Wüstung
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Unter einer Wüstung versteht man eine aufgegebene Siedlung oder Wirtschaftsfläche (Landwirtschaft, Handwerk, Industrie). In gemäßigten und humiden Klimaten Mitteleuropas werden diese ungenutzten Flächen im Laufe der Sukzession von Pflanzen bewachsen und zu Wald. Zeiten, in denen viele Siedlungen durch Bevölkerungsrückgang aufgegeben wurden, nennt man Wüstungsperiode (z.B. Pest, Dreißigjähriger Krieg).
Der Begriff der Wüstung wird dabei in der Regel nur innerhalb weiter bestehender Siedlungsgefüge benutzt. Aufgegebene Siedlungen vorgeschichtlicher Zeit werden daher normalerweise nicht als Wüstung bezeichnet. Auch in der Antike gab es Wüstungen, ohne dass man sie für gewöhnlich aber als solche bezeichnet. Im Meer untergegangene Ortschaften (z. B. Eidum) bezeichnet man hingegen zumeist nicht als Wüstung.
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[Bearbeiten] Siedlungswüstungen
Mit Siedlungswüstungen bezeichnet man völlig aufgegebene dörfliche Siedlungen. Ausgeprägte Wüstungsvorgänge gab es während des frühen und späten Mittelalters.
Viele Wüstungen werden nur zufällig entdeckt, weil sie von Wald oder Buschwerk überwachsen sind bzw. durch Erosion eingeflacht wurden. Manchmal machen sich verborgene oder eingeebnete Wüstungen in Luftbildern bei flachem Sonnenstand durch ihren Schattenwurf bemerkbar. Andere Arten sind aus der Luft oder mit Satelliten-Photogrammetrie erkennbar, weil sie - wie auch antike Grundmauern - Farbanomalien im Boden oder beim Bewuchs verursachen. Oftmals zeugen urkundliche Erwähnungen von Orten, die in der Folgezeit nirgendwo erwähnt werden. Dies ist ein Anzeichen für eine Wüstung in der beschriebenen Region. Weitere Indizien auf abgegangene Siedlungen können besondere Nutzungsverhältnisse sein: etwa Gartenareale weit außerhalb bestehender Siedlungen oder Unregelmäßigkeiten in der Dreizelgenwirtschaft.
Wüstungen sind kein Phänomen allein der europäischen Siedlungsgeschichte: Auch in Afrika (vor allem im Umkreis der Sahara) und in früheren Bergbaugebieten Europas kommt es aus wirtschaftlichen Gründen zu Wüstungen. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen Ortswüstungen, die sich auf die Wohn- und Wirtschaftsgebäude beziehen, und Flurwüstungen, welche die aufgegebenen Äcker und Wiesen bezeichnen. Diese können teilweise, oder total wüstfallen. (totale/partielle Orts- und Flurwüstung). Flurformenrelikte, wie Langstreifengewannflur, Wölbäcker und Lesesteinhaufen, die man heute noch unter Wäldern findet, deuten auf Flurwüstungen hin. Hohe Phosphatwerte in Bodenproben, eingesunkene Kellergruben, Hauspodien, Reste von Mauerfundamenten oder alte ehemalige Dorfbrunnen, weisen auf Ortswüstungen hin.
[Bearbeiten] Die spätmittelalterliche Wüstungsperiode und die Wüstungsursachen
Im 14./ 15. Jahrhundert sind überdurchschnittlich viele Siedlungen aufgegeben worden, wobei landschaftliche Unterschiede zu bemerken sind. Bei der Analyse der Ursachen für diese Wüstungsperiode ist zu berücksichtigen, dass es bereits zuvor zu zahlreichen Wüstungsbildungen gekommen ist, die mit der hochmittelalterlichen Umstrukturierung der ländlichen Sozial- und Wirtschaftsstrukturen (z.B. Dorfgenese, Einführung der Dreizelgenwirtschaft) zusammenhängen sowie als Folge der im 13. Jahrhundert zunehmenden Stadtgründungen zu sehen sind.
Faktoren der spätmittelalterlichen Wüstungsperiode:
- Fehlsiedlung
- Agrarkrise/ Wirtschaftskrise
- Bevölkerungsrückgang infolge der Pest
- Bauernlegen
- zunehmende Konzentration in Großdörfern
- andauerndes Wachstum der Städte
- Folgen der spätmittelalterlichen „kleinen Eiszeit“ (Mitte 15. Jahrhundert)
[Bearbeiten] Neuzeitliche Wüstungen
Bekannt ist das Phänomen auch durch sogenannte „Geisterstädte“, die oft nach kurzen Boomzeiten (Gold, Edelsteine etc.) wieder verödeten (wie Kolmanskuppe in Namibia, früher Deutsch-Südwestafrika).
Durch die Ausweisung von Truppenübungsplätzen nach 1933 im Deutschen Reich wurden größere Landstriche entvölkert. Die dort lebende Bevölkerung wurde entschädigt und umgesiedelt. Die Ortschaften sind z.T. heute noch als Ruinenfelder erkennbar. Truppenübungsplätze mit größeren Wüstungen sind Wahn in Niedersachsen, Sennelager mit Haustenbeck in Nordrhein-Westfalen, Döberitz in Brandenburg, Grafenwöhr, Münsingen mit Gruorn, Hohenfels in der Oberpfalz, Hammelburg mit Bonnland und Hundsfeld (abgesiedelt 1937/38) und Allentsteig in Niederösterreich.
Nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden durch den Eisernen Vorhang weitere Wüstungen auf dessen östlicher Seite, da grenznahe Ortschaften aus militärischen Gründen geschleift wurden.
Durch die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus Ostpreußen entstanden in den Jahren 1946 bis 1948 mehrere hundert Wüstungen. Die völlig entvölkerte Provinz wurde zwar mit Bürgern der Sowjetunion wieder belebt, allerdings betraf dies im Wesentlichen die Städte wie Königsberg, Gumbinnen oder Pillau, während kleinere Orte und Dörfer dem Verfall preisgegeben wurden.
Der unmittelbar in der Einflugschneise des Fliegerhorstes Nörvenich gelegene Ort Oberbolheim wurde 1969 zum Schutz der Bewohner vor Lärm und eventuellen Abstürzen umgesiedelt.
Untergegangene Orte, die dem Tagebau zum Opfer fielen, werden ebenfalls als Wüstung bezeichnet. So wird beispielsweise im niederrheinischen Braunkohle-Tagebau Inden nach dem „Braunkohlenplan Inden“ (RWE Power) ein 45 Quadratkilometer großes Gebiet bis 2015 erschlossen. Untergegangen sind Altdorf, Geuenich, Pattern, es folgt Pier (1.500 Einwohner). Auch Haidemühl in Brandenburg (Vattenfall) und Heuersdorf in Sachsen (Mibrag) müssen der Braunkohle weichen.
[Bearbeiten] Andere Wüstungen
Im weiteren Sinne zählt man auch aufgegebene Straßen, Eisenbahntrassen, Almen, Militärflächen und industrielle oder handwerkliche Anlagen dazu. Dafür finden sich gelegentlich Begriffe wie Wegwüstung (Altstraße) und Anlagenwüstung.
Weiterhin zu unterscheiden ist zwischen Siedlungswüstung und Feldwüstung (Flurwüstung), zwischen partieller und totaler Wüstung, sowie zwischen vorübergehender und permanenter Wüstung.
Bei der Flurwüstung wird auch das Wirtschaftsland aufgegeben - während es ansonsten bei der Aufgabe einer Siedlung von den Nachbarorten aus weiterhin genutzt wurde.
Regional bezeichnet der Begriff „Abgegangene“ eine Siedlungswüstung.
Im 20. Jahrhundert kam es in den Alpen und anderen Gebirgen zur Auflassung von Almgebieten als einer Form der Wüstung von Kulturland.
[Bearbeiten] Beispiele für Wüstungen
- Bellingen (Maingau im Odenwald)
- Bielefeld-Dünenbahn (aufgegebener Stadtteil)
- Billmuthausen
- Dangelsdorf mit Kirchenruine aus dem 14. Jahrhundert
- Alt-Dettenheim
- Deutsch-Ossig
- Dreckshausen
- Duckweiler (im 17. Jh. abgebrannt)
- Erberich
- Erlebach
- Feddersen Wierde (vorgeschichtlich)
- Franzheim
- Geuenich
- Gruorn
- Pechtelsgrün
- Haithabu
- Hohenrode
- Alt-Inden
- Landsberg in Hessen
- Laurenzberg
- Leitenhausen
- Lohn bei Eschweiler
- Luckenberg in Brandenburg an der Havel mit erhaltener Nikolaikirche (Brandenburg)
- Lürken
- Meielsheim
- Miesheim
- Neuhütte im Joachimstal (aufgegebene Glashütte und Forsthaus in Wüstenrot)
- Obermerz
- Offenbach-Lohwald (aufgegebener Stadtteil)
- Pöhl im Vogtland (alt) (wegen der Talsperre Pöhl geflutet)
- Rappolden (aufgegebener Wohnplatz in Vellberg)
- Röder (liegt ca. 1,7 km südöstlich von Roßberg, Hessen)
- Schleesen mit Ruine einer Feldsteinkirche aus dem 12. Jahrhundert
- Alt-Schulenburg (1954 wegen der neuen Okertalsperre geflutet)
- Víkarbyrgi (Färöer)
- Vöhingen, ein gegen 1350 aufgegebenes Dorf auf der Gemarkung der Gemeinde Schwieberdingen
- Weinfeld
- Wollseifen
[Bearbeiten] Siehe auch
Archäologie, Liste abgebaggerter Ortschaften, Liste deutscher Tagebaue, Liste der Wüstungen in Wien, Geisterstadt
[Bearbeiten] Weblinks
- Homepage zur Wüstungsforschung am Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Wien