Judentum in der Schweiz
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Das Judentum war in der Schweiz bereits vor der Gründung der Eidgenossenschaft heimisch geworden, ist aber bis heute Glaube und Kultur einer winzigen Minderheit geblieben.
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Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Geschichte
Die ersten Juden gelangten vermutlich mit den Römern in das Gebiet der heutigen Schweiz. Im Mittelalter waren sie zunehmenden Verfolgungen ausgesetzt. So wurde 1294 in Bern unter dem Vorwand, Juden hätten einen Knaben ermordet, ein Teil der jüdischen Bevölkerung gerädert und der überlebende Rest aus der Stadt vertrieben. Der Knabe wurde später unter dem Namen Rudolf von Bern als Märtyrer verehrt.
Als im Spätmittelalter in der Schweiz Pestepidemien ausbrachen, wurden die Juden beschuldigt, sie hätten Brunnen vergiftet und vielerorts auf dem Scheiterhaufen verbrannt, u.a. in Bern, Solothurn, Basel und Zürich. Die überlebende jüdische Bevölkerung wurde des Landes verwiesen, und so gab es in der Schweiz bis ins 19. Jahrhundert fast keine Juden.
Eine Ausnahme waren die beiden aargauischen Dörfer Endingen und Lengnau, wo Juden seit dem 17. Jahrhundert als fremde Schutzgenossen Wohnsitz nehmen durften und wo deshalb mit 553 Personen Ende des 18. Jahrhunderts fast die gesamte jüdische Bevölkerung der Schweiz lebte. Die meisten Kenntnisse über das Schweizer Judentum der damaligen Zeit verdanken wir dem reformierten Zürcher Pfarrer Johann Caspar Ulrich und seiner 1768 in Basel herausgegebenen Sammlung Jüdischer Geschichten, welche sich mit diesem Volk in dem XIII. und folgenden Jahrhunderten bis auf MDCCLX. in der Schweiz von Zeit zu Zeit zugetragen.
Die Französische Revolution, der Einmarsch der Franzosen im Jahre 1798 und die Helvetik leiteten für die Schweizer Juden die Wende zur Emanzipation ein. In der Bundesverfassung von 1848 wurden die Juden aber immer noch diskriminiert, denn die Niederlassungs- und Kultusfreiheit sowie Gleichheit im Gerichtsverfahren galt darin nur für christliche Schweizer.
Auf internationalen Druck hin, besonders von Seiten Frankreichs und der USA, wurde den Juden endlich mit der Verfassungsrevision von 1874 die volle Gleichberechtigung gewährt. Breite Kreise in der Schweiz blieben jedoch antijüdisch gesinnt, was sich z.B. 1893 in der Annahme einer Volksinitiative für ein Verbot des Schächtens zeigte. 1894 begann im Nachbarstaat Frankreich die Dreyfus-Affäre, die Theodor Herzl zu seinem 1896 veröffentlichten Buch Der Judenstaat bewegte, in dem er einen eigenen Staat für die Juden forderte und den Zionismus begründete. Unter Herzl fand dann bereits 1897 in Basel der erste Zionistische Weltkongress statt.
In einem Gerichtsprozess, der zwischen 1933 und 1935 in Bern stattfand, wurden die antisemitischen Protokolle der Weisen von Zion zur Schundliteratur erklärt und deren Herausgeber zu einer Geldstrafe verurteilt. Das Urteil vom Mai 1935 wurde jedoch im November 1937 aus formaljuristischen Gründen kassiert. Als Gerichtssachverständiger war am damaligen Prozess Carl Albert Loosli beteiligt, der den Antisemitismus bereits 1927 in der Schrift Die schlimmen Juden! bekämpft hatte.
Im Zweiten Weltkrieg wurden an den Schweizer Grenzen mindestens 30'000 Personen abgewiesen, darunter auch viele Juden. Die Schweiz hat jedoch nach neuen Erkenntnissen den berüchtigten J-Stempel für Juden in der Nazizeit nicht erfunden. Die Zeitschrift «Beobachter» korrigierte jetzt einen 1954 erschienenen Artikel, der seitdem in der Debatte über den Umgang der Schweiz mit jüdischen Flüchtlingen eine entscheidende Rolle gespielt hatte. Damals hatte das Blatt berichtet, die Initiative zur Einführung des berüchtigten J-Stempels in den Pässen deutscher Juden sei 1938 vom damaligen Schweizer Polizeichef Heinrich Rothmund ausgegangen. Neue historische Erkenntnisse belegen jedoch, daß die Idee von deutscher Seite gekommen war. Rothmund habe sich zunächst sogar dagegen gestellt.
[Bearbeiten] Bevölkerungsentwicklung 1860–2000
Nach den seit 1860 durchgeführten Volkszählungen hat sich die Anzahl der Personen, die sich zum jüdischen Glauben bekannten (1860 und 1870 wurden "Israeliten und andere Nichtchristen" gezählt und 1870 und 1880 nur die ortsanwesende Bevölkerung), im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung wie folgt entwickelt:
Jahr | Personen | % |
---|---|---|
1850 | 3 145 | 0,1 |
1860 | 4 216 | 0,2 |
1870 | 6 996 | 0,3 |
1880 | 7 373 | 0,3 |
1888 | 8 069 | 0,3 |
1900 | 12 264 | 0,4 |
1910 | 18 462 | 0,5 |
1920 | 20 979 | 0,5 |
1930 | 17 973 | 0,4 |
1941 | 19 429 | 0,4 |
1950 | 19 048 | 0,4 |
1960 | 19 984 | 0,4 |
1970 | 20 744 | 0,3 |
1980 | 18 330 | 0,3 |
1990 | 17 577 | 0,2 |
2000 | 17 914 | 0,2 |
[Bearbeiten] Gegenwart
Die jüdische Bevölkerung konzentriert sich heute auf die Städte, wo es auch orthodoxe Gemeinden wie die Zürcher Agudas Achim gibt. Die politische Organisation der Schweizer Juden ist der 1904 gegründete Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG).
[Bearbeiten] Orte mit jüdischen Gemeinden
- Baden
- Basel
- Israelitische Gemeinde Basel
- Israelitische Religionsgesellschaft Basel
- Bern
- Biel/Bienne
- Bremgarten
- La Chaux-de-Fonds
- Endingen
- Freiburg
- Genf
- Communauté Israélite Genève
- Communauté Israélite Libérale Genève
- Kreuzlingen
- Langenthal
- Lausanne
- Lugano
- Luzern
- St. Gallen
- Solothurn
- Vevey und Montreux
- Winterthur
- Zürich
- Israelitische Cultusgemeinde Zürich (ICZ)
- Israelitische Religionsgesellschaft Zürich (IRGZ)
- Jüdische Gemeinde Agudas Achim Zürich
- Jüdische Liberale Gemeinde Or Chadasch Zürich
Die Gemeinden von Pruntrut, Yverdon, Avenches, Davos und Delsberg haben sich infolge Mitgliedermangels aufgelöst.
[Bearbeiten] Synagogen
[Bearbeiten] Friedhöfe
[Bearbeiten] Sonstiges
- Tachles (schweizerisch-jüdische Wochenzeitung)
- Aufbau (schweizerisch-jüdische Monatszeitung)
- Jüdisches Museum der Schweiz
[Bearbeiten] Prominente Schweizer Juden
- Julius Bär (1857–1922), Bankier
- Bruno Bloch (1878–1933), Dermatologe
- Camille Bloch (1891–1970), Schokoladenfabrikant
- Ernest Bloch (1880–1959), Komponist
- Felix Bloch (1905–1983), Physiker und Nobelpreisträger
- Rosa Bloch-Bollag (1880–1922), Vorkämpferin der Arbeiterbewegung
- Max G. Bollag (1913–2005), Kunsthändler und Original
- Martine Brunschwig Graf, Staatsrätin im Kanton Genf
- Albert Cohen (1895–1981), Schriftsteller
- Arthur Cohn, Filmproduzent
- Ruth Dreifuss, erste Bundespräsidentin
- Albert Einstein, Physiker mit Schweizer Pass
- David Farbstein (1868–1953), Nationalrat
- Sigi Feigel (1921–2004), Rechtsanwalt und Kämpfer gegen den Rassismus
- Konrad Feilchenfeldt, Literaturwissenschaftler
- Victor Fenigstein, Komponist und Klavierpädagoge
- Edmond Fleg (1874–1963), französischer Schriftsteller schweizerischer Herkunft
- Jonas Fränkel (1879–1969), Literaturwissenschaftler
- Hans Goldmann (1899–1991), Ophthalmologe
- Samuel H. Goldstein, Physiker
- Kurt Guggenheim (1896–1983), Schriftsteller
- Meyer Guggenheim (1828–1905), Stammvater der US-Milliardärsfamilie Guggenheim (siehe auch: Guggenheim-Museum)
- Paul Guggenheim (1899–1977), Völkerrechtler
- Willy Guggenheim, genannt Varlin (1900–1977), Maler
- Jeanne Hersch (1910–2000), Philosophin
- André Kaminski (1923–1991), Schriftsteller
- Dani Levy, Schauspieler und Regisseur
- Charles Lewinsky, Drehbuchautor (Fascht e Familie)
- Ernst Levy (1895–1981), Komponist
- Ralph Lewin, Regierungsrat im Kanton Basel-Stadt
- Rolf Liebermann (1910–1999), Komponist
- François Loeb, Unternehmer (Loeb) und Nationalrat
- Mieczyslaw Minkowski (1884–1972), Neurologe
- Tadeus Reichstein (1897–1996), Chemiker und Nobelpreisträger
- Lothar Rothschild (1909 - 1974) Rabbiner
- Pierre Rothschild (1952) Medienunternehmer
- Roger Schawinski, Medienunternehmer
- Alfred Stern (1846–1936), Historiker an der ETH Zürich
- Fritz Strich (1882–1963), Literaturwissenschaftler
- Jossi Wieler, Theaterregisseur
- Bea Wyler, erste Rabbinerin Deutschlands
- Ralph Zloczower, Zentralpräsident des Schweizerischen Fussballverbands
[Bearbeiten] Schweizerische "Gerechte unter den Völkern"
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Bezeichnung Gerechter unter den Völkern verwendet, um nichtjüdische Personen zu bezeichnen, die ihr Leben dafür einsetzten, um Juden vor dem Holocaust zu retten. In der Schweiz gehörten u.a folgende Personen zu diesen "Gerechten":
Siehe auch: Gerechter unter den Völkern#Schweizer Träger der Ehrung (Auswahl)
[Bearbeiten] Literatur
- Augusta Weldler-Steinberg, Geschichte der Juden in der Schweiz vom 16. Jahrhundert bis nach der Emanzipation, bearbeitet und ergänzt von Florence Guggenheim-Grünberg, 2 Bände, Zürich 1966 und 1970
- Claude Kupfer / Ralph Weingarten, Zwischen Ausgrenzung und Integration. Geschichte und Gegenwart der Jüdinnen und Juden in der Schweiz, Zürich 1999
- Robert Uri Kaufmann (Hrsg.): Bibliographie zur Geschichte der Juden in der Schweiz, München 1993
[Bearbeiten] Filme
- Eine Synagoge zwischen Tal und Hügel, Regie Franz Rickenbach, Kamera Pio Corradi, Produktion CH 1999, Dauer 139 Min.
- Matchmaker – Auf der Suche nach dem koscheren Mann, Regie Gabrielle Antosiewicz, Kamera Michael Spindler, Produktion CH 2005, Dauer 70 Min.
[Bearbeiten] Weblinks
- Artikel Judentum im Historischen Lexikon der Schweiz
- Artikel Ausnahmeartikel im Historischen Lexikon der Schweiz
- Artikel Schächtverbot im Historischen Lexikon der Schweiz
- Artikel Jiddisch im Historischen Lexikon der Schweiz
- Artikel Hebräisch im Historischen Lexikon der Schweiz
- Artikel Switzerland in der Jewish Encyclopedia (englisch)
- Arbeitsgemeinschaft für die Erforschung der Geschichte der Juden im süddeutschen und angrenzenden Raum