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Jüdischer Friedhof Berlin-Weißensee

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Holocaust-Gedenkstätte und Arkadengang des Eingangsensembles
Holocaust-Gedenkstätte und Arkadengang des Eingangsensembles

Der Jüdische Friedhof Berlin-Weißensee ist ein Friedhof der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Er ist seit 1880 in Gebrauch. Der Friedhof gilt als der größte erhaltene jüdische Friedhof Europas.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Aufbau des Friedhofs

Bronzerelief auf der Rückseite des Grabsteins für Emil Cohn (1855-1909), einen Kohen, siehe Bildbeschreibung
Bronzerelief auf der Rückseite des Grabsteins für Emil Cohn (1855-1909), einen Kohen, siehe Bildbeschreibung

Die Anlage des Friedhofs sowie die meisten Gebäude gehen auf den Entwurf des Architekten Hugo Licht zurück. Die Gräber sind in 120 Grabfeldern angeordnet, die unterschiedliche streng geometrische Formen wie Rechtecke, Dreiecke oder Trapeze haben. Der Haupteingang befindet sich am Ende der heutigen Herbert-Baum-Straße, ein zweiter 1924 neu eingerichteter Eingang in der heutigen Indira-Gandhi-Straße ist heute geschlossen. Auf dem über 40 ha großen Friedhof befinden sich etwa 115.000 Gräber. Große Teile des Geländes sind mit Bäumen bestanden, etliche Grabfelder von Efeu überwuchert.

[Bearbeiten] Gebäude auf dem Friedhof

Das Gebäudeensemble am Haupteingang des Friedhofs wie auch die Friedhofsmauer an dieser Stelle sind aus gelben Ziegeln erbaut, allesamt im Stil der italienischen Neorenaissance. Im Eingangsbereich befinden sich links und rechts je ein zweigeschossiges Gebäude, die Friedhofsverwaltung mit dem bedeutenden Archiv und das Leichenhaus, die beide über Arkadengänge miteinander und mit der Trauerhalle verbunden sind. Diese liegt vom Eingang aus gesehen hinter den Arkadengängen und überragt die anderen Gebäude in der Höhe. Sie ist ein quadratischer Zentralbau mit drei rechteckigen Anbauten und einer halbrunden Apsis, die von einem achteckigen Tambour überwölbt wird.

Eine 1910 erbaute zweite Trauerhalle im hinteren Teil des Friedhofs sowie die große Friedhofsgärtnerei wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört.

[Bearbeiten] Gedenkstätten

Direkt am Eingangsbereich, hinter dem prächtigen schmiedeeisernen Portal, befindet sich eine Anlage zum Gedenken an die Opfer des Holocaust. In der Mitte des Rondells steht ein zentraler Gedenkstein der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, der kreisförmig von weiteren liegenden Steinen mit den Namen von Konzentrationslagern umgeben ist.

Rechts neben den Gebäuden des Eingangsbereiches beginnt die so genannte Ehrenreihe, die Gräber von besonderen Persönlichkeiten enthält. Hier befindet sich auch der Grabstein des Widerstandskämpfers gegen den Nationalsozialismus Herbert Baum. Die Leiche Baums wurde 1949, nachdem sein Grab gefunden und die Leiche exhumiert worden war, hier bestattet. Auf der Rückseite des Grabsteins sind die Namen von 27 weiteren Mitgliedern der Herbert-Baum-Gruppe aufgeführt, die 1942/43 hingerichtetet worden sind. Die Straße, die auf den Eingang des Friedhofs zuführt, trägt seit 1951 den Namen Baums.

In der Nähe des später eröffneten zweiten Eingangs gibt es ein Ehrenmal für die jüdischen Gefallenen des Ersten Weltkriegs. Das Grabfeld mit den schlichten Gräbern wurde bereits 1914 angelegt, der monumentale Gedenkstein jedoch erst 1927 eingeweiht.

[Bearbeiten] Geschichte

[Bearbeiten] Entstehung

zuwachsende Gräber
zuwachsende Gräber

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zeichnete sich aufgrund des starken Wachstums der jüdischen Gemeinde ab, dass der Friedhof in der Schönhauser Allee, den die Berliner Jüdische Gemeinde seit 1827 nutzte, bald voll belegt sein würde. Die Gemeinde erwarb deshalb ein 42 Hektar großes Gelände im damaligen Berliner Vorort Weißensee. Da die Ergebnisse eines 1876 ausgeschriebenen Architektenwettbewerbs keine zufriedenstellenden Ergebnisse brachten, mussten diese mehrfach überarbeitet werden, bevor schließlich Hugo Lichts Entwurf für den Bau der Anlage den Zuschlag erhielt. Der Entwurf beinhaltete einen Lageplan des gesamten Geländes, eine Trauerhalle, ein Leichenhaus, ein Bürogebäude und die Ummauerung samt Einfahrtstor. Der Bau erfolgte 1879/80. Am 9. September 1880 wurde der Friedhof feierlich eingeweiht. Als erster wurde am 22. September 1880 Louis Grünbaum auf dem Friedhof beerdigt.

[Bearbeiten] Kaiserzeit und Weimarer Republik

Mausoleum für Sigmund Aschrott (1826-1915); erbaut von Bruno Schmitz
Mausoleum für Sigmund Aschrott (1826-1915); erbaut von Bruno Schmitz

.

Schon bei der Gründung des Friedhofs wurden die Grabstellen eingeteilt in Erbbegräbnisse, Wahl- und Reihenstellen. Zeichneten sich frühere jüdische Friedhöfe durch relativ einheitliche einfache Gräber aus, entstanden in Weißensee bald nach der Einweihung auch Prachtgrabmale von wohlhabenden Juden der Stadt, die sich der bürgerlichen Gesellschaft im Kaiserreich angepasst hatten. Dies sollte auch auf dem Friedhof zum Ausdruck kommen, wo ähnliche Grabmale wie auch auf den großen christlichen Friedhöfen der Stadt entstanden. Neben den hebräischen Inschriften tauchten auch zunehmend, manchmal sogar ausschließlich, deutsche Inschriften auf. Damit unterschieden sie sich deutlich von den orthodoxen Juden der Gemeinde Adass Jisroel, die ebenfalls 1880 einen Friedhof in Weißensee an der nur zwei Kilometer nördlich gelegenen Wittlicher Straße anlegte. Auch Feuerbestattungen waren auf dem Weißenseer Friedhof möglich.

In der Nähe des Eingangs von der heutigen Indira-Gandhi-Straße wurde 1914 ein Ehrenfeld angelegt, auf dem im Ersten Weltkrieg gefallene jüdische Soldaten bestattet sind. Die Anlage entstand unter der Leitung des Reichsbaumeisters Alexander Beer als U-förmige Anlage mit einer übermannshohen Kalksteinmauer, die das Gelände umsäumt. Die Gräber wurden in den Rasen eingebettet und sind mit Efeu überwachsen, sie tragen sehr schlichte Grabsteine. Dazwischen stehen Pappeln und Fliederhecken. Das zu diesem Zeitpunkt bereits vorgesehene Ehrenmal wurde erst 1927 aufgestellt, auch dieses wurde von Alexander Beer entworfen. Es handelt sich dabei um einen 3 Meter hohen Monolithen aus Muschelkalk, der auf einem plattenbedeckten Platz der Abschlussterasse des Ehrenfeldes steht.

[Bearbeiten] Zeit des Nationalsozialismus

Die Judenverfolgung der Nazi-Diktatur hinterließ auch ihre Spuren auf dem Friedhof. Aus Verzweiflung über die Verfolgung und bevorstehende Deportationen nahmen sich viele jüdische Einwohner Berlins das Leben, was dazu führte, dass die Zahl der Bestattungen im Jahr 1942 ihren Höhepunkt erreichte. Insgesamt sind auf dem Friedhof 1907 Juden begraben, die sich zwischen 1933 und 1945 selbst das Leben genommen haben. Es gibt auch ein Grabfeld, auf dem die Asche von 809 Juden begraben ist, die in Konzentrationslagern ermordet wurden. Auf anderen Grabsteinen findet man die Namen von sehr viel mehr Opfern des Holocaust, vorwiegend Familienangehörigen wurde so gedacht.

überwuchertes Mausoleum
überwuchertes Mausoleum

Im Frühjahr 1943 versteckten Mitglieder der Jüdischen Gemeinde Berlin 583 Thorarollen in der 1910 errichteten Neuen Feierhalle im Südostteil des Friedhofes. Diese wurde durch eine Brandbombe im Sommer 1943 so stark beschädigt, dass die Thorarollen nur teilweise aus den Trümmern geborgen werden konnten. Etwa 90 der heiligen Schriften waren so stark verbrannt oder zerstört, dass sie nur noch in unmittelbarer Nähe zur Blumenhalle am Haupteingang beerdigt werden konnten. Die restlichen Thorarollen wurden bis zum Ende des Krieges in einem Keller unter der Blumenhalle verwahrt und später den Synagogen in Berlin, der Bundesrepublik Deutschland und anderen Ländern Europas übergeben.

Bis Anfang der 1940er Jahre wurden in der Friedhofsgärtnerei Juden zu Gärtnern ausgebildet, um sich nach ihrer beabsichtigten Auswanderung vor allem nach Palästina eine neue Existenz aufbauen zu können. In der Zeit der Deportationen bot der Friedhof auch untergetauchten Juden vorübergehend Unterschlupf. Mit den Bombenangriffen auf Berlin trafen in den Jahren 1943 bis 1945 eine größere Anzahl von Bomben auch den Jüdischen Friedhof. Dabei wurden an die 4000 Gräber beschädigt; die Friedhofsgärtnerei und die Neue Feierhalle wurden weitgehend zerstört.

[Bearbeiten] Nach dem Zweiten Weltkrieg

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die meisten Juden Berlins entweder ermordet oder ausgewandert. Ab 1955, als die West-Berliner jüdische Gemeinde ihren eigenen Friedhof in der Heerstraße weihte, wurde der Friedhof nur noch von der sehr kleinen Ost-Berliner Gemeinde genutzt, die mit seiner Pflege völlig überfordert war, so dass die Gräber zusehends verfielen. Auch hatte die Ost-Berliner Stadtverwaltung wie insgesamt die DDR-Führung zunächst kein Interesse an der Bewahrung dieses jüdischen Erbes. 1977 jedoch erkannte der Ost-Berliner Magistrat den Friedhof als „Denkmal der Kulturgeschichte“ an. In der Folge übernahm der Magistrat die Personalkosten für die Pflege des Friedhofs und setzte auch das Stadtgartenamt bei der Beseitigung von Schäden und der Wiederherstellung von Wegen und Grabanlagen ein. Auch Studentengruppen und Gruppen der Aktion Sühnezeichen arbeiteten auf dem Friedhof.

Eine andere Gefahr für den Friedhof bestand in den 1980er Jahren in den Plänen der DDR, eine Schnellstraße als Fortsetzung der Kniprodestraße zur neu gebauten Hansastraße über Teile des Friedhofes zu führen. Die Straße sollte eine auch heute im Berliner Stadtplan ablesbare Schneise benutzen, die, weil sie bereits damals für einen Straßenbau vorgesehen war, nie Eigentum der Jüdischen Gemeinde war und so auch nicht mit Gräbern belegt ist. Um den Friedhof nicht in zwei Teile zu zerschneiden, erhoffte sich die jüdische Gemeinde den Bau einer Hochstraße. Wohl aus außenpolitischen Erwägungen wurden die Pläne dann aber fallengelassen.

Das stärkere Engagement in den 1980er Jahren wie auch die verstärkten Anstrengungen nach der Wiedervereinigung 1990 reichen jedoch nicht aus, um den Verfall zu stoppen. Waren in den 1920er Jahren etwa 200 Angestellte für die Pflege des Friedhofs zuständig, so gab es in den 1980er Jahren nur 16 feste Angestellte. Nach der Wende wurden es noch weniger, die durch ABM-Kräfte aufgestockt wurden. Die Jüdische Gemeinde schätzt den Finanzbedarf zur Restaurierung auf 40 Millionen Euro.

Aus Anlass des 125. Jahrestages der Eröffnung des Friedhofes richtete die Jüdische Gemeinde zu Berlin im September 2005 einen Appell an die Bundesregierung, sich stärker für den Erhalt des Friedhofs zu engagieren und schlug vor, ihn in die UNESCO-Welterbeliste eintragen zu lassen. Diese Forderung wurde auch vom Berliner Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit unterstützt.

Auf dem Friedhof sind seit 1988 die letzten erhaltenen Grabsteine und alten Gedenktafeln des jüdischen Friedhofs Große Hamburger Straße in Berlin-Mitte notdürftig gelagert. Sie befinden sich in der nunmehr neu belegten Querschneise, vom Eingang links und den Erbbegräbnissen an der Mauer folgend. Es handelt sich um die ältesten erhaltenen Dokumente der 1671 neu gegründeten Berliner Gemeinde - 20 Steine aus seinen ersten Jahren seit 1672. Die barocken Denkmäler waren um 1880 in die Südmauer des alten Friedhofs eingelassen worden und hatten so die Zerstörung des Friedhofs 1943 überstanden. Die zum Zweck der Restaurierung vom alten Friedhof entfernten Grabsteine sind jedoch bis heute (2006) nicht restauriert worden. Einer der Grabsteine lagert in einem inzwischen aufgegebenen Steinmetzbetrieb in Weißensee. Einige weitere Steine und zahlreiche Fragmente, Überreste des verwüsteten Friedhofs, befinden sich ebenfalls in Weißensee.

[Bearbeiten] Bedeutende Persönlichkeiten, deren Gräber sich auf dem Friedhof befinden

[Bearbeiten] Siehe auch

[Bearbeiten] Literatur

  • Alfred Etzold, Joachim Fait, Peter Kirchner, Heinz Knobloch: Die jüdischen Friedhöfe in Berlin. Henschel Verlag Berlin 1991, ISBN 3-362-00557-8
  • Klaus Konrad Weber, Peter Güttler, Ditta Ahmadi (Hrsg.): Berlin und seine Bauten. Teil X Band A: Anlagen und Bauten für die Versorgung (3) Bestattungswesen. Verlag von Wilhelm Ernst & Sohn, Berlin 1981, ISBN 3-433-00890-6
  • Regina Borgmann, Dietmar Strauch: Der Jüdische Friedhof in Berlin-Weißensee. Ein Wegweiser durch seine Geschichte, progris, Berlin 2003, ISBN 3-88777-019-6
  • Peter Melcher: Weißensee. Ein Friedhof als Spiegelbild jüdischer Geschichte in Berlin. Haude und Spener, Berlin 1986, ISBN 3-7759-0282-1
  • Michael Brocke, Eckehart Ruthenberg, Kai Uwe Schulenburg: Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland (Neue Bundesländer/DDR und Berlin), Berlin 1994, S.156-193, ISBN 3-923095-19-8

[Bearbeiten] Weblinks

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Commons: Jüdischer Friedhof Berlin-Weißensee – Bilder, Videos und/oder Audiodateien

Koordinaten: 52° 32′ 41″ N, 13° 27′ 30″ O

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