was nachhaltige Folgen für das Selbstverständniss der Römer hatte. Es kam zudem zu den oben angesprochenen Usurpationen, die Kräfte banden: Konstantin III. sowie der römische Senator Priscus Attalus 409/410 und 414/415. 409 fielen die Sueben, Alanen und Vandalen in Hispanien ein. Die Westgoten vernichteten jedoch in der Folgezeit Teile der in Hispanien eingedrungenen Vandalen. Die Westgoten wurden 418 sogar als foederati in Aquitanien angesiedelt, womit man sich in Ravenna ein inneres Bollwerk gegen Aufstände und zugleich einen kampfstarken Verband gegen die äußeren Feinde erhoffte; die Westgoten verhielten sich denn auch insgesamt betrachtet loyal, was sie freilich nicht von Vorstößen auf weströmisches Gebiet abhielt, um ihren Einflussbereich zu vergrößern – zu einem regelrechten Bruch des Vertrags kam es jedoch erst in den 60er Jahren des 5. Jahrhundert.
[Bearbeiten] Hunnensturm und interne Machtkämpfe
Nach dem Tod von Honorius im Jahre 423 regierte der Usurpator Johannes von 423 bis 425. 425 wurde er besiegt und Valentinian III., ein Neffe des Honorius, wurde Kaiser; er sollte der letzte Kaiser der theodosianischen Dynastie sein. Zunächst lagen die Regierungsgeschäfte in den Händen seiner Mutter Galla Placidia, doch kam es bald zu Kämpfen zwischen verschiedenen Militärs: Der Heermeister Felix und der comes Africae Bonifatius unterstützten bis zu ihrem Tod (mal mehr, mal weniger) die Politik der Galla Placidia. Nach dem Tod des Bonifatius jedoch regierte der Patricius und Heermeister Flavius Aëtius das Reich. Das Leben Valentinians bewegte sich zwischen Ravenna und Rom. In seine Regierungszeit fällt der Verlust der Provinz Africa, das nordwestliche Hispanien fiel an die Sueben, in Gallien jedoch konnte sich Aëtius trotz des Drucks durch die Westgoten und Burgunden weitgehend behaupten; das Burgundenreich am Rhein wurde durch seine hunnischen Hilfstruppen 436 vernichtet. 451 konnte er zudem den Hunnenkönig Attila, der mit einem großen Heer in Gallien eingefallen war, in der Schlacht auf den Katalaunischen Feldern zum Stillstand bringen. 454 ließ Valentinian Aëtius jedoch ermorden, nur um dann im darauffolgenden Jahr selbst Opfer eines Meuchelmordes zu werden. In Dalmatien schuf sich derweil der General Marcellinus ein faktisch eigenständiges Reich.
Dem Verlust der Provinz Africa an die Vandalen (endgültig mit der Eroberung Karthagos und der dort liegenden Flotte 439) kommt dabei eine große Bedeutung zu, da die Vandalen anders als die übrigen Germanen, eine formelle Oberherrschaft des Kaisers ablehnten und damit den ersten unabhängigen Staat auf Reichsgebiet gründeten. Westgoten, Sueben, Burgunder und Franken waren dagegen formell Föderaten und regierten die provinzialrömische Bevölkerung im Namen des Kaisers, was den Schein der Herrschaft wahrte und auch die Möglichkeit für politische und militärische Interventionen Ravennas deutlich erhöhte.
[Bearbeiten] Die letzten Jahre Westroms – die Zeit der Schattenkaiser
Nur kurz währte die Herrschaft des Petronius Maximus im Jahr 455, des ersten der sogenannten Schattenkaiser, die jeweils nur kurze Zeit regierten und kaum noch aktiv werden konnten, um den zusammenbrechenden weströmischen Staat zu retten. Westrom verlor in der Folgezeit immer größere Gebiete an die Germanen, die Staaten im Staat bildeten und damit Westrom wichtige Steuereinnahmen vorenthielten, die zur Aufrechterhaltung der Armee notwendig waren. Als hochrangiger Senator wurde Maximus nach dem Tode Valentinians III. (16. April 455) Kaiser, bereits am 9. oder 10. Juli 455 folgte ihm (der am 22. Mai starb) der Gallo-Römer Eparchius Avitus auf dem kaiserlichen Thron. Er war zuvor als Botschafter zwischen Rom und den Westgoten tätig, musste jedoch auch Probleme mit Markian, dem oströmischen Herrscher, regeln sowie den Heermeister Ricimer ruhig halten, der sich bald zum wahren Herrscher Westroms entwickelte.
Majorian bestieg den Thron im Januar 457 und behielt ihn vier Jahre lang. Nach den Jahren des Niederganges gelang es ihm schließlich, die Kontrolle über Italien und große Teile Galliens wiederzuerlangen; die Westgoten und Burgunden wurden wenigstens vorübergehend ruhiggestellt. Auch Teile Hispaniens konnte er befrieden. Innenpolitisch gelang es, den Senat durch mehr Zugeständnisse und durch eine verbesserte Wirtschaftspolitik das Volk auf seine Seite zu bringen. Majorian wurde jedoch, nachdem eine Strafexpedition gegen die Vandalen gescheitert war, Anfang August 461 von Ricimer gestürzt und kurz darauf ermordet; Ricimer konnte jedoch als Arianer und Germane selbst nicht die Herrschaft erlangen.
Statt seiner wurde Libius Severus (461) Kaiser von Westrom ohne die Salbung durch den Papst. Mit seiner Regierung begannen die Plünderungen der Vandalen an der italienischen Westküste erneut. Währenddessen hatte sich der Heermeister Galliens, Aegidius, ein Freund Majorians, gegen die Regierung in Ravenna erhoben und in Nordgallien ein gallo-römisches Restreich errichtet, welches bis 486 Bestand haben sollte. Nach vier Jahren (465) verstarb Libius Severus (angeblich von Ricimer vergiftet). An seine Stelle trat der Oströmer Anthemius, nachdem ein Interregnum von 465 bis 467 bestand. Anthemius verfolgte als vordringliches Ziel die Wiederherstellung der Herrschaft gegen die Vandalen und die Westgoten, die unter Eurich den Vertrag von 418 gebrochenen hatten und expansiv tätig wurden (vgl. auch Sidonius Apollinaris, eine wichtige Quelle für diese Zeit). Die Flotte seines Generals Basiliscus verbuchte erstaunliche Erfolge. Schließlich aber gelang es den Vandalen, Basiliscus zu besiegen. Der finanzielle und militärische Aufwand waren ein Desaster. Der Feldzug gegen die Westgoten blieb ebenso erfolglos. Zumindest das nördliche Gallien ging verloren. Schließlich brach in den Konflikten zwischen Anthemius und Ricimer ein Bürgerkrieg aus.
Als Gewinner ging der bis dato annähernd unbekannte Anicius Olybrius hervor. Auch er konnte kein volles Jahr Regierungszeit hinter sich bringen. Nach seiner Thronbesteigung im April/Mai 472 starb er bereits sieben Monate später.
Kaum glücklicher war die Regierungszeit seines Nachfolgers Glycerius, der von 473 bis 474 regierte. Obwohl er diplomatisch und militärisch talentiert war, musste er sich sowohl den Ostgoten und schließlich auch dem Heerführer Julius Nepos geschlagen geben.
Julius Nepos regierte von 474 bis 475. Er wollte den Konflikt mit den Westgoten, die die Provence erobert hatten, zunächst diplomatisch lösen. Der Erfolg war mäßig. Die Vandalen hatten inzwischen das westliche Mittelmeer unter Kontrolle. Schließlich wendete sich auch das Blatt in Rom gegen ihn: Sein Patron Orestes, der für sich in Anspruch nehmen konnte, Sekretär des Hunnenkönigs Attila gewesen zu sein, übernahm die Heeresführung, jagte Nepos 475 aus dem Amt und setzte seinen Sohn Romulus auf den Kaiserthron.
Romulus Augustus, auf Grund seines Alters von nur 10 Jahren beim Regierungsantritt spöttisch Romulus Augustulus (der kleine Augustus) genannt, war der letzte weströmische Kaiser, auch wenn Julius Nepos bis zu seinem Tod 480 der letzte, auch von Ostrom, anerkannte Herrscher blieb. Romulus wurde im Jahr 476 schließlich von dem Germanenfürsten Odoaker abgesetzt. Odoaker setzte anders als seine Vorgänger keinen Schattenkaiser ein, sondern schickte eine senatorische Gesandtschaft zu Kaiser Zenon in Konstantinopel und ließ dort erklären, dass ein Kaiser für beide Reichshälften genüge. Odoaker sah seine Herrschaft wahrscheinlich in der Tradition des Römischen Reiches und bekam vom Ostkaiser schließlich auch den offiziellen Titel eines Patricius und damit kaiserlichen Statthalters. Das Weströmische Reich war damit aber erloschen, wie schon Marcellinus Comes feststellte, wobei freilich der Akt von 476 insgesamt kaum Beachtung fand: Es gab schließlich in Konstantinopel noch einen Kaiser; auch hatte sich der Niedergang Westroms schon lange vorher angekündigt (wie der Verlust wichtiger Reichsteile an die Germanen). Zudem ließ Odoaker weiterhin (bis 480) Münzen im Namen des Kaisers Nepos prägen, der zumindest noch Dalmatien regierte.
Im Raum von Paris konnte sich, zwischen Westgoten und Franken eingekeilt und vom Restreich abgeschnitten, der römische Statthalter Syagrius, der Sohn des oben erwähnten Aegidius, noch bis 486 mit einem größeren Herrschaftsgebiet behaupten (s.o.). Er wurde nach der Eroberung seines Herrschaftsgebietes von den Franken hingerichtet.
Weite Teile des vormaligen Weströmischen Reiches wurden Ende des 5. Jahrhunderts von den Vandalen und Westgoten beherrscht. Die italische Halbinsel verblieb unter der Herrschaft Odoakers, bis 489 Theoderich der Große in Italien einfiel. De iure unterstanden die westlichen Gebiete nun der Oberhoheit Konstantinopels. Unter dem oströmischen Kaiser Justinian I. wurden dann zwischen 533 und 553 große Teile des vormals weströmischen Reiches (Nordafrika, Italien, Südspanien) noch einmal militärisch unterworfen, doch blieb dies letztlich Episode.
[Bearbeiten] Auswirkungen auf die Stadt Rom
Der Niedergang des Weströmischen Reiches machte sich auch in der Stadt Rom bemerkbar: Die Stadt, in der um 250 nach Christus 1 Million Menschen gelebt hatten, verkleinerte sich nach dem Wegfall der Hauptstadtfunktion auf etwa 400.000 Einwohner um das Jahr 400. Die zweiwöchige Plünderung durch die Vandalen 455 verringerte den Wohlstand, 472 dezimierte die Pest die Einwohnerzahl. Gleichwohl galt Rom auch im 5. Jahrhundert zeitgenössischen Berichten zufolge als kulturell und politisch bedeutende Metropole. Mitglieder der Kaiserfamilie hielten sich trotz der Residenzverlegung nach Ravenna häufig in Rom auf. Zu Beginn des 5. Jahrhunderts und nach 439 vergrößerte sich die Stadt durch den Zustrom von Neusiedlern aus Gallien und Africa. Noch um 470 wird Rom als bedeutende Stadt mit großen Bauten und einer lebhaften Theaterszene beschrieben. Das Kolosseum wurde mindestens bis 523, große Thermen bis 535 genutzt.
Um 534 dürfte die Stadt noch immer um die 100.000 Einwohner gezählt haben. Dann markierte der Krieg des oströmischen Kaisers Justinian I. gegen die Ostgoten die eigentliche Zäsur in der Stadtgeschichte: Zwischen 535 und 549 wurde Rom mehrfach belagert, die lebenswichtigen Aquädukte zerstört sowie ein Großteil der Senatoren deportiert. Den letzten Schlag für die antiken Strukturen Italiens stellte dann der Einfall der Langobarden 568 dar, wenngleich Rom nicht erobert wurde. Der weströmische Senat verschwand bald darauf (um 580). Im Mittelalter lebten nur noch höchstens 20.000 Menschen in der Stadt. Auf dem Forum Romanum wurde Ackerbau betrieben. Antike Bauten dienten als Steinbruch oder wurden durch Umbauten in niedrigem Standard zweckentfremdet.
[Bearbeiten] Literatur
Vergleiche auch die entsprechenden Abschnitte zur späten römischen Kaiserzeit.
- Averil Cameron u.a. (Hgg.): The Cambridge Ancient History, Bd. 13 und 14, 2. neugestaltete Aufl., Cambridge 1998–2000. Hervorragende Gesamtdarstellung; dort findet sich auch weiterführende Literatur, größtenteils jüngeren Datums.
- Alexander Demandt: Geschichte der Spätantike, Sonderausgabe, München 1998. Solide und gut lesbare Darstellung.
- Peter J. Heather: The Fall of the Roman Empire, London 2005. Detaillierte Darstellung des Untergangs Westroms; vor allem hinsichtlich militärgeschichtlicher Fragen sehr nützlich.
- John Matthews: Western Aristocracies and Imperial Court, A. D. 364–425, Oxford 1975.