Wilhelm von Ockham
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Wilhelm von Ockham, engl. William of Ockham oder Occam (* um 1285 in Ockham, England; † 10. April 1349 oder 1350 in München) war als Vertreter der Spätscholastik einer der bedeutenden Philosophen des europäischen Mittelalters und Vorbereiter der Moderne.
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[Bearbeiten] Leben
Wilhelm von Ockham wurde schon in jungen Jahren Franziskanermönch und studierte ab 1309 Theologie in Oxford. Wegen starker Meinungsverschiedenheiten mit Teilen der theologischen Fakultät konnte er nicht den Magistertitel erwerben. Er wurde daher nur Bakkalaureus in Oxford.
In der Tradition Roger Bacons trat er für eine klare Unterscheidung zwischen Glauben und Wissen, Theologie und Philosophie ein. Weiterhin vertrat er die Ansicht, dass Thesen möglichst wenig Axiome voraussetzen sollten, ein Grundsatz, der heute als Ockhams Rasiermesser bekannt ist, obwohl er nicht ursprünglich von Ockham stammt. Seine Lehren, die auf der Logik des Aristoteles beruhten, widersprachen teilweise den damals allseits anerkannten Grundsätzen des Dominikaners Thomas von Aquin, die dieser ebenfalls aus der Interpretation der Philosophie Aristoteles' heraus entwickelt hatte.
Papst Johannes XXII., der 1323 Thomas von Aquin heiligsprechen ließ, lud Wilhelm daher 1324 vor das päpstliche Gericht, welches sich zur damaligen Zeit in Avignon befand. Sein Ankläger dort war John Lutterell, der ehemalige Kanzler der Universität Oxford. Das Gericht erklärte Ockhams Ideen für teilweise häretisch. Er wurde jedoch nicht bestraft.
Während dieser Zeit (1327) gab es zwischen den Franziskanern und der päpstlichen Kurie Streit, ob die Kirche weltliche Güter besitzen solle oder nicht (Armutsstreit). Der Ordensgeneral Michael von Cesena war der Meinung, Armut sei ein Gebot. Der Papst und die Mehrheit des damaligen römisch-katholischen Klerus hingegen waren anderer Ansicht, da sie ihre durchaus sehr weltlichen Interessen durch die Lehren der Franziskaner bedroht sahen. Cesena bat Ockham, dem Papst zu antworten. Ockham beschuldigte in seinem Schreiben den Papst der Häresie, was zur Folge hatte, dass er und Cesena von der päpstlichen Inquisition verfolgt wurden. Aufgrund der drohenden Gefahr einer Verurteilung flohen Cesena und Ockham am 26. Mai 1328 aus Avignon zunächst nach Pisa. Dort trafen sie auf Kaiser Ludwig IV. dem Bayern, der ihnen ab 1330 Asyl in München bot. Ockham führte bis zu seinem Tod seinen politischen Kampf gegen das Papsttum fort. Er vertrat den Standpunkt, dass Staat und Kirche getrennt sein sollten. Wegen seiner Opposition zum Papst wurde er von diesem exkommuniziert.
Wilhelm von Ockham ist eine der Figuren, die Umberto Eco in seinem Roman "Der Name der Rose" in die Gestalt des William von Baskerville einfließen ließ.
[Bearbeiten] Philosophie und Bedeutung
[Bearbeiten] Vorbereiter des Laizismus und der Moderne
Wilhelm von Ockham interpretierte die Theorie der «zwei Schwerter» auf dualistische Weise. Demnach seien sowohl die Kirche als auch die weltliche, temporäre Gewalt (der Fürsten) zwei legitime Autoritäten. Der Kaiser leite seine Macht aus dem natürlichen Recht her. Eine Autorisation durch den Papst sei daher nicht nötig. Der Einfluss seiner Biographie, insbesondere des erzwungenen Exils bei Ludwig IV., scheint hier unverkennbar.
Mit der These zweier voneinander unabhängiger, legitimer Gewalten stößt Wilhelm von Ockham die seiner Zeit gültige politische Philosophie völlig um. Wilhelm von Ockham ist einer der ersten, die für den Gedanken des Laizismus (Trennung von Staat und Kirche) eintraten, und gilt damit zu Recht als Vorbereiter der Reformation und der Moderne überhaupt. Von Ockham kann eine Linie über Jan Hus, Jean Calvin, Martin Luther, Thomas Hobbes, John Locke und Montesquieu bis hin zum modernen laizistischen Staat gezogen werden.
Seine Schriften hatten auch starken Einfluss auf andere spätere Theologen wie John Wyclif.
[Bearbeiten] Die "nominalistische Revolution"
Im 12. Jahrhundert enflammte eine äußerst bedeutsame und heftige philosophische Auseinandersetzung: der Universalienstreit. Es ging um den Wirklichkeitsgehalt von Universalien (Allgemeinbegriffen). Wilhelm von Ockham vertrat in diesem Streit eine nominalistische Position. Demnach existieren nur die Einzeldinge wirklich, unsere Termini (Allgemeinbegriffe), seien hingegen Fiktion, eine rein gedankliche Abstraktion. Die Allgemeinbegriffe haben demnach keine eigene Existenz, sondern sind nur die Summe der gedachten Dinge. Beispiel: Eine einzelne Rose hat eine reale Existenz, „die Rose“ an sich, als Begriff, hat hingegen nur eine rein gedankliche Existenz. Die Gegenposition hierzu ist der Begriffsrealismus, wie er von den Platonikern (reale Existenz der Ideen; siehe Ideenlehre) vertreten wurde.
[Bearbeiten] Folgen des Ockham'schen Begriffsnominalismus
[Bearbeiten] Über Gott kann man nichts wissen, man kann nur glauben
Der Begriffsnominalismus Wilhelm von Ockhams hatte revolutionäre Auswirkungen für die Frage nach dem Verhältnis von Glauben und Wissen. Wilhelm von Ockham stellte das gesamte Unternehmen der Scholastiker in Frage, die versuchten, die Wahrheit des christlichen Glaubens durch die Mittel der Vernunft zu beweisen (siehe dazu: Natürliche Theologie). Sein Gedankengang hierzu sieht - stark vereinfacht - etwa wie folgt aus:
- Sein und Denken sind von grundsätzlich verschiedener Natur. (Gegenposition hierzu: Thomas von Aquin)
- Jede Wissenschaft verallgemeinert. Sie behandelt also nicht die Einzeldinge, sondern das Allgemeine.
- Wenn die Wissenschaft aber das Allgemeine behandelt, dann handelt die Wissenschaft nur von den Termini (Allgemeinbegriffen), nicht von den wirklichen Einzeldingen. Die Wissenschaft kann so zwar in sich logisch sein, nicht aber die Wirklichkeit erkennen. (Gegenposition hierzu: Aristoteles: „Es gibt eine Wissenschaft, die das Sein an sich behandelt“, nämlich die Philosophie bzw. Metaphysik).
- Die Welt ist somit für den Menschen unergründlich. Sie muss unverstanden hingenommen werden. Der Mensch kann in ihr insbesondere auch keine göttlichen, ewig gültigen Gesetze entdecken (auch wenn diese existieren können).
- Wenn der Mensch unfähig ist, eine göttliche Ordnung in der Welt zu erkennen, so ist für ihn auch der Wille Gottes unergründlich. Gott ist zudem an keine menschliche Logik gebunden.
- Fazit: Der Glaube ist nicht durch die menschliche Vernunft beweisbar. Man kann darüber nichts wissen, man muss vielmehr glauben.
[Bearbeiten] Das Individuum als Grundlage der Menschenrechte
Nach Wilhelm von Ockham leiten sich die Rechte des Menschen nicht aus einem «natürlichen Gesetz» (göttliches Gesetz bzw. Naturrecht) her, sondern aus dem Willen des Individuums. Diese Idee, dass die Rechte des Menschen auf dem Individuum selbst gründen, war seinerzeit absolut neu.
[Bearbeiten] Logik
Wilhelm von Ockham war ein herausragender Logiker des Mittelalters. In seinem logischen Hauptwerk Summa logicae ging er keineswegs nur in den Spuren des Aristoteles, sondern leistete originelle Beiträge, die erst moderne Logiker wiederentdeckten. So formulierte er in seiner Aussagenlogik als Axiome für die Konjunktion "und" und die Disjunktion "oder" bereits die beiden De Morgansche Gesetze (Summa logicae II, Kap. 32 und 33).
[Bearbeiten] Siehe auch
[Bearbeiten] Literatur
[Bearbeiten] Die wichtigsten Werke
- Ordinatio sive Scriptum in librum primum Sententiarum (Petrus Lombardus' erstes Buch "Sentenzen" kommentiert von Wilhelm von Ockham)
- Die erhaltenen Aristoteles-Kommentare
- Quaestiones in libros Physicorum (Fragen zur Physik des Aristoteles)
- Summulae in libros physicorum (Kernsätze der Schriften der Physiker)
- Summa Logicae (Summa der ganzen Logik)
- Quodlibeta septem
- De sacramento altaris
- Expositio aurea super totam artem veterem (Goldene Einführung in die gesamte alte Kunst)
- Dialogus inter magistrum et discipulum de imperatorum et pontificum potestate (Diskussion zwischen Lehren und Schülern über die Macht der Kaiser und Päpste)
- Elementarium logicae
[Bearbeiten] Ausgaben
- Summe der Logik. Lat.-dt., übers. u. hrsg. v. Peter Kunze. Meiner, Hamburg 1999. ISBN 978-3-7873-1286-3
- Institutum Franciscanum (Hrsg.), Guillelmi de Ockham Opera philosophica St. Bonaventure, N.Y., 1974ff.
- Institutum Franciscanum (Hrsg.), Guillelmi de Ockham Opera theologica St. Bonaventure, N.Y., 1967ff.
[Bearbeiten] Einzeluntersuchungen
- Jan P. Beckmann: Wilhelm von Ockham. Beck, München 1995, ISBN 3-406-38932-5
- Volker Leppin: Wilhelm von Ockham. Gelehrter, Streiter, Bettelmönch. Darmstadt 2003, ISBN 3-89678-476-5
- Volker Leppin: Wilhelm von Ockham. Theologie zwischen Philosophie, Politik und prophetischem Anspruch. In: Ulrich Köpf (Hrsg.): Theologen des Mittelalters. Darmstadt 2002. S. 182-196, ISBN 3-534-14815-0
- Jürgen Miethke: Ockhams Weg zur Sozialphilosophie. De Gruyter, Berlin 1969, ISBN 3-11-001280-4
- Sigrid Müller: Handeln in einer kontingenten Welt. Zu Begriff und Bedeutung der rechten Vernunft (recta ratio) bei Wilhelm von Ockham, Tübingen 2000, ISBN 3-7720-2586-2
- Dominik Perler: Prädestination, Zeit und Kontingenz. B.R. Grüner, Amsterdam 1988, ISBN 90-6032-310-6
- Otl Aicher, Gabriele Greindl, Wilhelm Vossenkuhl: Wilhelm von Ockham. Das Risiko modern zu denken (Ausstellungsreihe der Bayerischen Rück "Erkundungen"; Ausstellung Nr. 5). Callwey, München 1986 ISBN 3-7667-0804-X
- Lenzen, Wolfgang: Ockhams modale Aussagenlogik, in: Archiv für Geschichte der Philosophie 75(2) (1995) 397-405
[Bearbeiten] Weblinks
- Eintrag (englisch) in der Stanford Encyclopedia of Philosophy (inkl. Literaturangaben)
- Eintrag (mit Literaturangaben) im Biographisch-Bibliographischen Kirchenlexikon (BBKL)
- Kalenderblatt BR2 William von Occam
Personendaten | |
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NAME | Wilhelm von Ockham |
ALTERNATIVNAMEN | William of Ockham, William of Occam |
KURZBESCHREIBUNG | Franziskaner, Philosoph und Scholastiker |
GEBURTSDATUM | um 1285 |
GEBURTSORT | Ockham, England |
STERBEDATUM | 10. April 1349 oder 1350 |
STERBEORT | München |