Hethiter
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Die Hethiter waren ein kleinasiatisches Volk des Altertums mit einer indoeuropäischen Sprache. Die Hethiter bildeten im 2. Jahrtausend v. Chr. ein Großreich. Ihre Hauptstadt war die meiste Zeit Hattusa, das heutige Boğazkale (bis 1960 Boğazköy genannt). Ihre Existenz war mit Ausnahme einiger verstreuter Bibelstellen bis zum 19. Jahrhundert unbekannt. Schon die klassische Antike hatte keine Erinnerung mehr an sie; die Überreste ihrer Kultur wurden für ägyptisch gehalten. Herodot, von dem die einzige Überlieferung der griechisch-römischen Antike stammt, hielt das hethitische Felsrelief von Karabel für eine Darstellung des ägyptischen Pharaos Sesostris III. Nach aktuellem Wissensstand stellt es Tarkasnawa von Mira dar. Von den Hethitern werden die Hattier unterschieden, die die vorindoeuropäische Bevölkerung Anatoliens darstellen.
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Die Entdeckung der Hethiter
Der erste archäologische Hinweis auf die Hethiter tauchte in den assyrischen Handelskolonien in Kanesch (dem heutigen Kültepe) auf, wo Aufzeichnungen einen Handel zwischen den Assyrern und einem gewissen „Land Hatti“ belegten. Einige Namen in den Aufzeichnungen waren weder hattisch (altanatolisch) noch assyrisch, sondern eindeutig indoeuropäisch.
Die Inschrift auf einem 1884 von William Wright bei Boğazköy gefundenem Denkmal schien zu eigenartigen hieroglyphischen Inschriften in Aleppo und Hamath (Nordsyrien) zu passen. 1887 wurden die Archive von Tell-el-Amarna gefunden, die die diplomatischen Korrespondenzen von Amenophis III. und seinem Sohn Echnaton enthielten. Zwei der Briefe aus einem „Königreich Cheta“ – in derselben Gegend wie das Hatti-Land in den mesopotamischen Texten gelegen – waren in gängiger akkadischer Keilschrift, aber in einer unbekannten Sprache geschrieben. Sie konnten von den Wissenschaftlern gelesen, aber nicht verstanden werden. Kurz danach schlug Archibald Sayce eine Identifizierung des Hatti-Landes und des Königreiches Cheta mit dem aus der Bibel bekannten Volksstamm der Hethiter vor. Dies konnte sich im frühen 20. Jahrhundert durchsetzen, sodass (zu Recht oder nicht) der biblische Name Hethiter auf die in Boğazköy gefundene Zivilisation überging.
Bei 1905 begonnenen sporadischen Ausgrabungen in Boğazköy fand der Archäologe Hugo Winckler ein königliches Archiv mit 10.000 Tafeln, die in Keilschrift und derselben unbekannten Sprache abgefasst waren wie die ägyptischen Briefe aus Cheta, sodass die Identität dieses Namens mit den Hethitern bestätigt werden konnte. Er bewies, dass die Ruinen bei Boğazköy die Überreste der Hauptstadt eines mächtigen Reiches sind, das zeitweilig auch das nördliche Syrien kontrollierte.
Schließlich wurde die Sprache dieser Tafeln vom tschechischen Linguisten Bedřich Hrozný (1879–1952) entziffert, der seine Resultate bei einem Vortrag am 24. November 1915 vorstellte. Sein Buch Die Sprache der Hethiter; Ihre Struktur und ihre Zugehörigkeit zur Indogermanischen Sprachfamilie erschien 1917 in Leipzig. In diesem Buch konnte er zeigen, dass die bislang geheimnisvolle Sprache der Hethiter zu den indogermanischen Sprachen zählt und somit deren älteste schriftlich festgehaltene Vertreterin ist.
Das Deutsche Archäologische Institut gräbt Hattuša seit 1932 (mit kriegsbedingten Unterbrechungen) systematisch aus.
Geschichtliche Übersicht
Hauptartikel: Geschichte der Hethiter
Vorgeschichte
Im 3. Jahrtausend v. Chr. siedelte das vermutlich autochthone Volk der Hattier in Zentral-Anatolien. Mit ihm vermischten sich die Hethiter als neue anatolische Sprachträger, die in der zweiten Hälfte des 3. Jahrtausend v. Chr. wahrscheinlich aus dem Kaukasus in dieses Gebiet einwanderten. Eine Präzisierung des Zeitpunkts ist schwierig, da weder eine gewaltsame Invasion noch eine Völkerverschiebung im großen Umfang stattfand. Anscheinend kamen hethitische Gruppen -nach und nach- nach Anatolien und vermischten sich teilweise mit der einheimischen hattischen Bevölkerung. Etwa gleichzeitig kamen auch andere indoeuropäische Einwanderer: Die Luwier ließen sich im Süden und Westen und die Palaier im Norden und Nordwesten Anatoliens nieder. Die Hethiter bildeten die neue Führungsschicht. Unter weiteren nomadischen Einflüssen kristallisierte sich Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr. das Großreich der Hethiter heraus.
Die Hethiter übernahmen von den Hattiern die Bezeichnung Hatti für das Land. Ihre Sprache nannten sie dagegen Nesisch, nach der Stadt Kanesch/Nescha. Der erste hethitische Großkönig, der in Hattuscha/Boğazköy seine Residenz nahm, stammte wie Anitta ursprünglich aus Kuschar, einer Stadt, die noch nicht wiederentdeckt worden ist.
Das hethitische Großreich
Zu diesem Reich zählten weite Teile Anatoliens und zeitweise auch die nördliche Hälfte des heutigen Syrien. Hauptstadt des Reiches war Hattuša im Norden von Zentralanatolien, etwa 150 km östlich von Ankara.
Hattuša wurde berühmt, vor allem durch ca. 30.000 Texttafeln, die hier Anfang des 20. Jahrhunderts entdeckt wurden. Bis dahin hatte man von den Hethitern nur über die altorientalischen Keilschrifttexte und die ägyptischen Hieroglyphen erfahren, die bereits Anfang des 19. Jahrhunderts entziffert worden waren. Dank des tschechischen Orientalisten Bedřich Hrozný konnten ab 1915 auch die hethitischen Texte entziffern werden. Seitdem verfügt man über einzigartige Quellen zu Geschichte, Religion und Kultur dieses ungewöhnlichen Volkes.
Die Herrscher Ägyptens und Babyloniens betrachteten den hethitischen Großkönig als gleichrangigen Partner, mit dem sie sowohl diplomatische Kontakte und Handelsbeziehungen unterhielten als auch Vormachtkämpfe führten.
Ein besonderes Beispiel für dieses Spiel der Mächte ist die Schlacht bei Kadesch (1274 v. Chr.) und der nachfolgende Friedensvertrag zwischen Ramses II. und Hattusili III. Hierbei handelt es sich um den ältesten bekannten Friedensvertrag der Welt, von dem unter anderem eine Kopie – als ein Symbol für den Frieden – im UNO-Gebäude in New York City zu sehen ist.
Das Hethitische Großreich umfasste auch eine ganze Reihe von kleinen Vasallen- und Nachbarstaaten, wie z.B. Tarhuntassa oder Karkemisch. Von besonderem Interesse in der Forschung der letzten Jahre ist die mögliche Beziehung, bzw. der Einfluss der Hethischen Macht und Kultur auf die Troas, die heute als wahrscheinlich gilt (siehe Troja), sowie die Kontakte mit den Mykenischen Stadtstaaten insbesondere an der kleinasiatischen Westküste. Vor allem das Land Arzawa und die Stadt Milet/Milawanda rücken hier in den Fokus der Forschung. Zu den seltenen Belegen gehören auch die Funde mykenischer Importgefäße in Ostkappadokien in der Hethitischen Provinzstadt Kusakli-Sarissa. (Lit.: Antike Welt, 1996, 2004)
Nach dem Untergang des hethitischen Großreiches im frühen 12. Jahrhundert v. Chr., evident durch die Zerstörung der meisten bisher bekannten städtischen Zentren Zentralanatoliens durch Brände oder deren Auflassung überleben im Osten und sehr wahrscheinlich auch im Süden (Tarhuntassa) noch mehrere Jahrhunderte einige späthethitische (Klein-)Fürstentümer wie Karatepe, Meliddu, Tabal und Zincirli, die z. T. offenbar zunehmend aramäisiert werden und schließlich unter assyrische Herrschaft fallen.
Schrift und Sprache
Hauptartikel: Hethitische Sprache
Die Sprache der Hethiter zählt zur anatolischen Untergruppe der indoeuropäischen Sprachfamilie. Von den Hattiern, die eine vermutlich vor-indoeuropäische Altanatolische Sprache sprachen, übernahmen sie die Bezeichnung Hatti für das Land. Ihre Sprache nannten die Hethiter dagegen Nesili (Nesisch), nach der Stadt Kanisch/Nescha.
Das Hethitische (auch Hittitisch), ist die älteste bekannte indogermanische Sprache. Im Hethiterreich scheinen auch noch verschiedene andere Sprachen wie Luwisch oder Palaisch gebräuchlich gewesen zu sein, die allerdings mit dem Hethitischen mehr oder weniger eng verwandt waren. Das Luwische spielte für den Kult eine besondere Rolle. Mit diesen Sprachen bildet das Hethitische den anatolischen Zweig der indogermanischen Sprachfamilie, der sich von den übrigen Zweigen vor allem im Wortschatz teilweise stark unterscheidet.
Man schrieb auch mit unterschiedlichen Schriftsystemen. Während die offizielle diplomatische Korrespondenz und die Palastarchive in der assyrischen (akkadischen) Keilschrift verfasst wurden, benutzte man für die zahlreichen Felsreliefs und offiziellen Inschriften die sogenannte Hieroglyphenschrift, die, wie man heute weiß, einen luwischen Dialekt darstellt. Auch das Hurritische war eine wichtige Diplomatensprache, die besonders im Kontakt mit dem Mittanireich Verwendung fand.
Die Struktur des Hethiterreiches
Das Reich der Hethiter war ein relativ kompliziertes Gebilde mit deutlichen Anklängen an ein feudales System. An der Spitze stand der Großkönig (Labarna, später auch Tabarna), der oberster Priester, Richter und Feldherr war und über eine Anzahl nachgeordneter Könige herrschte, die größtenteils aus den angestammten Herrscherhäusern der Gebiete kamen. Diese Vasallenkönige mussten dem Großkönig einen persönlichen Eid ableisten, der bei jedem Wechsel auf dem hethitischen Thron erneuert werden musste, was auch regelmäßig zu Unruhen führte. Neben diesen Vasallenkönigen gab es in der Großreichszeit (also ab etwa 1350 v. Chr.) die Vizekönigreiche von Kadesch und Aleppo in Nordsyrien, die von Mitgliedern der königlichen Sippe verwaltet wurden und vor allem im militärischen Bereich große Selbständigkeit gegenüber der Zentralgewalt genossen. Eine ähnliche Position hatte auch der König von Mira, der ebenfalls in der Spätzeit für die westlichen Gebiete Anatoliens zuständig war.
Neben dem Großkönig stand die Großkönigin, die Tawananna, die sehr selbständig war und im eigenen Namen Staatsverträge abschließen konnte. Sie war oberste Priesterin und verlor diese Position auch beim Tod ihres Gemahls nicht.
Neben dem König stand der hethitische Senat (Panku), der an Gesetzen und Verträgen mitwirkte und sogar das Recht hatte, über den König zu richten. Dies war in der Verfassung des Telipinu (um 1460 v. Chr.) festgelegt. Verfassung ist hier eine nicht so weit hergeholte Analogie – das Dokument sieht einer modernen Verfassung wirklich relativ ähnlich. Im Kern ist es eine Nachfolgeregelung für den Thron des Großkönigs, worin genau festgelegt wird, in welcher Reihenfolge die Prinzen thronfolgeberechtigt sind. Zum Wächter dieser Bestimmungen wird der Panku eingesetzt, der somit die oberste Legalitätsinstanz bildet. Der eigentliche Zweck dieser "Verfassung", den ständigen Thronwirren ein Ende zu setzen, wurde allerdings verfehlt: auch in der späteren hethitischen Geschichte sind Thronstreitigkeiten und Usurpationen ein ständig wiederkehrendes Vorkommnis. Insgesamt zeigt sich hier aber eine Interpretation des Königtums als Primus inter pares, wie sie im Alten Orient eher selten ist.
Mythologie
Hauptartikel: Hethitische Mythologie
Die Hethiter in der Bibel
Im Alten Testament werden sowohl das Volk der Hethiter als auch einzelne Mitglieder dieses Volks des Öfteren erwähnt, unter anderem in vier der fünf Bücher des Mose, im Buch Josua und im Buch der Richter.
Urija (Uria), der Ehemann von Bathseba, mit der König David die Ehe brach, und den der König später bei einer Schlacht in den Tod schickte, war ebenfalls Hethiter. Der Bericht darüber findet sich im 2. Buch Samuel 11, 1-26.
Vor den Ausgrabungen Hattusa waren die Hethiter nur aus der Bibel bekannt, und man nahm an, dass sie ein einheimischer Stamm in Kanaan seien. Die Identifizierung mit den Hethitern Kleinasiens war längere Zeit umstritten, es wurde eine zufällige Namensgleichheit behauptet.
Die aus den syrischen Vizekönigreichen hervorgegangenen späthethitischen Kleinstaaten waren jedoch teilweise dem Staat Israel angegliedert, von hier kamen vermutlich die biblischen Hethiter.
Eine andere Möglichkeit (die die erste nicht ausschließt) wäre, dass im Zug des Seevölkersturmes auch hethitische Elemente in den Vorderen Orient gekommen sein dürften. Allerdings glauben die meisten Forscher nicht mehr an großmaßstäbliche Völkerbewegungen im Rahmen des "Seevölkersturms". Jedenfalls werden die Namen von einigen Stadtfürsten nach dieser Zeit als hethitisch oder luwisch identifiziert; sogar der Name des Berges Zion könnte möglicherweise hethitisch sein.
Siehe auch
Literatur
- Ekrem Akurgal: Die Kunst der Hethiter. Hirmer, München 1976, ISBN 3-7774-2770-5.
- Kurt Bittel: Die Hethiter. Beck, München 1976, ISBN 3-406-03024-6.
- Trevor Bryce: The Kingdom of the Hittites. Clarendon Press, Oxford 1998, ISBN 0-19-814095-9.
- Birgit Brandau, Hartmut Schickert: Hethiter. Die unbekannte Weltmacht. Piper, München 2001, ISBN 3-492-04338-0.
- Johannes Lehmann: Die Hethiter. Volk der 1000 Götter. Pawlak, Herrsching 1986, ISBN 3-88199-269-3.
- Peter Neve: Hattusa. Stadt der Götter und Tempel. Philipp von Zabern, Mainz 1993, ISBN 3-8053-1478-7.
- Die Hethiter und ihr Reich. Theiss, Stuttgart 2002, ISBN 3-8062-1676-2.
- Bedrich Hrozny: Die Sprache der Hethiter, ihr Bau und ihre Zugehörigkeit zum indogermanischen Sprachstamm. Ein Entzifferungsversuch von Friedrich Hrozny. Dresden 2002, ISBN 3-86005-319-1 (Nachdruck der Ausgabe Hinrichs, Leipzig 1917).
Weblinks
- Informationen zum Hethiterreich mit 3 großen historischen Karten
- Berichte zu den aktuellen Ausgrabungen und Forschungen des DAI in Hattuscha
- Zur Fachgeschichte und Kurzbiographien bekannter Hethitologen