König Lear
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König Lear (Originaltitel: King Lear) gilt als eine der herausragendsten Tragödien aus der Feder William Shakespeares. Das Entstehungsjahr ist mutmaßlich 1605. Das Stück wurde am 26. Dezember 1606 am englischen Hof uraufgeführt. Der erste Druck liegt in der Quartoausgabe von 1607/1608 William Shakespeare: His True Chronicle of the life and death of King Lear and his three Daughters vor. Auch in der Folioausgabe von 1623 ist das Stück unter dem Titel The Tragedie of King Lear enthalten.
Der Plot selbst basiert auf der legendären Figur Llyr, einem König Britanniens aus der vorrömischen Epoche. Die Sage selbst war zur damaligen Zeit bereits in Erzählungen, Gedichten und Versen sowie zu Dramen verarbeitet. Ihre Grundstruktur findet sich z.B. in der englischen Ausgabe der spätmittelalterlichen Exempelsammlung Gesta Romanorum. Shakespeare entwickelte keine neue Geschichte.
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[Bearbeiten] Charaktere
König Lear ist Herrscher Britanniens. Seine patriarchalische Herrschaft führt zu einer Ungerechtigkeit gegenüber seiner Tochter und führt zu seinem Untergang.
Goneril ist die durchtriebene Tochter König Lears und die Gattin des Herzogs von Albany.
Regan ist die zweite Tochter Lears und Gattin des Herzogs von Cornwall.
Cordelia (lat. „das rechte Herz“) ist die jüngste Tochter Lears.
Der Herzog von Albany ist der Gatte Gonerils. Goneril verachtet ihn für seine „milchige Zuvorkommenheit“. Er selbst wendet sich später gegen seine Frau.
Der Herzog von Cornwall ist der Gatte Regans. Er ist ein Verräter. Er wird nach einem Angriff auf den Earl von Gloucester durch einen seiner Diener angegriffen und verletzt.
Der Earl von Gloucester ist der Vater Edgars und hat einen unehelichen Sohn, Edmund. Edmund intrigiert gegen Edgar, sodass Edgar fliehen muss - unter dem Alias Tom of Bedlam.
Der Earl von Kent ist ein Getreuer Lears, wird von diesem aber ins Exil verbannt, nachdem er gegen dessen Verhalten gegenüber Cordelia protestierte. Er selbst nimmt einen Alias an und dient dem König weiter, ohne dass diesem die Identität bekannt wird.
Edmund ist Gloucesters unehelicher Sohn. Er arbeitet zusammen mit Goneril und Regan an seinen Ambitionen. Er ist einer der von Shakespeare am düstersten und charismatischsten ausgestalteten Schurken.
Edgar ist der eheliche Sohn des Earl von Gloucester. Unter der Maske des Tom von Bedlam hilft er seinem blinden Vater. Am Ende des Stückes wird er zum Herrscher über das Königreich.
Oswald ist der Diener Gonerils und ist ein williger Schurke und versucht Gloucester zu töten, wird aber von Edgar umgebracht.
Der Hofnarr dient Lear und Cordelia. Er taucht auf, ohne dass klar wird, welche Rolle er spielt. Vermutlich verließ Cordelia nie England, sondern betrieb als Hofnarr Mummenschanz. Nach dem Tod Cordelias wird Lear klar, dass sie sein Narr war.
[Bearbeiten] Handlung
Der alternde König Lear beschließt, da er sich ein ruhigeres Leben ohne die Verantwortung eines Königs wünscht, sein Reich unter seinen drei Töchtern Goneril, Regan und Cordelia aufzuteilen. Hierzu veranstaltet er einen 'Liebestest', um zu erfahren, welche seiner Töchter ihn am meisten liebt. Er erwartet, dass Cordelia, die jüngste, als Sieger hervorgehen wird und er ihr somit den größten Teil seines Reiches vermachen kann. Cordelia durchkreuzt seinen Plan jedoch und verweigert sich dem Test. Während ihre Schwestern ihrer (angeblichen) Liebe zu ihrem Vater verbal Ausdruck verleihen, sagt sie schlicht, dass sie ihn genau so liebe, wie eine Tochter ihren Vater zu lieben hat - nicht mehr und nicht weniger. Aufgebracht verstößt Lear seine jüngste Tochter und teilt ihren Anteil unter den beiden älteren auf. Cordelia heiratet den König von Frankreich und verlässt Britannien. Goneril und Regan beschließen, sich ihres lästigen Vaters zu entledigen, verschwören sich gegen ihn und treiben ihn hinaus in einen Sturm. Lediglich von zwei treuen Dienern (dem Narren und Kent) und dem als Tom von Bedlam verkleideten Edgar begleitet, befindet er sich nun in der Heide und wird verrückt. Zwischenzeitlich ist auch der Earl von Gloucester von seinem unehelichen Sohn Edmund heimtückisch betrogen worden, der ihn mit Hilfe von gefälschten Briefen annehmen lässt, dass sein ehelicher Sohn Edgar ihn ermorden wolle. Mit dem Versuch Lear zu helfen, zieht Gloucester den Zorn von Goneril und Regan auf sich und es werden ihm die Augen ausgestochen. Cordelia erfährt von ihres Vaters Leid, kehrt mit der französischen Armee nach Britannien zurück, wo sie auf die Britische Armee treffen und gegen sie verlieren. Edmund, um dessen Liebe sich nun Regan und Goneril streiten, nimmt Lear und Cordelia gefangen. Er befiehlt ihren Tod. Goneril vergiftet erst ihre Schwester Regan und begeht dann Selbstmord. Obwohl Gonerils Gatte, der Herzog von Albany versucht, Cordelia zu retten, wird diese gehängt. Dies wiederum kann Lear nicht ertragen. Nachdem er durch seine Verrücktheit Erkenntnis sowohl über sich selbst als auch über andere erlangt, stirbt auch er.
[Bearbeiten] Kritik
Bekannt geworden ist das Urteil L. N. Tolstois, das Stück sei: „vernunftwidrig, ein schlechtes nachlässig geschriebenes Werk“; alle Personen darin „leben, denken, sprechen und handeln völlig unangemessen“ und ohne jeden glaubwürdigen oder wahrscheinlichen Zusammenhang. Aber auch Verteidiger Shakespeares wie H. Rothe haben fundamentale Verständnisprobleme angezeigt: „Das ‚Empörende‘ an Lear war und ist, daß man nicht mehr weiß, was man mit den auftretenden Personen anfangen und wie man sie einschätzen soll.“
Im Gegensatz dazu A. W. Schlegels Sicht, die in einem großen Schwung alle Schwierigkeiten (historischer Kontext, innere Logik) überfliegt, aber die vielleicht maßgebliche moderne Deutung geworden ist: „Der Pessmismus des Hamlet ist hier weit überboten ... Selbst Shakespeares Phantasie hat sonst nie in so ungeheuren Maßen gearbeitet. Man denke an die Szene in der Hütte Lears, Edgars und des Narren, des wirklichen, des gespielten und des professionellen Wahnsinns, eine furchtbare Symphonie, in der die Menschheit, während die Erde von Gewittern bebt, ihr ganzes Leid auszuschreien scheint.“ In diesem Sinne auch etwa J. Kott (1961): „In KÖNIG LEAR gibt es nicht nur keinen christlichen Himmel, sondern auch jenen nicht den die Humanisten verkünden“. Lear sei ein „tragischer Spott über jegliche Eschatologie, über den Himmel, der auf Erden kommen soll und über den Himmel nach dem Tod. Am Schluß ... bleibt nur die blutige und leere Erde zurück.“
Anders hat die klassische Sicht im Sinne eines G. E. Lessing weniger eine verklärte Tragik im Sinn. Sie stellt ins Zentrum das Mitleiden. Das heißt sie suchte ihren Zugang vom Christlichen her und fand besonders in der aristotelischen Formel vom „Schrecken und Mitleid“ eine Bestätigung von Seiten der Autorität der Alten. So schreibt Schiller: „Wenn der hilflos kindische Lear in Nacht und Ungewitter vergebens an das Haus seiner Töchter pocht, wenn er sein weißes Haar in die Lüfte streut und den tobenden Elementen erzählt, wie unnatürlich seine Regan gewesen, wenn sein wüthender Schmerz zuletzt in den schrecklichen Worten von ihm strömt: ‚Ich gab euch alles!‘ – wie abscheulich zeigt sich uns da der Undank? wie feierlich geloben wir Ehrfurcht und kindliche Liebe!“
Nun gab das Verhalten eines Hamlet oder eines Lear dieser Sicht immer Rätsel auf. Das aristotelische „Schrecken und Mitleid“ reimt den „tragischen Tod“ der Helden nicht mit dem Verhalten eines Hamlet oder mit Lears Ausbrüchen zusammen. Während deshalb die deutsche Klassik Shakespeare durch starke Bearbeitungen für die Bühne sentimentalisierte, musste man die Fragen an das Werk selbst immer wieder liegen lassen. Goethe schreibt: „So ist es z.B. wahr, dass er [Schröder] durch Weglassung der ersten Scenen des Königs Lear den Charakter des Stücks aufgehoben; aber er hatte doch Recht, denn in dieser Scene erscheint Lear so absurd, dass man seinen Töchtern in der Folge nicht ganz Unrecht geben kann. Der Alte jammert einen, aber Mitleid hat man nicht mit ihm und Mitleid wollte Schröder erregen, so wie Abscheu gegen die zwar unnatürlichen, aber doch nicht durchaus zu scheltenden Töchter.“
Dass Lear zunächst einfach erntet, was er gesät hat, scheint in der Kritik weniger umstritten oder eigentlich problematisch. Die Frage geht eher auf die Härte seines Schicksals. Lear verliert allen Besitz und alle Würden, verliert seine Töchter, verliert seine Linie, weil ohne Erben und stirbt, mit seiner Tochter in den Armen, deren Wert er erkennt, als es zu spät ist, so dass: „Hätt ich eure Zungen und Augen, mein Jammer sprengte die Gewölbe des Himmels!“ Als wäre die Unverhältnismäßigkeit das Thema der Tragödie; denn es ist schwer zu bestreiten wenn Lear von sich selber sagt: „Ich bin einer, den mehr Sünde schlug, als daß er sündigte.“ Auch nach Schlegel ist Lears Tat ja „kein Verbrechen, sondern eine Torheit“; die „unbedachte Handlung eines launischen, jähzornigen Königs“. Wirkliche Verworfenheit wird mit dem Vice Edmund deutlich sichtbar abgegrenzt. Lessing schreibt dazu: „Edmund, der Bastard des Grafen von Gloster, im ‚Koenig Lear‘, ist kein geringerer Boesewicht, als Richard, Herzog von Gloucester, der sich durch die abscheulichsten Verbrechen den Weg zum Throne bahnte“.
Tatsächlich erinnert der übereilte und am Schein klebende alte König Lear an die Mankind (Menschheit) der älteren Bühne, um welche Sünde und Tugend mit ihren Gaben buhlen. Die Tugend (Cordelia) wirbt mit Aufrichtigkeit. Lear dreht ihr das Wort im Mund als Sünde um: „Stolz, den sie [Cordelia] Aufrichtigkeit nennt“. Anders als die Tugend ruft der Vice Edmund seine Mächte: „Helft mir, Fortuna und Raschheit!“ Die Raschheit an Lear fällt dem König Frankreichs gleich zu Eingang auf: „Wirklich seltsam, daß sie, die noch eben euer Kleinod war, Ziel eures Lobes, Balsam eures Alters, euer Bestes, Teuerstes, in diesem Nu“ das Gegenteil von allem sein soll. Zur Übereiltheit Lears passt seine Verfallenheit an Fortunas Reich. Alles, was er als König ist, hat er von ihr, von Fortuna, „gewonnen“ und wie einer, der gewonnen hat, aber nicht aufhören kann nach ihrer Gunst zu fragen, wirft Lear erneut alles in ihre Schale. Mit Lears Blindheit gegen seine Tochter Cordelia (Cordelia von lat. cor also Herz, Seele, Geist, Einsicht aber auch Mut, Berherztheit) kann also durchaus die Blindheit der Mankind auf den Herzensgrund (Luther) gemeint sein. Das berühmte „Nichts“ Cordelias entspräche dann genau der Lehre Luthers über die „guten Werke“.
Nach Schlegel ist es „eins der gewaltigsten Bildnisse menschlicher Erfindung ... wenn der alte König seine tote Tochter auf die Bühne schleppt“. Es finden sich aber viele Hinweise im Stück als auch in anderen Werken Shakespeares und in denen seiner Vorbilder (wie etwa Sophokles), die eher für die klassische Sicht Lessings als für eine romantisch-moderne sprechen. Wenn Lear in dieser Szene um seine Tochter schreit: „Ein Hund, ein Roß, eine Maus soll Leben haben, und du nicht einen Hauch? O du kehrst nimmer wieder, niemals, niemals, niemals, niemals, niemals!“, dann liegt hier in der Bilderwelt um 1600 die Pieta, die Beweinung Christi wohl näher als eine allgemeine Tragik. In diesem Sinne spricht der Edelmann zu Lear von Erlösung: „Du hast ein Kind, durch das die Welt vom grausen Fluch erlöst wird, den zwei auf sie gebracht.“ Aber auch Lear selbst: „Auf solche Opfer, o Cordelia, streuen die Götter selbst den Weihrauch.“
[Bearbeiten] Quellen des König Lear
König Llyr ist ein legendenumrankter Herrscher in Cornwall und Devonshire des heutigen Englands gewesen. Nach der Historia Britonum war Llyr als Gefangener nach Rom gekommen. Vermutlich war diese Überlieferung der Anknüpfungspunkt des Shakespeareschen Dramas. Lear könnte auch Lir, ein Gott des Meeres in der keltischen Mythologie gewesen sein; in der Sage waren Lirs Kinder, Bran und Mannanan, die angeblichen Schöpfer der Isle of Man.
Eine Quelle war sicherlich das mittelalterliche Drama, King Leir. In diesem Theaterstück waren Cordella und der König von Frankreich verkleidete Bauern, die Leir dienten. Die Volkserzählung über Lear existierte jedoch in zahlreichen verschiedenen Versionen davor. Shakespeare hatte den Stoff vermutlich sehr gut studiert. Eine weitere Quelle war die Historia Regum Britanniae, eine Chronik des Geoffrey of Monmouth, aus dem 12. Jahrhundert.
Die wichtigste Quelle Shakespeares soll aber die Zweitausgabe der Chronicles of England, Scotlande, and Irelande von Raphael Holinshed aus dem Jahre 1587 gewesen sein.
Der Name Cordelia war vermutlich von Edmund Spensers The Faerie Queene (1590) entnommen worden. Auch Spensers Cordelia stirbt durch Erhängen ebenso wie die Cordelia in König Lear.
Andere Quellen sollen A Mirror for Magistrates (1574), von John Higgins; The Malcontent (1604) von John Marston; The London Prodigal (1605); Arcadia (1580-1590), von Sir Philip Sidney sowie Montaignes Essays,die ins Englische von John Florio 1603 übersetzt wurden; weitere Quellen könnten An Historical Description of Iland of Britaine von William Harrison; Remaines Concerning Britaine von William Camden (1606); Albion's England von William Warner, (1589); und A Declaration of egregious Popish Impostures von Samuel Harsnett (1603) gewesen sein.
[Bearbeiten] Umsetzungen
Wie viele andere Shakespeare-Dramen wurde auch König Lear mehrmals verfilmt. Die älteste Verfilmung stammt aus dem Jahr 1909 und ist vom Filmpionier J. Stuart Blackton. 1953 spielte Orson Welles Lear in einem Fernsehfilm.
Als einer der besten Adpationen gilt die Version des sowjetrussischen Regisseurs Grigori Kosinzew von 1969. Die Filmmusik schrieb Dimitri Schostakowitsch.
1971 spielte Paul Scofield König Lear in einer Verfilmung von Peter Brook.
Der japanische Regisseur Akira Kurosawa verfilmte Shakespeares Werk erneut unter dem Titel Ran, der 1986 mit dem Oscar für beste Kostüme ausgezeichnet wurde und auf DVD erhältlich ist. Er versetzt das Geschehen ins Japan des 16. Jahrhunderts, wobei einige Geschehnisse den veränderten Umständen angepasst wurden. So sind die drei Töchter beispielsweise zu drei Söhnen geworden.
1987 schuf Jean-Luc Godard eine sehr eigenwillige Interpretation der Geschichte. Eine Modernisierung des Themas wurde 1997 mit dem Film Tausend Morgen versucht.
Das Drama war außerdem Grundlage für die Komödie Hobson's Coice, die unter anderem 1954 von David Lean unter dem Titel Der Herr im Haus bin ich verfilmt wurde.
Der Komponist Aribert Reimann vertonte das Drama in den 70er Jahren, seine Oper Lear wurde am 9. Juli 1978 in München uraufgeführt.
[Bearbeiten] Weblinks
- König Lear als Online-Text im Projekt Gutenberg-DE
Tragödien: Romeo und Julia | Macbeth | König Lear | Hamlet | Othello | Titus Andronicus | Julius Caesar | Antonius und Cleopatra | Coriolanus | Troilus und Cressida | Timon von Athen
Komödien: Ein Sommernachtstraum | Ende gut, alles gut | Wie es euch gefällt | Cymbeline | Verlorene Liebesmüh | Der Kaufmann von Venedig | Die lustigen Weiber von Windsor | Viel Lärm um Nichts | Perikles, Prinz von Tyrus | Der Widerspenstigen Zähmung | Die Komödie der Irrungen | Maß für Maß | Der Sturm | Was ihr wollt | Zwei Herren aus Verona | Ein Wintermärchen
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Andere Werke: Sonette | Venus und Adonis | Lucrecia | Der verliebte Pilger | Der Phoenix und die Turteltaube | Der Liebenden Klage