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Volkskunde

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Volkskunde (an Hochschulen im deutschen Sprachraum auch unter den Namen Europäische Ethnologie, Empirische bzw. Vergleichende Kulturwissenschaft oder Kulturanthropologie geführt) ist ein akademisches Fach, welches sich vorwiegend mit alltagskulturellen Phänomenen popularer Bevölkerungskreise beschäftigt. Der Schwerpunkt liegt dabei im europäischen Raum, wobei Prozesse wie Globalisierung oder Transnationalisierung, den Blick über die Grenzen Europas hinweg notwendig gemacht haben.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Gegenstandsbereich

Die Volkskunde untersucht kulturelle Phänomene der materiellen Kultur (wie z. B. Arbeitsgeräte, Bräuche, Volkslieder) sowie die subjektiven Einstellungen der Menschen zu diesen. Die Arbeitsfelder des so genannten Traditionellen Kanons (z. B. Brauch, Volkslied, Sage, Hausforschung etc.) mit ihrem Fokus auf ländliche Bevölkerungsschichten standen lange als Art Theorieersatz im Mittelpunkt volkskundlicher Forschung. Seit ihrer Neuorientierung in den 1960er- und 1970er-Jahren versteht sich die Volkskunde als eine Kulturwissenschaft, die Kultur in einem weiten und dynamischen Sinn als den gesamten Lebenszusammenhang einer bestimmten (sozialen, religiösen oder ethnischen) Gesellschaft oder gesellschaftlichen Gruppe versteht. Durch ihre Quellenvielfalt (empirische Methoden, Bildanalyse, Objektanalyse, schriftliche Quellen) kann so der räumliche, soziale und/oder historischen Kontext stets mitberücksichtigt werden.

Aufgrund der Fülle an Kulturphänomenen gibt es eine große Anzahl volkskundlicher Arbeitsfelder: Arbeiter-, Bild-, Brauchforschung, Erzähl-, Familien-, Gemeinde- und Stadt(teil-)forschung, Geräte-, Geschlechter- (bzw. Frauenforschung), Interethnische Forschung, Kleidungs- (ursprünglich Trachtenforschung), Leser- und Lesestoff-Forschung, Lied- und Musikforschung, Medien-, Medialkultur-, Nahrungsforschung, Reise- und Tourismusforschung, Volksfrömmigkeits- sowie Volksschauspielforschung. Weitere Schwerpunkte sind u. a. Bodylore, Interkulturelle Kommunikation, Museumswesen, Rechtliche Volkskunde sowie Wohnen und Wirtschaften. Im Bezug auf Museen, nach wie vor eines der wichtigsten volkskundlicher Arbeitsfelder, haben die Geräte-, die Handwerks-, und Hausforschung einen wichtigen Stellenwert. Zahlreiche sozial- und wirtschaftsgeschichtliche (Freilicht- und Industrie-) Museen wären ohne deren Ergebnisse kaum denkbar.

Meist von Problemen der Gegenwart ausgehend, ohne sich jedoch auf diese zu beschränken, thematisiert sie Kulturkontakte, -entwicklungen oder -strömungen und geht dabei sowohl empirisch als auch hermeneutisch vor. Die Beschäftigung mit Fragen des beschleunigten Wissenstransfers, der gesellschaftlichen Mobilität, der Multikulturalität und des Kulturtransfer sowie der Migration, Integration und Ausgrenzung sind einige Beispiel für moderne Forschungsthemen.

Wichtige Nachbardisziplinen der Volkskunde sind: im gegenständlichen Bereich Literatur-, Kunst- und Musikwissenschaft; bezüglich der Betrachtungsweise Alltags-, Sozial-, Wirtschaftsgeschichte, Geographie, Kultursoziologie und Sozialpsychologie; hinsichtlich des Forschungsziels Ethnologie und Kulturanthropologie.

[Bearbeiten] Methoden

Mit der Vielfalt der Forschungsfelder geht ein methodenpluralistischer Ansatz einher. Dieser beinhaltet die archivalische Quellenforschung und die Analyse materieller Kultur ebenso wie die Bildforschung, die Foto- und Filmanalyse sowie die Diskursanalyse und die Medienforschung. Als Wissenschaft mit vor allem empirischer Vorgehensweise, verwendet sie außerdem qualitative Methoden, wie die Feldforschung und die Teilnehmende Beobachtung sowie wissenschaftliche Interviews, wie das narrative Interview oder Oral History.

[Bearbeiten] Fachgeschichte

[Bearbeiten] Anfänge in der Moderne

Als zur Zeit des Humanismus in Deutschland TacitusGermania von Gelehrten wiederentdeckt wurde, begann man sich für die Lebensumstände des "einfachen Volkes" zu interessieren, indem man die Inhalte seines Werkes mit der Gegenwart verglich. Wie viele andere geisteswissenschaftliche Fächer, wuchs auch die Volkskunde letztendlich aus den am Beginn der Moderne wesentlichen Strömungen Aufklärung und Romantik. Im Zusammenhang mit der Aufklärung entstand um 1750 die aufklärerische Statistik oder Staatenkunde. Sie sah ihre Aufgabe in einer umfassenden Landesbeschreibung, welche dem absolutistischen Herrscher detailliertes Wissen über dessen Länder und Bevölkerung im Sinne der bestmöglichen Regierbarkeit und Optimierung der Wirtschaftlichkeit liefern sollte. Im Umkreise der Statistik kam um 1780 die Bezeichnung Volks- und Völkerkunde erstmals auf - beide Begriffe wurden anfangs als Synonym verwendet. Nachhaltig prägender wirkte die Romantik, deren Suche nach Natürlichem, Authentischem und Nationalem eine intensive Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte und Vergangenheit forderte. Hierin fußt das frühe Interesse beispielsweise an Mythologie, Poesie, Märchen, Sagen oder Volksliedern, wobei Johann Gottfried Herder theoretische Grundlagen und Konzepte lieferte. Wichtige Vertreter dieser Phase sind beispielsweise Achim von Arnim, Clemens Brentano oder die Brüder Grimm.

So verstanden ist die Volkskunde sowohl ein Produkt als auch ein Symptom der Moderne: Die durch die Industrialisierung beschleunigten und nicht selten als Bedrohung empfundenen gesellschaftlichen und kulturellen Veränderungen führten zu einer Beschäftigung mit scheinbar stabilen Elementen in der Kultur, welche man hauptsächlich im ländlichen Milieu zu finden glaubte.

Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts begann sich das Fach zu institutionalisieren: 1852 rief Hans von und zu Aufseß das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg für kulturgeschichtliche Sammlungen des Mittelalters sowie der frühen Neuzeit ins Leben. Sechs Jahre später (1858) begann Wilhelm Heinrich Riehl sich für eine „Volkskunde als Wissenschaft“ stark zu machen. Gut drei Jahrzehnte darauf (1889) gründet Rudolf Virchow in Berlin das (spätere) Museum für Deutsche Volkskunde, das heute Museum Europäischer Kulturen heißt; im Jahr darauf richtet Karl Weinhold (ebenfalls in Berlin) den ersten Verein für Volkskunde ein, welcher ab 1891 eine Fachzeitschrift herausgibt. Weitere Vereine und Museen entstanden in Österreich, Bayern oder der Schweiz, im 20. Jahrhundert wurde die Volkskunde schließlich universitär verankert.

[Bearbeiten] Entwicklungen im 20. Jahrhundert

Grundsätzliche Fragen – z. B. nach einer Definition für Volk oder nach der Entstehung volkstümlicher Kulturgüter – wurden erstmals 1900 in Basel von Eduard Hoffmann Krayer, John Meier u. a. erläutert. Anfang der 1920er Jahre formulierte Hans Naumann seine darauf aufbauende Theorie vom gesunkenen Kulturgut und primitiven Gemeinschaftsgut. Wie Hoffmann-Krayer vertrat Naumann eine Zweischichtentheorie – er glaubte, dass wesentliche Erscheinungsformen kulturellen Lebens stets von gehobenen Sozialschichten geschaffen und von niedrigeren lediglich übernommen werden.

Auf dem Feld der Erzählforschung war die Finnische Schule für die erste Jahrhunderthälfte tonangebend. Die Kulturraumforschung konnte sich ab 1926 vom Rheinland aus in großen Teilen des deutschen Sprachraums etablieren. Ende der 1920-er Jahre bereicherte die Schwietering-Schule mit ihrer soziologisch-funktionalistischen Betrachtungsweise die Volkskunde. Eine eher psychologische Herangehensweise vermittelte Adolf Spamer von 1936 an in Berlin.

Wissenschaftliche Axiome des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts führten ohne größere Schwierigkeiten in der Zeit des Nationalsozialismus zu einer rassisch dominierten Lehre. Eine rassistische und volkserzieherische Volkskunde, die ihren Anspruch auf Wissenschaftlichkeit völlig verlor, war das traurige Resultat. Maßgeblich waren hierfür Germanisten und Nordisten wie Otto Höfler verantwortlich. So verwundert es auch nicht, dass nach Ende des Zweiten Weltkriegs vor allem von soziologischer Seite die Forderung laut wurde, dem Fach seine Eigenständigkeit abzuerkennen.

Eine neue Hoffnung brachte jedoch bereits 1946 Richard Weiss’ Volkskunde der Schweiz mit sich, und zwar aufgrund seiner (für die damalige Zeit überaus beispielhaften) psychologisch-funktionellen Sichtweise. In der BRD und ebenso in Österreich tat man sich in der Folgezeit ungeachtet dessen äußerst schwer, die Instrumentalisierung des eigenen Faches durch die Nationalsozialisten kritisch zu reflektieren. Nicht zuletzt deshalb erschien es einzelnen Instituten wichtiger, den Gegenstandsbereich der Volkskunde neu zu definieren bzw. zu ergänzen. 1970 diskutierte man auf der so genannten Falkensteiner Tagung die verschiedenen Ideen mit dem Ergebnis eines Paradigmenwechsels: Man lehnte das damalige Verständnis von Volkskultur ab und wollte stattdessen stärker gegenwartsbezogen forschen und sich soziokulturellen Problemen widmen. Manifestiert hat sich diese Diskussion in der (im Übrigen bis heute andauernden) Debatte darüber, wie das Fach neu zu benennen sei, um solchermaßen auch nach außen hin ein Signal der selbst verordneten Neuorientierung zu setzen. Institutsumbenennungen waren die Konsequenz: Berlin, Kiel, Freiburg und Marburg entschieden sich für Europäische Ethnologie, Frankfurt am Main und Göttingen für Kulturanthropologie, Tübingen für Empirische Kulturwissenschaft, Regensburg für Vergleichende Kulturwissenschaft. Andernorts beließ man es bei dem alten Namen oder wählte eine Doppelbezeichnung, z. B. Volkskunde/Europäische Ethnologie in München und Würzburg, Europäische Ethnologie/Volkskunde in Innsbruck sowie Volkskunde und Kulturanthropologie in Graz. Derzeit gibt es 28 Universitätsinstitute im deutschsprachigen Raum (Stand: 2005).

Die Deutsche Gesellschaft für Volkskunde (DGV), die 1963 in der Kontinuität der Volkstumsforschung in Marburg gegründet wurde, führt nach eigenen Angaben die Arbeit des Verbandes der Vereine für Volkskunde (gegründet 1904) fort.

[Bearbeiten] Literatur

[Bearbeiten] Allgemein einführende Literatur

  • Hermann Bausinger, Utz Jeggle, Gottfried Korff, Martin Scharfe: Grundzüge der Volkskunde. 4. Auflage. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1999, ISBN 3-534-14230-6
  • Rolf Wilhelm Brednich (Hrsg.): Grundriss der Volkskunde. Einführung in die Forschungsfelder der Europäischen Ethnologie. 3. Auflage. Reimer, Berlin 2001, ISBN 3-496-02705-3
  • Helge Gerndt: Studienskript Volkskunde. Eine Handreichung für Studierende. (= Münchner Beiträge zur Volkskunde; Bd. 20). 3. Auflage. Waxmann, Münster u. a. 1997, ISBN 3-89325-508-7
  • Silke Göttsch, Albrecht Lehmann (Hrsg.): Methoden der Volkskunde. Positionen, Quellen, Arbeitsweisen der Europäischen Ethnologie. Reimer, Berlin 2001, ISBN 3-496-02704-5
  • Wolfgang Jacobeit (Hrsg.): Völkische Wissenschaft. Gestalten und Tendenzen der deutschen und österreichischen Volkskunde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Böhlau, Wien u. a. 1994, ISBN 3-205-98208-8
  • Wolfgang Kaschuba: Einführung in die Europäische Ethnologie. 2. Auflage. Beck, München 2003, ISBN 3-406-50462-0
  • Ingeborg Weber-Kellermann, Andreas C. Bimmer, Siegfried Becker: Einführung in die Volkskunde/Europäische Ethnologie. Eine Wissenschaftsgeschichte. (= Sammlung Metzler; Band 79). 3. Auflage. Metzler, Stuttgart und Weimar 2003, ISBN 3-476-13079-7
  • Günter Wiegelmann u.a. (Hg.): Volkskunde. Eine Einführung. Berlin 1977.
  • Harm-Peer Zimmermann (Hrsg.): Empirische Kulturwissenschaft, europäische Ethnologie, Kulturanthropologie, Volkskunde. Leitfaden für das Studium einer Kulturwissenschaft an deutschsprachigen Universitäten. Deutschland - Österreich - Schweiz. Jonas, Marburg 2005, ISBN 3-89445-351-6

[Bearbeiten] Aktuelle Diskussionen zur Orientierung des Faches

  • Peter Niedermüller: Europäische Ethnologie. Deutungen, Optionen, Alternativen. In: Konrad Köstlin, Peter Niedermüller, Herbert Nikitsch (Hrsg.): Die Wende als Wende? Orientierungen Europäischer Ethnologen nach 1989. Wien 2002, S. 27-62.

[Bearbeiten] Siehe auch

[Bearbeiten] Weblinks

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