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Houston Stewart Chamberlain

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Houston Stewart Chamberlain ( * 9. September 1855 in Portsmouth (England); † 9. Januar 1927 in Bayreuth) war ein Schriftsteller, Verfasser zahlreicher populärwissenschaftlicher Werke, u.a. zu Richard Wagner, Immanuel Kant und Johann Wolfgang von Goethe sowie Vertreter des nationalistischen, pangermanischen und rassistischen Antisemitismus. Sein bekanntestes Werk sind die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts (1899), das zu einem Standardwerk des rassischen und ideologischen Antisemitismus in Deutschland avancierte.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Kindheit und Jugend (1855-1878)

Houston Stewart Chamberlain wurde in Portsmouth im Stadtteil Southsea geboren und entstammte einer wohlhabenden Adelsfamilie. Chamberlains Mutter starb bald nach seiner Geburt und hinterließ dem viel beschäftigten Vater die Verantwortung über die Erziehung der drei Söhne. Vater und Sohn blieben sich Zeit ihres Lebens fremd, was vor allem daran lag, dass Chamberlain und seine Brüder die nächsten zehn Jahre in Versailles bei ihrer Großmutter und ihrer Tante verbrachten und ihren Vater kaum zu Gesicht bekamen.

1866 kehrte Chamberlain nach England zurück, da es der Vater nicht gern sah, dass sich sein Sohn immer mehr von seinem Heimatland entfremdete und bald besser Französisch als Englisch sprach. In der neuen Schule kam der scheue und sensible Junge nicht zurecht und war ständigen Anfeindungen seitens seiner Mitschüler ausgesetzt. Dieses Gefühl des Fremdseins im eigenen Land, bereits in frühester Jugend entwickelt, begünstigte später seine Hinwendung zum Deutschtum. 1869 kehrte er aufgrund gesundheitlicher Probleme nach Frankreich zurück und verbrachte zusammen mit seiner Tante die nächsten neun Jahre auf Reisen durch Europa.

Den wohl wichtigsten Einfluss auf Chamberlains neu erwachter Liebe zum Deutschtum hatte der deutsche Theologiestudent und spätere Pastor der deutschen evangelischen Gemeinde in San Remo Otto Kuntze. Er half dem gesundheitlich versehrten, aber sehr interessierten Knaben, seine Studien zu ordnen und förderte sein Interesse an Shakespeare und den Naturstudien. Chamberlain selbst begann sich, angeregt durch Kuntzes Deutschunterricht, neben französischen Klassikern, vermehrt mit deutscher Literatur zu beschäftigen. Goethe, Schiller und Kant zählten zu seinen Lieblingsautoren.

1873 musste Chamberlain auf Druck seines Vaters nach England zurückkehren, da sich dieser für seinen Sohn eine Karriere in der britischen Armee erhoffte. Da das raue englische Klima für Chamberlains Gesundheit abträglich war und dieser keinerlei Ambitionen für die Vorstellungen seines Vaters zeigte, durfte er nach Frankreich zurückgehen. Er wurde mit einer jährlichen Leibrente bedacht, die ihm ein relativ unabhängiges Leben außerhalb des Einflussbereiches seiner Familie ermöglichte. Im Winter 1874 lernte er in Cannes seine spätere erste Frau Anna Horst kennen. 1878, nach dem Tod seines Vaters, heirateten die beiden und reisten mehrere Monate lang durch Europa, bis sie sich 1879 in Genf niederließen und Chamberlain mit dem Studium der Naturwissenschaften an der Universität Genf begann.

[Bearbeiten] Studium und Aufenthalt in Dresden (1879-1888)

Aufgrund seines Fleißes und seines Ehrgeizes absolvierte Chamberlain bereits 1881 das Bakkalaureatsexamen und begann bald darauf mit seiner Doktorarbeit, die sich mit dem Wurzeldruck bei Pflanzen befasste. Unerwartete Probleme und zeitaufwendige Experimente verzögerten immer wieder die Fertigstellung. Ein schwerer Nervenzusammenbruch im Herbst 1884 war die Folge und führte zu einer jahrelangen Unterbrechung seiner naturwissenschaftlichen Forschungen.

Gesundheitlich angegriffen und durch verschiedene Börsengeschäfte auch finanziell in der Bredouille, war Chamberlain nun wieder in Abhängigkeit seiner Familie geraten. Erneut mit einer Leibrente ausgestattet, zog er mit seiner Frau nach Dresden. Einerseits war das Leben in Deutschland billiger als in der Schweiz, anderseits reizte die beiden das dortige kulturelle Angebot an Theater und Musik. Von seinen Ärzten überzeugt, dass eine akademische Karriere seiner angegriffen Gesundheit noch weiter schaden würde, füllte Chamberlain seine im Übermaß vorhandene Freizeit nicht nur mit zahlreichen kulturellen Aktivitäten aus, sondern vertiefte sich außerdem in das Studium von Kant und Platon. Beide Autoren fanden in seinen späteren Werken eingehende Betrachtung.

Zudem engagierte er sich aktiv im lokalen Wagner-Club. Zunächst noch relativ unbekannt, publizierte Chamberlain 1888 seinen ersten deutschsprachigen Artikel, der die Aufmerksamkeit und das Interesse des so genannten inneren Wahnfried-Zirkels um Cosima Wagner erweckte. Mit ihr verband der introvertierte Chamberlain eine lebenslange Freundschaft, die in zahlreichen Briefwechseln dokumentiert ist. (Vgl. Wagner, Cosima/ Chamberlain, Houston Stewart/ Pretzsch, Paul (Hrsg.) (1934)

[Bearbeiten] Wien (1888-1908)

Nachdem sich Chamberlain von seinem Nervenzusammenbruch erholt hatte, beschloss er seine naturwissenschaftlichen Studien, die er in Genf im Rahmen seiner Doktorarbeit begonnen hatte, innerhalb eines Jahres zum Abschluss zu bringen. Als seine Arbeit 1897 unter dem Titel Recherches sur la sève ascendante veröffentlich wurde, hatte Chamberlain kein Interesse mehr daran, diese der Universität Genf als Doktorarbeit vorzulegen. Ihm wurde auch ohne akademischen Titel Ruhm und Anerkennung zu Teil und der bekennende Dilettant konnte sich nun voll und ganz der Schriftstellerei widmen. (Zu seinem Wissenschafts- und Geschichtsbild: vgl. Chamberlain, Houston Stewart (1903): Dilettantismus, Rasse, Monotheismus, Rom. Vorwort zur 4. Auflage der Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. München: Bruckmann)

Auch in Wien war Chamberlain in ständigem Kontakt mit dem Wahnfried-Zirkel. Außerdem war die Stadt neben Bayreuth das zweite große Zentrum des Wagnerkultes. In diesen Umgebungen begann Chamberlain mit der Arbeit an seinem ersten größeren Werk, einer Biographie über Richard Wagner (erschienen 1895). Das Buch unterstrich den völkischen-nationalen Charakterzug Richard Wagners, der sich insbesondere in seiner Schrift Das Judenthum in der Musik (1850) manifestierte. Die Ambivalenz des Lebens Richard Wagner, die Skandale, die er provozierte, all die Facetten dieses bedeutenden Komponisten wurden in Chamberlains Werk dagegen ausgespart.

Im Februar 1896 begann er die Arbeit für sein Hauptwerk, die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts und schloss das 1200-seitige Werk in nur 19 Monaten ab. Das Buch wurde zu einem großen Erfolg und löste nach dem Erscheinen zahlreiche Kontroversen aus:

„Die Konventikler und Pamphletisten des primitiven Antisemitismus erhielten eine unerwartete Bestätigung aus dem Bereich der hohen Bildung. Mit der Theorie des Sozialdarwinismus ließen sich Chamberlains Lehren leicht verbinden, das geschah alsbald in alldeutschen Kreisen, die ihn verehrten. Die ,deutschen Christen’ beriefen sich später auf ihn, ebenso wie auf Lagarde, Langbehn und Arthur Bonus, den Künder der germanischen Religion.“ (Kampmann, Wanda (1963): Deutsche und Juden. Studien zur Geschichte des deutschen Judentums. Heidelberg: Verlag Labert Schneider. S. 319)

Chamberlain schuf mit den Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts ein Standardwerk des theoretischen Rassenantisemitismus, das einen großen Einfluss auf das Denken von Alfred Rosenberg und später Adolf Hitler hatte. Aber nicht nur in antisemitischen und deutschnationalen Kreisen fand sich die Leserschaft der Grundlagen. Kaiser Wilhelm II. war ebenso angetan von Chamberlain, wie D. H. Lawrence, Winston Churchill und sogar Albert Schweitzer. Zum herausragenden Erfolg des Buches konstatiert Wanda Kampmann: „Man war am Ende des positivistischen Jahrhunderts der Detailforschung und ihrer widersprüchlichen Ergebnisse müde. (…) und dann war es wohl der Kulturenthusiasmus, die Verklärung von Kunst, Kultur und Religion als schöpferische Leistung des germanischen Geistes, die der Bildungschwärmerei einer breiten Leserschicht entgegen kam, ferner die Rassentheorie, die eine unsicher gewordene Generation in ihrem Selbstgefühl stärkte und nicht zuletzt die Überredungskraft, die von Simplifikation jederzeit ausgeht.“(Kampmann, Wanda (1963): Deutsche und Juden. Studien zur Geschichte des deutschen Judentums. Heidelberg: Verlag Labert Schneider. S 317f)

Motiviert durch den großen Erfolg seiner Werke, verfasste Chamberlain neben zahlreichen Aufsätzen zu Richard Wagner und Bayreuth in den folgenden Jahren einige Bühnestücke und zahlreiche Monographien, darunter eine Einführung in das Werk Immanuel Kants (1905).

In diesen schriftstellerisch sehr produktiven Jahren kam es auch in seinem Privatleben zu Veränderungen. Die Beziehung zu seiner Frau Anna war über die Jahre abgekühlt und Chamberlain, der in Wahnfried ein und aus ging, ehelichte, nach einer schnellen, einvernehmlichen Scheidung, Cosimas Tochter Eva Wagner.

[Bearbeiten] Bayreuth (1909-1927)

Die Jahre bis zum Ersten Weltkrieg verbrachte Chamberlain relativ ruhig in seinem Haus in Bayreuth. Die einzige Monographie aus diesen Jahren war eine Abhandlung über das Leben und die Werke Goethes (1912). Daneben verfasste er einige Aufsätze zu Kant, Goethe und Wagner und genoss ansonsten sein Leben als angesehener Autor. Doch die weltpolitische Lage, das Säbelrasseln zwischen seiner alten Heimat England und seinem gelobten Land Deutschland, führte bei Chamberlain zu einem Bewusstseinswandel. Die Folge war eine Flut an Aufsätzen und Publikationen, die sich mit den Kriegsursachen- und Folgen beschäftigten. Im August 1916 wurde er deutscher Staatsbürger. Seine einseitige Parteinahme für das Deutsche Reich brachte ihm in der britischen Presse den Ruf eines Renegaten ein, und er verspielte fast vollständig seine Reputation, die er sich im Ausland für seine Grundlagen erworben hatte.

Die Niederlage des Deutschen Reiches überraschte Chamberlain sehr. Wie viele andere auch konnte er es nicht verstehen, dass das Land kapitulierte, obwohl deutsche Soldaten immer noch feindliches Territorium besetzten. Analog zur damals sehr populären Dolchstoßlegende sah Chamberlain die Ursache für die Niederlage Deutschlands in einer konspirativen Verschwörung der Juden. Aufgrund einer Quecksilbervergiftung gelähmt und von seiner Nervenkrankheit stark gezeichnet, ging auch seine schriftstellerische Produktivität zurück. Seine letzte größere Veröffentlichung zu Lebzeiten war eine autobiographische Zusammenstellung verschiedener Briefe und Texte und wurde 1919 und dem Titel Lebenswege meines Denkens veröffentlicht. An das Krankenbett gefesselt und abgeschieden von der Außenwelt setzte Chamberlain seine Hoffnung in den damals 34-jährigen Adolf Hitler, von dem er 1923 in Wahnfried besucht wurde. Chamberlain war sehr beeindruckt und bemerkt in einem Brief an Hitler: „Sie (Hitler, A.d.A.) sind überhaupt nicht so, wie Sie mir beschrieben worden sind, als einen Fanatiker. (…) Ein Fanatiker entflammt den Geist, Sie wärmen das Herz. Ein Fanatiker will die Menschen mit Worten überwältigen, Sie wollen überzeugen, nur überzeugen, und das ist der Grund, warum Sie erfolgreich sind.“ (Rückübersetzung ins Deutsche, nach Field, Geoffrey G. (1981): Evangelist of race. The Germanic vision of Houston Stewart Chamberlain. New York: Columbia Univ. Press. S. 436)

Der Weimarer Republik stand er ablehnend gegenüber, ebenso lehnte er das demokratische System an sich ab und sah dieses als nicht kompatibel mit dem deutschen Volk. Chamberlain verstarb am 9. Januar 1927 im Alter von 71 Jahren, ohne das Dritte Reich erlebt zu haben, das er neben anderen nationalistischen Autoren durch sein schriftstellerisches Schaffen mit vorbereitet hatte.

Zusammenfassend muß Chamberlain als einer der wichtigsten intellektuellen Wegbereiter des nationalsozialistischen Rassismus gesehen werden. David Clay Large resumiert in seinem Artikel über Wagner und Chamberlain: "Chamberlain selbst hielt sein Verständnis der Rassenfrage für einen Fortschritt gegenüber der Äußerungen Wagners. An dieser Stelle bleibt festzuhalten, dass die Nationalsozialisten Chamberlains Ideen nicht noch verbessern mußten - es reichte, sie zu einem logischen Abschluß zu bringen und in die Wirklichkeit umzusetzen."

Bis heute ist Chamberlain Ehrenbürger der Stadt Bayreuth.

[Bearbeiten] Veröffentlichungen (Auswahl)

  • Das Drama Richard Wagners: Eine Anregung. Wien: Breitkopf u. Härtel, 1892
  • Richard Wagner. München: F. Bruckmann, 1895
  • Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts. München: Bruckmann, 1899
  • Arische Weltanschauung. München: F. Bruckmann, 1905
  • Heinrich von Stein und seine Weltanschauung. Leipzig/Berlin: Georg Heinrich Meyer, 1903. (gem. mit Friedrich Poske)
  • Immanuel Kant: Die Persönlichkeit als Einführung in das Werk. München: Bruckmann, 1905.
  • Goethe. München: Bruckmann, 1912
  • Kriegsaufsätze. München: F. Bruckmann, 1915. (Enthält die sechs Aufsätze: „Deutsche Friedensliebe“, „Deutsche Freiheit“, „Die deutsche Sprache“, „Deutschland als führender Weltstaat“, „England“, „Deutschland“)
  • Lebenswege meines Denkens. München: Bruckmann, 1919
  • Paul Pretzsch (Hrsg.): Cosima Wagner und Houston Stewart Chamberlain im Briefwechsel 1888–1908. Leipzig: Reclam, 1934

[Bearbeiten] Literatur (Auswahl)

  • Geoffrey G. Field: Evangelist of race. The Germanic vision of Houston Stewart Chamberlain. New York: Columbia Univ. Press 1981. (die ausführlichste Biographie zum Leben und Werk Chamberlains)
  • Gerd-Kaus Kaltenbrunner: Wahnfried und die ‚Grundlagen’: Houston Stewart Chamberlain. In: Karl Schwedhelm (Hrsg.): Propheten des Nationalsozialismus. München: Paul List Verlag 1969. S. 105-123
  • Wanda Kampmann: Deutsche und Juden. Studien zur Geschichte des deutschen Judentums. Heidelberg: Verlag Labert Schneider 1963. S. 293-321. (mit einem ausführlichen Kapitel zu den Theoretikern des Rassenantisemitismus und zur Rezeption und Wirkung der Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts)
  • Michael Karbaum: Studien zur Geschichte der Bayreuther Festspiele (1876-1976). Regensburg: Gustav Bosse Verlag 1976. (eine kritische Retrospektive zu den Bayreuther Festspielen und dem Wahnfried-Zirkel)
  • Wolfram Kinzig: Harnack, Marcion und das Judentum. Nebst einer kommentierten Edition des Briefwechsels Adolf von Harnacks mit Houston Stewart Chamberlain. Leipzig: Evang. Verl.-Anst. 2004. (= Arbeiten zur Kirchen- und Theologiegeschichte; 13)
  • David Clay Large: Ein Spiegelbild des Meisters? Die Rassenlehre von Houston Stewart Chamberlain. In Dieter Borchmeyer (Hrsg.): Richard Wagner und die Juden. Stuttgart u.a.: Verlag Metzler 2000. S.144-159. (sehr ausführlicher und aktueller Aufsatz zur Rassenlehre Chamberlains)
  • Doris Mendlewitsch: Volk und Heil. Vordenker des Nationalsozialismus im 19. Jahrhundert. Rheda-Wiedenbrück: Daedalus-Verlag 1988. (mit einem ausführlichen Kapitel zu Chamberlains Rassentheorie)
  • Jean Réal: The Religious Conception of Race. Houston Stewart Chamberlain and Germanic Christianity. In: Jacques Rueff: The Third Reich. London: Weidenfeld a. Nicolson 1955. S. 243-286. (sehr ausführlicher und kritischer Aufsatz zum Antisemitismus und Rassismus in Chamberlains Hauptwerken)

[Bearbeiten] Weblinks

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