Gewalt in der Bibel
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Die Neutralität dieses Artikels oder Absatzes ist umstritten. Die Gründe stehen auf der Diskussionsseite und auf der Seite für Neutralitätsprobleme. Entferne diesen Baustein erst, wenn er nicht mehr nötig ist, und gib gegebenenfalls das Ergebnis auf der Neutralitätsseite bekannt. |
Die Thematisierung von Gewalt in der Bibel kann man in 3 Unterpunkte gliedern:
- Zwischen Gott und Mensch (z.B. Verbannung aus dem Paradies, Sintflut, Endgericht)
- Zwischen Mensch und Mensch (z.B. der Brudermord (Gen 4), Fremdheit und Feindschaft unter den Nationen als Kriegsursache (Gen 11), imperialer Größenwahn von sich selbst vergottenden Menschen (Exoduserzählung Ex 1-15), Ausbeutung, Versklavung und Entrechtung der Schwachen (ebd., Prophetie) usw.
- Von Mensch gegen Gott. Weil Gott als Helfer und Retter der Bedrängten verstanden wird, wird die Gewalt unter Menschen zugleich als Gewalt gegen Gott gesehen, die seine vergeltende Gerechtigkeit unweigerlich nach sich ziehen werde. Dabei zielt die Heilsgeschichte, die die Bibel verkündet, letztlich auf die Überwindung und Erlösung von aller Gewalt, die dieses Leben bestimmt (z.B. Jes 11,1-9).
Im Neuen Testament schneiden sich die Linien menschlicher Gewalt und göttlicher Gegenaktion: Das Ereignis der Kreuzigung Jesu wird als Gipfel und Höhepunkt menschlicher Sünde und Bosheit, die sich im Kern gegen Gott selbst richtet, gedeutet - zugleich aber als das zentrale Heilsereignis, in dem Gott in Gestalt seines Sohnes auf seine Macht zu Gunsten einer umfassenden neuen Lebenschance für alle Menschen verzichtet habe (Phil 2,5-11).
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Überblick
An circa 600 Bibelstellen ist von der Gewalt unter Menschen die Rede (Krieg, Mord, Vergewaltigung, Folter, Sachbeschädigung, Strafe für Verbrechen, Strafe in der Kindererziehung etc.).
An über 1000 Stellen wird Gewalt durch Gott thematisiert, die in der Regel als gerechte Bestrafung der Betroffenen dargestellt wird. Gott straft selbst (durch Krankheit, Naturkatastrophen etc.) oder lässt bestrafen (bis hin zur Aufforderung zum Krieg).
In theologisch begründeten Handlungsanweisungen der Bibel findet man sowohl Gewaltgebote, darunter eine ganze Reihe von Vergehen, für die die Todesstrafe vorgesehen war, wie auch Gewaltverbote und Regeln, die Gewalt unter Menschen begrenzen sollen. Am bekanntesten davon sind:
- die Talionsformel Leben anstelle von Leben, Auge für Auge, Zahn für Zahn... (Ex 21,23f; Lev 24,19f; Dtn 19,21), die den Verursacher zum Schadensausgleich verpflichten und seine Bestrafung auf das Maß des angerichteten Schadens begrenzen sollte (Verhältnismäßigkeitsprinzip);
- das Verbot Töte (Morde) nicht! (Ex 20,13) als Teil der Zehn Gebote, die für den biblischen Bund Gottes mit Israel konstitutiv sind;
- das Gebot der Bergpredigt Jesu Liebet eure Feinde!, das als alternative Erfüllung und so Entkräftung des von Menschen missbrauchten göttlichen Vergeltungsgebots begründet wird (Mt 5,38-48).
Besonders umstritten sind Aussagen der Tora im Zusammenhang mit der Eroberung des Landes Kanaan, etwa 2. Mose 23,23: Ja, mein Engel wird vor Dir hergehen und Dich zu den Amoritern, Hethitern, Perisitern [...] bringen und ich werde sie vertilgen. Demgemäß wird der „Bann“ - das Ausrotten - aller wehrfähigen männlichen Bewohner einer kanaanäischen Stadt geboten, die nicht zur friedlichen Übergabe bereit war (Dtn 20,13). Dies wird jedoch später relativiert: Gott habe die Nachbarstämme Israels überleben lassen, um alle Folgegenerationen das für andere Völker vorbildliche Halten der Gebote zu lehren (Ri 3,1f).
Wie sich Gottes Gewalt zu der des Menschen verhält, zieht sich als theologisches Grundproblem durch die ganze Bibel. Gott will die menschliche Gewalt „richten“, begrenzen und menschenwürdigen Zwecken zuordnen; zugleich aber erscheint Gewalt damit als integraler Bestandteil des biblischen Gottesbildes. Seit der Neuzeit wird daran sowohl von außen (Atheismus, Humanismus) wie innen (reformatorische und liberale Theologie) Kritik geübt.
Die unter Christen und Nichtchristen bis heute verbreitete Sicht, wonach ein gewalttätiger liebloser Gott des sogenannten Alten Testaments von einem ausschließlich liebenden, gewaltlosen Gott des Neuen Testaments abgelöst worden sei, ist exegetisch unhaltbar, theologisch problematisch und in seiner historischen Wirkung fatal. Sie gilt als Kernelement des Antijudaismus. Manche Christen verhielten sich historisch weitaus gewalttätiger und intoleranter zu anderen Religionen, als es nach diesem beanspruchten Gottesbild hätte geschehen können.
[Bearbeiten] Hebräische Bibel
[Bearbeiten] Gottes Handeln
Das Alte Testament beschreibt in vielen Details die Ausübung von Gewalt durch Gott selbst. Dabei geht es größtenteils um Bestrafung von Vergehen (nach biblischen Wertmaßstäben) oder um die Abwehr von Gewalt.
- Gott lässt als Bestrafung für deren Ungehorsam Adam und Eva aus dem Paradies vertreiben und stellt Engel mit Flammenschwertern als Wächter und zur Mahnung auf (Genesis 3,24)
- Als das Handeln der Menschheit in Gottes Augen verdorben ist, sendet er die Sintflut, die bis auf die Überlebenden der Arche Noah alles Leben auf der Erde auslöscht. (Gen 7)
- Die sündhaften Städte Sodom und Gomorrha werden in Gottes Auftrag von Feuer verzehrt (Gen 19,24ff). Die Städte fanden zuvor in Abraham einen Anwalt, der die Zusicherung der Verschonung erwirkte, wenn sich in diesen Städten Gerechte (im biblischen Sinne) fänden (Gen 18,20ff). Ihre Bewohner werden als sexuell pervertiert dargestellt (Versuchte Vergewaltigung durch den Mob (Gen 19,5ff).
- Gott prüft Jakob, indem er ihn mit einem Engel ringen lässt (Gen 32,23-33)
- Gott sendet den Ägyptern durch Moses die zehn Plagen, darunter Feuerregen und Tod aller erstgeborenen Söhne der Ägypter, um die Entlassung der Israeliten aus der Gewalt der Pharaos (Ex 1,22 u.a.) zu erzwingen (Ex 7,11 und Ex 12,29).
- Das ägyptische Heer unter Führung des Pharao verfolgt die Israeliten ins geteilte Rote Meer. Gott lässt die Ägypter ertrinken oder schlägt sie durch die Fluten in die Flucht (Ex 14,23-31 EU).
- Auch die zwangsweise Berufung verschiedener Personen des Alten Testaments in den Propheten-Status (Beispiel: Jakob oder Moses) wird nach der heutigen Definition häufig als eine Form der Gewalt (Einschränkung der persönlichen Freiheit) angesehen.
Auch im Neuen Testament wird Gewaltanwendung durch Gott beschrieben.
- Zornesschalen werden in der Endzeit auf die Erde geschüttet, wo sie diejenigen treffen, die sich Gott widersetzt haben (Offenbarung des Johannes).
- Untreue Verwalter der Sache Gottes werden durch Tod bestraft (Matthäusevangelium)
- Ebenso kann die Androhung der Verdammnis bei Unglauben als Gewalt verstanden werden:„Wer an den Sohn glaubt, hat das ewige Leben; wer aber dem Sohn nicht gehorcht, wird das Leben nicht sehen, sondern Gottes Zorn bleibt auf ihm.“ Johannesevangelium 3,36
[Bearbeiten] Menschliches Handeln gegen Menschen
Die Bibel nimmt Stellung zu nahezu jeder Form von Gewalt, die sich unter Menschen abspielen kann. Grundsätzlich wird Gewalt als etwas Negatives gesehen. Bezeichnenderweise beginnt die biblische Menschheitsgeschichte mit einigen Gewaltakten, z.B. dem Brudermord von Kain an Abel (Gen 4).
Zum Beweis der Gottesfurcht, fordert Gott Menschenopfer,
- Und er sprach: Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast, und geh hin in das Land Morija und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde. 1. Mose 22,2
welche er aber im letzten Moment verhindert:
- 10 und reckte seine Hand aus und fasste das Messer, dass er seinen Sohn schlachtete. 11 Da rief ihn der Engel des Herrn vom Himmel und sprach: Abraham! Abraham! Er antwortete: Hier bin ich. 12 Er sprach: Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts; denn nun weiß ich, dass du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen. 1. Mose 22,10-12
In den Gesetztestexten der Bücher Mose werden verschiedenste Formen der Kriminalität und deren Bestrafung abgehandelt. Das Gebot „Leben für Leben, Auge für Auge, Zahn für Zahn“ bedeutete in seinem Eigenkontext einen angemessenen Schadenersatz für alle Fälle von Körperverletzung. Es wird in antijudaistischer Tradition häufig als für das Judentum oder den Alten Orient angeblich typisches Prinzip der ewigen Vergeltung missverstanden, obwohl es die Blutrache begrenzen und durch eine verhältnismäßige Bestrafung des Täter durch die Plficht zur Wiedergutmachung des Schadens ablösen sollte.
Die Zehn Gebote, als zentraler Wertekodex, lehnen Gewalt ab: Du sollst nicht töten, nicht stehlen, nichts begehren, was einem anderen gehört. Manche sehen hier einen Widerspruch zu den in den Gesetzen enthaltenen Todesstrafe oder zu Aufforderungen Gottes, Kriege zu führen. Hier zeigt sich aber, dass Gewalt in der Bibel nicht begrüßt sondern bestenfalls in Kauf genommen wird.
In den Geschichtserzählungen des Pentateuch und des Deuteronomistischen Geschichtswerks der Bücher Josua bis 2. Könige werden viele gewaltsame Auseinandersetzungen innerhalb wie außerhalb der Israeliten und der späteren Reiche Nordreich Israel und Reich Juda berichtet. Besonders in der vorstaatlichen Richterzeit erscheint der Verteidigungskrieg bei äußerer Existenzbedrohung als Aktion Gottes, der einen charismatischen Heerführer „erwählt“, die Zwölf Stämme Israels zusammenzurufen und in die Abwehrschlacht zu führen. Solche kriegerische Gewalt wird also unter Umständen als Heiliger Krieg legitimiert.
Die Bibel berichtet im Kontext der Landnahme auch über Ausrottung fremder Nachbarvölker Israels im Auftrag Gottes, die Frauen und Kinder nicht verschonten. Dies wurde in der Tora jedoch als Unrecht ausgeschlossen und an strenge Bedingungen - Friedensangebot, gescheiterte Verhandlungen - geknüpft, die in den Geschichtserzählungen jedoch nicht immer eingehalten wurden. Die historische Forschung sieht die biblische Darstellung der Eroberung Kanaans zum Teil als spätere Rückprojektion nach den Eroberungsfeldzügen König Davids, weil der Ansiedlungsprozess lange Zeit als friedliches Einsickern der Halbnomaden geschah und die kanaanäischen Stadtstaaaten zunächst bestehen blieben. Ein Auftrag Gottes zur Ausrottung etwa der Amalekiter wird als nachträgliche Tabuisierung der Übernahme ihrer Fremdkulte gedeutet.
Die biblische Geschichtsschreibung unterscheidet sich in Bezug auf Krieg nicht wesentlich von der orientalischer Großreiche. Jedoch deutet sie die Katastrophen der Geschichte Israels im Anschluss an das Auftreten der israelitischen Propheten theologisch als Gerichte Gottes und Folge von menschlichem Versagen, Gewalttaten und Unrecht, Abfall zu anderen Göttern usw. Auch Verbrechen von Heldengestalten wie König David wie seine Beseitigung Usijas, um dessen Witwe zur Frau zu nehmen, werden mit kritischer Intention überliefert.
[Bearbeiten] Menschliches Handeln gegen Tiere
Im Alten Testament werden für Gott Tieropfer verlangt.
- 7 Vermag er aber nicht ein Schaf zu geben, so bringe er dem Herrn für seine Schuld, die er getan hat, zwei Turteltauben oder zwei andere Tauben, die eine zum Sündopfer, die andere zum Brandopfer,8 und bringe sie dem Priester. Der soll die erste als Sündopfer darbringen und ihr den Kopf abknicken hinter dem Genick und nicht ganz abtrennen,9 und er sprenge etwas von dem Blut des Sündopfers an die Seite des Altars und lasse das übrige Blut ausbluten am Fuße des Altars; es ist ein Sündopfer. 3. Mose 5,7-9
Das Töten von Tieren zur Nahrungsgewinnung geschah nach damaligen Ermessen möglichst schonend.
- Du sollst dem Ochsen, der da drischt, nicht das Maul verbinden. 5. Mose 25,4
- Der Gerechte erbarmt sich seines Viehs; aber das Herz der Gottlosen ist unbarmherzig. Sprüche 12,10
Ferner ist nach jüdischer Sicht die Erzählung von Bileam im 4. Buch Mose weit mehr als ein bloßes Märchen. Die sprechende Eselin kann als Traumgesicht von Bileam verstanden werden und dient vor allem als Plädoyer gegen Tierquälerei. Dazu ein Kommentar von Maimonides:
- Unsere Weisen haben festgestellt, dass es in der Torah ausdrücklich verboten ist, einem Tier Schmerzen zu verursachen, und dass dieses Verbot auf dem Satz beruht: Warum hast du deine Eselin geschlagen?
[Bearbeiten] Politische Herrschaftsgewalt Gottes
Zum einen wird Gott als „Herr aller Herren und König aller Könige“ bezeichnet, der alle Gewalt innehat. Dies kommt auch im Schlusssatz des Vater Unser zum Ausdruck: „Denn Dein ist das Reich und die Macht und die Herrlichkeit, in Ewigkeit, Amen“
Zum Anderen wird ausgesagt, dass die Regierungsgewalt den Menschen übertragen wurde: „Macht Euch die Erde untertan“ (1. Mose)
Paulus schrieb an die römischen Christen (Rö 13): Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott verordnet. Wer sich nun der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt Gottes Ordnung; die aber widerstreben, werden über sich ein Urteil empfangen.
Zu verschiedensten Zeiten haben Herrscher dies als ein von Gott verliehenes Gewaltmonopol interpretiert.
Diesem Konzept gegenüber steht das vor allem in westlichen Verfassungen verankerte Prinzip der Trennung von Staat und Kirche.
Zum einen wird Gott als Richter beschrieben, der am jüngsten Tag Gericht über die ganze Menschheit und jeden einzelnen Menschen halten wird.
Zum anderen spricht die Bibel davon, dass die Obrigkeit auch Recht spricht und Recht sprechen soll. Erneut wird das von den Herrschern oft zitierte Monopol auf Herrschafts- und Gerichtsgewalt „durch Gottes Willen“ bestätigt.
[Bearbeiten] Neues Testament
[Bearbeiten] Das Verhältnis Jesu zur Gewalt
Jesus von Nazaret hat in der Bergpredigt Gegengewalt zur Selbstverteidigung abgelehnt und stattdessen Feindesliebe geboten (Mt 5,38-48 EU):
- Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Auge um Auge, Zahn um Zahn! Ich aber sage euch: Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich jemand auf die rechte Wange schlägt, dann halte ihm auch die andere hin. Will jemand mit dir rechten und dir deinen Rock nehmen, dann lass ihm auch den Mantel. Nötigt dich jemand, eine Meile weit mitzugehen, dann geh zwei mit ihm. Wer dich bittet, dem gib; wer von dir borgen will, den weise nicht ab.
- Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder eures Vaters im Himmel werdet, der seine Sonne aufgehen lässt über Böse und Gute, und es regnen lässt über Gerechte und Ungerechte. Denn wenn ihr nur jene liebt, die euch lieben, welchen Lohn könnt ihr dafür erwarten? Tun das gleiche nicht auch die Zöllner? Und wenn ihr nur eure Freunde grüßt, was tut ihr da Besonderes? Tun das gleiche nicht auch die Heiden? Seid also vollkommen, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist.
Zugleich hat Jesus aber die biblische Vorstellung vom Endgericht Gottes geteilt und in seiner Verkündigung zur Begründung des geforderten neuen gewaltfreien Verhaltens herangezogen. Gewaltfreiheit umfasst nach seiner Lehre nicht nur den praktischen Verzicht auf Gewalt, sondern auch die Gewaltfreiheit gegenüber anderen Menschen im Geiste (Bergpredigt, Mt 5,21-24 EU). Die lutherische Lehre bezieht das Ideal des absoluten Gewaltverzichts gemäß der Zwei-Reiche-Lehre auf das Reich Gottes. Der moderne Pazifismus führt den Gewaltverzicht als zentrales Element. Aus psychologischer und philosophischer Sicht wird Kritik geübt. Wenn man davon ausginge, dass Aggression unvermeidlich zu den fleischlichen, menschlichen Emotionen gehört dann wäre Jesu Forderung in dieser Welt unerfüllbar (Friedrich Nietzsche u. A.). Der Versuch der Tabuisierung und Unterdrückung solcher Emotionen hätte negative psychologische Konsequenzen und könne kontraproduktiv wirken, indem sie einen vernünftigen Umgang mit der eigenen Aggression verhindere.[1]
Jesus hat offenbar einmal auch selbst Gewalt geübt: Die in allen Evangelien vorkommende Episode der Tempelreinigung berichtet, Jesus habe Händler und Geldwechsler aus dem Vorhof des Tempels in Jerusalem hinausgetrieben (Mk 11,15-19 EU und Parallelstellen). Nach Joh 2,13-22 EU benutzte Jesus dabei eine „Geißel aus Stricken“. Dass er Menschen damit schlug, wird jedoch nicht gesagt. Gemäß seinem Gebot, nicht zurückzuschlagen, hat er im Prozess vor dem Sanhedrin einen der Knechte des Hohenpriesters, der ihn schlug, zur Rede gestellt (Joh 18,23 EU).[2]
In vielen Stellen der Evangelien droht Jesus wie biblische Propheten mit Gottes Gerichtshandeln, mit der Gehenna und ewigen Strafen. Diese Predigt steht im Kontext seiner Verkündigung des Reiches Gottes. Sie drückt für den Gottgläubigen wie im Alten Testament die unweigerlichen Folgen aus, die unter anderem das menschliche Ausüben der Gewalt über die Menschen nach sich ziehen werde (z.B. Mt 5,22.29.30 EU, Mk 9,43.45.47 EU u.a.). Gott ist hier als der gedacht, der dafür sorgt, dass sein Recht sich auf Erden im Geschick der Menschen durchsetzt. Ähnliche Drohungen werden der Verweigerung der Verkündigung und des Beharrens auf die Sünde ausgesprochen (Mt 10,14 EU, Mt 11,23 EU und Parellelstellen, 8,12 EU, Mk 9,42 EU, 16,16 EU; Joh 3,18 EU, 15,6 EU u.a.) und in den sogenannten „Wehrufen gegen die Pharisäer und die Schriftgelehrten“ (Mt 23,15.33 EU und Parellelstellen). Dabei ist umstritten, welche dieser Texte auf Jesus selbst zurückgehen und welche aus urchristlicher Gemeindetheologie stammen.
Die Tora hat Jesus ausdrücklich als Willen Gottes anerkannt und bekräftigt, indem er sie auslegte. Anders als der Evangelist Matthäus hat er aber wohl keine wörtliche Befolgung aller Gebote gefordert (Mt 5,17ff EU), sondern überlieferte Gebote von Fall zu Fall verschieden gedeutet: Manche hat er verschärft, andere relativiert und tendenziell ganz aufgehoben. Dies gilt besonders für dem Wortlaut nach mit der Todesstrafe zu bestrafende Vergehen (Lk 16,17 EU). In Mk 10,4 EU wird die Verstoßung der Frau seitens des Ehemannes angeprangert; das gesetzmäßige Darbringen des Opfers wird relativiert (Mt 5,23f EU). Auch die gesetzmäßige Steinigung einer Ehebrecherin soll Jesus nach Joh 8,1-11 EU verhindert haben. Dieser Text fehlt in einigen der ältesten Evangelienhandschriften, wird aufgrund einiger Details jedoch dennoch oft für Original gehalten, da er Jesuszitaten wie Mt 7,1 EU (Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet!) sachlich entspricht.
Vor allem in den Gleichnissen werden oft Bilder der Gewalt, Motive der Unterdrückung, der Ungerechtigkeit, der Ausstoßung, des Mordes verwendet. Der Anthropologe Rene Girard (Der Sündenbock, Kap. 14) hat darauf hingewiesen, dass die Evangelien selbst den Grund für die Verwendung dieser „Sprache der Gewalt“ in den Gleichnissen nennen: In Mk 4,33 EU wird diese als die einzige den Zuhörern Jesu verständliche Sprache angegeben. Eben die von der Gewalt verursachte Blindheit hindere den Menschen daran, die Wahrheit über die Gewalt zu erfahren, so Girard in Anlehnung auf Mt 13,13 EU:
- Deshalb rede ich zu ihnen in Gleichnissen, weil sie sehen und doch nicht sehen, weil sie hören und doch nicht hören und nichts verstehen.
Das Ziel der Verkündigung Jesu ist jedoch eine Überwindung der üblichen Fixierung auf gewaltsame Lösungen und ein neuer gewaltfreier Umgang der Menschen untereinander in der Hoffnung Daniels auf Gottes gerechtes Gericht, das alle menschlichen Gewaltsysteme beenden werde (Mk 10,42-45 EU):
- Ihr wisst, dass die Herrscher dieser Erde ihre Völker unterdrücken und ihre Mächtigen ihnen Gewalt antun. Aber so soll es unter euch nicht sein, sondern wer unter euch groß sein will, der sei euer Diener, und wer unter euch der Erste sein will, der sei der Sklave für alle. Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben zu geben als Lösegeld für die Vielzahl.
[Bearbeiten] Gewalt, die Jesus und seine Anhänger erlitten
Im Neuen Testament wird vor allem das Leben Jesu als Sohn Gottes beschrieben, in dem er verschiedene Formen von Gewalt erleidet:
- Verfolgung durch König Herodes, dessen Kindermord (2,16 EU), Flucht und Asyl in Ägypten.
- Versuche der Steinigung, Gefangennahme, Verhöre, Folter, Verspottung, Kreuzigung
Sein Tod am Kreuz wird als ein unschuldig erlittener, gewaltsamer Tod dargestellt, den er freiwillig zur Sühne der Sünden der Menschheit auf sich genommen hat.
Die Apostelgeschichte beschreibt erste gewalttätige Christenverfolgungen, bis hin zu Folter und Mord.
[Bearbeiten] Zusammenfassung: Gewalt und Gewaltüberwindung in der Bibel
Trotz der Gewaltdarstellungen insbesondere im Alten Testament finden sich dort auch zahlreiche ethische Grundsätze, die Gewalt ablehnen und verbieten (z.B. die gebotene Hilfe für Fremde und Flüchtlinge). Das Gebot zur Nächstenliebe stammt nicht von Jesus, sondern ist wörtlich übernommen aus dem Alten Testament (3. Buch Mose 19,18). Sogar die Feindesliebe wird bereits im alten Testament geboten (2. Buch Mose 23,4-5). Das Prinzip Auge für Auge wurde als Rechtsprinzip eingeführt, das erstmals im Alten Orient die Blutrache verbot, indem es den Schadensausgleich auf das Maß des Schadens begrenzte. Damit sollte die maßlose Eskalation von Gewalt verhindert werden, da der Verursacher dem Geschädigten Gleiches mit Gleichwertigem ersetzt, anstatt sich zu einer Vergeltungsspirale aufzuschaukeln. Das Prinzip war nicht wörtlich zu nehmen, wie die Beispiele im Kontext zeigen (schlägt jemand seinem Sklaven ein Auge aus, so muss er ihn freilassen).
Die Gewalt in der Bibel wird in der christlichen Theologie oft als Folge des menschlichen Sündenfalls gedeutet, der die Strukturen der Schöpfung geprägt habe, so dass nur Jesus Christus, der an dieser mörderischen Gewalt starb für uns, uns daraus erlösen könne.
[Bearbeiten] Primärtexte
- Die Bibel, in vielen Übersetzungen online nachlesbar, z.B. auf Bibelserver.de
[Bearbeiten] Fußnoten
- ↑ Einer der Vertreter solcher Theorien ist Gerhard Vinnai, der in Jesus und Ödipus schreibt: „Eine Verbotslogik kann Wunschphantasien nicht abschaffen, sondern allenfalls so massive Ängste schüren, daß diese Phantasien Verdrängungsprozessen anheimfallen. Diese können sie nicht zerstören, sondern nur ins Unbewußte abschieben helfen, wo sie, vom Bewußtsein unbearbeitet, eine prekäre Dynamik zu entfalten vermögen. [...] Die Verdrängung unterbindet die Möglichkeit der Sublimierung, die es erlaubt, Triebbefriedigungen ohne das unmittelbare körperliche Ausagieren zu erlangen. [...] Aggressionsverbote können notwendig sein, aber mehr Friedfertigkeit erreicht man kaum allein durch sie, sondern viel eher durch einen bewußteren Umgang mit Aggressivität. Er ermöglicht es, die Aggressivität so zu bearbeiten und zu entschärfen, daß sie in sinnvolle Aktivitäten, etwa in das Ringen um notwendige Veränderungen, eingebaut werden kann. Es spricht einiges dafür, daß die christliche Lehre, die im Neuen Testament einen scheinbar liebenden und friedfertigen Gott vorführt, dem Kampf gegen zerstörerische Mächte eher geschadet als genützt hat. Wo die göttliche Macht, wie im Alten Testament, auch grausame Züge zeigt, braucht die Aggressivität weniger tabuisiert zu werden und ist dadurch leichter der Bearbeitung zugänglich.“ (S. 154f)
- ↑ Vinnai, ebenda: „Wer Menschen lieben will, muß das Schlimme hassen können, das ihnen angetan wird. Eine gestörte Liebesfähigkeit hat, wie die therapeutische Erfahrung zeigt, immer mit einem mißlingenden Umgang mit der eigenen Aggressivität zu tun. Mehr Liebesfähigkeit kann durchaus auch an deren Freisetzung gebunden sein, wenn sie es erleichtert, Grenzen zu ziehen, wo das notwendig ist. [...] Auch Jesus ist im Kampf gegen das Böse fast nie frei von Aggressivität. Bei der Vertreibung der Händler aus dem Tempel demonstriert er ihre, für seinen Glauben befreiende Wirkung.“
[Bearbeiten] Literatur
- Georg Baudler: Gewalt in den Weltreligionen WBG Darmstadt 2005, ISBN 3534159950
- Gerlinde Baumann: Gottesbilder der Gewalt im Alten Testament verstehen Darmstadt 2006
- Franz Buggle: Denn sie wissen nicht, was sie glauben Rowohlt 1997, ISBN 3499604272, Alibri 2004, ISBN 3932710770.
- Walter Dietrich, Moisés Mayordomo Gewalt und Gewaltüberwindung in der Bibel 2005, ISBN 3290173410
- Jürgen Ebach: Das Erbe der Gewalt. Eine biblische Realität und ihre Wirkungsgeschichte, Gütersloh 1980
- René Girard: Der Sündenbock, Benziger: Zürich 1988
- Axel Heinrich: Denkmuster zur Eindämmung und zur Legitimation von Gewalt im Christentum und im Islam. Ein Literatureinblick. Bonn, Juni 2006. Schriftenreihe Gerechtigkeit und Frieden der Deutschen Kommission Justitia et Pax, Band 109, ISBN 3-932535-93-6 oder Download der ersten drei Seiten als PDF-Datei: [1]
- Adolf Holl: Die unheilige Kirche: Geschlecht und Gewalt in der Religion, Stuttgart 2005, ISBN 3783125936
- Norbert Lohfink (Hrsg.): Gewalt und Gewaltlosigkeit im Alten Testament, QD 96, Freiburg 1983
- Hannes Müller: Wurzeln der Gewalt in Bibel und Christentum, Berlin 2003, ISBN 3000116230
- Erich Zenger: Ein Gott der Rache? Feindpsalmen verstehen, Freiburg 1994
[Bearbeiten] siehe auch
[Bearbeiten] Weblinks
- Vortrag von Stefan Ernste über Gewalt in der Bibel
- Vortrag Akademie Tuttlingen: Gewalt und Gewaltüberwindung in der Bibel (7. Mai 2002)
- Portal des ÖRK zur Ökumenischen Dekade zur Überwindung von Gewalt
- Internationaler Bund der Konfessionslosen und Atheisten e.V.: Bibelzitate zu Gewalt Gottes
- Achim Stößer: Bibelstellen FAQ „Weltanschauung“)
- Norbert Lohfink: „Mord im Namen Gottes?“ Krieg und Gewalt im Alten und Neuen Testament sowie im Koran und die Auswirkungen auf Christen und Muslime
- Jürgen Ebach: Ist das Alte Testament ein grausames Buch?