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Fuge (Musik) - Wikipedia

Fuge (Musik)

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Takte 1 bis 9 aus "Fuga II c-Moll a 3 voci" (Wohltemperiertes Klavier) von J. S. Bach
Takte 1 bis 9 aus "Fuga II c-Moll a 3 voci" (Wohltemperiertes Klavier) von J. S. Bach

Die Fuge (von lateinisch fuga = „Flucht“) ist eine musikalische Form, die im Barock entstand. Sie gehört zu den strengeren Formen der Polyphonie (Mehrstimmigkeit) und folgt den Regeln des Kontrapunkts. Fugenmerkmale durchdringen auch Chor- und Orchesterwerke, wie Kantaten, Messen, Konzerte oder Ouvertüren.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Merkmale

Musikwissenschaftlich gesehen ist die Fuge keine musikalische Form, sondern ein Kompositionsprinzip. Besonderes Kennzeichen der Fuge ist ihre komplexe Themenverarbeitung. Eine Fuge beginnt mit der Exposition der Stimmen: Die erste Stimme trägt das prägnante, kurze Thema vor. Dieser Themeneinsatz wird auch als Dux (lat. „Führer“) bezeichnet. Hierzu gesellt sich eine zweite Stimme, die das Thema nun als Comes (lat. „Gefährte“) auf einer anderen Tonstufe, normalerweise der Quinte bzw. Unterquarte (meist in der Dominanttonart) vorträgt. Wenn im Themenkopf eine Quinte erscheint, die notwendig zum Thema gehört (z. B. Quintsprung), wird diese im Comes meist zur Quarte abgewandelt (tonale Beantwortung), um die Identität der Tonart zu gewährleisten. Anderenfalls werden die Intervalle des Themas intervallgetreu („real“) auf die Dominanttonart übertragen.

Enthält die erste Stimme während des Comes motivisch oder thematisch bedeutsames Material, das später wieder aufgegriffen wird und evtl. gar als neues Durchführungsthema zur Verfügung steht, so spricht man von einem Kontrasubjekt. Weitere Stimmen können nach diesem Prinzip hinzukommen, bis die volle Stimmenzahl (bei Fugen meistens 4 (SATB) oder 3 (2 Ober-, 1 Unterstimme), seltener 5) erreicht ist.

Der erste Durchlauf des Themas durch alle Stimmen heißt Exposition. Im weiteren Verlauf gibt es immer wieder Abschnitte, in denen das Thema in verschiedenen Stimmen vorgetragen wird; diese heißen Durchführungen. Sie sind durch Zwischenspiele voneinander abgesetzt, die im Allgemeinen der Modulation dienen und daher in der Regel aus Sequenzen bestehen. In den Durchführungen kann das Thema durch vielerlei Künste mit sich selbst und den Kontrasubjekten kombiniert werden, beispielsweise in Engführungen, Umkehrungen, Augmentationen (d. h. die Dehnung der Töne z. B. um das Doppelte), Diminutionen (d. h. die Verkleinerung der Töne z. B. um die Hälfte) etc.

Vor dem Ende einer Fuge wird gerne ein Orgelpunkt - oft auf der Dominante - eingefügt, um die Spannung zu steigern. Ein bekanntes Beispiel diesbezüglich ist die g-Moll Fuge aus der Sonate für Violine solo (BWV 1001) von J. S. Bach.

Beispiel: Die Exposition der Fuga Nr. 2 in c-Moll aus dem Wohltemperierten Klavier, Band I
Diese dreistimmige Fuge von Johann Sebastian Bach beginnt mit einer mehr oder weniger typischen Exposition, die sich bis zum Anfang des neunten Taktes erstreckt. Die Grundtonart ist c-Moll. Es beginnt zunächst die Altstimme, es folgen der Sopran in Takt 3 und der Bass in Takt 7.

Das Thema hat eine Ausdehnung von zwei Takten. Es erscheint, wie bei Fugen üblich, zu Beginn allein, um sich vorzustellen, und zwar in der Grundtonart c-Moll.

Die Beantwortung des Themas ist eine originalgetreue Transposition in die Dominanttonart g-Moll, mit einer Ausnahme: die vierte Note ist c, nicht d, wie eigentlich zu erwarten wäre. Diese kleine Veränderung ist notwendig, weil ein d im Sopran zusammen mit dem es der Altstimme eine unerwünschte Dissonanz zur Folge hätte. Man spricht in diesem Falle von tonaler Beantwortung (im Gegensatz zur realen Beantwortung, bei der ein Thema ohne Veränderung in der Dominanttonart erscheint).

In Takt 5 haben die beiden Stimmen die Dominanttonart g-Moll endgültig erreicht. Damit die dritte Stimme mit dem Thema einsetzen kann, muss jedoch zur Originaltonart c-Moll zurückmoduliert (zurückgekehrt) werden. Dies geschieht in der zweitaktigen Überleitung der Takte 5 und 6. Der Komponist macht hier im Sopran Gebrauch von dem charakteristischen Anfangsmotiv des Themas, während der Alt das von ihm in Takt 3 eingeführte Kontrasubjekt (oder Kontrapunkt) verwendet; jedoch erscheinen die für dieses Kontrasubjekt typischen Tonschritte nicht absteigend, sondern aufsteigend. Außerdem erfolgt der Aufstieg dreimal hintereinander auf der jeweils nächsthöheren Tonstufe: es handelt sich um eine Sequenz. In Takt 7 ist die Grundtonart c-Moll wieder erreicht, und der Bass kann mit dem Thema einsetzen.

Während der Bass das Thema durchführt, ist im Sopran das Kontrasubjekt zu hören. Der Alt führt ein zweites Kontrasubjekt ein, das im weiteren Verlauf der Fuge noch einige Male in verschiedenen Stimmen auftauchen wird.

Durch ihre einfache, fast homophone Führung übernehmen Sopran und Alt ab Takt 8 Begleitfunktion. An dieser Stelle wird der kammermusikalische, weniger komplex-polyphone Charakter dieser Fuge besonders deutlich.

Zu Beginn des neunten Taktes ist die Themendurchführung im Bass abgeschlossen, und somit auch die Exposition: jede der drei Stimmen hat das Thema vollständig durchgeführt.

[Bearbeiten] Geschichte und Bedeutung

Das Prinzip der Imitation zwischen verschiedenen Stimmen eines Musikstücks wurde bereits in der Musik der Renaissance erkundet und kunstvoll ausgekostet, wobei hier vor allem der Kanon gepflegt wurde. Bei den norditalienischen Komponisten des Frühbarock (z. B. Giovanni Gabrieli) begegnen zunehmend Werke, die fugengemäß in einer Stimme beginnen und in den anderen Stimmen imitierend einsetzen; allerdings liegen hier eher Motive als schon voll entwickelte Themen vor. Solche Stücke wurden noch unspezifisch als „Sonata“, „Canzon“ oder auch „Ricercar“ (von italienisch ricercare = „suchen“) bezeichnet. Auch in der Motette hält das Fugenprinzip nach und nach Einzug.

Im Hochbarock folgt die Emanzipation der Fuge als selbständige (Teil-)Form. In der Französischen Ouvertüre ist der Mittelteil eine Fuge, in der Norddeutschen Orgelschule wird die Fuge zum abschließenden Gegenstück eines vorangehenden Präludiums, einer Toccata oder anderen Formen.

Der wohl bekannteste Komponist von Fugen war Johann Sebastian Bach; in seinen Werken (z. B. Wohltemperiertes Klavier, Die Kunst der Fuge) erprobte er sämtliche Möglichkeiten der Fuge, sodass viele spätere Komponisten sich beim Thema Fuge auch mit Bach auseinandersetzten.

Nach dem Barock galt die Fuge zwar als historische und damit veraltete Form, sie wurde aber nie aufgegeben. Spätere Komponisten setzten sich immer wieder mit ihren Prinzipien auseinander, wobei jeweils klar war, dass die Ergebnisse stets einen Verweis auf die Vergangenheit bedeuteten. Das Schreiben einer Fuge galt zudem als Nachweis besonderer kompositorischer Fähigkeiten.

Komponisten, die sich nach dem Barock wesentlich der Fuge widmeten:

  • Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch (24 Präludien und Fugen für Klavier, Opus 87 (1951)),
  • Max Reger (Variationen und Fuge über ein Thema (aus dem Singspiel "Der Ärndtekranz") von Johann Adam Hiller op. 100 (1907), Variationen und Fuge über ein Thema von Wolfgang Amadeus Mozart op. 132 (1914), Variationen und Fuge über ein Thema von Johann Sebastian Bach op. 81 (1904), Variationen und Fuge über ein Thema von Ludwig van Beethoven op. 86 für 2 Klaviere (1904), Introduktion, Passacaglia und Fuge op. 96 für 2 Klaviere (1906), Variationen und Fuge über ein Thema von Georg Philipp Telemann op. 134 (1914), Phantasie und Fuge über BACH op. 46 (1900), Symphonische Phantasie und Fuge op. 57 (1901), Variationen und Fuge fis-Moll op. 73 (1903), Introduktion, Passacaglia und Fuge e-Moll op. 127 (1913), Fantasie und Fuge d-Moll op. 135b (1915), zahlreiche kleine Orgelstücke, Präludien & Fugen etc.)
  • Paul Hindemith (Fugensammlung "Ludus Tonalis" für Klavier)
  • Johann Nepomuk David (12 Orgelfugen durch alle Tonarten Wk 66) u.a.

Auch in der Popmusik finden sich Fugen-Elemente, so z. B. in den Stücken "Awaken" oder "Close To The Edge" von Yes. Astor Piazzolla vermischte klassische Fugentechnik und argentinischen Tango zu einer neuen Einheit.

[Bearbeiten] Spezielle Formen

[Bearbeiten] Permutationsfuge

Bei der Permutationsfuge, einer speziellen Form der musikalischen Form der Fuge, liegt ein Stimmtausch in fester Form vor: Die Kontrapunkte werden beibehalten und schließen sich in fester Form an das Thema an.

[Bearbeiten] Doppelfuge

Eine Doppelfuge ist eine Fuge mit zwei Themen. Mögliche Form-Abläufe:

  • Fuge mit Thema 1 – Fuge mit Thema 2 – Fuge über beide Themen. Beispiel: Bach, Wohltemperiertes Klavier II. Band, gis-Moll-Fuge
  • Fuge mit zwei Themen, beide Themen setzen zu Beginn gleichzeitig ein. Beispiel: Bach, Fuge zur Passacaglia c-Moll
  • Fuge mit Thema 1 – Fuge über Thema 1 und Thema 2. Beispiele: Bach, Wohltemperiertes Klavier Band II, Fugen As-Dur und H-Dur

[Bearbeiten] Tripelfuge

Die Tripelfuge ist eine Fuge mit drei Themen. Diese können wiederum in getrennten Expositionen aufgestellt und später kombiniert werden. Beispiele: Bach, Wohltemperiertes Klavier Band II, Fuge fis-Moll

[Bearbeiten] Quadrupelfuge

Die Quadrupelfuge ist eine Fuge mit vier Themen.

Berühmtes, allerdings unvollendetes Beispiel einer Quadrupelfuge ist die Schlussfuge in Bachs Zyklus "Die Kunst der Fuge". Als drittes Thema führte Bach die Töne B-A-C-H ein. Zahlreiche Komponisten und Instrumentalisten haben sich dieser Fuge zugewandt und versucht, sie zu Ende zu komponieren. In Aufführungen wird aber auch häufig an der Stelle abgebrochen, wo Bach aufgehört hat zu komponieren.

[Bearbeiten] Fächerfuge

Ist eine Fuge, in welcher das Thema im Comes zuerst zur Quinte geht, dann aber der Dux nicht wieder auf der Tonika folgt, sondern erneut eine Quinte ansteigt. Beispiel: Johannes Brahms, Warum ist das Licht gegeben den Mühseligen?, aus: Zwei Motetten, op. 74. Hier wird das Fugenthema, welches in d-moll beginnt, real beantwortet, und zwar nicht dominantisch, sondern in a-moll. Diese Beantwortung wird wieder real beantwortet in e-moll. Diese wiederum in h-moll und jene ein letztes Mal in fis-moll. Das Fugenthema steigt in dieser Motette demnach gleich viermal hintereinander um eine Quinte an.

[Bearbeiten] Spiegelfuge

In einer Spiegelfuge erscheint das Thema gespiegelt entweder als Kontrasubjekt, oder als zweites Subjekt, in einer Doppelfuge verarbeitet. Fugen dieser Art sind äußerst selten.

[Bearbeiten] Fugato

Einen fugenähnlichen Abschnitt in einer Sonate, einer Symphonie, einem Konzert etc. nennt man Fugato. Dabei geht es nicht darum, das Thema durch alle Stimmen zu führen, es soll lediglich wirken wie eine Fuge. Oft sind diese Fugati nur wenige Takte lang.

[Bearbeiten] Hörbeispiel

[Bearbeiten] Weblinks

[Bearbeiten] Siehe auch

[Bearbeiten] Literatur

  • Carl Dahlhaus: Zur Geschichte der Permutationsfuge. BachJb, 46 (1959), 95-110.

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