Gulag
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Gulag (russisch Главное Управление Лагерей/ Glavnoje Upravlenije Ispravitelno-trudovych Lagerej anhören ?/i) steht für Hauptverwaltung der Besserungsarbeitslager und ist gleichzeitig das Synonym für ein umfassendes Repressionssystem der Sowjetunion, bestehend aus Zwangsarbeitslagern, Straflagern, Gefängnissen und Verbannungsorten.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Geschichte des Gulag
[Bearbeiten] Vorläufer
Schon die russischen Zaren hatten politische Gefangene, Verbrecher und missliebige Leibeigene nach Sibirien verbannt. Ein Gerichtsverfahren oder eine Untersuchung ging zumeist voraus. So wurden zum Beispiel Lenin von 1897 bis 1900 und Josef Stalin von 1913 bis 1917 in die Region Krasnojarsk verbannt. In den zaristischen Straflagern sollen in den 1830er Jahren 8.000 Menschen festgehalten worden sein, in den 1870er Jahren 20.000 und zu Beginn des 20. Jahrhunderts bis zu 30.000 Menschen.
[Bearbeiten] Weiterentwicklung
Die Sowjetregierung unter Lenin richtete mit Beginn des Russischen Bürgerkriegs 1918 Internierungslager für sog. Klassenfeinde, politische Gegner, bestimmte soziale Gruppen und gewöhnliche Kriminelle ein. Im Erlass "Über den Roten Terror" hieß es 1918, Klassenfeinde sollten "in Konzentrationslagern isoliert werden". Diese Lager wurden nach Ende des Bürgerkriegs aufgelöst. Für die verbliebenen Gefangenen und neu hinzugekommene, so die Aufständischen von Kronstadt, stellte sich die Frage der weiteren Unterbringung. 1922 überließ die Sowjetregierung der GPU dafür die Solowezki-Inseln, fünf Inseln im Weißen Meer nahe Archangelsk und richtete dort Lager ein. Von den Machthabern eingeführt wurde der Begriff "Besserung durch Arbeit". Es wurde allerdings unterschieden zwischen Besserungsarbeit für Häftlinge aus der Arbeiterklasse und Zwangsarbeit für "Konterrevolutionäre" und "Klassenfeinde" zur Erniedrigung, Bestrafung und Vernichtung.
Der Grundsatz der "Besserung und Umerziehung" und freizügigere Strafvollzugsbedingungen galten nicht für politische Häftlinge [1]. R.Stettner bezeichnet es darüberhinaus als falsch, der "kommunistischen Terminologie und Propaganda zu folgen und die Betrachtung... auf Besserungsarbeit zu konzentrieren." Es sei vielmehr "festzuhalten, daß von den ersten Wochen der Herrschaft der Bolschewiki an Gefangenenzwangsarbeit der politisch Mißliebigen üblich war".
Bis 1925 wurden in den Lagern kleinere, unproduktive Arbeiten verrichtet, ab 1926 ging die GPU zum Prinzip der Selbstkostendeckung der Arbeitslager über. Die Häftlinge wurden zunächst zum Holzeinschlag verwendet (Holz war zu dieser Zeit ein Hauptexportartikel der Sowjetunion). Der Politikwechsel ab 1928 – Industrialisierung, Zwangskollektivierung – führte zu einem wesentlich größeren Häftlingsaufkommen.
Stalin forderte 1929 eine effizientere Nutzung der Arbeitskraft von Häftlingen in den Arbeitslagern, die fortan offiziell als "Besserungsarbeitslager" bezeichnet wurden. Die Lagerreformen der Jahre 1928/29, speziell das Dekret vom 26. Juni 1929, waren die Geburtsstunde der eigentlichen GULAG. Häftlinge mit einem Strafmaß von über drei Jahren sollten generell in Lagern untergebracht werden und dort Arbeiten verrichten. Unter Stalin wurde das System straff durchorganisiert und stetig erweitert. In den folgenden Jahren weitet sich das Lagersystem räumlich aus, bis es schließlich in allen Teilen der Sowjetunion anzutreffen war. Auch die Arbeitskraft der Häftlinge wurde immer weitläufiger eingesetzt. Zum Beispiel sollte Igarka durch eine 1.300 km lange Polareisenbahn erschlossen werden. Projekt Nr. 501 am Ob und Projekt Nr. 503 am Jenissei sollten sich zur Magistrale verbinden. Es wurden 100.000 bis 120.000 Menschen, hauptsächlich Gulag-Insassen, dazu eingesetzt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden auch Deutsche als Zwangsarbeiter nach Sibirien transportiert. Häufig wurden sie in der Frühzeit der DDR als – meist vermeintliche – "Spione für den Westen" ("Kalter Krieg") oder Regimegegner verhaftet. Aber auch aus vielen anderen Ländern und Regionen kamen die Häftlinge, so dass in den Lagern viele Nationen vertreten waren. Seit 1948 unterstanden auch die Speziallager in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands, beziehungsweise der DDR, der Lager-Hauptverwaltung GULag des Moskauer Innenministeriums. [2]
[Bearbeiten] Zahl der Opfer
In den Lagern der Sowjetzeit waren zeitweise bis zu 2,5 Millionen Menschen inhaftiert. Viele Urteile kamen ohne ordentliches Gerichtsverfahren zustande. Besonders aber die Einführung des Artikel 58 seit dem Jahr 1927 bewirkte eine große Zahl von Verhaftungen [3]. Der Artikel 58 beinhaltete Paragraphen wie "Terrorismus", "Propaganda oder politische Agitation", "organisatorische Tätigkeit...", machte aus Recht ein "Instrument der Herrschaft und wurde je nach den augenblicklichen politischen Forderungen der Partei angewandt" (Kotek, Rigoulot). Bis 1956 wurde etwa die Hälfte aller Fälle – wenn überhaupt – dann in einem farcenhaften Scheinprozeß durch das "OSO" ("Sonderkollegium des NKWD), einem außergerichtlichen Organ, in Abwesenheit des Angeschuldigten und hinter verschlossenen Türen verhandelt, ohne dass das Urteil jemals mitgeteilt wurde [4].
Die Gesamtzahl der Menschen, die in der Sowjetunion zwischen dem Ende der 1920er und der Mitte der 1950er Jahre in einem Lager oder in einer Kolonie gefangengehalten wurden, lag jedoch weitaus höher und wird von der jüngeren Forschung mit etwa 18-20 Millionen angegeben.[5]
Große Volksteile und -gruppen wie beispielsweise die Kosaken, "Ausbeuter" wie die Kulaken oder willkürlich als solche Bezeichnete, Geistliche u.v.a. fielen dem Genozid, bzw. dem Demozid des kommunistischen Terrors zum Opfer, der von Lenin begonnen und durch Stalin zum Höhepunkt getrieben wurde. Die Liquidierung der Gegner der kommunistischen Ideen sollte damit erreicht werden.
Die durchschnittliche jährliche Sterberate im Lagersystem wurde in der Forschung jahrzehntelang debattiert. Sie ist bisher nicht abschließend ermittelt. Verschiedene Forscher kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. So reichen Schätzungen von 2,5-30%, schreibt Heinsohn. Für die Lager Kolyma und Workuta gibt es noch höhere Schätzungen. Dort sollen bis zu 50% der Häftlinge umgekommen sein. Rummel, der frühere Zahlen nach unten korrigierte, rechnet für die gesamte marxistisch-leninistische Ära von 1918-1991 mit 39 Millionen Gulag-Toten [6] [7]. Heinsohn erwähnt, dass von den drei Millionen deutschen Kriegsgefangenen, die, von wenigen Ausnahmen abgesehen, in speziellen Kriegsgefangenenlagern, welche nicht zu dem dem GULAG unterstellten System der "Besserungsarbeitslager" gehörten, interniert waren, nach fünf Jahren bereits eine Million verstorben waren.
In seinem 1994 erschienenen Buch kritisierte Bacon sowjetische bzw. russische Forscher, die in ihren frühesten Publikationen (Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre) Archivmaterialien in wissenschaftlich unhaltbarer Weise veröffentlicht hätten, ganze Häftlingskategorien seien weggelassen worden (Bacon, Gulag). Bacon selbst gibt für 1937 die Zahl von 31 Toten pro 1000 Gefangenen an, für 1938 spricht er von 91, für 1939 von 38, 1941 von 67 (dreimal höher als die Sterberate im Landesdurchschnitt), 1942 von 176 (siebenmal höher als Landesdurchschnitt), 1943 von 170, 1944 von 92, 1945 von 61 (siebenmal höher als Landesdurchschnitt). In ihrem 1993 erschienenen Artikel zitierte die Forschergruppe Getty/Rittersporn/Zemskov Archivdaten, nach denen im Zeitraum von 1934-1953 1.053.929 Menschen in den Lagern starben. Todesfälle in Kolonien und Gefängnissen sind in dieser Zahl nicht enthalten. [8].
Seit Ende der 1990er Jahre ist ein großer Teil der erhaltenen Archivbestände des GULAG nicht nur in Moskau, sondern (als Mikrofilme) auch in Bibliotheken in München, London, Cambridge/Mass., Stanford und Chicago verfügbar. Diese frei zugänglichen Dokumente umfassen umfangreiche und detaillierte Häftlings- und Sterbestatistiken für das gesamte Lagersystem während des Zeitraum des Stalinismus (1930-1953) und darüber hinaus. Zahlreiche Dokumente, die Sterbedaten enthalten, sind zudem seither in Quelleneditionen publiziert worden. So findet sich beispielsweise bei Kokurin/Petrov eine Aktennotiz des GULAG aus der zweiten Hälfte der 1950er Jahre, nach der im System der Lager und Kolonien im Zeitraum zwischen 1930 und 1956 1.606.748 Menschen gestorben sind. Diese Zahl, in der Sterbefälle in Kolonien ab einschließlich 1935 enthalten sind, ist konsistent mit den von Getty/Rittersporn/Zemskov präsentierten Daten (Kokurin, S. 441 f., Getty/Rittersporn/Zemskov, S. 1024, 1048-9)). Etwa 900.000 dieser Todesfälle fallen dabei in die Jahre 1941-45. Jedoch sind noch immer nicht alle ehemaligen sowjetischen Archivbestände freigegeben.
Solche Zahlen beinhalten allerdings weder Opfer von Exekutionen außerhalb (und innerhalb) der Lager, zum Beispiel während des Roten Terrors oder des Großen Terrors, noch Todesfälle auf Transporten, gleichfalls nicht Opfer von Spätfolgen des Lageraufenthaltes.
Die Menschen in den Lagern starben an permanenter Unterernährung, Erfrierungen, harten Strafen (Strafisolator, Strafbaracke, Strafkompanien, Einzelstrafen wie Entzug des Essens oder der Kleidung im Winter), Erschöpfung durch Überarbeitung, Krankheiten durch Fehlen von Hygiene und medizinischer Versorgung.
Neben den Todesopfern und den Inhaftierten selbst muss man auch die Familien bzw. Angehörigen der Inhaftierten als Opfer bezeichnen, die Ehegatten, die Kinder und übrige Familienmitglieder. Die Regierungen nahmen bewusst in Kauf, dass die Familien in größte Not geworfen wurden. Es sollte damit eine größere Breitenwirkung des offiziellen Terrors erreicht werden.
[Bearbeiten] Nutzung der Arbeitskraft
Mit Ausnahme einiger besonderer Lager für Wissenschaftler (so genannte Scharaschka, von Solschenizyn wurde in dem Roman Der erste Kreis der Hölle das von ihm in der Realität Erlebte aus eigener Erfahrung beschrieben), kam es im Lagersystem insgesamt nie zu jener effizienten Nutzung der Arbeitskraft, die ab Mitte der Zwanziger Jahre als ein Hauptmotiv bei der Gestaltung des Lagersystems gedient hatte. Die Methode, zum Beispiel den Weißmeer-Ostsee-Kanal im Winter von hungernden und frierenden Häftlingen mit Spitzhacke, Schaufel und Spaten ausheben zu lassen, war wirtschaftlich völlig ineffizient.
Neben der Nutzung der Arbeitskraft war das zweite Hauptmotiv der Lager die Besserung und Umerziehung der Inhaftierten. Beide Motive kommen in der offiziellen Bezeichnung "Besserungsarbeitslager" zum Ausdruck, die ab Mitte der Zwanziger Jahre verwendet wurde.
Nach offizieller Auflösung des Gulag ca. 1960 wurden als Nachfolgerlager des Gulag weiterhin zahlreiche Arbeitslager betrieben, die bis ca. 1990 unter der Bezeichnung "Besserungsarbeitskolonie" im Wirtschaftsplan als Produktionseinheiten eingeplant wurden.
Die Nutzung der Arbeitskraft hatte bei Gründung der sowjetischen Lagersystems unter Lenin noch keine Rolle gespielt, in diesen ersten Jahren dienten die Lager primär der Konzentration und Isolation der Klassenfeinde und führten demgemäß im offiziellen Sprachgebrauch der Sowjetregierung die Bezeichnung "Konzentrationslager".
[Bearbeiten] Alltag im Lager
Die unmenschlichen Lebensbedingungen führten zum Tod vieler Hunderttausender Häftlinge. Die Häftlingsmortalität lag bis in die 1950er Jahre hinein deutlich über der der übrigen sowjetischen Gesellschaft. Am höchsten war sie allerdings während der Kriegsjahre 1942 und 1943, als infolge von extremer Verknappung der Versorgung und einer noch rücksichtsloseren Ausnutzung der Häftlingsarbeiter jeweils fast ein Viertel aller Lagerinsassen starb. Die Lebensbedingungen, aber auch die Ineffizienz der Lager wurden an einem Einzelschicksal beispielhaft beschrieben in Solschenizyns Novelle Ein Tag im Leben des Iwan Dennissowitsch, die nach Widerständen während der Tauwetter-Periode in der sowjetischen Literaturzeitschrift Novyj mir erschien.
[Bearbeiten] Klassenkampf im Lager
In den Straflagern gab es eine fein abgestufte Rangordnung, in der die Kriminellen als "klassen-nah" oder auch "sozial-nah" und die politischen Häftlinge (oder wen man dafür hielt) als "klassen-fremd" oder auch "sozial-fremd" galten. So wurden wichtige Posten, wie etwa Barackenälteste, Verwalter, Buchhalter, aber auch Köche, Brotschneider, Automechaniker, Vorarbeiter in den Arbeitsbrigaden und sogar die Erzieher-Posten oft mit kriminellen Häftlingen besetzt. Die "Politischen" mussten dagegen zum Beispiel als Erdarbeiter, als Landarbeiter, im Holzschlag, in Steinbrüchen sowie in der Ziegelbrennerei arbeiten.
Dieses System hielt sich bis Anfang der 50er Jahre, als Stalin sich entschloss, die Ideologie von der "sozialen Verwandtschaft" fallenzulassen. Nun wurden die kriminellen Häftlinge in eigens für sie gebauten Spezialgefängnissen untergebracht, wo sie in Einzelzellen keine Gelegenheit mehr zum Stehlen oder Rauben fanden.
[Bearbeiten] Neuorganisation der Lager
Die Neuorganisation des Lagersystems wurde durch die unmittelbar nach Stalins Tod 1953 erlassene Amnestie eingeleitet, die allerdings nur "unpolitische" Häftlinge betraf. Die Freilassung politischer Häftlinge setzte ein Jahr später ein. Ende der 1950er Jahre wurde das letzte Lager aufgelöst. 1961 kam es unter Chruschtschow zu einer Neuorganisation des Lagerwesens, auch zur Zeit Chruschtschows und Breschnews kam es immer wieder zu politischen Verhaftungen, wenngleich bei weitem nicht mehr in jenem Umfang wie zur Stalinzeit. Beendet wurden die politischen Verfolgungen erst unter Gorbatschow.
[Bearbeiten] Gulag und die russische Literatur
In der Sowjetunion selbst verherrlichten Autoren das Lagersystem in der Frühphase des Stalinzeit. Das bedeutendste Beispiel ist das von einem Kollektiv von 35 Autoren unter der Leitung von Maxim Gorki im Jahre 1934 publizierte Buch mit dem Titel Der Stalin-Kanal vom Weißmeer zur Ostsee: Baugeschichte 1931-1934, das allerdings 1937 verboten wurde. Ein Mitautor war der in Ungnade gefallene ehemalige NKWD-Chef Jagoda. Gleichfalls 1934 veröffentlichte der Dramatiker Nikolai Fjodorowitsch Pogodin das Stück Aristokraten (russisch: Aristokraty, deutsche Übersetzung 1946), das die Umerziehung durch Zwangsarbeit am Weißmeer-Kanal propagierte. Ab Mitte der 1930er Jahre unterlag das Thema dagegen einer zunehmenden Geheimhaltung.
Die ersten kritischen Literaturwerke zum Gulag erschienen in der Sowjetunion während der Periode des Tauwetters. Der herausragendste aus dieser Periode dürfte Solschenizyns Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch sein. In der Ära Breschnew wurden bei Autoren wie Aitmatow oder Trifonow zwar einzelne Passagen zum Gulag der Stalin-Ära geduldet, eine Gesamtdarstellung war jedoch ebenso tabu wie die Erwähnung der aktuellen Lage im Gulag von Chruschtschow bis in die Gegenwart. Daher erschienen Werke über den Gulag im Samisdat und Tamisdat.
Das einflussreichste davon war Alexander Solschenizyns Werk Der Archipel Gulag (in Paris 1973 bis 1975 im Tamisdat erschienen). Es führte dazu, dass das Wort Gulag in vielen Sprachen zur Bezeichnung für das politische Repressionssystem der Sowjetunion mit Lagern, Gefängnissen und Verbannungsorten wurde.
Solschenizyns Buch wirkte vor allem in Westeuropa und auch in den USA sehr stark. Enthüllte es doch schlagartig das bisher im Ostblock konsequent verdeckte Unterdrückungssystem, das auch im gesamten Westen aus Rücksicht gegenüber den Ostblock-Ländern und um das Idealbild des Sozialismus nicht zu beschädigen, in den meisten Medien und Publikationen kaum behandelt wurde. Solschenizyn liefert darin eine sehr materialreiche literarische und doch wirklichkeitsgetreue Aufarbeitung des Systems der politischen Verfolgungen, Verhaftungen, Untersuchungsgefängnisse, der Verhöre, der Folter, der Verurteilungen und des Systems von Zwangsarbeitslagern und Straflagern mit ihren unmenschlichen, durch Hunger, Kälte, Überanstrengung, unhygienische Zustände, Krankheiten und mangelnde medizinische Versorgung geprägten Lebensbedingungen.
Mit der Perestroika wurde diese früher verbotene Literatur auch nach und nach der russischen Bevölkerung zugänglich – Solschenizyns Archipel Gulag wurde allerdings erst 1989 freigegeben. Inzwischen gibt es eine stetig wachsende Anzahl an historischen Publikationen, die nach und nach das ganze Ausmaß von ca. 70 Jahren Gulag aufdecken, besonders nach der Öffnung der Sowjetischen Staatsarchive.
[Bearbeiten] Spuren des Terrors in der Sprache
Das Wort GULAG (ГУЛАГ) war im Russischen ein Akronym, es wird heute noch gebraucht in der Bedeutung Hauptverwaltung der Lager. Für einzelne Lager oder die Lager insgesamt ist bis heute der Euphemismus die Zone (russisch: зона) gebräuchlich – dies umfasst auch die lagerartigen Strafanstalten des heutigen Russland. Doch auch in Russland hat der Terminus GULAG eine Ausweitung erfahren: In neueren Web-Publikationen wird er polemisch gebraucht als Bezeichnung für das gesamte gegenwärtige Lagersystem.
Die Inhaftierten heißen in Russland umgangssprachlich – von den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts bis heute – sek (зек) Plural seki (зеки). Diese Bezeichnung ist gleichfalls ein Akronym abgeleitet von inhaftierter Kanalsoldat (russisch: sakljutschonyj kanaloarmejez, заключенный каналоармеец) die stalinistische Bezeichnung für Zwangsarbeiter, die in den dreißiger Jahren den Weißmeer-Kanal erbauen mussten.
Im Deutschen oder Englischen steht der Terminus Gulag – angeregt durch Solschenizyns Buch Archipel Gulag – für die gesamten in der Sowjetunion existierenden Lager, Gefängnisse und Verbannungsorte der aus politischen Gründen Inhaftierten. Zunehmend wird er im Deutschen und Englischen auch allgemein gebraucht für Orte, an denen Häftlinge aus politischen oder weltanschaulichen Gründen inhaftiert werden, oder noch allgemeiner für Haftanstalten, an denen unmenschliche Bedingungen herrschen. So bezeichnet die Wochenzeitung Zeit chinesische Arbeitslager als Bambus-Gulag, der amerikanische Buchautor Marc Dow nennt sein Buch über Gefängnisse für illegale Immigranten American Gulag und Amnesty International spricht davon, dass "Guantanamo (..) das Gulag unser Tage geworden." ist.
[Bearbeiten] Sowjet-Terminologie der Straflager-Behörden
Die für die Verwaltung des Lagersystems zuständigen Behörden trugen während der Sowjetzeiten folgende Bezeichnungen – nach dem Bindestrich folgt jeweils das russische Original:
- 1930: Verwaltung der Lager der OGPU – Управление лагерями ОГПУ
- 1930-1933: Hauptverwaltung der Lager der OGPU – Главное управление (ГУ) лагерями ОГПУ
- 1933-1934: Hauptverwaltung der Lager und Arbeitssiedlungen der OGPU – ГУ лагерей и трудовых поселений ОГПУ
- 1934: Hauptverwaltung Lager und Arbeitssiedlungen des Volkskommissariates für innere Angelegenheiten der Sowjetunion – ГУ лагерей и трудовых поселений НКВД СССР
- 1934-1938: Hauptverwaltung Lager, Arbeitssiedlungen und Gefängnisse des Volkskommissariats für innere Angelegenheiten der Sowjetunion – ГУ лагерей, трудовых поселений и мест заключения НКВД СССР
- 1938-1939: Hauptverwaltung der Arbeitsbesserungslager und Arbeitssiedlungen des Volkskommissariats für innere Angelegenheiten der Sowjetunion – ГУ ИТЛ (исправительно-трудовых лагерей) и трудовых поселений НКВД СССР
- 1938-1946: Hauptverwaltung der Arbeitsbesserungslager und Kolonien des Volkskommissariats für innere Angelegenheiten der Sowjetunion – ГУ ИТЛ и колоний НКВД СССР
- 1946-1953: Hauptverwaltung der Arbeitsbesserungslager und Kolonien des Innenministeriums der UdSSR – ГУ ИТЛ и колоний МВД СССР
- 1953-1954: Hauptverwaltung der Arbeitsbesserungslager und Kolonien des Justizministeriums der UdSSR – ГУ ИТЛ и колоний МЮ СССР
- 1954-1956: Hauptverwaltung der Arbeitsbesserungslager und Kolonien des Innenministeriums der UdSSR – ГУ ИТЛ и колоний МВД СССР
- 1956-1959: Hauptverwaltung Arbeitsbesserungs-Kolonien des Innenministeriums der UdSSR – ГУ исправительно-трудовых колоний МВД СССР (ГУИТК)
- von 1959: Hauptverwaltung Gefängnisse des Innenministeriums der UdSSR – ГУ мест заключения МВД СССР (ГУМЗ)
[Bearbeiten] Siehe auch
- Stalinismus
- Geschichte der Sowjetunion
- NKWD (Volkskommissariat des Inneren der Sowjetunion)
- Der Archipel Gulag
- Lager 7503/11 Anschero-Sudschensk
- GPU
Commons: Gulag – Bilder, Videos und/oder Audiodateien |
[Bearbeiten] Weblinks
- Deutschsprachiges Portal über den GULAG mit Fachtexten, Fotos, Häftligsbiografien etc.
- Karte der Lager (deutsch)
- Gulag-Museum
- Aus Anne Applebaum Der Gulag
- Die Stalineisenbahn und der Gulag
- Russische Webseite prison.org mit einem Wörterbuch der russischen Gefängniswelt (en/ru)
- Kommentierte Bibliographie zum Gulag (pdf)
[Bearbeiten] russisch
- Lew Ponomarjew: Die Politgefangenen und der neue GULAG Artikel auf democracy.ru (russisch)
- Über 1000 russische Polithäftlinge und ihre Erinnerungen an den GULAG – Website des Sacharow-Zentrums Moskau
[Bearbeiten] Quellen
- ↑ Ralf Stettner "Der Besserungsarbeitsgedanke und die Strafvollzugssysteme der zwanziger Jahre" in Archipel Gulag, Paderborn,München,Wien,Zürich, Schöningh 1996, ISBN 3506787543
- ↑ Bodo Ritscher Das Speziallager Nr.2 1945-1950. Katalog zur ständigen historischen Ausstellung., Wallstein Verlag 1999. ISBN 3892442843
- ↑ Ralf Stettner Archipel GULag Stalins Zwangslager, S. 99-101, Schöningh 1996
- ↑ Joel Kotek, Pierre Rigoulot Das Jahrhundert der Lager. Gefangenschaft, Zwangsarbeit, Vernichtung, S. 157-159, Propyläen 2001, (Le siècle des camps, Éditions Lattès 2000), ISBN 3549071434
- ↑ S. bspw. Galina M. Ivanova Labor Camp Socialism: The Gulag in the Soviet Totalitarian System, Armonk, NY/London: M.E. Sharpe, 2000, S. 188
- ↑ Gunnar Heinsohn:Lexikon der Völkermorde, S. 157, Rowohlt rororo, 1998
- ↑ Rudolph Joseph Rummel Demozid – Der befohlene Tod, LIT 2003, ISBN 3825834697
- ↑ J. Arch Getty, Gabor T. Rittersporn, Viktor N. Zemskov, Victims of the Soviet Penal System in the Pre-War Years: A First Approach on the Basis of Archival Evidence, The American Historical Review, vol. 98, No. 4 (Oct. 1993), S. 1017—1049, hier: S. 1024.
[Bearbeiten] Literatur
[Bearbeiten] Fachliteratur und Quelleneditionen
- Anne Applebaum: Der Gulag, Siedler 2003, ISBN 3886806421
- I. W. Dobrowolski (Hrsg.): Schwarzbuch Gulag: Die sowjetischen Konzentrationslager Graz: Styria-Verlag 2002 ISBN 3702009752
- Gerhard Armanski: Gulag – Hinterhöfe des Stalinismus, in: Dabag / Platt: Genozid und Moderne (Band 1), Opladen 1998. ISBN 3-8100-1822-8
- David J. Dallin / Boris Nicolaewski, Arbeiter oder Ausgebeutete? Das System der Arbeitslager in Sowjet-Russland, München 1948
- Simon Ertz: Zwangsarbeit im stalinistischen Lagersystem: Eine Untersuchung der Methoden, Strategien und Ziele ihrer Ausnutzung am Beispiel Norilsk, 1935-1953. Berlin: Duncker & Humblot 2006 ISBN 9783428118632
- Paul Gregory / Valery Lazarev (Hg.): The Economics of Forced Labor: The Soviet Gulag. Stanford: Hoover Institution Press 2003, ISBN 978-0817939427
- Galina M. Ivanova: Labor Camp Socialism: The Gulag in the Soviet Totalitarian System. Armonk, NY/London: M.E. Sharpe 2000, ISBN 0765604264
- V. P. Kozlov u. a. (Hg.): Istorija stalinskogo Gulaga: konec 1920-kh – pervaia polovina 1950-kh godov; sobranie dokumentov v 7 tomach Moskau ROSSPEN 2004 7 Bände, ISBN 5824306044
- Oleg V. Khlevniuk: The History of the Gulag: From Collectivization to the Great Terror New Haven: Yale University Press 2004, ISBN 0300092849.
- A. I. Kokurin / N. V. Petrov (Hg.): GULAG (Glavnoe Upravlenie Lagerej): 1918–1960 (Rossija. XX vek. Dokumenty), Moskva: Materik 2000, ISBN 5856460464.
- Michail B. Smirnow (Hg.): Das System der Besserungsarbeitslager in der Sowjetunion 1923-1960: Ein Handbuch Berlin: Schletzer 2003, ISBN 3921539722
- Ralf Stettner:Archipel GULag Stalins Zwangslager, Schöningh 1996
- Tomasz Kizny: GULAG (der Gulag in Bildern), Hamburger Edition HIS 2004, ISBN 3-930908-97-2
[Bearbeiten] Allgemeine Literatur
- Stéphane Courtois:Schwarzbuch des Kommunismus, Piper 1998
- Stéphane Courtois:Schwarzbuch des Kommunismus 2, Piper 2004
- Gunnar Heinsohn:Lexikon der Völkermorde, Rowohlt rororo, 1998
- Rudolph J. Rummel:Demozid – der befohlene Tod, LIT-Verlag Münster, 2003
- Joel Kotek, Pierre Rigoulot: Das Jahrhundert der Lager. Gefangenschaft, Zwangsarbeit, Vernichtung, Propyläen 2001, (Le siècle des camps, Éditions Lattès 2000), ISBN 3549071434
- Alexander Solschenizyn: Der Archipel Gulag – Versuch einer künstlerischen Bewältigung, Scherz 1973
- Hans Schafranek/Robert Streibel (Hrsg.): Strategie des Überlebens. Häftlingsgesellschaften in KZ und GULag. Picus-Verlag. Wien 1996.
[Bearbeiten] Deutsche im Gulag
- Wilhelm Mensing, Von der Ruhr in den GULag Opfer des Stalinschen Massenterrors aus dem Ruhrgebiet, Essen 2001
- Horst Schüler: Workuta, München 1993
- Eva Donga-Sylvester/Günter Czernetzky/Hildegard Thoma (Hg.): "Ihr verreckt hier bei ehrlicher Arbeit!" Deutsche im GULAG 1936-1956. Graz 2000
- Bruno Plaschke, Pazan: Geraubte Jugend im Gulag 1945-1954, agenda Verlag Münster 2006 ISBN 3-89688-279-1
- Käthe Fraedrich, Im Gulag der Frauen, Universitas Verlag München 1997 ISBN 3-8004-1345-0