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Sperrdifferenzial - Wikipedia

Sperrdifferenzial

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Sperrdifferenziale bzw. -tiale ersetzen normale Differenzialgetriebe in einem mehrspurigen Kraftfahrzeug und dienen dazu, Schlupf (im Extremfall Durchdrehen) am Rad mit der geringeren Bodenhaftung zu vermindern oder verhindern, indem sie entweder den Antriebsstrang versteifen (Drehzahlausgleich vermindern) oder das Drehmoment auf das Rad mit der besseren Bodenhaftung verteilen.

Die Terminologie der Begriffe 'Sperrdifferenzial' und 'Differenzialsperre' ist historisch bedingt:

  • Eine Differenzialsperre besteht aus einem normalen Differenzial und einer mechanischen Sperre (z. B. Klauenkupplung), die unter schweren Bedingungen (Geländefahrt, Eis, usw.) manuell zugeschaltet wird und das Differenzial außer Funktion setzt und beispielsweise verblockt, so dass die vom Differenzial bekannte Ausgleichsfunktion nicht mehr gegeben ist. Man nennt diese Form der Sperre auch „100%-Sperre“ (mehr dazu später).
  • Das Sperrdifferenzial ist ein Ausgleichsgetriebe (Differential) mit konstruktiv verschlechtertem Wirkungsgrad und bremst die Ausgleichsbewegung. Dabei entsteht vor allem Reibungswärme. Das Sperrdifferential wird vor allem in der Schweiz auch als 'Differenzialbremse' bezeichnet.

Die Differenzialsperre ist so gesehen ein Spezialfall des Sperrdifferenzials mit 100% Sperrwirkung und das normale (offene) Differenzial ist ein Spezialfall mit 0% Sperrwirkung.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Zweck eines Sperrdifferenzials

Es gibt eine Reihe von Situationen, in denen ein Sperrdifferential vorteilhaft ist:

  • Anfahren unter schwierigen Bedingungen, Geländefahrt: Das Sperrdifferential leitet das Antriebsmoment von einem durchrutschenden Rad auf das Rad mit der besseren Bodenhaftung um und verbessert so die Traktion.
  • Start an Einmündungen, z.B. Ausfahrt von der Tankstelle: Beim Anfahren mit starkem Beschleunigen (z.B. auf eine bevorrechtigte Straße) wird verhindert, dass das kurveninnere Rad abhebt und durchdreht. So kann die Leistung auf die Straße geleitet und das Fahrzeug sicher in den Verkehr eingefädelt werden.
  • Geradeauslauf: Eine gesperrte Achse läuft besser geradeaus, als eine ungesperrte. Daher reduziert sich die Wirkung beispielsweise von Seitenwind oder der Bernoulli-Effekt beim schnellen vorbeifahren an Lkw.
  • Handling bei sportlich gefahrenen Kurven: Bei hoher Querbeschleunigung wird das kurveninnere Rad entlastet und das kurvenäußere Rad belastet. Dadurch schlupft das innere Rad stärker, bis es so schnell dreht, wie das kurvenäußere Rad. Das Sperrdifferential verhindert nun, dass es durchdrehen kann und damit den Leistungsfluß auf die Straße unterbricht. Neben der höheren Kurvengrenzgeschwindigkeit untersteuert das Fahrzeug weniger, weil die ungleichmäßige Kraftverteilung an den Rädern ein Giermoment um die Fahrzeughochachse erzeugt, das ein Eindrehen (Übersteuern) begünstigt. Ist die Sperrwirkung auch im Schiebebetrieb vorhanden, so kehren sich die Kraftflüsse um, das entstehende Giermoment bewirkt ein verstärktes Untersteuern und damit ein Stabilisieren des Fahrzeuges. Diese Charakteristik wird gezielt im Rennsport genutzt.

Als Traktionsdifferenziale kommen vor allem 100%-Sperren (also Differenzialsperren) und mit Einschränkungen auch Visco-Kupplungen in Frage. Um das Handling zu verbessern, empfehlen sich drehmomentfühlende Sperren mit geringem Sperrwert.

[Bearbeiten] Abgrenzung zur Antriebsschlupfregelung

Sperrdifferentiale sind nicht mit Antriebsschlupfregelungen zu verwechseln, allerdings sind normale Differentiale Bestandteil von solchen Antriebsschlupfregelungen und durch die große Verbreitung von Elektronischen Stabilitätsprogrammen (ESP) bieten Antriebsschlupfregelungen vor allem zusammen mit drehmomentfühlenden Sperrdifferentialen Vorteile.

Die Antriebsschlupfregelungen werden aufgrund der Übersetzung aus dem Englischen (Traction Control) auch 'Traktionskontrollen' genannt, herstellerspezifische Bezeichnungen sind z. B. ASC, ASR. Sie sind inzwischen Bestandteil des elektronischen Fahrstabilitätssprogrammes des Fahrzeuges (ESP). Diese Lösungen ahmen teilweise den Effekt des Sperrdifferenzials nach, haben aber auch Nachteile, denn im Vergleich zu Sperrdifferenzialen

  • bremsen diese Systeme Motorleistung in erheblichem Umfang weg, was bei schwerem Gelände und im sportlichen Einsatz nachteilig ist, und sie
  • sind (derzeit noch) von geringerer Regelgüte.

Traktionskontrollen, die über einen Bremsen- und teilweise Motoreingriff (Leistungsdrosselung) wirken, können daher als kostengünstige Vorstufe zum Sperrdifferenzial gesehen werden. Ihr Vorteil gegenüber einfachen Sperrdifferenzialen liegt neben den geringeren Kosten darin, dass sie durch die elektronische Steuerung angepasst reagieren können, um einerseits Traktion und andererseits Stabilität sicherzustellen.

[Bearbeiten] Nachteile von einfachen (mechanischen) Sperrdifferenzialen

Einfache Sperrdifferenziale reagieren auf unterschiedliche Drehzahlen und Drehmomente ohne Rücksicht auf die Ursachen. In manchen Situationen ergeben sich deshalb Nachteile.

  • Viele Bauarten (insbesondere Varianten mit Reibscheiben, sogenannte LSDs) unterliegen einem starken Verschleiß, sodass die Sperrwirkung mit zunehmender Kilometerleistung abnimmt und irgendwann praktisch nicht mehr vorhanden ist.
  • Bei bestimmten Bauarten ist oft eine Trennkupplung erforderlich, um es mit einem Antiblockiersystem (ABS) oder ESP kompatibel zu machen, weil ansonsten die Rückwirkung zwischen einzelnen Rädern die Regelung erschwert oder unmöglich macht.
  • Sperren reagieren empfindlich auf Bereifung mit unterschiedlichem Abrollumfang (z.B. durch unterschiedlichem Luftdruck, verschiedener Profiltiefe), weil sie zu Differenzdrehzahlen führen und erhöhten Verschleiß zur Folge haben. So ist die Fahrgeschwindigkeit und Fahrstrecke mit Noträdern eingeschränkt.
  • Bei Kurvenfahrt mit geringem Radschlupf können sie zu einem verstärkten Untersteuern führen, weil den hier erforderlichen Drehzahlunterschieden entgegengewirkt wird.

Elektronisch gesteuerte Sperrdifferenziale können angepasst reagieren und diese Nachteile vermeiden.

Bei offenen Achsdifferenzialen übertragen beide Räder gleich viel Drehmoment, dadurch entsteht kein Giermoment um die Hochachse des Fahrzeugs. Bei Sperrdifferenzialen kann es auch zu einer asymmetrischen Aufteilung der Achsantriebskraft kommen. Es entsteht ein Giermoment, das der Fahrer gegebenenfalls mit Gegenlenken kompensieren muss. Dadurch ergeben sich weitere Effekte:

  • Bei einem Vorderachssperrdifferenzial kann der Zugkraftunterschied für den Fahrer am Lenkrad spürbar werden. Aus Komfortgründen wird deshalb an der Vorderachse meist nur ein geringer Sperrwert gewählt.
  • Bei Fahrzeugen mit Hinterachssperrdifferenzial kann plötzlich auftretende, einseitige Glätte den Fahrer überraschen. Ohne rechtzeiges Gegenlenken bewirkt das Giermoment ein Eindrehen des Fahrzeuges hin zur glatteren Fahrbahnseite und begünstigt damit ein Schleudern.

[Bearbeiten] Einbauort

Dabei gibt es – wie beim normalen Differenzial – zwei Anwendungsbereiche für ein Sperrdifferenzial:

  • Zwischen den beiden Rädern einer Achse als 'Achsdifferenzial';
  • Zwischen den Achsen als 'Zentraldifferenzial', 'Mittendifferential' oder 'Längsdifferenzial', welches hinter dem normalen Wechselgetriebe (Handschaltung, Automatik, sequentielles Getriebe, ...) in einem zusätzlichen Verteilergetriebe eingebaut ist.

[Bearbeiten] Mechanik der Sperre

[Bearbeiten] Bauarten

Von der mechanischen Seite lassen sich Sperrdifferenziale in mehrere Typen untergliedern:

  • Bei drehmomentfühlenden Sperrdifferenzialen (wie z. B. Torsen A / B / C, GKN Super LSD, Helical LSD, Sensitorque wie auch einige Lamellensperrdifferenziale und schrägverzahnte Klauenkupplungen) hängt die Sperrwirkung vom übertragenen Moment ab. Im Prinzip wird auf die Seite mit dem geringeren Schlupf immer das x-fache Moment der anderen Seite übertragen. Das Verhältnis x wird dann als TBR (s.u.) bezeichnet. Varianten wie z.B. Powertrax LockRight ermöglichen eine unabhängige 100% Sperrwirkung für ein oder beide Räder.
  • Bei drehzahlfühlenden Sperrdifferenzialen (insbesondere Viskokupplungen, fliehkraftbetätigte Sperren und herstellerspezifische Bauprinzipien wie GKN ViscoLok oder Fuji AYC) hängt die Sperrwirkung von der Differenzdrehzahl der Räder ab. Je größer die Drehzahldifferenz, um so größer ist die Sperrwirkung. ABS und ESP müssen angepasst werden, häufig ist eine zusätzliche Trennkupplung oder ein Freilauf nötig.
  • Bei einer Festwertsperre wird die Sperre vorgespannt, so dass auch ohne Drehzahldifferenz und ohne Antriebsmoment schon eine Sperrwirkung vorliegt. Diese einfache Form der Sperre wird fast nur noch in Kombination mit anderen Sperrentypen verwendet und dort häufig durch Vorspannung mit einer Feder realisiert.
  • Bei elektronisch gesteuerten Sperrdifferenzialen wird die Wirkung und der Einsatz der Sperre von einem Fahrdynamik-Regler im Fahrzeug gesteuert. Derzeit ist die Verbreitung noch gering (z. B. Porsche Cayenne / VW Touareg, Land Rover Discovery, Ferrari F430), aber in der Zukunft werden hier die größten Marktpotenziale vermutet.

Mechanischen Sperren sind stets eine Kombination dieser Grundtypen.

Zu diesen Kombinationen gehort auch das automatische Sperrdifferenzial (ASD, SA-Code 211) von Mercedes. Es handelt sich hierbei um ein drehmomentfühlendes Lamellen-Sperrdifferenzial, das zusätzlich über eine elektronische Steuerung vollständig kraftschlüssig gesperrt werden kann. Dadurch bietet es Wirkungsgradvorteile gegenüber dem Bremseneingriff einer Antriebsschlupfregelung, d.h. weniger Antriebsleistung geht verloren. Über die ABS-Drehzahlsensoren registriert ASD einen Schlupf (Drehzahlunterschied) an der angetriebenen Hinterachse und beaufschlagt das integrierte Lamellen-Sperrdifferenzial (Grundsperrwert etwa 30%) im Hinterachsmittelstück hydraulisch mit Druck. ASD sperrt in diesem Moment zu 100% und macht aus dem Sperrdifferenzial eine kraftschlüssige Differenzialsperre. Ein gelbe Kontrolleuchte in Form eines Warndreiecks im Tachometer zeigt die Aktivität des Systems an. Beim Bremsen wird die volle Sperrwirkung sofort aufgehoben. Das System arbeitet bei Geschwindigkeiten bis zu ca. 30 km/h und fand Verwendung in den 4-, 5-, & 6-Zylindermodellen der Baureihen W126, W140, W129, W124, W201, sowie bei den allradgetriebenen 4MATIC Modellen des W124.

Eine Sonderform sind Differenziale mit nicht konstanter Übersetzung, die beispielsweise in Baumaschinen zum Einsatz kommen. Durch die periodisch schwankende Übersetzung des Ausgleichsgetriebes werden an den Rädern unterschiedliche Drehmomente erzeugt.

[Bearbeiten] Sperrwert und Charakteristik

Ein normales Differenzial ohne Sperrwirkung wird auch als offenes Differenzial bezeichnet. Idealerweise können die beiden Räder frei drehen, die Reibungsverluste im offenen Differenzial wären dann 0 (praktisch gesehen verhalten sich auch offene Differenziale wie drehmomentfühlende Sperren mit geringem Sperrwert). Bei einem Sperrdifferenzial versucht man, den Wirkungsgrad des offenen Differenzials zu verschlechtern.

Die Charakteristik einer Sperre wird über den Sperrwert (in %) und bei drehmomentfühlenden Sperrdifferenzialen auch über den 'Torque Bias Ratio' (TBR, Drehmomentverhältnis) bestimmt. Konstant ist der Sperrwert / TBR nur bei reinen drehmomentfühlenden Differenzialen. Dazu betrachtet man die Drehmomente, die auf das linke und das rechte Rad übertragen werden. Beim offenen Differenzial kann das Drehmoment rechts (MR) nicht anders sein, als das Drehmoment (ML) beim linken Rad, im Idealfall des reibungsfreien, offenen Differenzials ist der Sperrwert = 0% und der TBR = 1. Bei für drehmomentfühlenden Ausgleichsgetrieben mit symmetrischer (50:50) Drehmomentaufteilung ist der TBR gleich dem Kehrwert des Standgetriebe Wirkungsgrades. Beispielsweise weist ein Ausgleichsgetriebe mit einem Wirkungsgrad von 50% einen TBR von 2,0 auf.

Die allgemeinen Formeln für symmetrische Differenziale lauten:

S = \frac {|M_L-M_R|}{(M_L+M_R)} [Sperrwert, Wertebereich zwischen 0%...100%]
TBR = \frac{max(M_L, M_R)}{min(M_L, M_R)} [Torque Bias Ratio, Wertebereich zwischen 1...\infin]

Formeln zur Umrechnung zwischen beiden Werten:

S = \frac{TBR - 1}{TBR + 1}, \qquad TBR = \frac{1 + S}{1 - S}

Sperrwert bzw. TBR sind nur bei drehmomentfühlenden Sperren und bei Festwertsperren konstant.

[Bearbeiten] Fahrzeuge mit Sperrdifferential

Auswahl von Fahrzeugen, die ein vollwertiges Sperrdifferential besitzen:

Heckantrieb

Frontantrieb

Allradantrieb

Alle Audi Modelle mit differenzialgesteuerten (permanentem) Allradantrieb besitzen im Längsdifferenzial entweder eine 100%ige manuelle Differentialsperre (ältere Modelle bis 1985), eine elektronisch gesteuerte Lamellensperre (Audi V8 Automatik) oder ein Torsen Sperrdifferenzial (restliche Modelle)

[Bearbeiten] Weblinks

Animierte Grafiken von Sperrdifferenzialen und Hintergrundinformationen: www.ArsTechnica.de

Andere Sprachen

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