Heidentum
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Der Ausdruck Heidentum und der Begriff Heide werden in verschiedenen kultur- und religionsgeschichtlichen Zusammenhängen verwendet. Ursprünglich wurde er, in der Regel abwertend, für Menschen verwendet, die weder Juden, Christen noch Muslime waren.
Heute wird er verwendet für:
- eine (religiöse) Person, die kein Anhänger einer monotheistischen Religion ist,
- einen Anhänger des Polytheismus, z. B. antiker Religionen wie der Römischen Religion oder in der Moderne im Neuheidentum,
- Anhänger von indigenen Religionen.
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Etymologie
Etymologisch wird der Begriff oft von germanisch haithio (unbebautes, wildgrünendes Land, Waldgegend, Heide) abgeleitet. Die englische Entsprechung ist heathen oder pagan, von lat. paganus (Bewohner des unbebauten Landes). Da die Landbevölkerung zuletzt vom Christentum erreicht wurde, wurde die Bezeichnung für die Landbevölkerung auch zur Bezeichnung von Nichtchristen. Bereits in der Spätantike wurde das Wort paganus in der Bedeutung von "Nichtchrist" verwendet.
Die christliche Kirche entwickelte einen umfassenden, alle Menschen betreffenden Anspruch ihrer Verkündigung, und entwickelte daraus eine ungeheure Missionsdynamik. Die Bezeichnung "Heide" ist daher auch vor dem Hintergrund der Mission zu verstehen (die Städte wurden missioniert, während Landbevölkerung noch nicht christlich war). Daher spätlateinisch paganus, eigentlich "ländlich", später dann "heidnisch", daraus frz. paien, engl. pagan; ebenso das Deutsche "die Heide" als nichtstädtische Gegend. Einer anderen Angabe, der Wulfila-Bibel, zufolge leitet sich der Begriff Heiden von got. haiþno (haithno) ab, was wiederum von griechisch ta ethne (die Völker) stammt.
Diese herkömmliche Etymologie von "Heide" und paganus wird heute allerdings von einigen Gelehrten bezweifelt. Zudem verwenden viele Historiker den christlich geprägten Ausdruck "Heide" heute nicht mehr, sondern ziehen neutralere Bezeichnungen wie "Nichtchrist" oder "Altgläubiger" vor. Skandinavische Forscher bezeichneten die germanische Variante des Heidentums bereits als Asatru (Asenglauben).
Manche Gelehrte verstehen unter Heiden sämtliche naturreligiösen Menschen, andere wiederum argumentieren, der Begriff Heidentum bezeichne explizit das germanische Heidentum, da er aus dem Germanischen komme. Andere beziehen den Begriff sogar ausschließlich auf Angehörige von Hexenreligionen wie z.B. Wicca.
Arten des Heidentums
Heidentum aus nichtheidnischer Sicht
Die Juden unterschieden zwischen dem Volk Israel und den Gojim (Einzahl Goj), was in der Septuaginta mit ΕΘΝΟΣ (ethnos) übersetzt wurde. Gojim war für die Juden mit der Vorstellung von Götzendienst und sittlicher Verdorbenheit verbunden, beide Ausdrücke werden jedoch auch häufig (z.B. Genesis 35,11) neutral für die Bezeichnung und insbesondere Segnung Israels verwandt.
Die Griechen hatten die zuerst wertfreie, mit der Zeit abwertender werdende Bezeichnung ΒΑΡΒΑΡΟΣ barbaros für fremde (nicht unbedingt weniger gebildete) Völker. Barbaros bezieht sich auf die Unverständlichkeit der fremden Sprachen („Bar bar“ entspricht ungefähr dem heutigen „Bla bla“). Aber auch ΕΘΝΟΣ (ethnos, eigentlich: Volk) wurde im Sinn von Ausländer, Nichtgrieche ebenfalls abwertend verwendet.
Im Neuen Testament wird der Begriff ΕΘΝΟΣ (ethne = Völker) wie im alttestamentlichen Sinn für Nichtjuden verwendet. Er kann auch hier die neutrale Bedeutung Volk (einschließlich Israel) haben. Bei Apostel Paulus sind damit oft die Anhänger des griechischen und römischen Polytheismus gemeint, in einigen Fällen aber auch zum Christentum bekehrte Nichtjuden. Es wird unterschieden zwischen Judenchristen (zum Christentum bekehrten Juden) und Heidenchristen (zum Christentum bekehrten Anhängern anderer Religionen). Paulus von Tarsus bezeichnet sich als Apostel der Heiden (Nationen) - er ist also beauftragt, Nichtisraeliten zu lehren.
Im Christentum wird das Heidentum außerhalb der eigenen Kultur lokalisiert, als Aberglaube abgetan oder zum Missionsobjekt. Als das Christentum im späten 4. Jahrhundert zur Staatsreligion des Römischen Reiches wurde, geriet der Paganismus rasch in die Defensive, auch wenn sich heidnische Überzeugungen und Praktiken noch die ganze Spätantike hindurch finden lassen.
Auch der Islam unterscheidet zwischen den Religionen des Buchs (Christentum und Judentum), denen ein "eingeschränktes Wissen" und eine untergeordnete Toleranz zugestanden wird und den Ungläubigen, also Atheisten und Polytheisten die als Missionsobjekt verstanden werden. Anhänger polytheistischer Religionen (zum Beispiel Hindus) besitzen nach islamischem Recht keinen Rechtsstatus und genießen keinen Schutz.
Heidentum aus heidnischer (germanischer) Sicht
Das alte germanische Heidentum war keine Glaubenslehre, die auf einen Religionsstifter zurückgeht, sondern eine aus der menschlichen Gemeinschaft entstandene religiöse Sammlung von Lehrsprüchen und Mythen zur Theogonie. Diese entstand in den verwandtschaftlichen germanischen Stämmen bereits lange vor Beginn unserer Zeitrechnung. In der mündlichen Überlieferung spiegelten die als Lieder angelegten (Mythen), vor allem die Edda, zusammen mit den späteren Sagas das Selbstverständnis des Einzelnen und der Gemeinschaft wieder.
Viele der alten Lieder berichten von den Göttern; vom mächtigen Göttervater Odin (Wodan) und seiner Frau Frigg, dem Menschenfreund Thor (Donar), dem fruchtbringenden Geschwisterpaar Freyr und Freyja, dem listigen Loki und vielen anderen. Neben den Göttern sprechen die Mythen auch von Zwergen, Alben und Riesen. Nicht zuletzt die Ahnen, die Verstorbenen der eigenen Familie (Sippe / Clan), finden Platz in den Legenden.
Asatru (= den Asen treu, auf die Götter vertrauend) als neuheidnische Bezeichnung wurde erst im 20. Jahrh. von Sveinbjörn Beinteinsson (1924-1993) als eigenständige Religionsauffassung neu geprägt. Er begründete 1972 die Asatrufelagid, die in Island 1973 offiziell anerkannte heidnische Religionsgemeinschaft: „Hier in Island ist das Heidentum eine ganz normale Sache. Ich habe mehr Angst zuzugeben, dass ich rauche, als dass ich Heide bin.“ Seit Sveinbjörn hat sich der Begriff Asatru als neuheidnische Bezeichnung in (Nordwest-) Europa und in den USA eingeprägt und wird im allgemeinen als die naturreligiöse Anschauung mit germanischem Hintergrund verstanden.
Heidentum aus heidnischer (keltischer) Sicht
Das alte keltische Heidentum war eine eigene eigenständige Religion, das neue keltische Heidentum heutzutage ist ebenso eine Religion und ein Kult wie auch eine Weltanschauung. Über den alten keltischen Glauben sind nur wenige Fragmente in antiken Schriften von Tacitus, Strabo und Plutarch vorhanden, die um Christi Geburt oder kurz danach aufgeschrieben wurden. Danach sind Druide Bestandteil und Ritualleiter der Priesterkaste. In der mündlichen Überlieferung spiegeln sich Mythen hauptsächlich in alten christlichen Schriften in Deutschland, Irland und Wales wieder. In Deutschland sind als Götter der Kelten hauptsächlich Herecuna, Cissionios, Rosmerta aus Inschriften bekannt. Im Zuge des Neopaganismus lebte die keltische Religion seit etwa 1960 wieder auf (siehe Wicca) und es werden neben den historischen Gottheiten auch jene walisischer oder iroschottischer Abstammung (wie etwa Lug) verehrt. Die heutigen religiösen Gemeinschaften sind meist in Form einer heidnischen Ordensgemeinschaft organisiert. Eine grobe Schätzung allein der Priester beläuft sich weltweit auf sicher über 10.000 aktiv praktizierende in fast allen Ländern der Erde (Quelle: OBOD 2005). Regelmäßige Treffen wie der offene, im zweijährlichen Rhythmus stattfindende Heidentag sorgen auch für öffentliche Beachtung und Schlagzeilen. Im internationalen Austausch werden gemeinsame Liturgien, sowie gemeinsame Regeln erarbeitet.
Neuheidentum (Neopaganismus)
Für eine Wesensbeschreibung der klassischen Heiden aus ihrem Selbstverständnis heraus scheint die Bezeichnung heute nicht mehr sinnvoll. Zur Selbstbezeichnung wurde der Begriff am Beginn und nochmals am Ende des 20. Jahrhunderts, als im Zuge einer allgemeinen Neubewertung der Natur das Heidentum als Glaubens- und Lebenspraxis wiederentdeckt wurde. Die sogenannten Neuheiden nehmen heidnisches, oftmals animistisches Brauchtum, Rituale, und Traditionen vorchristlicher Kulturen der eigenen Region oder fremder Naturreligionen (Animismus), vor allem der keltischen Überlieferung, unter den Bedingungen heutiger Kultur wieder auf. Sie werden heute noch oft eher der esoterischen Szene und/oder animistischen Gruppierungen zugeordnet. Im Unterschied zu Stammestraditionen oder tatsächlich traditionell naturreligiösen Kulturen ist das Neuheidentum ein (post)modernes Phänomen mit subkulturellen Zügen (meist) in den westlichen Industrieländern. Allerdings ist seit 1973 die heidnische Religion (Asatru) in Island wieder eine staatlich anerkannte Religion. Auch in Norwegen und Dänemark ist Asatru heute offiziell anerkannt.
Es wird von katholischer und evangelischer Seite oft (fälschlicherweise) behauptet, dass während der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland von den Machthabern, insbesondere von Himmler und dessen Frau das (germanische) Heidentum glorifiziert und antisemitisch verklärt wurde. Dabei wird gerne übersehen, dass der Antisemitismus aus dem christlichen Antijudaismus hervorgegangen ist. Auch wurden bereits vorhandene heidnische Organisationen verboten oder unterdrückt. Die Vereinigungen Deutschvolk und Tannenbergbund der Ludendorffs wurden am 22. September 1933 verboten und durften 1937 wieder unter dem Namen Bund für Deutsche Gotterkenntnis gegründet werden. Die Germanische Glaubens-Gemeinschaft hatte ebenfalls unter starken Repressalien zu leiden. Die heute übliche Bezeichnung für Weltanschauungen außerhalb der großen Weltreligionen oder aufgeklärter Weltanschauungen ist indigene Religion oder Animismus.
Hochfeste germanischer, baltischer und keltischer Naturreligionen
Termin | germanisch | baltisch | keltisch | Alternativname |
---|---|---|---|---|
6. Februar | Disting (Lichtfest) | Perkūno diena | Imbolc | |
20. März | Ostara | Pavasario saulėgrįža | Frühjahrsäquinoktium | |
30. April | Walpurgisnacht | Beltane | Nacht auf den 1. Mai | |
21. Juni | Mittsommer | Rasa (Joninės, Lyguo) | (Eichenfest) | Sommersonnenwende |
31. Juli | Schnitterfest | Lammas | Lughnasadh | |
22. September | Herbstfest | Rudens saulėgrįža | Herbstäquinoktium | |
31. Oktober | Winternacht | Vėlinės | Samhain | |
21. Dezember | Jul, Mittwinter | Žiemos saulėgrįža, Kūčios | Wintersonnenwende |
Die angegebenen Termine können nur Richtwerte sein, da sich die Feste nach den Sonnen- und Mondständen richten.
Literatur
Siehe auch die diversen Aufsätze in Aufstieg und Niedergang der römischen Welt oder der Cambridge Ancient History und der New Cambridge Medieval History.
- R. Derolez: Götter und Mythen der Germanen Verlag F. Englisch, Wiesbaden (Für Einsteiger)
- Jan de Vries: Altgermanische Religionsgeschichte Band I+II de Gruyter, Berlin-Leipzig 1970.
- Felix Genzmer: Die Edda; Hugendubel, 2006, ISBN: 3-7205-2759-X (Übersetzung)
- Wolfgang Golther: Handbuch der germanischen Mythologie; Marixverlag, 2004; Neudruck eines Standardwerkes von 1895
- Jakob Grimm: Deutsche Mythologie; Marixverlag, 2003; ISBN 3932412249; Nachdruck des Originals von 1875–1878
- Robin Lane Fox: Pagans and Christians; New York 1987; Zusammenwirken des Heidentums und der Christen bis zur konstantinischen Wende im 4. Jahrhundert
- Thomas von Aquin: Summe gegen die Heiden (Summa contra gentiles), lateinisch – deutsch; hrsg. und übersetzt von Karl Albert und Paulus Engelhardt unter Mitarbeit von Leo Dümpelmann; Darmstadt 2001
Siehe auch
- Asatru
- Druiden
- Neo-Schamanimus
- Neo-Balten
- Neo-Keltismus
- Wicca
- (Neo-Hexen)
- Neopaganismus
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