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Uralische Sprachen (dunkelgrün dargestellt) neben den anderen Sprachfamilien der Welt
Uralische Sprachen (dunkelgrün dargestellt) neben den anderen Sprachfamilien der Welt

Die uralische Sprachfamilie umfasst etwa 30 Sprachen, die von rund 25 Mio. Menschen gesprochen werden. Sie erstreckt sich über weite Teile des nördlichen Eurasiens von Skandinavien bis über den Ural auf die Taimyr-Halbinsel. Außerdem gehört das Ungarische als ein nach Westen versprengter Ausläufer zu dieser Familie.

Typologisch haben die uralischen Sprachen eine große Bandbreite. Allerdings sind einige Eigenschaften vorherrschend oder doch weit verbreitet: eine reiche agglutinative Morphologie, insbesondere ein reichhaltiges Kasus-System mit bis zu 20 "Fällen", die Negation (Verneinung) erfolgt durch ein flektierbares Hilfsverb, ursprünglich ist eine geringe Neigung zur Numerus-Markierung, Vokalreichtum, Vokalharmonie und Konsonantenstufung. Diese und andere Merkmale werden unten ausführlicher erläutert.

Die Wissenschaft von den uralischen Sprachen und der damit verbundenen Kultur heißt Uralistik oder - bei der Beschränkung auf den größeren westlichen Hauptzweig des Uralischen - Finnougristik.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Hauptsprachen

Die wichtigsten und sprecherreichsten uralischen Sprachen sind:

  • Ungarisch oder Magyar (14,5 Mio Sprecher) Nationalsprache Ungarns
  • Finnisch oder Suomi (6 Mio) Nationalsprache Finnlands
  • Estnisch (1,1 Mio) Nationalsprache Estlands
  • Mordwinisch (1,1 Mio) Russland, Mordwinische Republik (Varietäten Erzya und Moksha)
  • Mari oder Tscheremissisch (600 Tsd) Russland, ASSR Mari
  • Udmurtisch (550 Tsd) Russland, ASSR Udmurtien
  • Komi (400 Tsd) Russland, ASSR Komi (Varietäten Syrjänisch und Permjakisch)

[Bearbeiten] Hauptzweige, Siedlungsgebiete und Urheimat

[Bearbeiten] Die beiden Hauptzweige

Das Uralische zerfällt in zwei klar definierte Hauptzweige, die sich vor mindestens 6000 Jahren getrennt haben: (1) den größeren westlichen Zweig Finno-Ugrisch mit heute über 99% der uralischen Sprecher und insgesamt 24 Sprachen und (2) den kleineren nördlich und östlich des Urals beheimateten Zweig des Samojedisch mit noch vier lebenden Sprachen, die von nur 30.000 Menschen in riesigen dünn besiedelten Gebieten Nordsibiriens gesprochen werden.

Der sprachliche Abstand zwischen Finnisch und Ungarisch - beide sind Mitglieder des finnisch-ugrischen Zweigs - kann mit dem zwischen Deutsch und Russisch verglichen werden, die Unterschiede zwischen einzelnen finno-ugrischen und samojedischen Sprachen sind noch erheblich größer.

[Bearbeiten] Die finno-ugrische Sprachen

Die bekanntesten finno-ugrischen Sprachen sind das Ungarische (14,5 Mio Sprecher), das Finnische (6 Mio) und das Estnische (1,2 Mio). Diese drei sind auch die einzigen uralischen Sprachen mit dem Status einer Nationalsprache.

Das Samische oder Lappische bildet eine Gruppe von 10 Sprachen mit rund 35.000 Sprechern, die hauptsächlich in Norwegen und Schweden, aber auch in Finnland und Russland auf der Kola-Halbinsel gesprochen werden. Das Livische ist eine fast ausgestorbene dem Finnischen eng verwandte Sprache in Lettland. Alle anderen uralischen Sprachen haben ihre Verbreitungsgebiete im heutigen Russland.

Zunächst schließen sich dem Estnischen in Russland in einer breiten Zone bis zur Kola-Halbinsel die Sprachen Wotisch, Ingrisch (beide fast ausgestorben), Wepsisch (8 Tsd Sprecher) und Karelisch (70 Tsd, Autonome Republik Karelien) an. Im zentralen Wolgagebiet finden wir in eigenen Autonomen Republiken das Mordwinische (mit 1,1 Mio Sprechern die größte uralische Sprache Russlands), das Mari oder Tscheremissische (600 Tsd Sprecher) und das Udmurtische (600 Tsd). Weiter nördlich schließt sich das Komi mit den Varietäten Syrjänisch und Permjakisch an, die zusammen etwa 500 Tsd Sprecher haben. (Manche Autoren betrachten Syrjänisch und Permjakisch als separate Sprachen.)

Östlich des Urals werden im Ob-Gebiet die beiden ob-ugrischen Sprachen Chanti (oder Ostjakisch, 15 Tsd Sprecher) und Mansi (oder Wogulisch, 5 Tsd) in einem eigenen Autonomen Bezirk (Okrug) gesprochen. Sie sind die nächsten Verwandten des weit nach Westen vorgedrungenen Ungarischen.

[Bearbeiten] Die samojedische Sprachen

Die trotz sowjetischer Ansiedlungspolitik meist nomadisch gebliebenen Samojeden bewohnen im Norden Russlands ein riesiges Gebiet vom Weißen Meer bis zur Taimyr-Halbinsel. Die wichtigste Gruppe sind die Nenets oder Nenzen (auch Juraken genannt); mit 27 Tsd Sprechern machen sie den weitaus größten Teil der Samojeden aus und leben in einem Autonomen Bezirk. Ihr Gebiet reicht vom Weißen Meer im Westen bis über die Mündung des Jenissej hinaus. Die nahverwandten Enets an der Jenissej-Mündung zählen nur noch etwa 100 ältere Sprecher.

Zahlenmäßig wesentlich geringer sind die nördlich und östlich anschließenden Nganassen (etwa 1.000) und die südöstlich im Gebiet des mittlerem Ob lebenden Selkupen (2.000). Die süd-samojedischen Sprachen Mator und Kamas sind ausgestorben. Mator wurde im frühen 19. Jhdt. durch eine Turksprache ersetzt (es wurde vorher durch intensive linguistische Feldarbeit erschlossen), der letzte Kamas-Sprecher starb 1989.

[Bearbeiten] Urheimat

Die Heimat der gemeinsamen Muttersprache aller uralischen Sprachen, also des Proto-Uralischen, lag wahrscheinlich im zentralen oder südlichen Uralgebiet. Diese angenommene Urheimat war natürlich bestimmend für die Namensgebung dieser Sprachfamilie. Der Prozess der Ausbreitung der einzelnen Gruppen in ihre heutigen Gebiete wird unten ausführlicher behandelt.

[Bearbeiten] Die uralischen Sprachen und ihre Klassifikation

Die Geschichte und aktuelle Diskussion der genetischen Klassifikation der uralischen Sprachen wird unten ausführlich dargestellt. Nach Abondolo 1998 wird hier innerhalb des Finno-Ugrischen nur das Samisch-Finnische zu einer engeren genetischen Gruppe zusammengefasst, dem die Einheiten Mordwinisch, Mari, Permisch, und Ugrisch gleichrangig zur Seite gestellt werden. Insbesondere entfallen damit die Einheiten Finno-Permisch (Bezeichnung für die nicht-ugrischen finno-ugrischen Sprachen) und Wolgafinnisch (Zusammenfassung von Mordwinisch und Mari) der älteren Klassifikationen, die sich linguistisch nach heutiger Einschätzung nicht rechtfertigen lassen. Man erhält dann folgende Klassifikation:

[Bearbeiten] Strukturübersicht

  • Uralisch
    • Finno-Ugrisch
      • Finnisch-Samisch
        • Ostseefinnisch
        • Samisch
      • Mordwinisch
      • Mari
      • Permisch
      • Ugrisch
        • Ungarisch
        • Ob-Ugrisch
    • Samojedisch
      • Nordsamojedisch
      • Südsamojedisch

[Bearbeiten] Klassifikation der uralischen Sprachen

Fettdruck wird für genetische Einheiten, Normaldruck für Einzelsprachen verwendet; Dialekte und Varietäten werden kursiv dargestellt. Die Sprecherzahlen entstammen ETHNOLOGUE 2005, aktuellen Länderstatistiken und dem unten angegebenen Artikel von Ernst Kausen.

  • Uralisch 31 Sprachen, davon 3 †, insgesamt 24 Mio. Sprecher
    • Finno-Ugrisch 25 Sprachen, 1 †, 24 Mio Sprecher
      • Finnisch-Samisch (18 Sprachen, 1 †, 7,2 Mio)
        • Ostseefinnisch (7 Sprachen, 7,2 Mio)
          • Finnisch (Suomi) (6 Mio) Dialekte: Südwest, Häme, Süd-, Mittel-Nord- und Ober-Pohjanmaa, Savo, Südost
          • Karelisch (130 Tsd) Dialekte: Nord = Viena, Süd, Aunus = Livvi = Olonetsisch, Lüdisch
          • Wepsisch (6 Tsd)
          • Ingrisch (Ishorisch) (300, ethnisch 15 Tsd)
          • Estnisch (1.1 Mio) Dialekte: Tallinn, Tartu, Mulgi, Vöru, Seto
          • Wotisch (fast †)
          • Livisch (fast †)
        • Samisch (11 Sprachen, 1 † ; 23 Tsd Sprecher)
          • Westsamisch
            • Nord-Samisch (Norwegisch-Samisch) (20 Tsd, ethnisch 40 Tsd)
            • Lule (2 Tsd)
            • Pite (fast †)
            • Süd-Samisch (600)
            • Ume (fast †)
          • Ostsamisch
            • Inari (300)
            • Skolt (300)
            • Akkala (fast †)
            • Kildin (1.000)
            • Ter (fast †)
            • Kemi †
      • Mordwinisch
        • Mordwinisch (1,1 Mio) Varietäten: Erzya (700 Tsd), Mokscha (400 Tsd)
      • Mari
        • Mari (Tscheremissisch) (600 Tsd)
      • Permisch
        • Udmurtisch (Wotjakisch) (550 Tsd, ethnisch 750 Tsd)
        • Komi (400 Tsd) Varietäten: Syrjänisch, Permjakisch, Yaz'va
      • Ugrisch
        • Ob-Ugrisch
          • Chanti (Ostjakisch) (12 Tsd, ethnisch 20 Tsd)
          • Mansi (Wogulisch) (3 Tsd, ethnisch 8 Tsd)
        • Ungarisch
          • Ungarisch (Magyar) (14,5 Mio)
            • Dialekte: West-Ungarisch, Transdanubisch, Süd-Ungarisch, Theiß, Paloczen, Nordost-Ungarisch, Mezöseg, Szekely
    • Samojedisch (6 Sprachen, davon 2 †, 30 Tsd Sprecher)
      • Nordsamojedisch
        • Nganasan (Tawgy-Samojedisch) (1.000)
        • Enets (Enzisch, Jenissei-Samojedisch) (100)
        • Nenets (Nenzisch, Jurak-Samojedisch) (27 Tsd) Dialekte: Tundra-Nenets (25 Tsd), Wald-Nenets (2.000)
      • Südsamojedisch
        • Selkup (Ostjak-Samojedisch) (1.600)
        • Kamas (Koibalisch) †
        • Mator (Motor; Taigi, Karagas) †

[Bearbeiten] Uralische und finno-ugrische Wortgleichungen

Einen Eindruck von der Verwandtschaft einzelner uralischer Sprachen liefert die folgende Tabelle mit ausgewählten uralischen Wortgleichungen. Sie zeigt auf den ersten Blick, dass Finnisch und Estnisch sehr eng verwandt sind und dass das samojedische Nenzisch - trotz erkennbarer Verwandtschaft - davon stark abweicht. Die besondere Nähe des Chanti zum Ungarischen - beides sind ugrische Sprachen - erschließt sich nicht ohne Weiteres, sondern setzt den Einsatz subtilerer linguistischer Techniken voraus. Man erkennt auch, dass uralisches /p/ zu ungarischem /f/ wird, uralisches /k/ zu ungarischem /h/ werden kann, konsonantische uralische Anlaute im Ungarischen entfallen und andere Lautgesetzte.

Die Quelle dieser Tabelle ist der unten angegebene Weblink und das Uralische Wörterbuch von Károly Rédei 1988. In der zweiten Zeile sind die häufig verwendeten alternativen Sprachnamen bzw. deren Abkürzungen angegeben. Die Angabe (FU) hinter der rekonstruierten Form bedeutet, dass diese Wortgleichung nur im Finno-Ugrischen belegt ist, es sich also nur um eine rekonstruierte proto-finno-ugrische Form handelt.

Bedeutung Finn. Estn. Sam. Mordw. Mari Udmurt Komi Chanti Mansi Ungar. Nenets Selkup Proto-
altern. Suomi   Lapp.   Tscher. Wotjak Syrjän. Ostjak Wogul Magyar Jurak   Ural.
Baum,Holz puu puu . . pu pu pu . -pe fa pa po *puwe
Fisch kala kala guolle kal kol . . kul kol hal χale kel *kala
Haus,Hütte kota koda goatte kudo kuδə ka,ko ka,ko kat . ház . . *kota (FU)
Ader,Sehne suoni soon suodma san šün sen sen jan tεn ín ten čen *sene
Auge silmä silm čalbme sel'me činca . sin sem šäm szem sew sai *silmä
Herz sydän süda tšade sedej šüm sulem selem šem šäm szív sej sid' *sidä-mз
Kopf pää pea . . puŋ pom . päŋ fej,fö . . *päŋe (FU)
Hand käsi käsi gietta ked kit ki ki köt,ket kät kéz . . *käte (FU)
Blut veri veri varra ver wər ver vir wer wür vér . . *wire (FU)
Fuß,Bein jalka jalg juolge jalgo jal . . . . g-yalog . . *jalka (FU)
wer ken ke(s) gi,kä ki ke,kü kin kin . . ki . . *ke,ki (FU)
gehen mene mine manna . mije min mun men min mën min men-da *mene
fühlen oä tunte tunde dow'da . . todi ted . . tud tumta (tymne) *tumte
geben anta anda . ando . ud ud . . ad . . *amta (FU)
eins yksi üks ok'ta vejke ik(te) ok et it ük ëgy (?) . . *ikte (FU)
zwei kaksi kaks guokte kavto kok kik kik kät kit két . . *kakta (FU)
drei kolme kolm golbma kolmo kəm kwin kujim koləm korəm három . . *kolme (FU)
vier neljä neli njaelje nile nəl nil nol nelə nili négy . . *neljä (FU)
fünf viise viis vitta vete wəc vit vit wet ät öt . . *witte (FU)
sechs kuusi kuus gut'ta koto kut kwat' kvat kut kat hat . . *kutte (FU)
hundert sata sada čuotte sado šüδə su so sat šat száz . . *sata (FU)

Auf eine außeruralische Verwandtschaft weisen folgende protouralische Formen hin:

  • *kwala Fisch, german. *hwala
  • *kota Hütte, indogerm. *kata
  • *sene Sehne, Ader, german. *sinwo
  • *ki wer, latein. qui
  • *sata hundert, indogerm. *satem

[Bearbeiten] Älteste Belege und Schriftsprachen

Das Ungarische ist die uralische Sprache mit den ältesten schriftlichen Belegen. Nach ersten verstreuten Einzelwörtern in anderssprachigen Texten ist eine Leichenrede aus dem Ende des 12. Jahrhunderts der früheste Textbeleg. Er besteht aus 38 Zeilen und hat einen Umfang von 190 Wörtern. Es folgt um 1300 eine altungarische Marienklage, eine künstlerisch wertvolle Nachdichtung eines lateinischen Textes, gewissermaßen das erste ungarische Gedicht. Das älteste karelische Sprachdenkmal stammt aus dem 13. Jhdt. und ist ein sehr kurzer auf Birkenrinde geschriebener Text. Altpermisch, die früheste belegte Form des Komi, erhielt im 14. Jhdt. durch den Misssionar Stephan ein eigenes Alphabet, das auf dem griechischen und altslawischen Alphabet basiert. Das älteste estnische Buch wurde 1525 gedruckt, blieb aber nicht erhalten; der erste erhaltene estnische Text sind 11 Seiten eines 1535 gedruckten religiösen Kalenders. Die finnische Literatur beginnt 1544 mit den Rukouskirja Bibliasta des Mikael Agricola, 1548 folgt seine Übersetzung des Neuen Testaments. Die ältesten samischen Texte stammen aus dem 17. Jhdt.

Außer den erwähnten Sprachen mit frühen Sprachdenkmälern haben inzwischen fast alle uralischen Sprachen eine schriftliche Form gefunden, wenn auch eine eigentliche literarische Produktion nur bei den größeren Sprachen stattgefunden hat. Die uralischen Sprachen in Russland benutzen geeignete Modifikationen des kyrillischen Alphabets, die westlichen Sprachen das lateinische.

[Bearbeiten] Externe Beziehungen des Uralischen

[Bearbeiten] Ural-Altaisch: eine aufgegebene Hypothese

Es gibt zahlreiche Versuche, die Verwandtschaft der uralischen Sprachen mit anderen Sprachgruppen wie dem Indogermanischen und Altaischen, aber auch einzelnen kleineren sibirischen Sprachfamilien nachzuweisen. Längere Zeit wurde die Hypothese einer ural-altaischen Sprachfamilie diskutiert. Sie findet heute in dieser Form keine Anhänger in der Fachwissenschaft, ist aber in populären Darstellungen und Schulbüchern noch weit verbreitet.

[Bearbeiten] Uralisch im Kontext von Nostratisch und Eurasiatisch

Allerdings wird intensiv an Hypothesen gearbeitet, das Uralische zusammen mit dem Indogermanischen, Altaischen (Turkisch, Mongolisch, Tungusisch) und weiteren Gruppen zu sogenannten Makrofamilien zusammenzufassen, eine nicht leichte Aufgabe, wenn schon die Rekonstruktion des Proto-Uralischen wegen seines hohen Alters äußerst schwierig ist. Zu nennen sind hier die Arbeiten von Aharon Dolgopolsky zur nostratischen Makrofamilie, die neben Indogermanisch, Altaisch und Uralisch auch noch das Drawidische und Afroasiatische umfasst, und Joseph Greenberg zur Eurasiatischen Makrofamilie, die sich auf Indogermanisch, Uralisch, Altaisch, Japanisch, Koreanisch, einige paläosibirische Sprachen und Eskimo-Aleutisch 'beschränkt'.

[Bearbeiten] Uralisch und Jukagirisch

Eine ernst zu nehmende Hypothese ist die der Verwandtschaft des Uralischen mit der sonst als isoliert eingestuften paläosibirischen Sprache Jukagirisch. Jukagirisch wird von einigen hundert Menschen in Nordost-Sibirien gesprochen. Nach Ruhlen 1987 beweisen Arbeiten von Collinder (1965) und Harms (1977) jenseits jeden Zweifels die Verwandtschaft des Jukagirischen mit den uralischen Sprachen. Collinder stellt fest: Die Gemeinsamkeiten des Jukagirischen und Uralischen sind so zahlreich und charakteristisch, dass sie Überreste einer ursprünglichen Einheit sind. Das Kasus-System des Jukagirischen ist fast identisch mit dem des Nord-Samojedischen. Der Imperativ wird mit den selben Suffixen gebildet wie im Süd-Samojedischen und den konservativsten finno-ugrischen Sprachen. Jukagirisch hat ein halbes Hundert gemeinsamer Wörter mit dem Uralischen, und zwar ohne die Lehnwörter. Man sollte bemerken, dass alle finno-ugrischen Sprachen in der Kasus-Flexion mehr vom Samojedischen abweichen als das Jukagirische. Es wäre danach durchaus möglich, von einer uralisch-jukagirischen Sprachfamilie zu sprechen.

[Bearbeiten] Geschichte und aktuelle Diskussion der Klassifikation

[Bearbeiten] Frühe Ansätze

Die frühesten Wahrnehmungen verwandtschaftlicher Beziehungen von Sprachen, die wir heute als uralisch bezeichnen, gehen bereits auf das Ende des 9. Jhdts. zurück. Der Wikinger Othere berichtet von der Ähnlichkeit des Karelischen und Samischen. Im 15. Jhdt. werden Beziehungen zwischen dem Ungarischen und dem Chanti-Mansi erkannt, allerdings wohl weniger auf linguistischer Basis als vielmehr durch die Namensähnlichkeit 'Ugria' und 'Hungaria'. Weitere wichtige Stationen: 1671 bemerkt der Schwede G. Stiernhielm die enge Verwandtschaft des Estnischen, Samischen und Finnischen, außerdem sieht er eine entferntere Beziehung dieser Gruppe zum Ungarischen. 1717 konstatiert J.G. von Eckhart in Leibniz' Sammelwerk Collectanea Etymologica darüber hinaus die Relation des Samojedischen zu den finnischen und ugrischen Sprachen.

[Bearbeiten] Strahlenberg und Schlözer

1730 klassifiziert der Schwede Philip Johan von Strahlenberg die finnisch-ugrischen Sprachen bis auf das Samische, 1770 ergänzt der deutsche Historiker August Ludwig von Schlözer Strahlenbergs Klassifikation um die samischische Komponente. Somit ist die im wesentlichen heute noch akzeptierte Gliederung der finno-ugrischen Sprachfamilie bereits sechs Jahre vor William Jones' berühmter Rede vorhanden, die die Grundlage für eine indogermanische Sprachwissenschaft legt.

[Bearbeiten] Sajnovics und Gyarmathi

Weitere konsolidierende Schritte sind die Arbeiten des Ungarn S. Gyarmathi von 1799. Er zeigt, dass das Ungarische der nächste Verwandte des Chanti und Mansi ist und diese drei einen eigenen Zweig, das Ugrische, ausmachen; er belegt durch gültige Etymologien die Beziehungen des Ugrischen zu den finnischen Sprachen und fasst die damals bekannten samojedischen Sprachen zu einer eigenen Gruppe zusammen.

[Bearbeiten] Castrén und Halasz

1840 erschließt der Finne Matthias Alexander Castrén durch Feldstudien das Samojedische systematisch, klärt die interne Nord-Süd-Gliederung des Samojedischen und etabliert die Zweiteilung der Gesamtfamilie in einen samojedischen und finno-ugrischen Zweig. Die Arbeiten Castréns werden durch den Ungarn I. Halasz 1893 durch 245 gesamt-uralische Wortgleichungen endgültig auf sicheren Boden gestellt.

[Bearbeiten] Neuere Gliederungsthesen

Trotz dieser frühen Klassifikationsleistungen sind auch heute keineswegs alle Probleme der internen Gliederung des Uralischen gelöst. Gerade in den letzten Jahren wurden scheinbar sichere Erkenntnisse - wie die Zweiteilung des Finnisch-Ugrischen in eine finnisch-permische und ugrische Komponente - in Frage gestellt. Ein weiteres Problem ist die Einordnung des Samischen. Als allgemein akzeptiert können folgende Aussagen gelten:

  • Das Uralische bildet eine Sprachfamilie, die primär in einen finno-ugrischen und einen samojedischen Zweig zerfällt.

Weitere gültige genetische Untereinheiten des Finno-Ugrischen sind

  • Ostseefinnisch (mit Finnisch, Estnisch, Karelisch, Wepsisch, Ingrisch, Wotisch, Livisch)
  • Samisch (mit 10 Sprachen oder Dialekten)
  • Permisch (mit Udmurtisch und Komi) und
  • Ugrisch (mit Ungarisch und Ob-Ugrisch mit Chanti und Mansi)

Der linguistische Nachweis der ugrischen Einheit hat sich dabei als äußerst schwierig herausgestellt.

Häufig - aber nicht von allen Forschern - wurden Mari und Mordwinisch zu einer Einheit Wolgaisch und das Ostseefinnische mit dem Samischen zu Samisch-Finnisch zusammengefasst. Die finno-ugrischen Sprachen, die nicht zu den ugrischen gehören, wurden früher von den meisten Forschern als eine genetische Einheit Finnisch oder Finno-Permisch betrachtet. Solche Klassifikationen gehen also von folgender Grundstruktur aus:

  • Uralisch
    • Finno-Ugrisch
      • Finno-Permisch
      • Ugrisch
    • Samojedisch

Sie unterscheiden sich nur durch die Feingliederung der finno-permischen Gruppe. So ziemlich alle möglichen Varianten sind vorgeschlagen worden, wichtige Arbeiten zur Gliederung des Finno-Permischen kamen zu folgenden Ergebnissen:

[Bearbeiten] Collinder, Austerlitz und Voegelin

  • Finno-Permisch   (nach Collinder 1965)
    • Ostseefinnisch
    • Samisch
    • Mordwinisch
    • Mari
    • Permisch
  • Finno-Permisch   (nach Austerlitz 1968)
    • Samisch-Finnisch
    • Wolgaisch
      • Mordwinisch
      • Mari
    • Permisch
  • Finno-Permisch   (nach Voegelin 1977)
    • Finno-Wolgaisch
      • Samisch-Finnisch
      • Wolgaisch
        • Mordwinisch
        • Mari
    • Permisch

[Bearbeiten] Janhunen und Abondolo

Janhunen 2003 berücksichtigt die Reihenfolge der Abspaltungen vom Finno-Ugrischen, was auf einen binären Stammbaum führt, der nur zweigliedrige Verzweigungen besitzt. Er geht von der Abspaltungsfolge 1. Ugrisch, 2. Permisch, 3. Mari, 4. Mordwinisch und 5. Samisch aus. Als Rest bleibt 6. das Ostseefinnische.

Dagegen nimmt Abondolo 1998 gerade das umgekehrte Abspaltungsszenario an und verneint damit die Existenz einer genetischen Einheit Finno-Permisch gegenüber dem Ugrischen. Er sieht folgende Abspaltungsfolge vom Finno-Ugrischen: 1. Samisch-Finnisch, 2. Mordwinisch, 3. Mari, 4. Permisch. Übrig bleibt als Kern das Ugrische. Man erhält nach Abondolo folgende binäre Abstammungsstruktur:

  • Finno-Ugrisch
    • Samisch-Finnisch
      • Ostseefinnisch
      • Samisch
    • Mordwinisch-Mari-Permisch-Ugrisch
      • Mordwinisch
      • Mari-Permisch-Ugrisch
        • Mari
        • Permisch-Ugrisch
          • Permisch (Udmurtisch und Komi)
          • Ugrisch
            • Ungarisch
            • Ob-Ugrisch (Mansi, Chanti)

[Bearbeiten] Grundkonsens und neue Thesen

Als Grundkonsens der in Details divergierenden aktuellen Auffassungen ergibt sich die folgende Klassifikation. Innerhalb des Finno-Ugrischen bildet das Samisch-Finnische eine engere genetische Gruppe, dem die Einheiten Mordwinisch, Mari, Permisch und Ugrisch gleichrangig zur Seite gestellt werden. Die traditionellen Einheiten Finno-Permisch und Wolgafinnisch entfallen damit. Man erhält dann die "flache" Struktur der oben in diesem Artikel dargestellten Klassifikation.

Die künftige Forschung wird zeigen, ob die hier wegen der neueren Resultate nicht aufgenommene Untereinheit Finno-Permisch linguistisch relevant ist. Wolgaisch (also Mordwinisch und Mari) scheint als eigenes Taxon in der neueren Diskussion kaum noch Anhänger zu finden.

Die Klassifikation des Uralischen ist neuerdings wieder sehr in der Diskussion (vgl. A. Marcantonio 2002), im Extremfall bis hin zur Aufgabe der genetischen Einheiten Ugrisch, Finno-Ugrisch und Uralisch insgesamt. Auch wird die Frage diskutiert, ob das Uralische überhaupt durch ein Stammbaummodell beschreibbar ist. Gegen diese radikalen Thesen hat sich aber die Mehrheit der Finnugristen und Uralisten gewandt.

[Bearbeiten] Urheimat und Ausbreitung der uralischen Sprachen

Wie gerade gezeigt, korrespondiert eine bestimmte Klassifikationsvariante eng mit einer Hypothese über die Ausbreitung der jeweiligen Sprachgruppe von einer angenommenen Urheimat in ihren heutigen geographischen Raum. Die Festlegung der Urheimat des Proto-Uralischen ist wegen des hohen Alters der Protosprache eine schwierige Aufgabe. Man nimmt allgemein an, dass sie im zentralen oder südlichen Uralgebiet mit einem Zentrum westlich des Gebirgszuges zu lokalisieren ist. Als erste trennten sich die Vorfahren der heutigen Samojeden und zogen ostwärts. Diese Trennung erfogte vor mindestens 6000, wenn nicht 7000 Jahren, was aus der relativ geringen Zahl (ca. 150) gesamt-uralischer Wortgleichungen zu schließen ist. Die Aufspaltung des Samojedischen in die heutigen Sprachen begann wohl erst vor etwa 2000 Jahren.

Die finno-ugrische Gruppe war von Anfang an die bei weitem größere. Erste Aufspaltungen dieser Gruppe gehen mindestens auf das 3. Jt. v. Chr. zurück. Wie schon oben erwähnt, ist die Reihenfolge der Abspaltungen und damit der Verlauf der Ausdehnung der finno-ugrischen Sprachen inzwischen (seit etwa 1970) strittig. Seit Donner 1879 wurde allgemein angenommen, dass sich das Ugrische als erste Gruppe vom Finno-Ugrischen trennte und als Rest die finnisch-permische Einheit zurückließ. Die neueren Resultate (Sammallahti 1984 und 1998, Viitso 1996) sehen dagegen die samisch-finnische Gruppe als eine periphere Einheit an, die zuerst und zwar schon im 3. Jt. v. Chr. vom finno-ugrischen Kern abrückte. Es folgten das Mordwinische und das Mari (etwa um 2000 v. Chr.) und schließlich das Permische in der Mitte des 2. Jts. v. Chr. Als Kern blieben die Sprachen zurück, aus denen sich das Ugrische entwickelte. Wohl bereits 1000 v. Chr. kann man die Trennung des Ungarischen von den ob-ugrischen Sprachen ansetzen. Die Ungarn (Selbstbezeichnung Magyaren) zogen seit 500 n. Chr. zusammen mit türkischen Stämmen westwärts und erreichten und eroberten das schwach besiedelte Karpatenbecken 895 n. Chr. (Der Name Ungar stammt aus dem Tschuwaschischen oder Bolgar-Turkischen von on-ogur = zehn Ogur-Stämme).

[Bearbeiten] Sprachliche Charakteristik der uralischen Sprachen

[Bearbeiten] Typologische Merkmale

Typologisch haben die uralischen Sprachen eine große Bandbreite. Allerdings sind einige Eigenschaften vorherrschend oder doch weit verbreitet: eine reiche agglutinative Morphologie mit monosemantischen Suffixen, insbesondere ein reichhaltiges Kasus-System mit bis zu 20 "Fällen", Wortstellung SOV (in den westlichen uralischen Sprachen durch Fremdeinfluss oft SVO), Negation durch ein flektierbares Hilfsverb, ursprünglich eine geringe Neigung zur Numerus-Markierung, Vokalreichtum, Vokalharmonie und Konsonantenstufung. Diese Merkmale werden im Folgenden ausführlicher erläutert.

[Bearbeiten] Rekonstruktion des Proto-Uralischen

Das Proto-Uralische konnte mit den Methoden der vergleichenden Sprachwissenschaft bis zu einem gewissen Grade rekonstruiert werden. Besondere Schwierigkeiten macht dabei der große Abstand des Finno-Ugrischen vom Samojedischen, also letztlich das hohe Alter des Proto-Uralischen, das auf mindestens 7.000 Jahre geschätzt wird. Nicht alle Gemeinsamkeiten der uralischen Sprachen können als Erbgut aus dem Proto-Uralischen angesehen werden: einige spiegeln Sprachuniversalien wieder, andere den Einfluss benachbarter nicht-uralischer Sprachgruppen. Hier kommen vor allem das Indogermanische (insbesondere Iranisch, Germanisch, Baltisch und Slawisch) aber auch die Turksprachen in Frage. Im folgenden werden ausgewählte Merkmale uralischer Sprachen zusammengestellt, die im Vergleich zu indogermanischen Sprachen besondere Aufmerksamkeit verdienen. Eine umfassende Darstellung des Proto-Uralischen enthält Hajdú 1987.

[Bearbeiten] Phonologie

[Bearbeiten] Phoneme

Für die Darstellung des rekonstruierten Konsonanten- und sehr reichhaltigen Vokalsystems des Proto-Uralischen verweise ich auf die weiterführende Literatur (Abondolo 1998, Hajdú 1987). Als Beispiel sei das Phoneminventar des Finnischen herangezogen:

Die Konsonanten des Finnischen (nach Abondolo 1998)

Typ Labial Dental Alveolar Velar Glottal
Nasal m n . ŋ .
Okklusiv -v p t . k ʔ
Okklusiv +v b d . g .
Frikativ +v v . . h .
Frikativ -v f s š . .
Lateral . l . . .
Vibrant . r . . .
Halbvokal . j . . .

Die Kennzeichnung +v bzw. -v (bei Okklusiven und Frikativen) bedeutet die stimmhafte bzw. stimmlose Form des Konsonanten.

Die Vokale des Finnischen sind /i, ü, u; e, ö, o; ä, a/. Sie kommen in kurzer und langer Form vor (der Unterschied ist phonemisch bedeutsam), die Vokallänge wird im Finnischen durch Doppelsetzung (zB. /aa/), im Ungarischen durch einen Akzent (z.B ház) ausgedrückt.

[Bearbeiten] Vokalharmonie und Vokalassimilation

Vokalharmonie ist die qualitative Abhängigkeit eines Suffixvokals vom Wurzelvokal, im weiteren Sinne die qualitative Angleichung zwischen den Vokalen eines Wortes. Beides ist in den uralischen Sprachen weit verbreitet. Ob es sich um ein proto-uralisches Merkmal handelt, ist umstritten: hier könnte turkischer Einfluss vorliegen. Der Suffixvokal richtet sich nach der Qualität des Wurzelvokals; hierbei bilden /a, o, u/ einerseits und /ä, ö, ü/ andererseits disjunkte Klassen:

Beispiele aus dem Finnischen:

  • tallo "Haus", tallo-ssa "im Haus"
  • kynä "Feder", kynä-ssä "in der Feder"

Aus dem Ungarischen:

  • asztal "Tisch", asztal-ok "Tische"
  • föld "Land", föld-ök "Länder"

Ähnliche Regeln gelten nicht nur im Finnischen und Ungarischen, sondern auch in manchen Dialekten des Mordwinischen, Mari, den ob-ugrischen Sprachen und dem samojedischen Kamas. In anderen uralischen Sprachen fehlt dagegen die Vokalharmonie völlig.

Streng genommen von der Vokalharmonie zu trennen ist die Vokalassimilation. Z.B. assimiliert unbetontes Suffix-e im Finnischen zum vorhergehenden Vokal:

  • talo+hen > taloon "in das Haus" (das h entfällt zusätzlich)
  • talo+i+hen > taloihin "in die Häuser"

Im Ungarischen assimiliert der Suffixvokal der Endung -hez qualitativ (in seiner Rundung) zum vorhergehenden Vokal:

  • ház-hoz "zum Haus"
  • kéz-hez "zur Hand"
  • betu-höz "zum Brief"

[Bearbeiten] Konsonantenstufung (Stufenwechsel)

Im Samisch-Finnischen werden "harte" Konsonanten durch stimmhafte, frikative oder liquide Varianten ersetzt, Doppelkonsonanten zu Einfachkonsonaten entschärft, wenn die folgende Silbe durch ein Suffix geschlossen wird (z.B. beim Genetiv-Suffix -n). Diesen Vorgang nennt man Konsonantenstufung oder Stufenwechsel.

Beispiele aus dem Finnischen:

  • mato "Wurm" > madon "des Wurmes"
  • matto "Decke" > maton "der Decke"
  • poika "Junge" > pojan "des Jungen"
  • lintu "Vogel" > linnun "des Vogels"

Im Finnischen gelten allgemein folgende Übergangsregeln:

  • pp > p, tt > t, kk > k; mp > mm; t > d, p > v, k > 

Ob auch in den samojedischen Sprachen Spuren der Konsonantenstufung zu finden sind, ist umstritten. Die meisten Forscher gehen von einer samisch-finnischen Innovation aus.

[Bearbeiten] Agglutinative Morphologie

Die uralischen Sprachen benutzen zur Bildung der Formen der Nomina und Verben die Agglutination (lat. "Anleimung"). Jedem Morphem (Wortbildungselement) entspricht dabei eindeutig ein Bedeutungsmerkmal (z.B. Kasus, Numerus, Tempus oder Person), die einzelnen Morpheme werden - unter Berücksichtigung der Vokalharmonie (siehe oben) - unmittelbar aneinandergereiht. Die Morpheme sind also monosemantisch (Träger nur einer Bedeutung) und juxtaponierend (anneinanderreihend). Bei flektierenden Sprachen tragen die Endungen in der Regel mehrere Bedeutungen, z.B. deutsch lieb-t: hier weist die Endung -t sowohl auf die 3. Person, den Singular als auch das Tempus Präsens hin. (Beispiele zur Agglutination unter Nominalbildung und Verbalbildung.)

Es gibt keinen Zweifel, dass bereits das Proto-Uralische vom agglutinierendem Sprachtyp war.

[Bearbeiten] Nominalbildung

[Bearbeiten] Kasus

Die Kasus des Nomens werden in den uralischen Sprachen ausschließlich durch Suffixe gebildet, nie durch Präfixe. Adjektiv-Attribute, Demonstrativa und Zahlwörter zeigten ursprünglich keine Kongruenz in Kasus und Numerus mit dem zugeordneten Nomen, wurden also nicht 'mitdekliniert'.

  • Ungarisch: a négy nagy ház-ban "in den vier großen Häusern"

(a bestimmter Artikel, négy "vier", nagy "groß", nur das Substantiv ház wird dekliniert, hier durch die lokativendung -ban.)

Allerdings ist die finnisch-samische Gruppe unter dem Einfluss seiner indogermanischen Umgebung zur Kongruenz übergegangen, wie folgende Beispiele aus dem Finnischen zeigen:

  • pieni poika "kleiner Junge"
  • piene-t poja-t "kleine Jungen" (Plural, pojat mit Konsonantenstufung)
  • neljä-ssä iso-ssa talo-ssa "in den vier großen Häusern" (mit Vokalharmonie bei der Lokativendung -ssa)

Das Proto-Uralische besaß mindestens einen Nominativ (unmarkiert), Akkusativ, Ablativ, Lokativ und Lativ (Richtungsfall). Die Anzahl der Fälle reicht in den modernen uralischen Sprachen von drei beim Chanti, über sechs bei den samischen Sptrachen, 15 im Finnischen bis zu 16 (oder gar 21) im Ungarischen. Die folgende Tabelle zeigt die Kasusbildung in einigen uralischen Sprachen:

Finnisch Komi Ungarisch Nenets Deutsch
talo-ssa kerka-yn ház-ban xarda-xa-na im Haus
talo-i-ssa kerka-yas-yn ház-ak-ban xarda-xa-?-na in Häusern
talo-sta kerka-ýs ház-ak-ból xarda-xa-?-d vom Haus weg

Die Kasussuffixe - hier im Beispiel für Lokativ und Ablativ - sind offensichtlich nicht proto-uralisches Gemeingut, sondern haben sich erst in späteren Phasen herausgebildet.

[Bearbeiten] Numerus und Genus

Der Numerus (Singular, Plural und Dual) ist keine Proto-Uralische Kategorie, was man daran erkennen kann, dass in den modernen uralischen Sprachen die Pluralmarker (Morpheme zur Kennzeichnung des Plurals) außerordentlich vielfältig sind. Einen Dual gibt es heute in den samischen, ob-ugrischen und samojedischen Sprachen. Die Kategorie Genus (grammatisches Geschlecht) existiert in den uralischen Sprachen nicht. Komplexere Nominalphrasen werden in den uralischen Sprachen nach sehr unterschiedlichen Prinzipien gebildet, die Regeln dafür liegen aber in jeder Sprache fest. Als Beispiel sei hier wieder das Finnische herangezogen. Im Finnischen hat eine Nominalkette die Struktur

  • Stamm + (Pluralmarker) + Kasusmarker + (Possessivmarker)
  • talo-i-ssa-ni
Haus-PLURAL-INESSIV-POSS 1.sg.
Haus-mehrere-in-mein (lit.)
"in meinen Häusern"
  • talo-i-sta-si "aus deinen Häusern"

Gesamturalisch gilt bei Possessiv-Konstruktionen die Reihenfolge 'Besitzer vor Besitz':

  • Finnisch: isä-n talo "Vaters Haus", "das Haus des Vaters"
  • Ungarisch: János ház-a "Janos Haus-sein" (lit.): "Janos' Haus"

[Bearbeiten] Verbalbildung

Die uralischen Kategorien des Verbums sind

Die Diathese (Aktiv, Passiv, Medium) ist keine gesamt-uralische Kategorie. Konstruktionen mit Hilfsverben sind - z.B. im Finnischen - erst unter dem Einfluss germanischer Sprachen entstanden. Einige Beispiele zur Verbalbildung aus dem Finnischen:

Das finnische Verb laula "singen" im Präsens Indikativ:

Person Singular Plural
1 laula-n ich singe laula-mme wir singen
2 laula-t du singst laula-tte ihr singt
3 laula-a er,sie,es singt laula-vat sie singen

Das Imperfekt wird durch Präsensstamm + i + Personalendung gebildet. Dabei kommt es zu Kontraktionen und Assimilationen, z.B.

  • laula-i-n > laulo-i-n "ich sang"
  • laula-i-a > laula-i "er, sie es sang"

Perfekt und Plusquamperfekt werden mit dem konjugierten Hilfsverb ole + Partizip Perfekt laula-nut konstruiert:

  • ole-n laula-nut "ich habe gesungen"
  • ol-i-n laula-nut "ich hatte gesungen"

Durch Einfügung von -isi- zwischen Verbstamm und Endung wird der Konditionalis markiert:

  • puhu-isi-n "ich würde sprechen"

[Bearbeiten] Negativ-Verb

Die Negation wird durch ein konjugierbares Negativ-Verb ausgedrückt, vergleichbar mit der Umschreibung im Englischen I do not go. Z.B. im Finnischen:

  • mene-n "ich gehe"
  • e-n mene lit. "ich-tue-nicht gehen" → "ich gehe nicht"
  • mene-t "du gehst"
  • e-t mene "du gehst nicht"

[Bearbeiten] Umschreibung für "haben"

"Haben" wird durch das Hilfsverb "sein" mit dem Lokativ ausgedrückt.

  • Finnisch: isä-llä on tallo "Vater-bei ist Haus" (lit.) → "Vater hat ein Haus"
  • Ungarisch: János-nak van egy ház-a "Janos-bei ist ein Haus-sein" (lit.) → "Janos hat ein Haus" (hier zusätzlich ein Rückbezug auf den Besitzer durch die Possessivendung -a)

[Bearbeiten] Wortstellung

Die ursprüngliche uralische Wortstellung im Satz ist SOV (Subjekt - Objekt - Prädikat). Sie ist nach wie vor bei den samojedischen und ob-ugrischen Sprachen die Regel, bei den zentralen finno-ugrischen Sprachen in Russland und im Ungarischen üblich, wenn auch nicht obligatorisch. In den ostseefinnischen Sprachen hat sie sich unter dem Einfluss des [Indogermanische Sprachen|Indogermanischen]] in die Stellung SVO geändert.

[Bearbeiten] Literatur

[Bearbeiten] Uralische Sprachfamilie

  • Abondolo, David (ed.): The Uralic Languages. Routledge, London und New York 1998.
  • Collinder, Björn: An Introduction to the Uralic Languages. Berkeley, Calif. 1965.
  • Hajdú, Péter und Péter Domokos: Die uralischen Sprachen und Literaturen. Buske, Hamburg 1987.
  • Janhunen, Juha: Uralic Languages. In: William F. Frawley (ed.): International Encyclopedia of Linguistics. Oxford University Press 2003.
  • Marcantonio, Angela: The Uralic Language Family. Facts, Myths and Statistics. The Philological Society, Oxford und Boston 2002.

[Bearbeiten] Wörterbücher

  • Rédei, Károly: Uralisches Etymologisches Wörterbuch. Harrassowitz, Wiesbaden 1988 (Band I und II) und 1991 (Band III).
Band I: Uralische und finnisch-ugrische Schicht. Band II: Finnisch-permische und finnisch-wolgaische Schicht. Band III: Register.

[Bearbeiten] Klassifikation

  • Austerlitz, Robert: L'ouralien. In: André Martinet: Le langage. Paris 1968.
  • Castrén, Matthias Alexander: Grammatik der samojedischen Sprachen. St. Petersburg 1854.
  • Gyarmathi, Sámuel: Affinitas linguae Hungaricae cum linguis fennicae originis grammatice demonstrata. Göttingen 1799.
  • Leibniz, Gottfried Wilhelm (ed.): Collecteana etymologica. Hannover 1717
  • Ruhlen, Merritt: A Guide to the World's Languages. Volume I: Classification. Edward Arnold, London 1987. Postscript 1991.
  • Strahlenberg, Philip Johan von: Das nord- und östliche Theil von Europa und Asia. Stockholm 1730.
  • Voegelin, C. F. and F. M. Voegelin: Classification and Index of the World's Languages. New York 1977.

[Bearbeiten] Weblinks

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