Kirchen und Religionsgemeinschaften im Nationalsozialismus
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Das Thema Religion während der Zeit des Nationalsozialismus wird in diesem Beitrag nach Religionen und Konfessionen differenziert. Auch religiöse Formen des Nationalsozialismus werden betrachtet.
Nach der Machtübernahme kam es zu einer umfangreichen Kircheneintrittsbewegung in Deutschland. Ganze SA-Abteilungen traten wieder geschlossen in die Kirche ein, ließen sich kirchlich trauen und ihre Kinder taufen. Dieses enge Zusammengehen von Kirche und Staat dauerte allerdings nicht lange an. Zwischen 1937 und 1940 traten schließlich in den Ausmaßen ähnlich viele Menschen in Deutschland und Österreich aus den Kirchen aus wie nach 1969 und nach 1989, den dann folgenden Kirchenaustrittsbewegungen.
[Bearbeiten] Jüdische Religion
Hauptartikel: Shoa
Die Anhänger der jüdischen Religion wurden von der nationalsozialistischen Regierung bis zum Tod verfolgt. Jüdische Gotteshäuser wurden 1938 während der Novemberpogrome in der von den Nazis so genannten "Reichskristallnacht" zerstört. Viele Synagogen wurden von der SA in Brand gesteckt, Torarollen geschändet und zerstört, jüdische Familien in KZs deportiert. Viele starben dort aufgrund von Misshandlungen oder wurden weiter in ein Vernichtungslager transportiert. Als Mitglieder einer so genannten "jüdischen Rasse" wurden von den Nationalsozialisten auch Christen gesehen, wenn sie aufgrund der Nürnberger Gesetze als jüdisch galten.
Insgesamt wurden unter den Nationalsozialisten ca. 6 Millionen europäische Juden in den Vernichtungslagern ermordet.
[Bearbeiten] Evangelische Kirche
Unter den evangelischen Christen Deutschlands gab es sowohl Befürworter als auch Gegner des Nationalsozialismus. Eine Gruppe von Befürwortern nannte sich Deutsche Christen. Sie verbanden ihre nationale Sicht vom Christentum mit dem Nationalsozialismus und gingen so weit, beweisen zu wollen, dass Jesus von Nazareth "Arier" war (Der Bibel nach war Jesus von Geburt aus Jude). Als Mitbruder sahen sie nur "Volksgenossen" an. Anders Denkende wurden in der Evangelischen Kirche durch die Gleichschaltung mit Hilfe der Deutschen Christen aus der offiziellen Kirche gedrängt. So genannte "Nichtarier" unter ihren Pfarrern wurden von evangelischen Gemeinden entlassen (z.B: Pfarrer Katz, Hechingen). Die Kirchenbücher wurden für die "Ariernachweise" zur Verfügung gestellt.
Um der Gleichschaltung entgegenzutreten gründete der Pfarrer Martin Niemöller den Pfarrernotbund (aus dem die "Bekennende Kirche" hervorging), deren Anhänger Widerstand leisteten, indem sie beispielsweise weiterhin christliche Jugendarbeit betrieben oder unter Lebensgefahr Juden versteckten. Somit entstand auf evangelischer Seite 1938 das Büro Grüber, dass sich auf die Unterstützung der Juden konzentrierte. Im Dezember 1940 wurde das Büro geschlossen und Pfarrer Grüber verhaftet, sowie viele seiner Mitarbeiter, die ihren Einsatz meist mit ihrem Leben bezahlten. Vereinzelt wandten sich Pfarrer gegen die Novemberpogrome von 1938 (z.B. Julius von Jan aus Oberlenningen). Die Hitler-Jugend behinderte die Kirchen- und Gemeindearbeit.
[Bearbeiten] Katholische Kirche
Vor der Machtergreifung distanzierte sich der deutsche Episkopat vom Nationalsozialismus, indem er den Katholiken verbot sich in der NSDAP zu engagieren und NS-Verbänden untersagte, bei kirchlichen Prozessionen mitzumarschieren. Nach der Wahl Hitlers zum Reichskanzler gab es jedoch Versuche seitens der römisch-katholischen Kirche (nicht zuletzt mit dem Abschluss des Reichskonkordats), sich mit dem Regime in Anerkenntnis der existierenden Machtverhältnisse zu arrangieren. Es gab Bischöfe, die Adolf Hitler zur Wahl gratulierten, aber auch entschiedene Gegner; so predigte der Bischof von Münster, Clemens August Graf von Galen, gegen das Euthanasieprogramm der Nationalsozialisten. Im Laufe der Zeit wurde die katholische Kirche mehr und mehr behindert. Neben den Kommunisten, Sozialdemokraten (den "Roten") und den Juden und anderen so genannten Nichtariern galten die "schwarzen Pfaffen" als Feinde des NS. Die katholische Jugendarbeit wurde erst behindert, dann verboten. Pius' XI. Enzyklika Mit brennender Sorge verurteilte die Rassen- und Staatsideologie des Dritten Reiches. Sie prangerte den von den Nazis nicht erfüllten Teil der Konkordats-Abmachungen an. 3000 katholische Priester deutscher, aber auch anderer, insbesondere polnischer Nationalität, waren insbesondere im KZ Dachau interniert. Umstritten ist das "Schweigen" von Papst Pius XII. in den Jahren des Holocaust. Unbestritten ist aber, dass der Papst Tausende von Juden in Italien vor dem Zugriff der NS-Häscher retten ließ.
[Bearbeiten] Zeugen Jehovas
Hauptartikel: Zeugen Jehovas im Nationalsozialismus
Angefangen von der Verweigerung des Hitlergrußes über die Ablehnung, an Wahlen teilzunehmen, bis hin zur Kriegsdienstverweigerung gerieten die Bibelforscher ab 1933/34 in Konflikt mit dem NS-Regime
Nach eigenen Angaben wurden mindestens 860 Kinder von ihren Eltern getrennt, um sie dem "staatsfeindlichen" Einfluss der Zeugen Jehovas zu entziehen.
Von den etwa 25.000 Zeugen Jehovas wurden etwa 13.000 inhaftiert. Etwa 2000 davon wurden in die Konzentrationslager (KZs) eingeliefert und dort seit 1938 durch einen lila Winkel auf der Häftlingskleidung als "Bibelforscher" gekennzeichnet und in den Lagern Dachau und Sachsenhausen in von anderen Häftlingen isolierten Bereichen untergebracht. In Gefangenschaft waren Zeugen Jehovas auch deshalb den Angriffen der Lagerleitung ausgesetzt, weil sie sich weigerten Produkte für Kriegszwecke herzustellen.
Ein besonderes Merkmal der Verfolgung der Zeugen Jehovas durch die Nationalsozialisten war eine Verpflichtungserklärung, die bei Abschwören des Glaubens und Verrat aller Kontakte sofortige Freiheit versprach. Man schätzt, dass in den Konzentrationslagern etwa 12 Prozent diese Erklärung unterschrieben.
Während der Anteil der Zeugen Jehovas in den KZs vor Kriegsbeginn durchschnittlich 5-10% betrug, stellten die Zeuginnen Jehovas in einigen Frauen-KZs die größte Gruppe - im Frauen-KZ Moringen zeitweise fast 90 Prozent der Inhaftierten. 1937 erstellte man in diesem Lager erstmals eine spezielle Unterlassungserklärung für weibliche Zeugen Jehovas.
Der erste exekutierte Wehrdienstverweiger war der Zeuge Jehovas August Dickmann, der am 15. September 1939 vor allen Insassen des Lagers Sachsenhausen erschossen wurde. Unter den wegen Kriegsdienstverweigerung Getöteten waren Zeugen Jehovas mit etwa 270 Opfern mit Abstand die größte Gruppe.
Man schätzt, dass insgesamt 1490 Zeugen Jehovas durch die Verfolgung der Nationalsozialisten ihr Leben verloren.
[Bearbeiten] Freie Bibelforscher
Auch die Freien Bibelforscher beteiligten sich nicht an den Wahlen und dem Personenkult um Hitler (Hitlergruß) und verweigerten ihre Mitgliedschaft in den NS-Massenorganisationen, sie entzogen sich somit der Gewissenskontrolle und den Bekenntnisritualen des NS-Staates. Die "Freie Bibelforscher-Vereinigung" wurde im November 1933 bzw. im Januar 1934 verboten und verfolgt. Angehörige dieser Gruppe wurden in den Konzentrationslagern unter dem "Lila Winkel" der Bibelforscher geführt.
Siehe auch: Freie Bibelforscher im Dritten Reich
[Bearbeiten] Die Siebenten-Tags-Adventisten-Reformationsbewegung
Von den etwa 500 Mitgliedern der Religionsgemeinschaft kamen etwa 50 in Konzentrationslager. Insgesamt verloren etwa 20 Mitglieder dieser Religionsgemeinschaft ihr Leben durch die Nationalsozialisten. Die Siebenten-Tags-Adventisten-Reformationsbewegung war die einzige Religionsgemeinschaft außer den Zeugen Jehovas, die ihre Mitgliedern bei der Kriegsdienstverweigerung unterstützte.
[Bearbeiten] Evangelische Freikirchen
Die einzelnen evangelischen Freikirchen betrieben während der NS-Zeit in ihrer großen Mehrheit einen Anpassungs- und Loyalitätskurs gegenüber dem NS-Regime, welcher seine Wurzeln einerseits in der weit verbreiteten Bejahung des Regierungswechsels 1933 und der Ablehnung der Weimarer Republik durch viele Freikirchler, andererseits in der Furcht um den eigenen Bestand hatte. Seitens des NS-Regimes und des Reichskirchenministeriums unter Hanns Kerrl wurde den protestantischen Freikirchen in den 1930er Jahren aus außenpolitischem Kalkül gegenüber den USA, dem Vereinigten Königreich und den dortigen Schwesterkirchen ein gegenüber anderen kleineren Religionsgemeinschaften größerer Spielraum zugestanden. Freikirchliche Vertreter auf internationalen Kirchenkonferenzen versuchten vielfach die Kritik ihrer Schwesterkirchen am NS-Regime und dessen Antisemitismus und Kirchenpolitik abzuschwächen oder als „Boykotthetze“ zu diskreditieren.
Die Lehren der Deutschen Christen wurden in allen Freikirchen von der großen Mehrheit der Mitgliedschaft abgelehnt, den Positionen der Bekennenden Kirche fühlte man sich vielfach inhaltlich nahe, was aber in der Praxis wirkungslos blieb. Sehr wenige freikirchliche Pastoren gehörten zu Widerstandsgruppen, so Johannes Schempp von der Evangelischen Gemeinschaft der zum Kreis um Carl Friedrich Goerdeler zählte, oder wurden, wie 1940 Walter Kuschke von der Evangelisch-Lutherischen Kirche Altpreußens, wegen NS-kritischer und defätistischer Äußerungen zu einer Haftstrafe verurteilt.
[Bearbeiten] Religiöse Gesellschaft der Freunde
Die meisten Mitglieder der Religiösen Gesellschaft der Freunde oder Quäker, waren zumeist innerhalb pazifistischer und/oder sozialistischer Gruppen aktiv und unterstützten Inhaftierte, Untergetauchte oder Flüchtlinge.
[Bearbeiten] Verbote gegen kleinere Religionsgemeinschaften
Neben den Zeugen Jehovas und der Freien Bibelforscher-Vereinigung wurden auch gegen verschiedene weitere kleinere Religionsgemeinschaften staatlicherseits während des Nationalsozialismus Organisationsverbote verhängt. Zu nennen sind hier die Christliche Gemeinschaft Hirt und Herde (1933), das Apostelamt Simeon in Jacobs Geschlecht (1934), ein Teil der freireligiösen Gemeinden (ab 1933), der Bund der Kämpfer für Glaube und Wahrheit (1935), die Evangelisch-Johannische Kirche (1935), das Apostelamt Juda (1936), die „geschlossenen“ Brüdergemeinden (13. April 1937), die Bruderhöfer (1937), die Christian Science (1937), die Neue Kirche (1941) und die Christengemeinschaft (1941).
[Bearbeiten] Religiös anmutende Formen der Nationalsozialisten
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Der Kirchenaustritt von 1937 bis 1940 war stark von "gottgläubigen" Nationalsozialisten und Diskussionen rund um kirchenkritische Schriften von Autoren wie Alfred Rosenberg (Bekenntnis: "gottgläubig" oder "deutsch-gottgläubig") und Mathilde Ludendorff (Bekenntnis: "Deutsche Gotterkenntnis (Ludendorff)") getragen. Während des Zweiten Weltkrieges gehörte die große Mehrheit der Abgeordneten des "Großdeutschen Reichstages" nicht mehr einer Kirche an.
Von Seiten der NSDAP wurde pseudoreligiöser Ersatz geboten, wozu auch nationalsozialistische Feierstunden gehörten. Statt des Herrgottswinkels gab es bald das blumengeschmückte Bild des "Führers". Weiterhin gab es Gebete, die den Führer mit dem Erlöser Jesus oder mit Gott gleichsetzten und von ihm das tägliche Brot erbaten.
Führer, mein Führer, von Gott mir gegeben,
beschütz und erhalte noch lange mein Leben!
Du hast Deutschland errettet aus tiefster Not,
Dir verdank ich mein täglich Brot,
Führer, mein Führer, mein Glaube, mein Licht,
Führer mein Führer, verlasse mich nicht!
Gebet aus einem Waisenhaus
In Todesanzeigen wurde von Gefallenen berichtet, die "im festen Glauben an ihren Führer" gestorben seien.
Auch die SS unter dem Einfluss Heinrich Himmlers hatte manchmal obskure, kultische Formen, die sich unsystematisch beim germanischen Glauben sowie beim Okkultismus, Hinduismus und Buddhismus bedienten, teilweise auch Himmlers eigenen Theorien entsprangen. Hitler selbst hielt dagegen sehr wenig von Religion im allgemeinen, obwohl er sich anfänglich gerne als Katholik gab. Das Gewissen wurde in den NS-Kulten als "jüdische Erfindung" bekämpft.
Die Rückbindung (lat. religio = "Rückbindung" an etwas Größeres) war hier nicht eine Rückbindung an Gott oder an das Nirwana wie in der Religion, sondern an einen Diktator.
[Bearbeiten] Ambivalenz der Haltung zu den Juden
Der mittelalterliche Antijudaismus, der nicht aufgearbeitet worden war, hat dem Antisemitismus und dem Nationalsozialismus den Boden bereitet. Auf der anderen Seite begründeten manche ihren Widerstand auf ihrem Glauben. Protest gegen den Nationalsozialismus und Hilfe für die Juden blieb eine Sache des persönlichen Mutes und Einsatzes unter Lebensgefahr.
[Bearbeiten] Literatur
[Bearbeiten] Zeitgenössische Literatur und Quellen
- Kraus, Hans (Hrsg.): Um Feuer und Fahne. Eine Auswahl für Fest und Feier der jungen Deutschen. Ludwig Voggenreiter in Potsdam (5. Aufl.) 1939
- Nikolaus von Preradovich; Josef Stingl: "Gott segne den Führer!" Die Kirchen im Dritten Reich - Eine Dokumentation von Bekenntnissen und Selbstzeugnissen, Leoni am Starnberger See, 2. Aufl. 1986, ISBN 3-8061-1040-9
- Ludendorff, Erich und Mathilde: Die machtvolle Religiosität des deutschen Volkes vor 1945. Dokumente zur deutschen Religions- und Geistesgeschichte 1933 - 1945. Zusammengestellt von Erich Meinecke. Verlag Freiland, Süderbrarup 2004, ISBN 3-9808689-2-3
[Bearbeiten] Forschungsliteratur
- Daniel J. Goldhagen: Die katholische Kirche und der Holocaust: Eine Untersuchung über Schuld und Sühne. Berlin 2002, ISBN 3-886-80770-3
- Gerhard Besier: Der Heilige Stuhl und Hitler-Deutschland. Die Faszination des Totalitären. Deutsche Verlags-Anstalt. München 2004, ISBN 3-421-05814-8
- Karl Zehrer: Evangelische Freikirchen und das "Dritte Reich". Vandenhoek & Ruprecht. Göttingen 1986 ISBN 3-525-55560-1
- Alexander Groß: Gehorsame Kirche - ungehorsame Christen im Nationalsozialismus. Der Widerstand katholischer Christen gegen das NS-Regime. Topos Plus, 2004, ISBN 3786785201
[Bearbeiten] Weblinks
- Die Kirchen in Deutschland 1945: Vorher und nachher - Versuch einer Bilanz
- Ernst Leuninger: „Der Widerstand von Kirchen und Christen im 3. Reich“