Gertrud Bäumer
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Gertrud Bäumer (* 12. September 1873 in Hagen-Hohenlimburg; † 25. März 1954 in den v. Bodelschwinghschen Anstalten in Bethel) war eine deutsche Frauenrechtlerin und Politikerin.
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[Bearbeiten] Leben
[Bearbeiten] Kindheit und Ausbildung
Gertrud Bäumer kam wie viele Frauen der damaligen Zeit über ihren Beruf als Lehrerin zur bürgerlichen Frauenbewegung, die sich ja zuerst als Frauenbildungsbewegung verstand. Der Lehrerinnenberuf war für diese Frauen, wenn sie nicht sogleich standesgemäß heiraten konnten oder wollten, fast die einzige Möglichkeit auf eigenen Beinen zu stehen.
Sie kam aus einer Pfarrersfamilie, ihr Vater starb jedoch jung, und ihre Mutter musste die drei Kinder mit Hilfe der Verwandtschaft durchbringen. Die Leere in dem Leben ihrer Mutter, und ihre Abhängigkeit von anderen, war für Gertrud Bäumer eine schmerzvolle, aber lehrreiche Erfahrung. Die Öde im großmütterlichen Hause lastete auf ihr: »War dies das Frauenleben - diese Spirale um die eigene Achse?« (Bäumer 1933a, 101). Ihr Entschluss, einen Beruf zu ergreifen, stand daher schon sehr früh fest: »Ich wollte - und mußte aus wirtschaftlichen Gründen - Lehrerin werden.« (Bäumer 1933a, 96)
1892 trat sie ihre erste Stelle an und knüpfte bald darauf, durch ältere Kolleginnen vermittelt, Kontakte zum Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenverband (ADLV), dessen Vorstand sie ab 1901 angehörte. Weil sie glaubte, den dort an sie gestellten Anforderungen nicht entsprechen zu können, entschloss sie sich ihre Bildung durch ein Universitätsstudium zu vertiefen (vgl. Bäumer 1933a, 135). 1898 wechselte sie deshalb nach Berlin, wo sie zwei Jahre später ihr Oberlehrerinnenexamen bestand, das die Voraussetzung für die Aufnahme eines Studiums war. Der Wunsch zu studieren war auch für Frauen »aus gutem Haus« ungewöhnlich. Erst 1908 wurde zuletzt in Preußen die Immatrikulation von Frauen erlaubt, bis dahin waren sie auf das Wohlwollen der einzelnen Professoren angewiesen.
Es ist bezeichnend, dass Gertrud Bäumer sich das Geld für ihr Studium ersparen musste, und keine Unterstützung des Hoffmannschen Familienstipendiums erhielt, die ansonsten jedem männlichen Studenten ihrer Verwandtschaft gewährt wurde: »Auf den Gedanken einer Ausnahmeregelung oder einer Statutenänderung kam man damals noch nicht, obgleich dieser im Hinblick auf den frühen Tod des Vaters besonders nahe gelegen hätte.« (Gerstein 1971, 87). An der Universität belegte sie Theologie, Germanistik, Philologie und Nationalökonomie und promovierte 1904 über Goethes Satyros.
[Bearbeiten] Helene Lange und die Arbeit für die Frauenbewegung
In Berlin kam sie in engeren Kontakt mit Helene Lange, die als unbestrittene Führerin der Lehrerinnenbewegung galt. Als Gertrud Bäumer hörte, dass sie durch eine Augenkrankheit zunehmend in ihrer Arbeit behindert wurde, bot sie sich sofort als Hilfe an. Helene Lange schreibt in ihren Lebenserinnerungen dazu: »In dieser Zeit der schwersten geistigen Not ist Gertrud Bäumer zu mir gekommen. Ich brauche kaum ein Wort weiter hinzuzufügen.« (Lange 1928, 216) Sehr rasch entwickelte sich nicht nur eine rege gemeinsame publizistische Arbeit, sondern auch eine intensive Freundschaft. Für Gertrud Bäumer bedeutete die Begegnung mit Helene Lange eine »Lebensentscheidung« (Bäumer 1933a, 157): »Mein Leben mußte im Ziel und Kern der ebenbürtigen und vollen Einschaltung der Frauen in die Kulturkräfte ihres Volkes dienen (...).« (Bäumer 1933a, 157). Marianne Weber charakterisierte später das Verhältnis der beiden Frauen als »Wahlmutter- und Wahltochterschaft« (Weber 1935, 234): »Gemeinsame Ideale und gemeinsamer Einsatz für sie verliehen ihr die überpersönliche Weihe.« (Weber 1935, 253)15
Helene Lange erkannte sehr rasch das geistige Potential und die Begabung Gertrud Bäumers. In ihr sah sie die Nachfolge gesichert:
- »Ich wußte, das Werk, an dessen Grundlagen ich mitgeschaffen hatte, war nun sicher, emporzuwachsen, dem Licht entgegen. Was ich persönlich nicht mehr zu sehen hoffen durfte, die Zukunft würde es verwirklichen.« (Lange 1928, 216)
Es war daher nur folgerichtig, dass Gertrud Bäumer trotz ihres jungen Alters sehr rasch in Vorstandsfunktionen des Bundes Deutscher Frauenvereine (BDF) präsent war. 1910 löste sie Marie Stritt als Vorsitzende ab; kriegsbedingt dauerte ihre Amtsperiode bis 1919. Während dieser Zeit war sie maßgeblich am Aufbau des Nationalen Frauendienstes beteiligt, einer Wohlfahrtsorganisation, die um eine Koordinierung der Nahrungsmittelversorgung und des freiwilligen Kriegseinsatzes der Frauen innerhalb von Industrie und Wirtschaft bemüht war (vgl. Hering 1990). Auch als sie ihren Vorstandsvorsitz abgab, behielt sie weiterhin großen Einfluss (vgl. Vom Gestern zum Heute 1933, 76ff). Vielen ihrer Nachfolgerinnen war sie mit Rat und Tat behilflich.
Ihre hauptsächliche Arbeit für die Frauenbewegung erstreckte sich auf die Arbeit innerhalb des BDF und der monatlich erscheinenden Zeitschrift Die Frau, die als das Sprachrohr der bürgerlichen Frauenbewegung gilt. Daneben übernahm sie 1916 mit Marie Baum den Aufbau und die Leitung (bis 1920) des Sozialpädagogischen Instituts in Hamburg, einer höheren Fachschule für Wohlfahrtspflegerinnen (vgl. Baum 1950, 209ff). Die intensive und persönlich gehaltene Zusammenarbeit mit den damaligen Schülerinnen führte in den darauffolgenden Jahren zu wiederkehrenden Treffen des ehemaligen Kreises.
[Bearbeiten] Die Politikerin
1920 wurde Gertrud Bäumer als Ministerialrätin in das Reichsinnenministerium berufen, sie war für die Referate Jugendwohlfahrt und Schulwesen zuständig. Daneben war sie von 1926 bis 1933 Delegierte der Reichsregierung beim Völkerbund in Genf. Ihre publizistische Arbeit im Rahmen der Frauenbewegung war unermüdlich, und viele der Frauen aus ihrer Umgebung fragten sich,
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- »... woher sie die Kraft zu ihrer unablässigen, stetigen, aber niemals angestrengt wirkenden Arbeit nahm, woher die Zeit, um neben Staatsdienst, parlamentarischen Pflichten und den Ansprüchen des öffentlichen Lebens ihre vielen Aufsätze und Bücher zu schreiben. (Die Antwort lautete), dass Begabung und vorzügliche Gesundheit sich mit einer von Jugend auf geübten strengen Selbstdisziplin verbanden.« (Velsen: 1956, 276)
[Bearbeiten] Die Schriftstellerin
Das Jahr 1933 bedeutete für Gertrud Bäumer auch ganz persönlich einen Schnittpunkt: Aus dem Beruf gedrängt und aller öffentlichen Ämter enthoben, war sie einerseits ein Opfer der Nationalsozialisten, andererseits profitierte sie von der ihr nun zur Verfügung stehenden Zeit, die sie für historische Studien, Reisen, schriftstellerische Arbeiten und den Rückzug ins Privatleben nutzte.
Im Frühsommer 1933 schrieb sie ihre Autobiographie Lebensweg durch eine Zeitenwende, die sie »als geistige Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus« verstand (Vogel 1973, 398). Anfang des Jahres 1934 zog sie mit ihrer Freundin Gertrud von Sanden (1881-1940) weg von Berlin nach Gießmannsdorf in Schlesien. In einem Brief an Emmy Beckmann schrieb sie über diesen »Bruch« in ihrem Leben:
- »Ich weiß, daß ich mich auch wieder in die andere Lebensform des 'freien' Schriftstellers hineinleben werde, obgleich die 'Freiheit' heute eine sehr zweifelhafte Sache ist. Vielleicht haben wir, die wir alle ersten Versuche auf einmal machen mußten, darüber das Persönliche ein bißchen zu sehr versäumt. Jetzt kommt eine Zeit, in der man ganz einfach seelsorgerisch aus persönlicher Verbundenheit arbeiten muß, das Äußere wird unwichtiger, weil man da nicht viel wird machen können.« (Bäumer 1956, 49; Brief vom 13. April 1933)
In einem Brief an ihren Onkel Werner Schede ging sie noch stärker auf die Auswirkungen ein, die ihre Weiterarbeit unter den Nationalsozialisten für sie persönlich bedeutet hätte:
- »Ich bin also mit Pension und auch unter Anrechnung meiner früheren Lehrerinnenzeit entlassen. Persönlich ist das für mich die reinlichere Lösung. Wäre ich im Amt, so müsste ich referatsmäßig jetzt z.B. die Verfügungen über die jüdischen Kinder in den Schulen machen oder die bevorstehende Verfügung für den Geschichtsunterricht, durch die alles, was seit dem Zusammenbruch geschehen ist, defamiert [i.O.] werden soll. Das wäre mir selbst auch tatsächlich unmöglich.« (BA Koblenz, NL 76 Bäumer, Brief vom 28. April 1933)
Trotz des 1939 gegen sie ergangenen Redeverbots hielt sie weiter Vorträge, vor allem in evangelischen Kreisen (vgl. Schumacher 1991, 47). »Ihr Heim wurde Treffpunkt für Freunde und Zufluchtsstätte für Verfolgte.« (Vogel 1973, 398)
[Bearbeiten] Der Einfluss Friedrich Naumanns auf Gertrud Bäumer
Gertrud Bäumer gehörte zu den Vertreterinnen eines Feminismus, die dem »weiblichen Prinzip« die Aufgabe zuschrieben, zur Humanisierung des Lebens beizutragen. Politisch identifizierte sie sich mit dem durch seine soziale Note bestimmten Liberalismus Friedrich Naumanns, mit dem sie ab 1906 eng zusammenarbeitete; ab 1912 war sie für den Kulturteil seiner 1894 gegründeten Zeitschrift Die Hilfe redaktionell verantwortlich, nach seinem Tod 1919 wurde sie zeitweilig die alleinige Herausgeberin. Auch mit Friedrich Naumann verband sie nicht nur eine Arbeitsgemeinschaft, sondern eine intensive Freundschaft (vgl. Bäumer 1933a, 250ff).
Friedrich Naumann (1860-1919) kam durch seine Tätigkeit als Pfarrer mit den ärmeren Bevölkerungsschichten in Berührung. Er verschloss sich deren Problemen jedoch nicht, sondern suchte nach Lösungsmöglichkeiten, die er in einer Verbindung von »national« und »sozial« fand. Er war der Überzeugung, dass nur eine nationale Machtpolitik nach außen die sozialen Reformen im Innern sichern könnte. Diesen Zielen war der 1896 von ihm gegründete National-soziale Verein verpflichtet. In § 1 der Satzung hieß es:
- »Wir stehen auf nationalem Boden, in dem wir die wirtschaftliche und politische Machtentfaltung der deutschen Nation nach außen für die Voraussetzung aller größeren sozialen Reformen im Innern halten (...). Wir wünschen darum eine Politik der Macht nach außen und der Reform nach innen.« (Naumann 1897, § 1)
Die Sogwirkung, die die Sozialdemokraten auf die Arbeiterschichten ausübten, betrachtete Naumann mit Argwohn. Er wollte die Arbeiterschaft für Staat, Nation und 'soziales Kaisertum' gewinnen. Der Verein löste sich aber schon 1903 wieder auf, nachdem er bei den Reichstagswahlen gescheitert war, und Naumann wechselte mit seinen Gesinnungsgenossen in die Freisinnige Vereinigung über.
Nach Abschaffung des preußischen Vereinsrechts im Jahre 1908 (das Frauen bis dahin den Eintritt in politische Parteien verbot), traten Gertrud Bäumer und Helene Lange der Freisinnigen Vereinigung, später der daraus hervorgegangenen linksliberalen Fortschrittlichen Volkspartei (FVP) bei.
Im Jahr 1919 gründete Gertrud Bäumer gemeinsam mit Friedrich Naumann und anderen die Deutsche Demokratische Partei (DDP). Die Hochschätzung, die Gertrud Bäumer innerhalb der Partei genoss, lässt sich wohl am besten daran ersehen, dass sie bis 1930 in Folge das Amt der dritten Vorsitzenden innehatte. Außerdem gehörte sie von 1919 bis 1932 durchgängig dem Reichstag an.
[Bearbeiten] Die Position von Gertrud Bäumer zum Nationalsozialismus vor 1933
Ihre tagespolitischen Aufsätze hatte Gertrud Bäumer bis 1933 vor allem in der Zeitschrift Die Hilfe veröffentlicht. In dieser Zeitschrift, die personell eng mit der DDP verknüpft war und sich als Forum des national-sozialen Kreises um Naumann verstand, wurde dem Phänomen des aufkommenden Nationalsozialismus zunehmende Aufmerksamkeit geschenkt.
Als im Herbst 1923 in Bayern zunehmend Gerüchte eines 'Marsches auf Berlin' (nach dem Vorbild Mussolinis) und Verschwörungspläne zwischen Hitler und Teilen der Reichswehrführung bekanntwerden (vgl. Broszat/Frei: 1989, 182ff), bezeichnet Gertrud Bäumer die Vorgänge in Bayern als
- »skrupellose(n) Kampf um die Macht von solchen Leuten, denen das Reich nur so weit etwas wert ist, als s i e darin herrschen, heute wie vor dem Weltkrieg. Und das brave und leichtgläubige Bürgertum läuft ihnen nach und macht mit dem Tribut seiner Leiden, enttäuschten Hoffnungen und guten vaterländischen Gefühlen aus einem Staatsstreich der alten 'Gesellschaft' eine Volksbewegung.« (DH, 1. November 1923, 368)
Als am 9. November 1923 tatsächlich der sogenannte Hitler-Putsch stattfindet, kommentiert sie mit resignativen Worten:
- »Schlimmer als dieses tragikomische Gaukelspiel ist die Tatsache, daß diese Klassenoffensive auch republikanische Parteien durchsetzt und ihre Kraft für die Verteidigung der Republik gebrochen oder doch gelähmt hat. Die wirtschaftlichen Machthaber in Deutschland sind bestenfalls Vernunftrepublikaner.« (DH, 1. Dezember 1923, 403)
Mit dem zunehmenden Erfolg der 'Bewegung' warnte sie davor, dass 'der politische Sieg dieser Stimmungswelle (...) der deutsche Zusammenbruch (wäre). Gefährlicher als diese Stimmungen selbst ist die Tatsache, daß auch von denen, die sie nicht teilen, ihre ganze Gefährlichkeit nicht gesehen wird.' (DH, 5. März 1932, 221; Hervorh. i.O. gesp. gedr.)
Auch wenn sie Hitlers Mein Kampf, ein 'erstaunlich konfuse(s) Buch' nannte (DH, 20. September 1930, 937), blieb sie wachsam gegenüber einer Partei, die der Demokratie und dem Parlamentarismus offen den Kampf angesagt hatte:
- »Der Nationalsozialismus, was auch immer an ihm wertvoll sein möge, ist so lange mehr zerstörerisch als aufbauend, als seine Führer unverantwortlich handeln: unverantwortlich in der durch keinen Wahrheitssinn gezügelten Herabsetzung der Gegner, unverantwortlich in der demagogisch-gefälschten Darstellung der deutschen Lage und der Machtverhältnisse, unverantwortlich in dem skrupellosen 'Appell an den Schweinehund im Menschen', wie im Reichstag mit Recht gesagt wurde, unverantwortlich in der hemmungslosen Ausbeutung der Urteilsunfähigkeit und im Mißbrauch anständiger und reiner Kräfte.« (DH, 26. März 1932, 309)
Sie selbst hoffte auf eine Erneuerung der Mitte (DH, 18. Juni 1932, 578), wenngleich sie sich der Tatsache bewusst war, dass durch die Zerstrittenheit der Parteien ein gemeinsames politisches Profil der »Mitte« kaum zu verwirklichen war. Die Grundlage musste aber immer 'die Erhaltung der bürgerlichen Freiheit im Geiste der Reichsverfassung' sein (DH, 18. Juni 1932, 579). Allerdings lehnte sie nicht alle Vorstellungen und Ziele des Nationalsozialismus von vornherein ab. Sie erkannte sehr wohl, dass die Nationalsozialisten nicht nur aufgrund ihrer 'Technik der Massenbearbeitung' (DH, 20. September 1930, 937) erfolgreich waren. Das Konglomerat an Ideen, wie es in der NS-Ideologie präsentiert wurde, sprach eine Vielzahl unterschiedlicher Interessen an. Keine Diskussion konnte es geben über den menschenverachtenden Antisemitismus und die »innerpolitische Greuelpropaganda« (ebd., 938) dieser Partei, die ja eine 'Bewegung' sein wollte. Unbestritten konnte die NSDAP aber ein Defizit in der Parteipolitik füllen, sei es auch nur durch Versprechungen. Bäumer nahm die seelische Krise, die sich ihrer Meinung nach in den Erfolgen der Nationalsozialisten offenbarte, ernst. Wichtig war ihr eine Reformierung des Parlamentarismus, da dieser sich ihrer Meinung nach immer mehr in kleingläubigen Interessenpartikularismus zu entwickeln drohte (vgl. DH, 1. Juni 1929, 268ff).
Die semantische Nähe der Begriffe »national-sozial«, wie sich der Hilfe-Kreis bezeichnete, und das »nationalsozialistisch« der NSDAP führte zu einer ganz besonderen Aufmerksamkeit dieser Partei gegenüber. Den wesentlichen Unterschied sah Gertrud Bäumer jedoch darin, dass sich bei Naumann »der Nationalsozialismus mit der Demokratie« verband (DH, 15. August 1924, 267; Hervorh. i.O. gesp. gedr.), und in diesem Sinne auch weitergetragen wurde. Die »Epigone(n) à la Hitler«, die Bäumer als »hysterische Schaumschläger« bezeichnete, machten sie angesichts ihrer »wirtschaftspolitische(n) Kleinbürgerphantastik« (ebd., 266) zornig:
- »Wenn das, was sich heute Nationalsozialismus nennt, nicht, verflacht und verrannt zugleich, in seiner Gedankenarbeit klastertief unter dem Niveau bliebe, auf dem die alten Nationalsozialen gearbeitet haben, so müßte ernsthafte Jugend, die in dunkler Zeit nach einem Ziel und einem Weg sucht, hier eine Anknüpfung finden - manches einzelne umbildend und neugestaltend, aber der Generalidee folgend, die den Sozialismus aus der marxistischen Verengung heraushebt und als Aufgabe der Erschaffung der Nation von innen her erfaßt.« (ebd., 268f.)
Als sie sich am 13. Oktober 1930 bei der Eröffnung des Reichstages das Spektakel der einziehenden SA-Männer ansehen musste, schrieb sie dazu: »Ein heißer Protest steht in einem auf gegen den Gewaltwillen, der sich in dem Aufzug dieser Truppe renommistisch ausdrückt.« (DH, 18. Oktober 1930, 1033). Einer inhaltlichen Auseinandersetzung oder gar einer Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten erteilte Gertrud Bäumer eine Absage. Es gelte vielmehr den Kampf zu führen,
- »... gegen eine Macht, die auf Kosten der Achtung vor dem lebendigen Gewissen des Einzelnen und durch gewaltsame Stillegung aller anderen Anschauungen den Staatsbürger durch den politischen Soldaten ersetzen will - etwas im tiefsten Kern Undeutsches, Ungermanisches. Nur durch die rücksichtslose Bekämpfung dieser neuen deutsch-völkischen Auflage eines ungeheuerlichen Byzantinismus wird das Echte und Kräftige der Bewegung aus einer üblen und sehr unrassischen Legierung einmal befreit werden!« (DH, 16. Juli 1932, 676)
Wo allerdings das »Echte und Kräftige« bei einer Partei sein kann, die ihre Politik unter dem Banner des Rassenhasses betrieb, bleibt unverständlich. Selbst wenn Gertrud Bäumer bei dieser Äußerung den Antisemitismus ignoriert haben mag, so bleibt doch die völlig undemokratische Struktur des Nationalsozialismus, die den Vorstellungen Naumanns, wie Gertrud Bäumer oft genug bestätigt hat, genau diametral gegenübergesetzt waren.
[Bearbeiten] Werke
- Mit Helene Lange ( Hrsg.): Handbuch der Frauenbewegung. Teil I und II. W. Moeser Buchhandlung, Berlin 1901.
- Die seelische Krisis, Herbig, Berlin 1924
- Otto I. und Adelheid, Rainer Wunderlich Verlag Hermann Leins, Tübingen/Stuttgart 1951
- Adelheid - Mutter der Königreiche ISBN 3870673591
[Bearbeiten] Literatur
- Margit Göttert. 2000. Macht und Eros: Frauenbeziehungen und weibliche Kultur um 1900 - eine neue Perspektive auf Helene Lange und Gertrud Bäumer. Frankfurt/M. Ulrike Helmer.
- Angelika Schaser: Helene Lange und Gertrud Bäumer. Eine politische Lebensgemeinschaft. Köln u.a. 2000. (Böhlau, L'homme-Schriften, Bd. 6. Umfangreiche Bibliographie der Schriften Gertrud Bäumers auf S. 367-373.)
- Eva Matthes und Caroline Hopf, Helene Lange und Gertrud Bäumer. Ihr Engagement für Frauen- und Mädchenbildung; Bad Heilbrunn 2001 (ISBN 3-7815-1146-4)
[Bearbeiten] Siehe auch
[Bearbeiten] Weblinks
- Literatur von und über Gertrud Bäumer im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Online Biographie zu Gertrud Bäumer
Personendaten | |
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NAME | Bäumer, Gertrud |
KURZBESCHREIBUNG | Frauenrechtlerin, Politikerin, Reichstagsabgeordnete, Pädagogin |
GEBURTSDATUM | 12. September 1873 |
GEBURTSORT | Hohenlimburg, Nordrhein-Westfalen |
STERBEDATUM | 25. März 1954 |
STERBEORT | Bethel, Bielefeld, Nordrhein-Westfalen |