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Burushaski

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Burushaski

Gesprochen in Pakistan
Sprecher 100.000
Linguistische
Klassifikation

Isolierte Sprache

Burushaski
Sprachcodes
SIL ISO 639-3: bsk

Burushaski [buˈɾuɕaski] ist eine Sprache, die im Karakorumgebirge im Norden Pakistans von etwa 100.000 Menschen gesprochen wird. Sie ist weder verwandt mit den benachbarten indoarischen (dardischen) Sprachen Shina und Khowar, noch dem nördlich angrenzenden ostiranischen Wakhi. Die Mehrheit der Forscher ist der Meinung, dass es sich um eine isolierte Sprache handelt, die mit keiner anderen bekannten Sprache der Erde verwandt ist.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Soziolinguistische Situation

Die Burusho – so werden die Sprecher des Burushaski bezeichnet – leben im Nordwesten des nordpakistanischen Gilgit-Distrikts: im Hunza- und Nager-Gebiet auf beiden Seiten des Hunza-Flusses und im 100 km entfernten abgelegenen Yasin-Tal. Der Yasin-Dialekt (von den benachbarten dardischen Khowar auch Werchikwar genannt) weicht vom Hunza-Nager-Dialekt deutlich ab (phonetisch, lexikalisch, teilweise auch morphologisch), dennoch ist volle wechselseitige Verständlichkeit gegeben.

Das genetisch isolierte Burushaski unterscheidet sich nicht nur in seinem Wort- und Formenbestand von allen anderen Sprachen der Welt, sondern ist auch typologisch sehr eigenständig, vor allem in der komplexen Verbalmorphologie und in seinem Nominalsystem. Neben den alten Lehnwörtern der benachbarten dardischen Sprachen (vor allem des Shina, aber auch des Khowar und vereinzelt des sino-tibetischen Balti) finden heute immer mehr Urdu-Wörter und englische Begriffe ihren Weg ins Burushaski. Die mittlere Generation hat bereits einen Teil des alten Erbwortschatzes verloren, die Jüngeren beherrschen oft nicht mehr die komplexe Morphologie und Syntax, die gebildeten Burusho beklagen den Verfall ihrer Sprache. Dennoch ist die Zahl seiner Sprecher im letzten Jahrzehnt noch leicht angestiegen und die Einstellung der meisten Burusho zu ihrer Muttersprache insgesamt positiv: sie gehen davon aus, dass auch ihre Kinder Burushaski lernen und weitergeben werden (Backstrom 1992). Die Muttersprache ist für die meisten Burusho immer noch das bevorzugte Kommunikationsmittel und Träger einer äußerst lebendig gebliebenen mündlichen Erzählkultur, obwohl viele Burusho mehrsprachig sind und auch Khowar, Shina oder Urdu beherrschen.

[Bearbeiten] Forschungsgeschichte

Erste Stationen bei der Erforschung des Burushaski sind die Arbeiten von G. W. Leitner und J. Biddulph am Ende des 19. Jahrhunderts. Der nächste bedeutende Beitrag war D. L. R. Lorimers The Burushaski Language 1935-38. Es enthielt ein großes Vokabular und eine Grammatik des Burushaski, die 60 Jahre Bestand hatte. Die mit Abstand wichtigsten neueren Arbeiten stammen von Hermann Berger, der Grammatik und Wörterbuch für den Yasin-Dialekt (1974) und den Hunza-Nager-Dialekt (1998) umfassend analysiert und dargestellt hat. (Siehe Literaturangaben.)

[Bearbeiten] Verwandtschaft mit anderen Sprachen

[Bearbeiten] Die dene-kaukasische Hypothese

Das Burushaski wurde und wird von seinen wichtigsten Erforschern in der Regel als isolierte Sprache angesehen. Dennoch sind wie bei allen Sprachen, die sich nicht in bekannte Sprachfamilien einordnen lassen, auch beim Burushaski Versuche unternommen worden, es mit anderen Sprachen oder Sprachgruppen genetisch zu verbinden, vorrangig mit dem Baskischen und den nordkaukasischen Sprachen. Einen noch weiteren Rahmen ziehen z. B. Blažek und Bengtson (1995) mit einer Einordnung des Burushaski in die hypothetischen Makrofamilien Sino-Kaukasisch oder Dene-Kaukasisch, die neben dem Sinotibetischen gewissermaßen alle eurasischen Restsprachen, wie Baskisch, Nordkaukasisch, Hurritisch, Urartäisch, Sumerisch, Jenisseisch, Nahali und eben auch Burushaski umfassen, in einer erweiterten Version auch die nordamerikanischen Na-Dené-Sprachen. Alle diese Hypothesen fanden bisher kaum ernsthaft Anerkennung, da das zum Nachweis herangebrachte lexikalische Material in den Augen der meisten Forscher einer ernsthaften Überprüfung nicht standhält. So wird man weiterhin der Einschätzung des Burushaski als isolierte Sprache den Vorzug geben.

[Bearbeiten] Die jenisseische Hypothese

Eine interessante neuere These kann man als Teil der umfassenderen dene-kaukasischen Hypothese (siehe oben) interpretieren, sie sollte dennoch nicht unerwähnt bleiben: van Driem (2001) verweist auf eine enge typologische – was genetisch ohne Bedeutung wäre –, aber auch materielle Verwandtschaft in der Verbalmorphologie (insbesondere der Personalpräfixe) des Burushaski und Ket, einer Jenissei-Sprache. Er konstruiert daraus eine Karasuk-Familie, die einerseits aus den Jenisseisprachen, andererseits aus dem Burushaski bestünde. Er sieht auch Zusammenhänge dieser hypothetischen linguistischen Einheit mit einer prähistorischen zentralasiatischen Kultur, eben der Karasuk-Kultur. Infolge entgegengesetzter Wanderungsbewegungen im 2. Jahrtausend vor Chr. seien die heutigen Jenissei-Leute nach Sibirien und die Burusho in den Karakorum gelangt. Die Bewegung der Burusho sei dabei lange Zeit parallel mit der dardischen Gruppe der Indoarier verlaufen, was die zahlreichen frühen Lehnwörter aus dem Dardischen erklären könne. – Danach wäre das Burushaski allerdings keine Sprache, die vor dem Indoarischen im indischen Raum gesprochen worden wäre. Ihre Einwanderung wäre zeitlich parallel mit den indoarischen Einwanderungen im 2. vorchristlichen Jahrtausend verlaufen, das Erreichen der heutigen Siedlungsgebiete wohl erst im 1. Jahrtausend vor Christus anzusetzen. Lexikalisch lässt sich eine potentielle Verwandtschaft der Jenissei-Sprachen mit dem Burushaski bisher kaum erhärten. Auch die vorgeschlagenen morphologischen Übereinstimmungen sind nicht unumstritten.

[Bearbeiten] Linguistische Merkmale des Burushaski

Wesentliche Züge des Burushaski sind ein Vierklassensystem beim Substantiv und eine äußerst komplizierte Verbalmorphologie mit einem elfstelligen Positionssystem (beides wird unten erklärt). Die folgende Übersicht gilt für den Hunza-Nager-Dialekt und basiert auf der umfassenden Grammatik von Hermann Berger 1998 (siehe Literaturangaben).

Das Phoneminventar des Burushaski ist relativ groß, aber nicht extrem (34 Konsonanten, 5 Vokale). Es enthält – wie die dardischen Sprachen – auch Retroflexe (Konsonanten, die mit zurückgebogener Zungenspitze am harten Gaumen gebildet werden, hier durch einen untergesetzten Punkt bezeichnet, z. B. ţ). Vokale sind /a, e, i, o, u/, jeweils in kurzer und langer Version, bei der langen Version können weitere Varianten unterschieden werden.

[Bearbeiten] Nominalmorphologie

[Bearbeiten] Nominalklassen

In der Nominalmorphologie des Burushaski gibt es vier Nominalklassen (verallgemeinerte Geschlechter):

  • m > männliche humane Wesen, Götter und Geister
  • f > weibliche humane Wesen und Geister
  • x > Tiere, „zählbare“ Gegenstände
  • y > Abstrakta, Flüssigkeiten, „nichtzählbare“ Gegenstände

Die Abkürzung „h“ (human) wird als Zusammenfassung der m- und f-Klasse verwendet, „hx“ als Zusammenfassung von m-, f- und x-Klasse. – Die Nomina der x-Klasse bezeichnen typischerweise zählbare nichtmenschliche Wesen oder Dinge, z.B. Tiere, Früchte, Steine, Eier, Münzen; Nomina der y-Klasse dagegen bezeichnen in der Regel nichtzählbare nichtmenschliche Wesen oder Objekte, z.B. Reis, Flüssigkeiten, pulverisierte Stoffe, Feuer, Wasser, Schnee, Wolle etc.

Allerdings sind diese Zuordnungen nicht allgemeingültig, da auch zählbare Objekte der y-Klasse angehören können, z.B. ha „Haus“. Interessant sind auch Wörter, die mit geringen Bedeutungsunterschieden sowohl x als auch y sein können, z.B. bedeutet bayú in der x-Klasse „Salz in Brocken“, in der y-Klasse „Salz in Pulverform“. Obstbäume werden als Kollektivum aufgefasst und gehören der y-Klasse an, ihre Früchte hingegen als zählbare Einheiten der x-Klasse. Dieselben Objekte werden manchmal je nach dem Material, aus dem sie hergestellt sind, als x oder y behandelt, hierbei gilt z.B. Stein und Holz als x, Metall und Leder als y. Artikel, Adjektive, Numeralia und andere Attribute bilden eine Kongruenz mit der Nominalklasse des Nomens, das sie näher bestimmen.

[Bearbeiten] Pluralbildung

Das Nomen des Burushaski besitzt zwei Numeri: Singular und Plural. Der Singular ist die unmarkierte Form. Der Plural wird durch Suffixe gekennzeichnet, die in der Regel von der Klasse des Nomens (siehe oben) abhängen:

  • h-Klasse > übliche Pluralsuffixe: -ting, -aro, -daro, -taro, -tsaro
  • h- und x-Klasse > übliche Plurasuffixe: -o, -išo, -ko, -iko, -juko; -ono, -u; -i, -ai; -ts, -uts, -muts, -umuts; -nts, -ants, -ints, -iants, -ingants, -ents, -onts
  • y-Klasse > übliche Pluralsuffixe: -ng, -ang, -ing, -iang; -eng, -ong, -ongo; -ming, -čing, -ičing, -mičing, -ičang (Nagar-Dialekt)

Einige Nomina erlauben zwei oder drei verschiedene Pluralsuffixe, andere kommen ohne besonderes Suffix nur im Plural vor, z. B. bras „Reis“, gur „Weizen“, bishké „Tierhaar“ (sog. pluralia tantum), wiederum andere besitzen im Singular und Plural dieselbe Form: z. B. hagúr „Pferd(e)“. Adjektive haben ihre eigenen Pluralsuffixe, ihre Verwendung hängt von der Klasse des zu bestimmenden Substantivs ab, z. B. burúm „weiß“ bildet den x pl. burúm-išo, y pl. burúm-ing.

Einige Beispiele zur Pluralbildung im Burushaski

  • wazíir (m), pl. wazíirting „Wesir, Minister“
  • hir (m), pl. hirí „Mann“ (Akzentverschiebung)
  • gus (f), pl. gushíngants „Frau“ (Akzentverschiebung)
  • dasín (f), pl. dasíwants „Mädchen, unverheiratete Frau“
  • huk (x), pl. hukái „Hund“ (Akzentverschiebung)
  • tilí (x), pl. tilí „Walnuss“
  • tilí (y), pl. tiléng „Walnussbaum“

[Bearbeiten] Kasusbildung

Das Burushaski ist eine Ergativsprache. Es besitzt fünf primäre Kasus (Fälle):

Kasus Suffix Funktion
Absolutiv unmarkiert Subjekt intransitiver und dir. Objekt transitiver Verben
Ergativ -e Subjekt transitiver Verben
Obliquus -e; -mo (f-Kl.) Genitiv; Basis für die Endungen sekundärer Kasus (s.u.)
Dativ -ar, -r Dativ, Allativ
Ablativ -um, -m, -mo Separativ (woher?)

Die Kasussuffixe werden bei Pluralformen an das Pluralsuffix angefügt, z. B. Huséiniukutse „die Leute von Hussain“(Ergativ Plural). Die Genitivendung ist nur im Sg. der f-Klasse /-mo/, sonst immer /-e/ (also identisch mit der Ergativendung). Die Dativendung /-ar/, /-r/ wird im Singular der f-Klasse ebenfalls an den Obliquus angehängt, sonst an den Absolutiv. Beispiele:

  • hir-e „des Mannes“, gus-mo „der Frau (Gen.)“
  • hir-ar „dem Manne“, gus-mu-r „der Frau (Dat.)“

Der Genitiv steht vor dem Substantiv, das sich auf ihn bezieht: Hunzue tham „der Mir von Hunza“.

Die Endungen der sekundären Kasus werden aus einem sekundären Kasussuffix (oft als Infix bezeichnet) und einer der primären Endungen /-e/, /-ar/ und /-um/ gebildet. Hierbei steht /-e/ für den Lokativ (Frage „wo?“), /-ar/ für den Terminativ (Frage „wohin?“) und /-um/ für den Ablativ-Separativ (Frage „woher?“). Die Infixe und ihre Grundbedeutung sind

  1. /-ts-/ „an“
  2. /-ul-/ „in“
  3. /-aţ-/ „auf; mit“
  4. /-al-/ „bei“ (nur im Hunza-Dialekt)

Daraus ergeben sich folgende „zusammengesetzte“ oder sekundäre Kasus:

Infix Lokativ Terminativ Separativ
-ts- -ts-e „an“ -ts-ar „an...hin“ -ts-um „von ... weg“
-ul- -ul-e „in“ -ul-ar „in...hinein“ -ul-um „aus...heraus“
-aţ- -aţ-e „auf; mit“ -aţ-ar „auf...hinauf“ -aţ-um „von ...herunter“
-al- -al-e „bei“ -al-ar „zu...hin“ -al-um „von...weg“

Die regelmäßigen Endungen /-ul-e/ und /-ul-ar/ sind veraltet und werden heute meist durch /-ul-o/ bzw. /-ar-ulo/ ersetzt.

[Bearbeiten] Pronominalpräfixe und Pronomina

Nomina für Körperteile und Verwandtschaftsbezeichnungen treten im Burushaski obligatorisch mit einem Pronominalpräfix auf. Man kann also im Burushaski nicht einfach „Mutter“ oder „Arm“ sagen, sondern nur „mein Arm“, „deine Mutter“, „sein Vater“ etc. Zum Beispiel bedeutet die Wurzel mi „Mutter“, sie kann nicht isoliert auftreten; stattdessen heißt es:

  • i-mi „seine Mutter“, mu-mi „ihre Mutter“ (3f sg.), u-mi „ihre Mutter“ (3h pl.), u-mi-tsaro „ihre Mütter“(3h pl.).

Die Pronominal- oder Personalpräfixe richten sich nach der Person, dem Numerus und – in der 3. Person – nach der Nominalklasse (siehe oben) des Besitzers. Eine Übersicht über die Grundformen gibt die folgende Tabelle der Pronominalpräfixe:

Person/
Nominalklasse
Singular Plural
1. Person a- mi-, me-
2. Person gu-, go- ma-
3. Person m i-, e- u-, o-
3. Person f mu- u-, o-
3. Person x i-, y- u-, o-
3. Person y i-, e-

Die Personalpronomina im Burushaski unterscheiden für die 3. Personen eine „ferne“ und „nahe“ Form, z. B. khin „er, dieser“ (hier in der Nähe) aber in „er, jener“ (dort hinten). Im Obliquus gibt es zusätzlich sog. Kurzformen. Details bei H. Berger 1998.

[Bearbeiten] Zahlwörter

Das Zahlensystem des Burushaski ist vigesimal, es basiert also auf der Einheit 20. Z. B. heißt 20 altar, 40 alto-altar (2 mal 20), 60 iski-altar (3 mal 20) etc. Die Grundzahlen sind 1 hin (oder han, hik), 2 altán (oder altó), 3 iskén (oder uskó), 4 wálto, 5 čundó, 6 mishíndo, 7 thaló, 8 altámbo, 9 hunchó, 10 tóorumo (auch toorimi und turma) und 100 tha.

Beispiele für zusammengesetzte Zahlen:

11 turma-hin, 12 turma-altan, 13 turma-isken usw., 19 turma-hunti; 20 altar, 30 altar-toorimi, 40 alto-altar, 50 alto-altar-toorimi, 60 iski-altar u.s.w.; 21 altar-hik, 22 altar-alto, 23 altar-iski u.s.w.

[Bearbeiten] Verbalmorphologie

[Bearbeiten] Allgemeines

Die Verbalmorphologie des Burushaski ist äußerst komplex und formenreich, vergleichbar etwa mit der des Sumerischen, Baskischen, Ket oder einiger nordkaukasischer Sprachen. Viele lautgesetzliche Veränderungen (Assimilationen, Kontraktionen, Akzentverschiebungen) machen fast jedes Verbum zu einem morphologischen Unikat. Hier können nur einige Grundprinzipien angesprochen werden. Ausführlichere Darstellung bei Hermann Berger 1998, Grammatik, 103-173.

Die finiten Verbalformen des Burushaski bilden u.a. folgende Kategorien aus:

Kategorie Mögliche Formen
Tempus/Aspekt Präsens, Futur, Imperfekt, Perfekt, Plusquamperfekt
Modus Konditional, drei Optative, Imperativ, Konativ
Numerus Singular, Plural
Person 1., 2. und 3. Person (im Imperativ nur die 2. Person)
Nominalklasse die vier Nominalklassen m, f, x und y (nur in der 3. Person)

Bei vielen transitiven Verben wird außer dem Subjekt auch das (direkte) Objekt gekennzeichnet, und zwar durch Pronominalpräfixe, die ebenfalls die Kategorien Numerus, Person und – in der 3. Person – Nominalklasse aufweisen. Alle Verben haben negierte Formen, manche intransitive Verben können morphologisch sekundäre Transitiv-Formen bilden. Die infiniten Formen – das sind im Burushaski die Absolutive der Vergangenheit und Gegenwart (vergleichbar mit Partizipien), das Partizip Perfekt und zwei Infinitive – besitzen alle Kategorien der finiten Formen außer Tempus und Modus. Infinite Formen bilden zusammen mit Hilfsverben die periphrastischen (zusammengesetzten) Formen.

[Bearbeiten] Die 11 Positionen der finiten Verbalformen

Alle Verbalformen lassen sich durch ein kompliziertes, aber regelmäßiges Positionssystem beschreiben. Berger unterscheidet insgesamt 11 Positionen (auch Slots genannt), die allerdings nicht alle in einer Verbform besetzt sein können. Manche Positionen weisen alternative Besetzungsmöglichkeiten auf (unten durch A/B/C gekennzeichnet). Der Verbalstamm besetzt die Position 5, davor gibt es also vier Positionen für Präfixe, danach sechs Positionen für Suffixe. Die folgende Tabelle gibt eine Übersicht, besonders wichtige Positionen sind hervorgehoben.

  • Die Positionen (Slots) der Verbformen im Burushaski
Position Affixe und ihre Bedeutung
1 Negationspräfix a-
2a/b d-Präfix (Bildung von Intransitiva) / n-Präfix (Absolutpräfix)
3 Pronominalpräfixe: Subjekt intransitiver, Objekt transitiver Verben
4 s-Präfix zur Bildung sekundärer Transitiva
5 VERBALSTAMM
6 Pluralsuffix -ya- am Verbalstamm
7 Präsensstammzeichen -č- (oder š, ts..) zur Bildung von Präsens, Futur, Imperfekt
8a/b Pronominalsuffix der 1. sg. -a- (Subjekt) / Bindevokal (ohne Bedeutung)
9a m-Suffix: bildet vom einfachen Stamm m-Partizip und m-Optativ /
9b m-Suffix: vom Präsensstamm das Futur und den Konditionalis /
9c n-Suffix zur Kennzeichnung des Absoluts (vgl. Position 2) /
9d š-Suffix zur Bildung des š-Optativs und -iš-Infinitivs /
9e Infinitivendung -as, -áas / Optativsuffix -áa (direkt am Stamm)
10a Pronominalsuffixe der 2. und 3. Person und 1. pl. (Subjekt; Formen s. unten) /
10b Imperativendungen (am bloßen Stamm) /
10c Formen des Hilfsverbs ba- zur Bildung von Präsens, Imperfekt, Perfekt, Plusquamperfekt
11 Nominale Flexionsendungen und Partikel

[Bearbeiten] Bildung der Tempora und Modi

Die Bildung der Tempora und Modi erfolgt unter Nutzung der verschiedenen Positionen oder Slots auf recht komplizierte Weise. Dabei werden Präteritum, Perfekt, Plusquamperfekt und Konativ vom einfachen Stamm gebildet; Präsens, Imperfekt, Futur und Konditionalis vom Präsensstamm, der durch eine Erweiterung des einfachen Stammes in der Position 7 entsteht (meist durch -č-). Direkt vom Stamm werden die Optative und der Imperativ abgeleitet. Insgesamt ergibt sich folgendes Schema:

Die Bildung der Tempora und Modi am Beispielverb her „weinen“, ohne Präfixe:

  • Tempora vom einfachen Stamm
Grammatische
Kategorie
Bildung Form und Übersetzung
Konativ Stamm + Personalsuffix her-i „er wird gleich weinen“
Präteritum Stamm [+ Bindevokal] + m-Suffix + Personalsuffix her-i-m-i „er weinte“
Perfekt Stamm [+ Bindevokal] + Hilfsverb im Präsens her-u-ba-i „er hat geweint“
Plusquam-
perfekt
Stamm [+ Bindevokal] + Hilfsverb im Präteritum her-u-ba-m „er hatte geweint“
  • Tempora vom Präsensstamm = Stamm + Präsenszeichen
Grammatische
Kategorie
Bildung Form und Übersetzung
Futur Stamm + Präsenszeichen [+ Bindevokal + m-Suffix] + Personalendung her-č-i-m-i „er wird weinen“
Präsens Stamm + Präsenszeichen + Bindevokal + Hilfsverb im Präsens her-č-u-ba-i „er weint“
Imperfekt Stamm + Präsenszeichen + Bindevokal + Hilfsverb im Präteritum her-č-u-ba-m „er weinte (häufig)“
Konditional Stamm + Präsenszeichen + Bindevokal + m-Suffix (außer 1. pl.) + če her-č-u-m-če “... würde weinen“,
Konditional Stamm + Präsenszeichen + Bindevokal + Endung 1. pl. + če her-č-an-če „wir würden weinen“
  • Optative und Imperativ
Grammatische
Kategorie
Bildung Form und Übersetzung
áa-Optativ Stamm + áa (in allen Personen) her-áa “... soll.. weinen“
m-Optativ Stamm + [Bindevokal] + m-Suffix her-u-m “... soll.. weinen“
š-Optativ Stamm + (i)š + Personalendung her-š-an „sie sollen weinen“
Imperativ
Singular
Stamm [+ é bei endungsbetonten Verben] her „weine!“
Imperativ
Plural
Stamm + in her-in „weint!“

[Bearbeiten] Kennzeichnung von Subjekt und Objekt

Die Kennzeichnung von Subjekt und Objekt der Verbform erfolgt durch pronominale Präfixe und Suffixe in den Positionen 3, 8 und 10 in folgender Weise:

Affixart Position Funktion
Präfixe 3 direktes Objekt beim transitiven Verb, Subjekt beim intransitiven Verb
Suffixe 8/10 Subjekt beim transitiven und intransitiven Verb

Die Personalpräfixe sind identisch mit den Pronominalpräfixen am Nomen (obligatorisch bei Körperteilen und Verwandtschaftsbezeichnungen, siehe oben). Die Formen der Präfixe (Position 3) und Suffixe (Positionen 8 und 10) sind in den folgenden Tabellen vereinfacht zusammengefasst:

  • Pronominalpräfixe (Position 3)
Person/
Nominalklasse
Singular Plural
1. Person a- mi-
2. Person gu- ma-
3. Person m i- u-
3. Person f mu- u-
3. Person x i- u-
3. Person y i-
  • Pronominalsuffixe (Positionen 8 und 10)
Person/
Nominalklasse
Singular Plural
1./2. Person -a -an
3. Person m -i -an
3. Person f -o -an
3. Person x -i -ie
3. Person y -i

Es folgen einige Konstruktionsbeispiele des Präteritums des transitiven präfigierenden Verbums phus „binden“ zur Erläuterung des Zusammenspiels von Präfix und Suffix:

  • i-phus-i-m-i > er band ihn (besetzte Positionen: 3-5-8-9-10)
  • mu-phus-i-m-i > er band sie (f)
  • u-phus-i-m-i > er band sie (pl. hx)
  • mi-phus-i-m-i > er band uns
  • i-phus-i-m-an > wir banden / ihr bandet / sie banden ihn
  • mi-phus-i-m-an > ihr bandet / sie banden uns
  • i-phus-i-m-a > ich band / du bandest ihn
  • gu-phus-i-m-a > ich band dich

Die Pronominalaffixe werden auch dann verwendet, wenn Substantive die Rolle des Subjekts oder Objekts einnehmen, z. B. hir i-ír-i-mi „der Mann starb“. Bei intransitiven Verben kann die Subjektfunktion sowohl durch ein Präfix als auch ein Suffix – also doppelt – markiert sein. Beispiele:

  • gu-ir-č-u-m-a „du wirst sterben“ (Futur)
  • i-ghurts-i-m-i „er versank“ (Präteritum)

Pronominalpräfixe treten nicht bei allen Verben und in allen Tempora auf. Einige Verben benutzen nie Personalpräfixe, andere immer, wieder andere nur unter bestimmten Bedingungen. Pronominale Präfixe drücken bei intransitiven Verben oft eine vom Subjekt beabsichtigte Tätigkeit aus, während nicht-präfigierte Formen eine nicht mit dem Willen des Subjekts geschehende Handlung bezeichnen. Beispiele:

  • hurúţ-i-m-i „er setzte sich“ (willentliche Aktion ohne Präfix)
  • i-ír-i-m-i „er starb“ (nichtwillentliche Aktion mit Präfix)
  • ghurts-i-mi „er ging willentlich unter Wasser: er tauchte“ (ohne Präfix)
  • i-ghurts-i-m-i „er ging unwillentlich unter Wasser: er versank“ (mit Präfix)

[Bearbeiten] Das d-Präfix

Eine Reihe von Verben treten – teils neben ihrer Grundform – mit einem d-Präfix auf (Position 2), das vor Konsonant mit einem „harmonischen“ Vokal erweitert wird. Die genaue semantische Funktion dieser d-Bildung ist nicht geklärt. Zu primären Transitiva bildet das d-Präfix, immer ohne Pronominalpräfixe, reguläre Intransitiva (Berger 1998:I:110). Beispiele:

  • i-phalt-i-mi „er brach es auf“ (transitiv)
  • du-phalt-as „aufbrechen, explodieren“ (intransitiv)

Weitere Einzelheiten der Verbalmorphologie und anderer Teile der Grammatik sind der angegeben Literatur (vor allem H. Berger 1998) zu entnehmen.

[Bearbeiten] Literatur

  • Peter C. Backstrom: Burushaski. in: Languages of Northern Areas. Sociolinguistic Survey of Northern Pakistan. Bd 2. Islamabad 1992, 2002 (Repr.).
  • Hermann Berger: Die Burushaski-Sprache von Hunza und Nager. 3 Bde. 1. Grammatik. 2. Texte mit Übersetzungen. 3. Wörterbuch. Harrassowitz, Wiesbaden 1998, ISBN 3-447-03961-2
  • Hermann Berger: Das Yasin-Burushaski (Werchikwar). Grammatik, Texte, Wörterbuch. Harrassowitz, Wiesbaden 1974. ISBN 3-447-01625-6
  • Vaclav Blazek: Lexica Dene-Caucasia. Central Asiatic J. vol. 39, p. 11-50, 161-164, 1995. (Wortgleichungen von Burushaski mit Baskisch, kaukasianischen und jenisseischen Sprachen, Sino-Tibetisch und Na-Dene)
  • Ernst Kausen: Burushaski. Gießen 2005. (Siehe auch Weblink.)
  • David Lockhart Robertson Lorimer: The Burushaski Language. Bd 1. Introduction and Grammar. Bd. 2 Histories, Bd. 3: Dictionary. Aschehoug, Oslo 1935.
  • George van Driem: The Languages of the Himalayas. Brill, Leiden 2001. ISBN 90-04-10390-2
  • Yves Charles Morin, Etinne Tiffou: Dictionnaire complémentaire du bouroushaski de Yasin. Etudes bouroushaski 2, SELAF # 304, Peeters/SELAF, Paris 1989. (Ergänzung zu Berger und Tiffou)
  • Etienne Tiffou, Jurgen Pesot: Contes du Yasin - Introduction au bourou du Yasin, Etudes bouroushaski 1, SELAF # 303, Peeters/SELAF, Paris 1989. (Weiterführung aufbauend auf Grammatik von Berger)
  • Stephen R. Willson: Basic Burushaski Vocabulary. Studies in Languages of Northern Pakistan. Bd 6. Islamabad 1999.
  • Stephen R. Willson: A Look at Hunza Culture. Studies in Languages of Northern Pakistan. Bd 3. Islamabad 1999.

[Bearbeiten] Weblink

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