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Joachim Ritter

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Joachim Ritter (* 3. April 1903 in Geesthacht bei Hamburg; † 3. August 1974 in Münster) war ein deutscher Philosoph.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Leben

Ritter studierte Philosophie, Theologie, Deutsch und Geschichte in Heidelberg, Marburg, Freiburg und Hamburg (u.a. bei Rothacker, Heimsoeth und Heidegger), wo er 1925 bei Ernst Cassirer mit einer Arbeit zur 'Theorie des Nichtwissens bei Nicolaus Cusanus promoviert wurde. Er habilitierte sich 1932 mit einer 'Untersuchung zur Aufnahme und Umwandlung der neuplatonischen Ontologie bei Augustinus'. Von 1946 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1968 war er ordentlicher Professor für Philosophie an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster, unterbrochen von einer Gastprofessur in Istanbul (1953-1955). Ritter war Mitglied der Arbeitsgemeinschaft für Forschungen des Landes Nordrhein-Westfalen (später Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften), der Akademie der Wissenschaften und der Literatur zu Mainz sowie des deutschen Wissenschaftsrates. Sein Sohn ist der Kultur- und Wissenschaftsjournalist und Schriftsteller Henning Ritter. Der Träger des Ludwig-Börne-Preises zeichnet sich für die FAZ-Mittwochsbeilage "Geisteswissenschaften" verantwortlich.

[Bearbeiten] Werk

Joachim Ritters Werk ist zunächst philosophiegeschichtlich ausgerichtet. Frühe Arbeiten widmen sich im Anschluss an Untersuchungen Cassirers v.a. dem Übergang vom Spätmittelalter zur frühen Neuzeit sowie der Spätantike. Dabei gilt sein inhaltliches Hauptinteresse dem Verhältnis von Kontinuität und Wandel im konkreten Vollzug philosophie- und geistesgeschichtlicher Umbrüche. Daneben werden auch grundsätzliche Überlegungen zur Aufgabe und Vorgehensweise der Philosophie sowie der 'Geschichtlichkeit wissenschaftlicher Erkenntnis' (1938) angestellt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitet Ritter im Zuge einer philologisch bahnbrechenden Auseinandersetzung mit Hegels 'Rechtsphilosophie' (v.a. 'Hegel und die französische Revolution', 1957) eine philosophische Theorie der Moderne aus, in deren Mittelpunkt der Begriff der Entzweiung steht. Ihr zufolge konstituiert sich die moderne Welt in Form der bürgerlichen Gesellschaft, ihres 'abstrakten' Rechtes und der ihre industrielle Arbeitsweise tragenden neuzeitlichen Naturwissenschaft und Technik wesentlich durch den Bruch mit den überlieferten Lebensordnungen und Weltbildern der geschichtlichen Herkunft. Die auf diese Weise erst ermöglichte Befreiung des Einzelnen aus der Übermacht der Natur und den traditionellen sozialen Bindungen wird ohne Vorbehalt bejaht, bliebe nach Ritter aber bloß negativ und abstrakt, wenn die von der Gesellschaft ausgeschlossene und damit zugleich freigegebene historische Substanz menschlichen Daseins nicht gleichwohl im Medium subjektiver Innerlichkeit bewahrt und gegenwärtig gehalten würde. In diesem Sinne dient z.B. die Ausbildung der Geisteswissenschaften sowie die Ästhetisierung der Kunst und des menschlichen Naturverhältnisses der Kompensation der abstrakten Geschichtslosigkeit und entzauberten Lebenswirklichkeit der modernen Gesellschaft.

Die Beschäftigung mit Aristoteles (v.a. 'Das bürgerliche Leben. Zur aristotelischen Theorie des Glücks', 1956; 'Zur Grundlegung der praktischen Philosophie bei Aristoteles', 1960) führt Ritter zur Entwicklung einer Konzeption praktischer Philosophie als 'Hermeneutik der geschichtlichen Welt'. Ihr zufolge besteht die Aufgabe der praktischen Philosophie nicht vorrangig im Aufstellen abstrakter moralischer Normen oder dem Entwurf neuer politischer Ordnungen, sondern in der Auslegung der konkreten, geschichtlich gewordenen Wirklichkeit auf die ihr selbst bereits innewohnende Vernunft hin, die Ritter insbesondere in politischen und gesellschaftlichen Institutionen verwirklicht sieht. Sie gewährleisten und sichern den in der modernen Entzweiung vorausgesetzten Zusammenhang von Subjektivität und bürgerlicher Gesellschaft. Vor diesem Hintergrund wird die neuzeitliche Aufspaltung der traditionellen praktischen Philosophie in eine auf den Bereich subjektiver Innerlichkeit beschränkte normative Ethik auf der einen und eine die äußeren, institutionell geordneten Lebensverhältnisse des Menschen lediglich als positive Gegebenheiten untersuchende Rechts- und Staatstheorie auf der anderen Seite kritisiert.

Das Historische Wörterbuch der Philosophie, von Ritter bereits seit den frühen 1960er Jahren vorbereitet und mit einem umfangreichen Mitarbeiterkreis seit 1971 herausgegeben, bildet mittlerweile eine der wichtigsten Arbeitsgrundlagen philosophischer und geisteswissenschaftlicher Ausbildung und Forschung. Seinem von der Begriffsgeschichte inspirierten methodologischen Ansatz liegt eine Konzeption von Philosophie zu Grunde, für die diese "im Wandel ihrer geschichtlichen Positionen und in der Entgegensetzung der Richtungen und Schulen sich als perennierende Philosophie fortschreitend entfaltet". Die Trennung von systematischer Philosophie und Philosophiegeschichte wird zurückgewiesen und der Bezug auf die eigene Geschichte als konstitutiv für das philosophische Denken selbst begriffen.

[Bearbeiten] Wirkung

Joachim Ritter gehört zu den einflussreichsten deutschen Philosophen der Nachkriegszeit. Neben seinem regen bildungs- und hochschulpolitischen Engagement, das von einem emphatischen Begriff theoretischer Bildung getragen war, wirkten insbesondere die Theorie der Geisteswissenschaften und die Überlegungen zur praktischen Philosophie weiter, die erheblich zur so genannten Rehabilitierung der praktischen Philosophie in Deutschland beitrugen. Zu Ritters Schülern zählen u.a. Günther Bien, Ernst-Wolfgang Böckenförde, Wilhelm Goerdt, Martin Kriele, Hermann Lübbe, Odo Marquard, Reinhart Maurer, Willi Oelmüller, Günter Rohrmoser, Wilhelm Schmidt-Biggemann und Robert Spaemann. Vor allem Kritiker wie Jürgen Habermas sprechen in diesem Zusammenhang von einer Ritter-Schule, die sie dem Neokonservativismus zurechnen.

[Bearbeiten] Schriften (Auswahl)

  • 'Docta Ignorantia. Die Theorie des Nichtwissens bei Nicolaus Cusanus', 1927
  • 'Mundus Intelligibilis. Eine Untersuchung zur Aufnahme und Umwandlung der neuplatonischen Ontologie bei Augustinus', 1937
  • 'Metaphysik und Politik. Studien zu Aristoteles und Hegel', 1969
  • 'Subjektivität. Sechs Aufsätze', 1974

[Bearbeiten] Literatur

  • Günter Rohrmoser: Konservativismus in Deutschland vor und nach dem 2. Weltkrieg - Joachim Ritter als Modernisierer in Konservatives Denken im Kontext der Moderne. Gesellschaft für Kulturwissenschaft, Bietigheim/Baden 2006. ISBN 3-930218-36-4

[Bearbeiten] Weblinks

Andere Sprachen
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