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Marinus van der Lubbe

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Marinus van der Lubbe (* 13. Januar 1909 in Leiden (laut anderen Quellen Oegstgeest), Niederlande; † 10. Januar 1934 in Leipzig) wird von den meisten Historikern als Brandstifter des Reichstagsbrands in Berlin am 27. Februar 1933 angesehen. Ob Marinus van der Lubbe Anarchist oder Rätekommunist war, ist umstritten.


Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Lebenslauf

Die Eltern van der Lubbes waren geschieden, die Mutter starb, als er zwölf Jahre alt war. Er wuchs in der Familie seiner Halbschwester auf. Marinus van der Lubbe begann in den zwanziger Jahren eine Ausbildung als Maurer. Wegen seiner körperlichen Stärke wurde er von den Freunden „Dempsey“ genannt. Nach einem Arbeitsunfall im Jahre 1925 und wegen eines daraus resultierenden Augenleidens konnte er seinen Beruf nicht weiter ausüben. In den folgenden Jahren schloss er sich einer Splittergruppe der niederländischen Kommunistischen Partei, der mit der deutschen KAPD eng verwandten Partei der niederländischen Rätekommunisten KAPN an und engagierte sich für diese auch öffentlich. Wegen einer Auseinandersetzung mit seiner Schwester zog er 1927 nach Leiden und gründete dort das „Leninhaus“, einen Ort für politische Vorträge und Treffen. In Leiden kam es wiederholt zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. 1930 musste van der Lubbe für zwei Wochen in Arrest, weil er bei der Sozialbehörde Scheiben eingeworfen hatte.

Von den parlamentarisch aktiven Kommunisten entfernte sich van der Lubbe immer mehr, da sie ihm zu wenig radikal und kämpferisch waren. Er favorisierte die direkte Aktion.

Zwischen 1928 und 1932 war van der Lubbe wiederholt auf Wanderschaft durch Europa. Sein Plan, in die Sowjetunion auszuwandern, scheiterte, da ihm die Einreise verwehrt wurde.

[Bearbeiten] Der Reichstagsbrand

Obwohl er Anfang 1933 an Augentuberkulose erkrankte, reiste er kurz nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten nach Berlin, um sich dort am aktiven Widerstand zu beteiligen. Sein Versuch, die Arbeitslosen und Arbeiter gegen die Machtübernahme der Nationalsozialisten zu mobilisieren, misslang. Er versuchte am 25. Februar 1933 das Wohlfahrtsamt in Berlin-Neukölln und das Berliner Rathaus, schließlich sogar das Berliner Schloss in Brand zu stecken. Alle Brände werden schnell entdeckt und gelöscht.

Die Nacht vor dem Reichstagbrand verbringt van der Lubbe in einem Hennigsdorfer Obdachlosen-Asyl. Der Autor Hans Bernd Gisevius, der am Aufstand des 20. Juli 1944 beteiligt war, hat angegeben, Anhaltspunkte entdeckt zu haben, dass van der Lubbe hier von einem Mitbewohner zu seiner Tat angestiftet worden sein könnte.

Am Abend des 27. Februar wurde van der Lubbe im brennenden Reichstagsgebäude festgenommen und der Brandstiftung beschuldigt, welche er in den darauf folgenden Verhören auch zugab. Am 9. März wurde gegen ihn und den damaligen Vorsitzenden der Reichstagsfraktion der KPD Ernst Torgler sowie die drei bulgarischen Kommunisten Georgi Dimitroff, Blagoj Popoff und Wasil Taneff Anklage erhoben.

Trotz seines schlechten psychischen Gesundheitszustandes wurde er am 22. Dezember 1933 wegen „Hochverrat in Tateinheit mit vorsätzlicher Brandstiftung“ im so genannten Reichstagsbrandprozess durch das Reichsgericht in Leipzig zum Tode verurteilt. Die Mitangeklagten wurden mangels Beweisen freigesprochen, jedoch zunächst zur „Schutzhaft“ in ein KZ eingeliefert. Das Todesurteil gegen van der Lubbe wurde am 10. Januar 1934 in Leipzig mit dem Fallbeil vollstreckt. Er verzichtete sowohl auf priesterlichen Beistand als auch auf die Möglichkeit, einen Abschiedsbrief zu verfassen. Van der Lubbe wurde auf dem Leipziger Südfriedhof anonym beerdigt.

[Bearbeiten] Juristisches Nachspiel

34 Jahre nach dem Reichstagsbrand wurde das Urteil 1967 vom Berliner Landgericht teilweise abgeändert und van der Lubbe die Todesstrafe zu einer Zuchthausstrafe von acht Jahren Zuchthaus ermäßigt. Sowohl die Generalstaatsanwaltschaft als auch der Bruder Jan van der Lubbe legten hiergegen Beschwerde beim Kammergericht Berlin ein. Beide Beschwerden wurden vom 1. Strafsenat des Kammergerichts Berlin am 17. Mai 1968 verworfen. Nach Ansicht des Kammergerichts entfalle

„jeder darauf gegründete Verdacht, dass die tatsächlichen Feststellungen im Urteil des Reichsgerichts vom 23. Dezember 1933 aus politischen Gründen unter Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze getroffen worden sind.“

Ein weiterer Wiederaufnahmeantrag von van der Lubbes Bruder Jan, vertreten von dem ehemaligen Mitankläger bei den Nürnberger Prozessen Robert Kempner, hatte Erfolg. Im Jahre 1980 wurde der Beschluss von 1967 aufgehoben und van der Lubbe freigesprochen. Hiergegen legte die Staatsanwaltschaft Beschwerde ein. Der Fall beschäftigte mehrmals den Bundesgerichtshof, der 1983 entschied, dass die Wiederaufnahme des Verfahrens von 1967 unzulässig gewesen sei und der damalige Beschluss damit Bestand habe.

[Bearbeiten] Die Schuldfrage

Bereits kurze Zeit nach der Verhaftung van der Lubbes gab es Zweifel an seiner tatsächlichen Schuld. Das geistig verwirrte Auftreten van der Lubbes im Prozess ließ Zweifel aufkommen, ob er denn wirklich in der Lage gewesen wäre, allein das Parlamentsgebäude anzuzünden – man spricht von bis zu zwanzig Brandherden – und ob demnach sein Geständnis glaubhaft sein kann. Darüber hinaus wurde auch seine Schuldfähigkeit bezweifelt. Vielfach wurde vermutet, dass man ihn zum Prozess absichtlich unter Drogen gesetzt hatte.

Auf Kritik stieß auch, dass die Grundlage für das Todesurteil die erst nach der Tat in Kraft getretene Reichstagsbrandverordnung und die sog. Lex van der Lubbe waren. Vor der Tat wurde Brandstiftung ohne Todesfolge nicht mit dem Tod bestraft. Damit verstieß das Gericht gegen das Verbot rückwirkender Gesetze (nulla poena sine lege).

Es wird vermutet, dass die Nationalsozialisten van der Lubbe lediglich als Vorwand für ihr brutales Vorgehen gegen ihre politischen Gegner nahmen. Einer Version von NS-Gegnern zufolge, die bald ins Ausland gelangte, hatte in Wahrheit ein hoher SA-Mann sechs Personen ins Reichstagsgebäude geschmuggelt, die an verschiedenen Stellen Feuer legten. Van der Lubbe gelang es nicht mehr zu fliehen, er traf um 21:17 Uhr im Bismarck-Saal des Reichstags auf Polizeibeamte und wurde verhaftet. Schon kurz nach dem Brand setzte eine Welle von Verhaftungen ein, von der besonders die Kommunisten betroffen waren. Mit großem Propagandaaufwand wurde die Tat der KPD angelastet. Hitler nutzte die Gelegenheit, die Verfassungsartikel außer Kraft zu setzen, die bürgerliche Freiheiten garantierten. Die KPD wurde verboten. Dieses Vorgehen wurde durch die „Brandverordnung“ scheinbar legitimiert.

[Bearbeiten] Politische und geschichtswissenschaftliche Auseinandersetzungen

Ebenfalls unmittelbar nach der Tat setzte ein Streit über die Beweggründe und die politische Motivation van der Lubbes ein. Van der Lubbe selbst meinte in seinem umstrittenen Geständnis hierzu, dass er die Tat ganz allein unternommen habe, um die „deutsche Arbeiterschaft zum Widerstand gegen die kapitalistische Herrschaft und die faschistische Machtergreifung aufzurufen.“

Die Nationalsozialisten sahen in van der Lubbe einen niederländischen Kommunisten und benutzten den Reichstagsbrand als Vorwand, um gegen die deutschen Kommunisten vorgehen zu können.

Die Kommunisten ihrerseits distanzierten sich von van der Lubbe. Zwei Monate nach dem Reichstagsbrand brachten führende Mitglieder der KPD das „Braunbuch“ heraus, das in 17 Sprachen übersetzt wurde. Es befasst sich mit den Greueltaten der Nazis, enthielt aber auch eine diffamierende Kampagne gegen die niederländischen Rätekommunisten. So wurde behauptet, dass van der Lubbe im Auftrag oder zumindest nach Absprache mit den Nazis gehandelt habe, zudem wurde van der Lubbe vorgeworfen (damals noch strafbare) homosexuelle Kontakte gehabt zu haben und ein Antisemit zu sein. Zudem wurde bestritten, dass van der Lubbe überhaupt politische Ziele mit seiner Tat verfolgt habe. Inhaltlich kritisierten die Kommunisten vor allem, dass die Tat zu wenig durchdacht gewesen sei und unmöglich zu einer Mobilisierung der Massen führen konnte. Im Gegenteil reduzierte sie die Möglichkeit für politischen Widerstand auf Null.

Als Reaktion auf das "Braunbuch" erschien ebenfalls 1933 das "Roodboek" (Rotbuch) in Amsterdam. Es wurde vom Internationalen van der Lubbe Komitee herausgegeben, einer Organisation niederländischer Rätekommunisten und Anarchisten. Diese warfen darin der SPD und KPD vor, wegen ihrer Unfähigkeit, den Reichstagsbrand konstruktiv zu nutzen und ihrer Distanzierung von van der Lubbe „Verrat an der Arbeiterklasse“ begangen zu haben. Zugleich sollte mit Briefen und Tagebuchaufzeichnungen der politische Hintergrund der Tat verdeutlicht werden.

1959 veröffentlichte Fritz Tobias in einer Artikelserie im SPIEGEL die These, wonach Marinus van der Lubbe den Reichstag alleine und ohne Mittäter angezündet habe. Die sogenannte „Alleinschuld-These“, die Tobias 1962 in Form eines umfangreichen Buches bekräftigte, wurde allerdings im Jahre 1966 durch den Schweizer Geschichtsprofessor Walter Hofer und das sog. Luxemburger Komitee bestritten. Seitdem schwelt in der Geschichtswissenschaft eine (zeitweise sehr erbittert geführte) Kontroverse um die Urheber der Reichstagsbrandstiftung. Die Mehrheit der Historiker folgt dabei - bei unterschiedlicher Gewichtung der Rolle der Nationalsozialisten - der "Alleinschuld-These", eine Minderheit - darunter Alexander Bahar und Wilfried Kugel - bestreiten diese und gehen von einer Hauptschuld des NS-Regimes aus. Die Frage, ob van der Lubbe den Reichstag allein in Brand setzte oder ob auch andere daran beteiligt waren, lässt sich aus heutiger Sicht nicht abschliessend beantworten.

[Bearbeiten] Literatur

  • Internationales van der Lubbe-Komitee (Hg.) Marinus van der Lubbe und der Reichtagsbrand. – übers. a. d. Niederländischen u. hrsg. v. Josh van Soer. – 1. Aufl. – Hamburg: Edition Nautilus Verlag Lutz Schulenburg, 1983. – 179 S., div. Abb., ISBN 3-921523-68-0
  • Hans Schneider: Neues vom Reichstagsbrand – Eine Dokumentation. Ein Versäumnis der deutschen Geschichtsschreibung Vorwort Iring Fetscher; Beiträge von Dieter Deiseroth, Hersch Fischler, Wolf-Dieter Narr; Hg. Vereinigung Deutscher Wissenschaftler. BWV Berliner Wissenschafts-Verlag, 2004 ISBN 3830509154
  • Herschl Fischer Zum Zeitablauf der Reichstagsbrandstiftung. Korrekturen der Untersuchung Alfred Berndts Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 4/ 2005, S. 617 - 632, ISSN 0042-5702 Abstract: [1]
  • Alexander Bahar, Wilfried Kugel: Der Reichstagsbrand. Wie Geschichte gemacht wird. Quintessenz-Verlag, Berlin 2000. ISBN 978-3861245131.

[Bearbeiten] Weblinks


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