Alfred Rosenberg
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Alfred Rosenberg (* 12. Januar 1893 in Reval, heute Tallinn, Estland; † 16. Oktober 1946 in Nürnberg hingerichtet) war NSDAP-Politiker und einer der wichtigsten Ideologen des Nationalsozialismus. Er wurde im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess zum Tode verurteilt.
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[Bearbeiten] Herkunft, Familie und Jugend
Alfred Rosenberg wurde am 12. Januar 1893 in Reval (heute Tallinn) geboren, das damals zum russischen Reich gehörte. Sein Vater war ein wohlhabender lettischer Kaufmann, seine Mutter war Estin aus einer hugenottischen Familie. Rosenberg studierte am Technischen Institut Riga sowie an der Moskauer Universität Architektur, allerdings ohne anschließend jemals in seinem Beruf tätig zu werden.
1917 floh Rosenberg vor der Oktoberrevolution zunächst nach Paris. Kurz darauf siedelte er nach München um. Hier bewegte er sich in den radikal antibolschewistischen Zirkeln der russischen Emigranten, wo er rasch eine Erklärung für die von ihm als Katastrophe empfundene Oktoberrevolution fand: Sie schien ihm das Werk einer Verschwörung der Juden zu sein. Alsbald trat Rosenberg der Thule-Gesellschaft bei, einem völkisch-okkultistischen Geheimbund. Im Herbst 1919 lernte er über den völkischen Schriftsteller Dietrich Eckart, für dessen Zeitschrift „Auf gut Deutsch“ er schrieb, Adolf Hitler kennen. Kurz darauf trat Rosenberg der NSDAP bei.
Rosenberg heiratete 1915 Hilda Leesmann, die Ehe wurde schon 1923 geschieden. 1925 heiratete er ein zweites Mal, die Ehe mit Hedwig Kramer hielt bis zu seinem Tod. 1930 wurde die Tochter Irene geboren, ein Sohn starb kurz nach der Geburt.
[Bearbeiten] Verschwörungstheorien und Nationalsozialismus
Bald tat sich Rosenberg mit Schriften wie „Die Spur der Juden im Wandel der Zeiten“ (1919), „Das Verbrechen der Freimaurerei. Judentum, Jesuitismus, Deutsches Christentum“ (1921) oder „Börse und Marxismus oder der Herr und der Knecht“ (1922) hervor, in denen er die Theorie einer „jüdisch-freimaurerischen Weltverschwörung“ verbreitete, die es darauf abgesehen habe, „die Existenz anderer Völker zu unterminieren“. Zu diesem Zweck hätten die Freimaurer den Weltkrieg und die Juden die Russische Revolution herbeigeführt. Daher seien Kapitalismus und Kommunismus nur scheinbare Gegensätze, in Wahrheit handele es sich um ein und dieselbe Zangenbewegung, mit der das internationale Judentum nach der Weltherrschaft strebe („Die Hochfinanz als Herrin der Arbeiterbewegung in allen Ländern“, 1924). Das Aufkommen dieser Gedanken muss im Zusammenhang mit dem krisenhaft-aufgeregten Klima des Deutschlands der frühen 1920er Jahre gesehen werden. Hier fanden sie zahlreiche Anhänger und trugen zum Wahnbild einer „jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung“ bei, die den Kern von Hitlers Denken, seiner Propaganda und seiner Politik bilden sollte. Rosenbergs Biograph Ernst Piper glaubt sogar, dass Rosenberg entscheidend dazu beigetragen habe, Hitler das Bild vom vermeintlich jüdischen Charakter der russischen Revolution zu vermitteln.
1923 gab Rosenberg einen Kommentar der Hetzschrift „Protokolle der Weisen von Zion“ heraus, für deren Verbreitung er sich schon seit seiner Ankunft in Deutschland eingesetzt hatte und die zwei Jahre später in Mein Kampf mehrfach zustimmend zitiert wurde. Bereits 1921 war er mit Eckart zum „Völkischen Beobachter“ gewechselt, dessen Chefredaktion er nach dessen Tod im Februar 1923 übernahm; dies zeigt die starke Stellung, die sich Rosenberg mit seinen Verschwörungstheorien innerhalb der nationalsozialistischen Bewegung aufgebaut hatte. Ab 1937 war er schließlich Herausgeber des Blattes.
Rosenberg nahm 1923 am „Marsch auf die Feldherrnhalle“ teil, wurde aber im Gegensatz zu anderen Teilnehmern des Putschversuches nicht angeklagt. Während Hitler seine Haftstrafe in Landsberg am Lech absaß, betraute er Rosenberg mit der Führung der NSDAP, einer Aufgabe, der sich Rosenberg jedoch kaum gewachsen zeigte.
1927 wurde Rosenberg von Hitler mit der Gründung eines nationalsozialistischen Kulturverbandes beauftragt. Obwohl ursprünglich offenbar als Kulturverband der Partei gedacht, trat der Verband erst 1929 als vorgeblich überparteilicher „Kampfbund für deutsche Kultur“ an die Öffentlichkeit. Hier wurden verschiedene Erscheinungsformen der klassischen Moderne wie die Architektur des Bauhaus, der Expressionismus und die Abstraktion in der Malerei oder die Zwölftonmusik pauschal als „Kulturbolschewismus“ diffamiert und bekämpft – ungeachtet der Tatsache, dass in der Sowjetunion bereits der Sozialistische Realismus als einzige Kunstform staatlich zugelassen war.
[Bearbeiten] Der „Mythus des zwanzigsten Jahrhunderts“
1930 veröffentlichte Rosenberg sein rassentheoretisches Buch „Der Mythus des zwanzigsten Jahrhunderts“, gedacht als Fortsetzung von Houston Stewart Chamberlains antisemitischem Werk „Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts“. Darin plädierte er für eine neue „Religion des Blutes“, die das Christentum ersetzen sollte:
- „Der Mythus des römischen Stellvertreters Gottes muß hierzu ebenso überwunden werden wie der Mythus des ‚Heiligen Buchstabens‘ im Protestantismus. Im Mythus der Volksseele und Ehre liegt der neue bindende, gestaltende Mittelpunkt. Ihm zu dienen ist bindende Pflicht unseres Geschlechts.“
Trotz dieser Haltung war Rosenberg glühender Verehrer von Martin Luther, in dem er das „wahre“, nämlich antisemitische Christentum verkörpert sah, das durch die römisch-katholische Kirche und die Jesuiten verfälscht, „verjudet“ worden sei. Gegen die Behauptung, er selbst sei Heide, verwahrte sich Rosenberg entschieden: „Man unterschlug, dass ich den Wotanismus als eine tote Religionsform hinstellte [aber natürlich vor dem germanischem Charakter Ehrfurcht habe, der Wotan ebenso gebar wie den Faust] und dichtete verlogen und skrupellos mir an, ich wollte den ‚heidnischen Wotanskult‘ wieder einführen.“
[Bearbeiten] Rassismus und Geschichtsphilosophie
Beim „Mythus“ handelt es sich um den Versuch, in einer geschichtsphilosophischen Darstellung die nationalsozialistische Ideologie als Telos, als Ziel der Menschheit, zu erklären. Nach Rosenberg ist die Weltgeschichte geprägt durch den ewig tobenden Kampf zwischen den nordisch-atlantischen und den jüdisch-semitischen Völkern. Einzig das nordische Volk bringe Kultur hervor. Ausgehend von einem in Anlehnung an Platon spekulierten Atlantis sei das nordische Volk zunächst über die Inder und Perser in Erscheinung getreten. Das klassische Griechenland wird zum „nordischen Hellas“ und das alte Rom zum „nordisch-republikanischen Latinertum“. Der einzig legitime Nachfahre dieses nordischen Volkes sei das deutsche Volk.
Dieses nordische Volk versteht Rosenberg als Rasse, wobei diese kein biologisches, sondern ein geistiges Phänomen darstelle. In dieser Ablehnung eines „Rassematerialismus“ ist er sich einig mit seinem Erzrivalen Joseph Goebbels, welcher wie er den ideologischen Kurs der NSDAP prägen wollte.
Die Rasse wiederum stilisiert Rosenberg zum eigenständigen Organismus, indem er ihr eine allen Angehörigen gemeinsame Seele zuordnet – die „Rassenseele“. Diese Rassenseele ist Trägerin und Ausdruck der jeweilige Rasse. Somit ist das Handeln des einzelnen Rassenangehörigen nur Ausdruck der dem Kollektiv innewohnenden treibenden Kraft. Um das eigentliche Ziel zu erreichen, sei es nötig, jegliche Form der Individualisierung zu verfolgen, weil diese die Einheit der Rasse an sich gefährde. Ausprägungen dieser Rassenseele drückten sich in Kultur, Politik, Rechtssystem, Technik und Kunst aus. Auf diese Weise ließen sich am Verlauf der Weltgeschichte die Rassenzugehörigkeit der jeweiligen Völker an ihren kulturellen Leistungen ablesen. Diese Leistungen hätten also nicht Individuen geschaffen, sondern sind Ausdruck der kollektiven Seele der jeweiligen Rasse, welche das ihr innewohnende Ideal schaffen möchte. Die kulturellen Leistungen von Immanuel Kant, Richard Wagner, Meister Eckart und anderer Schaffenden dienen Rosenberg als unumstößlicher Beweis der Überlegenheit der nordischen Rasse.
[Bearbeiten] Antisemitismus
Schon als Jugendlicher war Rosenberg fasziniert von der antisemitischen Schrift „Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts“ von Houston Stewart Chamberlain. Das Werk habe ihm die Bedeutung des „jüdischen Problems“ vermittelt. So warnt Rosenberg zum Beispiel im Dezember 1938 davor, dass die Juden sich darauf vorbereiteten, Europa „in einem Blutrausch [zu] vernichten“.
Im „Mythus“ stellt er das Judentum der „nordischen Rassenseele“ gegenüber und polarisiert beide Ebenen mit nicht näher begründeten Feindbildern. Die jüdische Religion wird als teuflisch bezeichnet, während die nordische Rassenseele eine neue Art von Göttlichkeit in sich trage. Hitler arbeitete mit derselben Technik durch Behauptungen, so seien die Arier „Gotteskinder“ und ein Jude wiederum die „Personifikation des Teufels“ oder gar „Widersacher jeden Menschentums“. Christus wiederum sei nach Rosenberg kein Jude gewesen, sondern eine Verkörperung der nordischen Rassenseele. Dieser vermeintliche Sachverhalt sei zunächst vom Judentum selbst, später von Paulus von Tarsus und dann auch von der römisch-katholischen Kirche falsch dargestellt worden, um der nordischen Rassenseele zu schaden („römisch-syrisches Prinzip“). Diese und mehrere andere Stellen (etwa die Behauptung, es sei der 1914 in Frankreich angeblich herrschende Rothschild gewesen, der den Ersten Weltkrieg unvermeidlich gemacht hätte) zeigen, dass die Grundlage des rosenbergschen Denkens weiterhin die rassistische Verschwörungstheorie blieb, auch wenn er versuchte, diese mit seinen intellektuell-geschichtsphilosophischen Spekulationen hinter sich zu lassen.
Im "Mythus" fordert Rosenberg, Ehen und Geschlechtsverkehr zwischen "Ariern" und Juden unter Todesstrafe zu stellen. Dieser Vorschlag führte bereits im März 1930 zu einem Gesetzesvorschlag der Nazis im Reichstag.
[Bearbeiten] Der formende Wille
Angelpunkt der Rosenbergschen Theorie war der einer Rassenseele wesenhafte Wille. Dazu definiert er den nicht weiter abgeleiteten Willen als formende Kraft: „Und auf alle Zweifel und Fragen kennt der neue Mensch des kommenden Ersten Deutschen Reiches nur eine Antwort: ‚Ich will‘.“ Diese formende Kraft werde zuerst der Natur und später auch fremden Völkern eine erwünschte Gestaltung aufbürden. Dieses Merkmal nennt Rosenberg auch „dynamisch-willenhaft“ oder „geistig-architektonisch“.
Die „edelste Form“ der nationalsozialistischen Ethik wiederum drücke sich aus in genau diesem bloßen Wollen, welches sich selbst ein Ziel setzt. Darauf baut Rosenberg nun eine Kunsttheorie auf, deren Kernaussage es ist, dass ein Kunstwerk umso ästhetischer wirke, je mehr sich darin ein starker formender Wille zu erkennen gibt. Dies erinnert wiederum an Hitlers Aussage bezüglich der Architektur der Bauwerke des Reichsparteitages in Nürnberg, es handele sich um „steinerne Weltanschauung“.
Der Wille selbst ist nach Rosenberg keiner Moral untergeordnet. Die Rosenbergsche Metaphysik des Willens legitimiert also letzten Endes fast alles Handeln, – soweit dieses von einem starken Führer gewollt und angeordnet ist: „Das ist die Aufgabe unseres Jahrhunderts: Aus einem neuen Lebens-Mythus einen neuen Menschentypus zu schaffen.“ Damit wird der Weg bereitet für die Unterwerfung fremder Völker, für Menschenzüchtung in Lebensbornen, Zwangssterilisation von genetisch Kranken sowie für die Tötung von als „lebensunwert“ definiertem Leben.
[Bearbeiten] Bewertung
Rosenbergs Buch erreichte zwar eine Millionenauflage und galt nach Hitlers Bekenntnisbuch „Mein Kampf“ als zweites Standardwerk der NS-Ideologie. In Wirklichkeit kam die Veröffentlichung Hitler jedoch sehr ungelegen: Bereits Ende der zwanziger Jahre war Weisung an alle Propaganda-Stellen der Partei ergangen, den in der Bevölkerung wenig populären Antisemitismus zurückzuschrauben und statt dessen mehr auf Agrar- und Außenpolitik zu setzen. Rosenbergs radikal antisemitisches und obendrein noch antichristliches Buch bot nun neue Angriffsflächen, weshalb Hitler es als völlig inoffizielle Privatarbeit abtat. Die Bezeichnung „Chefideologe“ der NSDAP, die man immer noch in der Literatur findet, ist also mit Blick auf den „Mythus“ unzutreffend. Hitler empfand zudem das Werk als „zu schwer“ zu lesen, Goebbels tat es gar als „intellektuellen Rülpser“ ab, denn die Nationalsozialisten definierten sich ja bewusst als Tat- und Gewaltmenschen, denen jede Art des Intellektualismus fremd war. Daher kam Joachim Fest schon 1963 zu dem Urteil, Rosenberg sei “zum ‚Philosophen’ einer Bewegung [geworden], deren Philosophie am Ende nahezu immer die Macht war. Rosenberg selbst hat das freilich nie erkannt oder gar anerkannt und wurde gerade deshalb im Verlauf der Jahre, als der Machtgedanke die ideologischen Drapierungen zusehends überspielte, zum vergessenen Gefolgsmann: kaum noch ernst genommen, mutwillig übersehen und herumgestoßen, ein Requisit aus der ideologisch gestimmten Frühzeit, der Werbephase der Partei.“
Folgt man Rosenbergs Eigendarstellung von 1945, war das Verhältnis Hitlers zu Rosenberg und dem von ihm repräsentierten Neuheidentum keine Konstante in Hitlers Politik, sondern Hitler nahm diesbezüglich immer Rücksicht auf seine außenpolitischen Beziehungen zu Mussolini, der wiederum Rücksichten auf den Vatikan zu nehmen hatte. Mit der ersten großen deutschen Kirchenaustrittsbewegung der Geschichte, die 1937 begann, standen Rosenbergs "Mythus", sowie Rosenbergs "Dunkelmänner"-Schrift und "Protestantische Rompilger"-Schrift in engem Zusammenhang. Alle diese Schriften wurden damals in hohen Auflagen verkauft und breit in der Öffentlichkeit diskutiert.
[Bearbeiten] Misserfolge im Ämterchaos
1924 setzte der inhaftierte Hitler Rosenberg als Stellvertreter ein. Rosenberg gründete die Großdeutsche Arbeitsgemeinschaft als Ersatz für die zu dieser Zeit verbotene NSDAP. 1929 gründete er den Kampfbund für deutsche Kultur. 1930 zog er als Abgeordneter der NSDAP für Darmstadt in den Reichstag ein, wo er sich vor allem im Auswärtigen Ausschuss engagierte.
1933 wurde Rosenberg zum Leiter des Außenpolitischen Amtes der NSDAP ernannt. Zugleich hatte Hitler Joachim von Ribbentrop zu seinem außenpolitischen Berater gemacht, der nun mit dem Auswärtigen Amt, Hermann Göring und Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht um Mitsprache und Einfluss in der Außenpolitik rivalisierte. In diesem NS-typischen Kompetenzenwirrwarr vermochte Rosenberg weder in der Konzeptionierung noch in der praktischen Umsetzung der Außenpolitik eine Rolle zu spielen. Dementsprechend unzufrieden war Hitler. Am 28. Juli 1933 notierte Joseph Goebbels: „Er [Anm.: Hitler] spricht scharf gegen Rosenberg. Weil er alles und nichts macht. V.B. ist saumäßig. Er sitzt in seinem ‚Außenpolitischen Amt‘, wo er auch nur Murks macht.“
Im Juni 1933 ernannte Hitler neben 16 weiteren NSDAP-Funktionären Rosenberg zum Reichsleiter – ein Titel, der ihn zumindest formal in die NS-Führungselite und in den gleichen Rang mit Ministern erhob. Im Januar 1934 wurde er auf Vorschlag von Robert Ley von Hitler zum „Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP“ (kurz: „Amt Rosenberg“) ernannt. Doch auch hier blieb sein Einfluss gering: Rosenbergs Idee einer nationalsozialistischen Universität, der Hohen Schule der NSDAP, die als Zentrum der nationalsozialistischen ideologischen und pädagogischen Forschung gedacht war und durch Hermann Giesler gebaut werden sollte, wurde ab Kriegsbeginn nicht mehr umgesetzt.
Wichtiger für weltanschauliche Schulung und Erziehung im NS-Staat blieben weiterhin das bestehende Schul- und Hochschulwesen, dann Baldur von Schirach und seine Hitlerjugend, Robert Ley als Chef der Deutschen Arbeitsfront und des Kulturwerks „Kraft durch Freude“ sowie nicht zuletzt Joseph Goebbels als Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda. Vor diesem Hintergrund erklärt sich, dass der frustrierte Rosenberg sich darauf konzentrierte, Theaterbesucher organisatorisch zu erfassen, und dazu überging, in kindisch anmutender Weise seine Konkurrenten anzuschwärzen: Am 23. Oktober 1939 zum Beispiel beschwerte er sich bei Göring so ausführlich wie folgenlos über eine stilistisch missglückte Goebbels-Rede: „Auch der Hinweis darauf, dass der Zahn der Zeit auf eine Wunde kein Gras wachsen lassen würde, ist in dem Zusammenhang nicht als eine Ironie auf eine Sprachform von Churchill gemeint, sondern nur eine weitere blumenreiche Ausdrucksweise des Ministers für Volksaufklärung und Propaganda, die schlimmer ist als die seit Jahren belachten Kathederblüten zerstreuter deutscher Professoren.“
1937 wurde Rosenberg mit dem Deutschen Nationalpreis für Kunst und Wissenschaft ausgezeichnet.
[Bearbeiten] Verbrechen während des Zweiten Weltkrieges
Wirklichen Einfluss auf die Politik des Deutschen Reiches erlangte Rosenberg erst im Verlauf des Zweiten Weltkrieges. Ab 1939 verantwortete er die Plünderung jüdischer Archive und Bibliotheken für das „Institut zur Erforschung der Judenfrage“. Ab Oktober 1940 leitete er den Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR), den Hitler per Führerbefehl zu umfangreichen Beschlagnahmungen von Kunstschätzen in den besetzten Gebieten ermächtigt hatte. Insgesamt wurden 1.500.000 Eisenbahnwaggons mit Raubgut nach Deutschland transportiert. Darunter befand sich auch das Bernsteinzimmer aus dem Katharinenpalast bei Sankt Petersburg.
Nach dem Angriff auf die Sowjetunion wurde Rosenberg 1941 zum Reichsminister für die besetzten Ostgebiete (Baltikum, Weißrussland und Ukraine) ernannt und war mitverantwortlich für die Ghettoisierung von Juden sowie letztlich deren Ermordung. Seine Machtbefugnisse in den Ostgebieten nahmen sich allerdings bescheiden aus gegenüber denen eines Erich Koch, dem Reichskommissar für die Ukraine oder eines Hinrich Lohse, dem Reichskommissar für das Ostland. Bei der Wannseekonferenz wurde Rosenberg von seinem Staatssekretär Gauleiter Alfred Meyer und Reichsamtsleiter Georg Leibbrandt vertreten.
Rosenberg wurde von den Alliierten bei Kriegsende in Flensburg gefangen genommen, kam vor das Nürnberger Kriegsverbrechertribunal, wo er wegen Verschwörung, Verbrechen gegen den Frieden, Planung, Eröffnung und Durchführung eines Angriffskrieges, Kriegsverbrechen sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt, für schuldig befunden und zum Tode verurteilt wurde. Das Urteil stützte sich bezüglich der Verschwörung auf Rosenbergs Funktion als „anerkannte[r] Parteiphilosoph“ und bezüglich der Verbrechen gegen den Frieden auf Rosenbergs Tätigkeit als Leiter des Außenpolitischen Amtes. Er hatte insbesondere die Angriffe auf Dänemark und Norwegen mitzuverantworten. Bezüglich der Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezog sich das Gericht auf Rosenbergs Funktion im Einsatzstab Reichsleiter und im Ostministerium. Zudem wurde ihm Mittäterschaft bei der Beschaffung von Zwangsarbeitern nachgewiesen.
Rosenberg ließ niemals ein Schuldeingeständnis verlauten, sondern versuchte vielmehr, wie die meisten anderen Mitangeklagten, die Schuld auf das inzwischen verstorbene Trio Adolf Hitler, Heinrich Himmler und Martin Bormann abzuschieben und sich selbst aus der Verantwortung zu ziehen. Rosenberg war bis zum Schluss Anhänger der Idee des Nationalsozialismus. Noch im Gefängnis schrieb er:
- „Der Nationalsozialismus war eine europäische Antwort auf die Frage eines Jahrhunderts. Er war die edelste Idee, für die ein Deutscher die ihm gegebenen Kräfte einzusetzen vermochte. Er war eine echte soziale Weltanschauung und ein Ideal blutbedingter kultureller Sauberkeit.“
Am 1. Oktober 1946 wurde Alfred Rosenberg zum Tode verurteilt und mit neun weiteren Verurteilten am 16. Oktober in Nürnberg hingerichtet.
[Bearbeiten] Die Wahrnehmung der Bedeutung Rosenbergs in der Nachkriegszeit
Das Bild Rosenbergs war lange Zeit starken Schwankungen unterworfen. Bei seinen Zeitgenossen und während der unmittelbaren Nachkriegszeit galt der Verfasser des „Mythus“ als dämonischer Meisterdenker, als mörderisch-kühler Intellektueller der Partei und ihr Chefideologe. In einer 1934 in Paris erschienenen antifaschistischen Porträtsammlung wurde gar vermutet: „Hitler befiehlt, was Rosenberg will“.
Dieses Bild blieb bis in die 1960er Jahre unwidersprochen. Dann formulierte Joachim Fest sein oben zitiertes Urteil, das unter anderem auf den (wenngleich erst später herausgegebenen) Erinnerungen Albert Speers basierte. Dieser zitierte zum Beispiel, dass Rosenberg von Hitler nur als „engstirniger Balte, der furchtbar kompliziert denke“ abgetan worden sei – seine Bedeutung schien also nicht so groß gewesen zu sein, wie bis dato vermutet worden war. Im selben Jahr wie Fests „Gesicht des Dritten Reiches“ war auch Ernst Noltes „Der Faschismus in seiner Epoche“ erschienen, in dem konstatiert wurde, dass der Nationalsozialismus in seinem Wesenskern eine Reaktion auf den als Bedrohung wahrgenommenen Kommunismus und daher gar keine Ideologie aus eigenem Recht sei. Für einen „Chefideologen“ blieb da kein Platz mehr.
In eine ähnliche Richtung zielten institutionen- und strukturgeschichtlich orientierte jüngere deutsche Historiker der späten 1960er Jahre (die angelsächsische Geschichtswissenschaft legte weiterhin den Forschungsschwerpunkt auf das Problemfeld Ideologie, wurde aber in Deutschland kaum rezipiert). Reinhard Bollmus und Hans-Adolf Jacobsen arbeiteten gerade anhand der von Rosenberg geleiteten Ämter und Dienststellen heraus, dass der Nationalsozialismus eben keinen monolithischen Führerstaat errichtet hatte, sondern eine Polykratie ohne klare Hierarchie, in der sich Personen, Ämter und Behörden gegenseitig bekämpften. Rosenbergs offenkundige Misserfolge in diesem Ämterchaos verstärkten den Eindruck, dass es sich bei ihm um keinen bedeutenden Mann gehandelt haben könne.
Das änderte sich erst 2005. In der quellengesättigten Biographie Rosenbergs von Ernst Piper wird der Schwerpunkt nicht mehr, wie in den fünfziger Jahren, auf den leicht greifbaren, aber wenig einflussreichen „Mythus“ gelegt, sondern auf die große Rolle, die Rosenberg als Produzent von antisemitischer Ideologie und Propaganda, etwa dem „Völkischen Beobachter“ und anderen Publikationsorganen hatte. Seine weit verbreiteten Verschwörungstheorien, seine täglich nachzulesende Hetze gegen alles Jüdische, seine paranoide, aber fürchterlich wirkungsvolle Gleichsetzung von Judentum und Sowjetregime rechtfertigen für Piper den lange verfemten Begriff des „Chefideologen“, den sein Buch nun sogar im Untertitel führt.
[Bearbeiten] Literatur
[Bearbeiten] Quellen und zeitgenössische Literatur
- Härtle, Heinrich (Hrsg.): Großdeutschland. Traum und Tragödie. Rosenbergs Kritik am Hitlerismus. Selbstverlag H. Härtle, München (2. Aufl.) 1970 [Die letzten Aufzeichnungen, „Memoiren“, Alfred Rosenbergs aus dem Nürnberger Gefängnis 1946. Titel und Untertitel nicht von A. Rosenberg.]
- Hart, Franz Th.: Alfred Rosenberg. Der Mann und sein Werk. Lehmann, München 1933
- Oepke, Albrecht: Der Mythus. Rosenbergbetrachtungen. Deichert, Leipzig 1935
- Rosenberg, Alfred: An die Dunkelmänner unserer Zeit. Eine Antwort auf die Angriffe gegen den „Mythus des 20. Jahrhunderts“. (Aufl. 620.000) 1937
- Rosenberg, Alfred: Protestantische Rompilger. Der Verrat an Luther und der „Mythus des 20. Jahrhunderts“. Hoheneichen-Verlag, (1. Aufl.) München 1937
- Rosenberg, Alfred: Letzte Aufzeichnungen. Nürnberg 1945/46 Ideale und Idole der Nationalsozialistischen Revolution. Jomsburg-Verlag, Uelzen 1996, ISBN 3-931637-01-8, (2. Auflage)
[Bearbeiten] Forschungsliteratur
Die kenntnisreichsten Rosenberg-Spezialisten sind der amerikanische Historiker Herbert P. Rothfeder, der bereits 1963 seine Dissertation auf der Basis der damals in den USA lagernden Akten vorgelegt hat, sowie der Trierer Historiker Reinhard Bollmus, dessen Dissertation von 1968 im Mai 2006 im Oldenbourg Wissenschaftsverlag wieder aufgelegt worden ist. Der Neuauflage angefügt ist ein bibliographischer Essay von Stephan Lehnstaedt, die den aktuellen Forschungsstand komprimiert.
- Baumgärtner, Raimund. Weltanschauungskampf im Dritten Reich. Die Auseinandersetzung der Kirchen mit Alfred Rosenberg. Mainz 1977.
- Bollmus, Reinhard: Das Amt Rosenberg und seine Gegner. Studien zum Machtkampf im nationalsozialistischen Herrschaftssystem. Oldenbourg, München 2006, ISBN 3-486-54501-9 (2. Auflage)
- Bollmus, Reinhard: Alfred Rosenberg. Chefideologe des Nationalsozialismus? in: Smelser, Ronald (Hrsg.): Die braune Elite. 22 biographische Skizzen. Band 1. Wissensch. Buchges., Darmstadt 1989, S. 223–235
- Brenner, Hildegard: Die Kunstpolitik des Nationalsozialismus. Reinbek bei Hamburg 1963
- Cecil, Robert: The Myth of the Master Race. Alfred Rosenberg and Nazi Ideology. Batsford, London 1972, ISBN 0-7134-1121-X
- Fest, Joachim C.: Das Gesicht des Dritten Reiches : Profile einer totalitären Herrschaft. Serie Piper, München 1997 (5. Auflage), ISBN 3-492-21842-3. (Der Band entstand 1963 aus einer Reihe für den Rundfunk)
- Hans-Adolf Jacobsen: Nationalsozialistische Außenpolitik 1933 – 1938. Metzner, Frankfurt/M 1968
- Iber, Harald: Christlicher Glaube oder rassischer Mythus. Die Auseinandersetzung der Bekennenden Kirche mit Alfred Rosenbergs: „Der Mythus des 20. Jahrhunderts“. Verlag Peter Lang GmbH, Frankfurt/Main 1987
- Jerke, Birgit: Wie wurde das Neue Testament zu einem sogenannten Volkstestament „entjudet“? Aus der Arbeit des Eisenacher „Instituts zur Erforschung und Beseitung des jüdischen Einflusses auf das deutsch kirchliche Leben“. In: Leonore Siegele-Wenschkewitz (Hg.): Christlicher Antijudaismus und Antisemitismus. Theologische und kirchliche Programme Deutscher Christen. Haag + Herchen Verlag, Frankfurt/M. 1994, S. 201 – 234
- Kroll, Frank-Lothar: Alfred Rosenberg. Der Ideologe als Politiker. In: Deutschbalten, Weimarer Republik und Drittes Reich. Herausgegeben von Michael Garleff. Böhlau, Köln 2001, ISBN 3-412-12199-1, S. 147–166
- Lehnstaedt, Stephan: Das Amt Rosenberg und seine Gegner - 35 Jahre danach (bibliographischer Essay), in: Reinhard Bollmus Das Amt Rosenberg und seine Gegner, 2. Auflage (2006), S. 361-374
- Meyer zu Uptrup, Wolfram : Kampf gegen die „jüdische Weltverschwörung“. Propaganda und Antisemitismus der Nationalsozialisten 1919 bis 1945. Metropol Verlag, Berlin 2003, ISBN 3-932482-83-2
- Piper, Ernst: Alfred Rosenberg - Hitlers Chefideologe. Blessing Verlag, München 2005, ISBN 3-89667-148-0
- Rothfeder, Herbert P.: A Study of Alfred Rosenberg’s Organization for National Socialist Ideology. Michigan, Phil. Diss. 1963 [University Microfilms, Ann Arbor].
- Rothfeder, Herbert P.: Amt Schrifttumspflege: A Study in Literary Control, in: German Studies Review. Vol. IV, Nr. 1, Febr. 1981, S. 63–78
[Bearbeiten] Siehe auch
Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg
[Bearbeiten] Weblinks
- Literatur von und über Alfred Rosenberg im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Biographie des Biographisch-Bibliographischen Kirchenlexikons
- Rosenberg-Biographie des Deutschen Historischen Museums
- Rosenberg-Biographie von „Shoa.de“
- tagesspiegel.de Informative Rezension des Buchs von Ernst Piper
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Personendaten | |
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NAME | Rosenberg, Alfred |
KURZBESCHREIBUNG | Politiker des Nationalsozialismus |
GEBURTSDATUM | 12. Januar 1893 |
GEBURTSORT | Reval |
STERBEDATUM | 16. Oktober 1946 |
STERBEORT | Nürnberg |