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Leningrader Blockade

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Leningrader Blockade
(russ.: блокада Ленинграда)
Die Ostfront zu Beginn der Belagerung von Leningrad.

Die Ostfront zu Beginn der Belagerung von Leningrad.

Konflikt Zweiter Weltkrieg, Unternehmen Barbarossa
Datum 8. September 194118. Januar 1944
Ort Leningrad, UdSSR
Ergebnis Sieg der Sowjetunion
Kontrahenten
Achsenmächte Sowjetunion
Befehlshaber
Wilhelm Ritter von Leeb
Georg von Küchler
Kliment Woroschilow
Georgi Schukow
Truppenstärken
725.000 Soldaten 930.000 Soldaten
Verluste
unbekannt 16.470 Zivilisten durch Bombenangriffe und ca. 1.000.000 Zivilisten durch Unterernährung


Die Leningrader Blockade (russisch: блокада Ленинграда), während des Zweiten Weltkriegs, dauerte vom 8. September 1941 bis zum 18. Januar 1944, nachdem die Heeresgruppe Nord der deutschen Wehrmacht die Stadt fast vollständig eingekreist hatte.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Die deutsche Offensive

Am 27. Juni 1941 entschied der Rat der Deputierten des werktätigen Volkes von Leningrad Tausende von Menschen zur Anlage von Befestigungen zu mobilisieren. Mehrere Verteidigungsstellungen wurden gebaut. Eine verlief von der Mündung der Luga über Tschudowo, Gatschina, Urizk, Pulkowo zur Newa. Eine zweite verlief von Peterhof nach Gatschina, Pulkowo, Kolpino und Koltuschi. Eine dritte Stellung gegen die Finnen wurde in den nördlichen Vorstädten von Leningrad gebaut. Insgesamt wurden 190 km Balkensperren, 635 km Stacheldrahtverhaue, 700 km Panzergräben, 5.000 Erd-Holz-Stellungen und Stahlbeton-Artilleriestellungen sowie 25.000 km Schützengräben von Zivilisten angelegt. Sogar ein Geschütz des Kreuzers Aurora wurde auf die Pulkowskij-Höhen südlich von Leningrad gebracht. Nachdem die sowjetischen Truppen der Nordwestfront Ende Juni im Baltikum vernichtet worden waren, erzwang die Wehrmacht den Weg nach Ostrow und Pskow. Am 10. Juli waren beide Städte eingenommen und die Deutschen hatten Kunda und Kingissepp erreicht. Daraufhin rückten sie von Narwa, der Luschkij-Region und vom Südosten nach Leningrad, sowie nördlich und südlich des Ilmensees vor, um Leningrad vom Osten abzuschneiden und sich mit den finnischen Truppen auf dem Ostufer des Ladogasees zu verbinden. Der Artilleriebeschuss der Stadt begann am 4. September. Die Bombardierung am 8. September verursachte 178 Brände.

Anfang Oktober verzichteten die Deutschen jedoch auf den weiteren Angriff auf die Stadt: Nachdem die Masse der sowjetrussischen Wehrmacht auf dem Hauptkriegsschauplatz zerschlagen oder vernichtet ist, liegt kein zwingender Grund mehr vor, russische Kräfte in Finnland durch Angriff zu fesseln. Um vor Eintritt des Winters Murmansk … zu nehmen oder … die Murmanbahn abzuschneiden, reichen die Stärke und die Angriffskraft der verfügbaren Verbände und die fortgeschrittene Jahreszeit nicht mehr aus. (Weisung Nr. 37 vom 10. Oktober 1941). Die Fortsetzung der Angriffe wurde für das Frühjahr 1942 geplant, danach aber aufgrund von logistischen Problemen immer weiter verschoben.

[Bearbeiten] Die finnische Offensive

Im August hatten die Finnen den Isthmus von Karelien zurückerobert und rückten östlich des Ladogasees durch Karelien weiter vor, wodurch sie nun Leningrad im Westen und Norden bedrohten. Die finnischen Truppen hielten jedoch an der alten finnisch-russischen Grenze von 1939. Das finnische Hauptquartier wies deutsche Bitten um Luftangriffe gegen Leningrad zurück und rückte nicht weiter südlich über den Swir ins besetzte Ostkarelien vor. Der deutsche Vormarsch war dagegen sehr rasch und im September schlossen die deutschen Truppen Leningrad ein. Im Norden rückten die finnischen Truppen nur so weit vor, bis sie den Swir (160km nordöstlich Leningrads) im Dezember erreichten.

Am 4. September reiste Generaloberst Jodl zum finnischen Hauptquartier, um den Oberkommandierenden Mannerheim zu überreden, die finnische Offensive fortzusetzen. Mannerheim lehnte dieses Ansinnen ab.

Nach dem Krieg sagte der frühere finnische Präsident Ryti: „Ich besuchte am 24. August 1941 das Hauptquartier von Marschall Mannerheim. Die Deutschen forderten uns auf, die alte Grenze zu überschreiten und die Offensive gegen Leningrad fortzusetzen. Ich sagte, daß die Eroberung Leningrads nicht unser Ziel sei und wir uns nicht daran beteiligen sollten. Mannerheim und der Kriegsminister Walden stimmten mir zu und lehnten die Angebote der Deutschen ab. Das Ergebnis war eine paradoxe Situation: die Deutschen waren nicht in der Lage, sich Leningrad von Norden zu nähern…“

Später wurde außerdem geltend gemacht, dass aus dem finnischen Territorium kein systematischer Artilleriebeschuss oder Luftangriffe vorgetragen worden wären.

[Bearbeiten] Die belagerte Stadt

Lebensmittelkarte für Brot in Leningrad, 1941
Lebensmittelkarte für Brot in Leningrad, 1941

Mit der Schließung des Blockaderings werden alle Versorgungslinien für die Millionenstadt abgeschnitten und die Versorgung ist theoretisch nur noch über den Ladogasee möglich. Allerdings ist die Trasse nicht ausgebaut für die Erfordernisse der Stadt (keine Anlegestelle und Zufahrtsstraßen)

Vorräte am 12. September 1941:

  • Getreide, Mehl und Zwieback für 35 Tage
  • Grütze und Makkaroni für 30 Tage
  • Fleisch und Fleischprodukte für 33 Tage
  • Fette für 45 Tage
  • Zucker und Konditoreiwaren für 60 Tage

Der Abverkauf der Waren erfolgt in rasender Geschwindigkeit, da die Menschen Vorräte anlegen. Restaurants und Delikatessläden verkaufen weiterhin ohne Karten und nicht zuletzt auch deshalb gehen die Vorräte dem Ende entgegen. Zwölf Prozent aller Fette und zehn Prozent des Fleisches des städtischen Gesamtkonsums werden so verbraucht.

Die erste Senkung der Brotration erfolgt am 20. November: [1]

  • Arbeiter 250 g
  • Angestellte 125 g
  • Kinder, Familienangehörige 125 g

[Bearbeiten] Luftangriffe

Die ersten Bombardements auf die Stadt erfolgen am 8. September 1941. Dabei fallen 5000 Brandbomben auf den Moskowskij Rajon, 1311 auf den Smolnij Rajon mit dem Regierungsgebäude und 16 auf den Krasnogwardejskij Rajon. Ab sofort erfolgen täglich schwere Angriffe auf die Stadt. Ganze Wohngebiete werden schwer beschädigt (Awtowo, Moskowskij, Frunsenskij).

Schwere Angriffe erfolgen auch auf das Kirow-Werk, den größten Betrieb der Stadt der von der Front nur 3km entfernt ist. Gezielt werden von der deutschen Luftwaffe die Badajew-Lagerhäuser beschossen, in denen ein Großteil der Lebensmittelvorräte der Stadt gelagert ist. 3000 t Mehl und 2500 t Zucker verbrannten dabei. Wochen nach Beginn der schweren Hungerkatastrophe wird die süße Erde, in die der geschmolzene Zucker gelaufen ist, zu hohen Preisen auf dem Schwarzmarkt verkauft

Die deutsche Luftwaffe beschießt gezielt Kindergärten, Schulen, Betriebe, Straßenbahnhaltestellen um die Menschen mürbe zu machen und nutzt dabei als Orientierungspunkte die Schornsteine und hohen historischen Gebäude der Stadt (Issackewskij, Admiralität, Petropawlowskaja krepost).

[Bearbeiten] Dystrophie - Hunger

Am 12. September 1941 wurde berechnet, dass die Rationen für Armee und Zivilbevölkerung für die folgende Zeit ausreichen würden:

  • Getreide und Mehl - für 35 Tage;
  • Grütze und Makkaroni - für 30 Tage;
  • Fleisch (inklusive Viehbestand) - für 33 Tage;
  • Fette - für 45 Tage;
  • Zucker und Süßwaren - für 60 Tage.

Am selben Tag wurden die Rationen nochmals reduziert: Arbeiter erhielten 500 g Brot, Angestellte und Kinder 300 g, andere Familienangehörige 250 g. Die Ausgabe von Mehl und Grütze wurde ebenfalls reduziert, aber gleichzeitig die von Zucker, Süßwaren und Fetten erhöht. Die Armee und die Baltische Flotte hatten noch Bestände an Notrationen, die aber nicht ausreichten. Die zur Versorgung der Stadt eingesetzte Ladoga-Flottille war schlecht ausgerüstet und von deutschen Flugzeugen bombardiert worden. Mehrere mit Getreide beladene Lastkähne waren so im September versenkt worden. Ein großer Teil davon konnte später von Tauchern gehoben werden. Dieses feuchte Getreide wurde später zum Brotbacken verwendet. Nachdem die Reserven an Malz zur Neige gegangen waren, wurde es durch aufgelöste Zellulose und Baumwolle ersetzt. Auch der Hafer für die Pferde wurde gegessen, während die Pferde mit Laub gefüttert wurden.

Nachdem 2.000t Schafsinnereien im Hafen gefunden worden waren, wurde daraus eine widerliche Gelatine hergestellt. Später wurden die Fleischrationen durch diese Gelatine und stinkende Kalbshäute ersetzt. Während der Blockade gab es insgesamt fünf Lebensmittelreduzierungen: am 2. September, 10. September, 1. Oktober, 13. November und 20. November.

Trotz Beimischung verschiedener Ersatzstoffe zum Brot (Kleie, Getreidespelzen und Zellulose) reichten die Vorräte nicht aus und mit der Kürzung der Brotration am 1.Oktober beginnt die Hungersnot (Arbeiter 400 g, alle anderen 200 g).

Mitte Oktober litt bereits ein Großteil der Bevölkerung am Hunger. Im Winter 1941/1942 verloren die Menschen bis zu 45 % ihres Körpergewichtes. Die Folge war, dass die Körper anfingen Muskeln zu verbrennen, Herz und Leber zu verkleinern.

Die Dystrophie (Unterernährung) wurde zur Haupttodesursache. Es begann das Massensterben.

[Bearbeiten] Sterblichkeit

  • 06/1941 starben 3.273 Menschen (Vergleichswert)
  • 10/1941 starben 6.199 Menschen
  • 11/1941 starben 9.183 Menschen
  • 12/1941 starben ca. 39.073 Menschen
  • 01/1942 starben 96.751 Menschen
  • 02/1942 starben 96.015 Menschen
  • 03/1942 keine Angaben
  • 04/1942 starben 64.294 Menschen
  • 05/1942 starben 49.794 Menschen
  • 06/1942 starben 33.668 Menschen

Insgesamt starben im ersten Jahr der Belagerung ungefähr 470.000 Menschen.

Der Hunger verdrängte alle anderen Gedanken und die gesamte Energie wurde auf die Nahrungssuche verwendet. Gegessen wurde alles, was organischen Ursprunges ist: Klebstoff, Schmierfett, Tapetenkleister. Selbst Lederwaren wurden ausgekocht und im November 1941 gab es in Leningrad weder Katzen oder Hunde noch Ratten und Krähen. Im selben Monat traten auch die ersten Fälle von Kannibalismus auf. Insgesamt wurden dem NKWD 1025 Fälle bis Februar 1942 bekannt.

[Bearbeiten] Der alltägliche Tod

Kinderschlitten werden zum einzigen Transportmittel. Sie transportieren alles Wasser, Brot und immer wieder Leichen (fast 100.000 sind es im Januar 1942). In der Stadt spielen sich grauenhafte Szenen ab. Überall liegen Leichen herum und Menschen brechen einfach auf der Straße zusammen und bleiben liegen. Der Tod ist Normalität. In den eiskalten Wohnungen „leben“ die Menschen zusammen mit ihren toten Angehörigen da das Beerdigen kaum möglich ist, zu schwer der Weg zum Friedhof.

Spezielle Komsomolzenbrigaden aus meist jungen Frauen durchsuchen täglich hunderte von Wohnungen nach Waisenkindern, doch oft lebt in den Wohnungen niemand mehr. Allerdings finden sie manchmal Kinder in den Armen ihrer gestorbenen Mütter. Viele Leningrader Familien sterben aus.

[Bearbeiten] Das nichtalltägliche Leben

Neben dem Sterben geht auch das Leben weiter. Zwar werden bis zum Winter 1941/42 270 Betriebe und Fabriken geschlossen, aber das riesige Kirow- und Ishorskij-Werk und auch die Admiraltejskij-Werft arbeiten weiter. Die Arbeit gibt den Menschen Kraft zum Weiterleben und viele wohnen in den Fabriken, trotz der großen Gefahr durch deutsche Bombenangriffe.

Auch einige Hochschulen und Institute arbeiten weiter: 1000 Hochschullehrer unterrichten auch im Blockadewinter und 2500 Studenten schließen ihr Studium ab. Auch 39 Schulen geben den Lehrbetrieb nicht auf: 532 Schüler beenden die 10. Klasse

Am 2. September wurden die Rationen reduziert: Am 8. September wurde eine riesige Menge an Getreide, Mehl und Zucker aufgrund fehlender Maßnahmen zur Luftabwehr vernichtet. Nachdem die Belagerung begonnen hatte, war es noch mehrere Tage lang möglich, in öffentlichen Restaurants zu essen.

[Bearbeiten] Strom und Energie

Wegen mangelnder Stromversorgung mussten viele Fabriken geschlossen werden und im November wurde der Betrieb von Straßenbahnen eingestellt. Mit Ausnahme des Generalstabs, Smolnij, der Distriktausschüsse, der Luftabwehrstellungen und ähnlicher Institutionen war die Nutzung von Strom überall verboten. Ende September waren alle Reserven an Öl und Kohle verbraucht. Die letzte verbliebene Option der Energiegewinnung war, die letzten Bäume im Stadtgebiet zu fällen. Am 8. Oktober beschlossen der Exekutivausschuss von Leningrad (Ленгорисполком) und der regionale Exekutivausschuss (облисполком), mit dem Holzeinschlag in den Distrikten Pargolowo und Wsewolschskij im Norden der Stadt zu beginnen. Es gab jedoch weder Werkzeug noch Unterkünfte für die aus Mädchen und Jugendlichen gebildeten Holzfällergruppen. Bis zum 24. Oktober war so lediglich ein Prozent des Plansolls erfüllt.

[Bearbeiten] Die Straße des Lebens

Die Ostfront zu Beginn der Belagerung von Leningrad.
Die Ostfront zu Beginn der Belagerung von Leningrad.

Im Chaos des ersten Kriegswinters war kein Evakuierungsplan vorhanden, weshalb die Stadt und ihre Außenbezirke bis zum 20. November 1941, als die sogenannte Straße des Lebens über das Eis des Ladogasees eröffnet wurde, in vollständiger Isolation verhungerte. Ein Assistent von Nikolai Wawilow verhungerte umgeben von essbaren Samen, weil das Samenarchiv mit mehr als 200.000 Sorten für zukünftige Generationen erhalten bleiben sollte.

Konfrontiert mit einer von Marschall Schukow hastig, aber brillant organisierten Verteidigung der Stadt, fehlte den deutschen Armeen der Wille oder die Kraft, die Kapitulation zu erzwingen. Statt dessen legten sie für 900 Tage einen Belagerungsring um Leningrad. Die Stadt und ihre Außenbezirke waren fast vollständig eingeschlossen. Allein ein einziger schmaler Korridor über den Ladogasee, die Straße des Lebens (Дорога жизни auf russisch), führte noch in den Kessel. Der Blutzoll in der Stadt durch Beschuss und Unterernährung war besonders im ersten Winter entsetzlich.

[Bearbeiten] Der sowjetische Entsatzangriff

Die Blockade dauerte bis zur Operation "Funkenflug" – ein Großangriff von Truppen der Leningrad- und Wolchow-Fronten – am Morgen des 12. Januars 1943. Nach schweren Kämpfen überwanden Einheiten der Roten Armee die starken deutschen Befestigungen südlich des Ladogasees und am 18. Januar trafen die Leningrad- und die Wolchow-Front aufeinander: ein Landkorridor in die Stadt war geöffnet. Ein Jahr später, im Januar 1944 vertrieb eine sowjetische Offensive die deutschen Belagerer aus den südlichen Randbezirken der Stadt, womit die Blockade beendet war. Im Sommer 1944 wurden auch die Finnen auf die andere Seite der Bucht von Wyborg und des Flusses Wuoksi zurückgeworfen.

Die Warnungen für die Stadteinwohner, nur eine bestimmte Straßenseite zu benutzen, um dem deutschen Artilleriebeschuss zu entgehen, können immer noch besichtigt werden (sie wurden nach dem Krieg restauriert).

Die endgültige Opferzahl der Blockade ist immer noch umstritten. Nach dem Krieg meldete die sowjetische Regierung 670.000 Tote in der Zeit vom Beginn 1941 bis Januar 1944, davon die meisten durch Unterernährung und Unterkühlung. Einige unabhängige Schätzungen geben eine viel höhere Zahl an Todesopfern an: alles zwischen 700.000 und 1.500.000. Die meisten gehen aber von einer Zahl bei ca. 1.100.000 aus. Die meisten dieser Opfer wurden auf dem Friedhof Piskarewskoje beigesetzt.

Leningrad wurde als erster Stadt der UdSSR der Titel Heldenstadt verliehen.

[Bearbeiten] Bewertung durch die Geschichtswissenschaft

Der Versuch, die deutschen Motive für die Durchführung und Art der folgenschweren Belagerung von Leningrad herauszuarbeiten und zu bewerten, hat in der Geschichtswissenschaft kontroverse Ergebnisse hervorgebracht. Umstritten ist dabei vor allem die Frage, wie das deutsche Vorgehen völkerrechtlich und moralisch zu bewerten sei:

Vor allem ältere (west-)deutsche Forschungen haben häufig einerseits - zum Teil basierend auf nach dem Krieg entstandenen Darstellungen von Wehrmachtsoffizieren - Hitler persönlich die hauptsächliche Schuld zugewiesen. Der Diktator habe die Belagerung aus Hass und Verachtung gegenüber dem traditionellen kulturellen Zentrum des zaristischen Russland wie gegenüber der Wiege der bolschewistischen Revolution befohlen. Andererseits wird in diesen Darstellungen aber auch betont, dass die Strategie der Belagerung von Städten nicht ungewöhnlich, vielmehr in der Kriegshistorie häufig angewendet worden sei. In diesem Sinne könne zwar die hohe Anzahl von Opfern im Falle Leningrads als besonders tragisch betrachtet werden, jedoch nicht von einem Bruch mit gängiger militärischer Praxis und daher auch nicht von einem eine moralische Verurteilung der Wehrmacht legitimierenden Kriegsverbrechen die Rede sein. Hauptmotiv der Deutschen, auf eine militärische Eroberung der Stadt zu verzichten und statt dessen den Versuch zu unternehmen, diese durch Aushungern zur Aufgabe zu zwingen, sei nach diesen Interpretationen die Furcht vor dem erwarteten Widerstand von Roter Armee und Freischärlern und vor einem daraus folgenden, erbitterten und verlustreichen Straßenkampf gewesen. Eine wichtige Rolle hätten bei der Entscheidung Ende August, Anfang September 1941 auch aktuelle taktische Erwägungen, weniger langfristige Kriegsziele gespielt.

Demgegenüber setzt die jüngere deutsche Forschung die Belagerung Leningrads häufiger in den Kontext eines von den Nationalsozialisten in bewusstem Bruch mit Kriegs- und Völkerrechtstraditionen durchgeführten Vernichtungskrieges. Mit dessen Zielen und Praktiken hätten sich auch die meisten höheren Wehrmachtsoffiziere identifiziert. Auch die konkrete Entscheidung für die Belagerung Leningrads sei nicht nur aus kriegstaktischen Gründen erfolgt. Verantwortlich sei vielmehr eine strategische Umorientierung nach dem bald zutage tretenden Scheitern des Blitzkrieg-Konzeptes im Falle der Sowjetunion gewesen, was eine Reduktion von eigenen Operationen und Risiken notwendig gemacht habe. In der Folge setzte sich demnach unter den deutschen Militärs auch schnell eine Rhetorik durch, in welcher die komplette Vernichtung der Stadt und ihrer Bevölkerung zum eigentlichen Ziel der Belagerung erhoben wurde. In einer Fachstudie bezeichnete der Historiker Jörg Ganzenmüller im Jahr 2005 den blockadebedingten Tod von Hunderttausenden von Leningradern so als von den Deutschen gezielt herbeigeführten „Genozid“, basierend auf einer „rassistisch motivierten Hungerpolitik“. [2]

[Bearbeiten] Einfluss auf die Kultur

Stalin ließ nach dem Krieg die Führer unter verschiedenen Vorwänden exekutieren – sie hatten durch ihre tapfere und wagemutige Verteidigung die Achtung der Bürger von Leningrad gewonnen und waren zu unabhängig geworden, was den Diktator ärgerte und was er fürchtete. So erhielten auch zum Beispiel mehrere Straßen in Leningrad ihren historischen Namen zurück, darunter etwa der "Platz des 25. Oktobers", der wieder seinen alten Namen "Newskij Prospekt" bekam.

Der Belagerung von Leningrad wurde in den späten 1950ern durch den Grüngürtel des Ruhmes gedacht, einem Band von Bäumen und Denkmälern entlang des früheren Frontverlaufs.

Dmitri Schostakowitsch schrieb seine Siebente, die Leningrader Symphonie.

Ich widme meine Siebente Sinfonie unserem Kampf gegen den Faschismus, unserem unabwendbaren Sieg über den Feind, und Leningrad, meiner Heimatstadt ... (Schostakowitsch am 19. März 1942 in der Prawda).

2003 publizierte die US-Autorin Elise Blackwell "Hunger": einen gefeierten Roman über die Ereignisse am Rande der Belagerung.

Der amerikanische Sänger Billy Joel schrieb ein Lied mit dem Titel "Leningrad", das sich auf die berühmte Blockade bezog. Das Lied handelt zum Teil von einem jungen Russen namens Viktor, der seinen Vater während der Einschließung verlor.

[Bearbeiten] Siehe auch

[Bearbeiten] Literatur

Darstellungen

  • Ganzenmüller, Jörg: Das belagerte Leningrad 1941-1944. Eine Stadt in den Strategien von Angreifern und Verteidigern. Paderborn u.a.: Schöningh, 2005.
  • Gouré, Leon: The Siege of Leningrad. Stanford: Stanford UP, 1962.
  • Hass, Gerhart: „Die deutsche Historiografie und die Belagerung Leningrads (1941-1944)“, Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 54.2 (2006), 139-162.
  • Haupt, Werner: Leningrad - Die 900-Tage-Schlacht, 1941-1944. Friedberg: Podzun-Pallas-Verlag, 1980. ISBN 3-7909-0132-6
  • Jahn, Peter (Hrsg.): Blockade Leningrads - Блокада Ленинграда. Berlin: Links, 2004.
  • Leetz, Antje und Barbara Wenner: Blockade, Leningrad 1941-1944 - Dokumente und Essays von Russen und Deutschen. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1992.
  • Pawlow, Dimitrij W.: Die Blockade von Leningrad 1941. Frauenfeld und Stuttgart: Huber, 1967.
  • Salisbury, Harrison E.: 900 Tage: Die Belagerung von Leningrad. Frankfurt a.M.: S.Fischer, 1970.

Literarische Verarbeitungen

  • Fonjakova, Ella: Das Brot jener Jahre: Ein Kind erlebt die Leningrader Blockade. Stuttgart und Berlin: Mayer, 2000.
  • Haar, Jaap ter: Oleg oder Die belagerte Stadt. München: dtv junior, 1977. ISBN 3-423-07858-8

[Bearbeiten] Quellen

  1. [1]
  2. Jörg Ganzenmüller, Das belagerte Leningrad (siehe Literaturliste), S.13-82, Zitate S. 17 und 20.

[Bearbeiten] Weblinks

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