Verwaltungsethik
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Verwaltungsethik (als Teilbereich der angewandten Ethik) kann als die Erarbeitung und Verwirklichung korrekter, gut begründeter Verhaltensstandards in öffentlichen Verwaltungen definiert werden. Verwaltungsethik ist damit der konkreten Rechtsanwendung und dem Handeln (in) der Verwaltung in gewisser Weise vorgelagert.
Im deutschsprachigen Raum ist der Begriff "Verwaltungsethik" bislang wenig verbreitet. Gründe hierfür liegen offenbar in der stark auf Legalität (und weniger auf Legitimität) ausgerichteten Verwaltungskultur.
Einen Gegensatz hierzu bildet etwa der anglo-amerikanische Raum, in welchem "public service ethics" ein wichtiges, seit langem diskutiertes Themenfeld ist. Dies wird oft im Zusammenhang damit gesehen, dass hier traditionell eher ein Interesse an moralischen Fragen als an gesetztem Recht vorherrscht.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Ethik in der Verwaltungswissenschaft
In der deutschsprachigen Verwaltungswissenschaft verfassten Hofmeister (2000) in der Schweiz sowie Faust (2003) in Deutschland die ersten umfassenderen Abhandlungen über das Thema Verwaltungsethik.
In älteren (rechtswissenschaftlichen) Literaturbeiträgen wurde der Verwaltungsethik bestenfalls eine marginale Rolle zugebilligt. Eher sah man Handlungsbedarf bezüglich einer stetigen Vermehrung bzw. Perfektionierung von Rechtsnormen. Folgerichtig lag der Fokus auf einer Spezifizierung des Strafrechts und Disziplinarrechts und einer daraufhin gerichteten Kontrolle der Bediensteten. Verwaltungsethisch relevante Tatbestände des deutschen Strafgesetzbuchs sind etwa Bestechung und Bestechlichkeit sowie Vorteilsgewährung und Vorteilsannahme.
Ethisch-kritische Reflexionen wurden demgegenüber lange als reine Bedrohung der Berechenbarkeit und Verlässlichkeit öffentlicher Verwaltungen angesehen. Das Ideal des deutschen Berufsbeamten wird mittels §§ 52 ff. Bundesbeamtengesetz eher in Richtung eines duldsamen, hingebungsvollen Erfüllungsgehilfen seines Dienstherrn gelenkt. Die insoweit zuweilen als Gegenargument angeführte Möglichkeit zur Remonstration vermag an dieser Einschätzung wenig zu ändern: Sie fristet in der Verwaltungspraxis allenfalls ein Schattendasein - vor allem deswegen, weil remonstrierende Bedienstete sehr oft (in-)formelle Sanktionen zu fürchten haben.
Aktuellere (organisationspsychologische) Beiträge argumentieren indes differenzierter: Es sei unzureichend, dem Individuum allein die Einhaltung "harter" rechtlicher Regulierungen (Compliance) abzufordern. Es spielten vielmehr auch "weiche", soziale Phänomene hierbei eine wichtige Rolle. Verhaltenswissenschaftliche Studien zeigen zudem die Notwendigkeit des Auf- bzw. Ausbaus intrinsischer Motivation, um die Integrität öffentlicher Verwaltungen nachhaltig zu verankern.
Aktuell ist offenbar die (politik-)wissenschaftliche Diskussion um Governance bzw. Good Governance bezüglich verwaltungsethischer Fragen in beachtlichem Maße anschlussfähig. Sie zeigt insbesondere, dass ethikbewusster Wandel nicht allein die Aufgabe der öffentlichen Verwaltung ist, sondern dass vielmehr auch externe Akteure (z.B. aus dem Bereich der Zivilgesellschaft) ihren Teil zu einem verwaltungsethischen Gesamtkonzept beizutragen haben.
Deutlich macht der bisherige Ethikdiskurs nicht zuletzt auch, dass der allgemeine Wandel von Wertvorstellungen eine zentrale Rolle spielt. In der Verwaltungswissenschaft wird somit immer häufiger das spannungsgeladene Verhältnis analysiert zwischen
- "klassischen" Errungenschaften (z.B. Amtsgeheimnis, Gleichbehandlung, Gerechtigkeit) und
- "neuen" Werten und Postulaten wie etwa Verwaltungstransparenz, Kooperationsfähigkeit, Effektivität und Effizienz.
siehe auch: New Public Management , Public Management , Bürokratie , Max Weber
[Bearbeiten] Ethik in der Verwaltungspraxis
In jüngster Zeit befasst sich jedoch auch die deutsche Verwaltungspraxis zunehmend mit ethischen Fragestellungen. Ursachen hierfür sind vor allem in folgenden, sich teilweise überschneidenden Problembereichen zu erblicken:
- Fälle aufgedeckter Korruption und Vetternwirtschaft in ungeahntem Ausmaß (etwa in Beschaffungs-/Baubehörden sowie im Gesundheitswesen)
- Rasante Verwaltungsreformen, Dezentralisierungen und Privatisierungen, die erweiterte Ermessensspielräume, Interessenkonflikte und lückenhafte Kontrollen mit sich bringen können
- Dubios erscheinende Stellenbesetzungen von (Führungs-)Positionen in der Verwaltung, bei denen oft das "richtige" Parteibuch eine Rolle spielt (Ämterpatronage)
- Ethisch fragwürdige Anwendung physischer bzw. psychischer Gewalt (z.B. bei Polizei und Bundeswehr)
- Zunehmendes (aktives und passives) Sponsoring öffentlicher Verwaltungen, bei welchem Gefahren privat-eigennütziger Einflussnahmen nicht von der Hand zu weisen sind
- Zweifelhafte Praktiken an Hochschul- und Forschungseinrichtungen, die gegen Prinzipien guter Wissenschaft verstoßen (z.B. Manipulation statistischer Daten)
- Nebentätigkeiten von Bediensteten, bei denen das öffentliche Interesse nachteilig beeinflusst werden kann
- Unbewältigte (verwaltungsinterne und -externe) Herausforderungen durch Diversity
Die materiellen und immateriellen Schäden aus Verwaltungsethik-Skandalen sind immens; ihr Ausmaß entzieht sich - wegen der enorm hohen Dunkelziffer - jeder seriös fundierten Schätzung. Immer mehr wird in diesem Zusammenhang auch der progrediente Verlust an Vertrauen in die öffentliche Verwaltung thematisiert.
Die kritische Öffentlichkeit ist nach allem Anschein jedoch immer weniger bereit, diese Eklats humorig-schulterzuckend als "Gschmäckle" bzw. "Klüngel" abzutun: Seit einiger Zeit formieren sich zivilgesellschaftliche Akteure und Nichtregierungsorganisationen (z.B. Transparency International, TI), die zunehmenden Druck auf Politik und Verwaltung ausüben, sich ethischer Problemfelder nachhaltig anzunehmen. In diesem Zusammenhang erfährt der von TI jährlich publizierte Corruption Perception Index (CPI) ein beachtliches Maß an öffentlicher Resonanz.
Aber auch internationale Politikakteure (z.B. Europäische Union) sowie Denkfabriken (z.B. Bertelsmann Stiftung) wirken verstärkt auf nationale Entscheider ein, die Überlegungen zu einer expliziten Verwaltungsethik zu intensivieren. Bei international vergleichenden Studien hat sich herausgestellt, dass verwaltungsethische Konzepte stark von der Rechts- und Verwaltungstradition des jeweiligen Staates abhängen: Sie sind zum einen eher Bestandteil der - weitgehend unsichtbaren - Organisationskultur, oder sie sind zum anderen eher in expliziten Normen und Regeln verankert.
siehe auch: Lobbyismus , Kick-Back , Public Private Partnership, Korruption in der EU
[Bearbeiten] Strategisches Werte- und Integritätsmanagement
Verwaltungsethische Problemlagen offenbaren somit eine Fülle komplexer, tief greifender, oft kulturell bedingter Phänomene. Immer mehr setzt sich daher die Erkenntnis durch, dass diese nur mittels eines ganzheitlichen Ansatzes zu bearbeiten sind: Ausschließlich auf die Tugend einzelner Personen zu hoffen, greift regelmäßig zu kurz; ebenso verfehlt wäre es aber auch, sich lediglich auf die institutionenethische Ausgestaltung der Rahmenbedingungen zu konzentrieren.
Konkrete Fragestellungen im Rahmen einer praxisorientierten Verwaltungsethik sind etwa:
- Wie können erhöhte Transparenz und verstärkte Partizipation des Bürgers ermöglicht werden (z.B. durch ein Informationsfreiheitsgesetz)? Inwiefern stehen Fragen des Datenschutzes hiermit im Zusammenhang?
- Wie ist das zunehmend auftretende Phänomen Whistleblowing einzuschätzen?
- Inwieweit kann das Internet integritätsfördernd wirken (z.B. durch E-Government bei Vergabe eines öffentlichen Auftrags, Hinweise auf Fehlverhalten via BKMS)?
- Ist es sinnvoll, wenn der öffentliche Auftraggeber bei seinen Entscheidungen zuvor ein Korruptionsregister zu Rate zieht?
- Welche Möglichkeiten bieten die Organisationsentwicklung und die Personalentwicklung (z.B. durch Job-Rotation, systematische Eignungsdiagnostik bei Stellenbesetzungen)?
- Inwiefern sind monetäre Anreize bzw. Sanktionen integritätssteigernd?
- Wie sieht ein ethikorientiertes Leitbild für öffentliche Verwaltungen aus?
- Was können "klassische" Aufsichts- und Kontrollinstanzen (z.B. Interne Revision, Rechnungshof) bewirken?
- Welche Rolle kann einem Ombudsman bzw. einer Ethik-Kommission zuwachsen?
- Und nicht zuletzt: Inwieweit besteht in öffentlichen Verwaltungen die Gefahr, "zuviel des Guten" zu tun?
Eine künftige Herausforderung für Verwaltungen ist somit - neben der expliziten Thematisierung von Verwaltungsethik - insbesondere die Erprobung und Evaluation praxisbezogener Integritätsstrategien.
siehe auch: Reputation , Integrität , Informationsfreiheit , Mediation , Konfliktmanagement , Zivilcourage
[Bearbeiten] Literatur
- Ahlf, Ernst-Heinrich (2003): Organisationsethik in der Polizei: Konsequenzen für Führung und Verantwortung, In: Schielke, Heinrich (Hrsg.), Ehrengabe für Leo Schuster zum Ausscheiden aus dem Bundeskriminalamt, S. 1-24, München/Neuwied. ISBN 3-472-05383-6
- Faust, Thomas (2003/2006): Organisationskultur und Ethik: Perspektiven für öffentliche Verwaltungen, Berlin. ISBN 3-86504-032-2
- Hofmeister, Albert (Hrsg.) (2000): Brauchen wir eine neue Ethik in der Verwaltung?, Bern. ISBN 3-908128-40-4
- Lorig, Wolfgang H. (2004): "Good governance" und "public service ethics": Amtsprinzip und Amtsverantwortung im elektronischen Zeitalter, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. Bd. 54, 18, S. 24-30.
- Maravić, Patrick von, Christoph Reichard (Hrsg.) (2005): Ethik, Integrität und Korruption - neue Herausforderungen im sich wandelnden öffentlichen Sektor?, Potsdam. ISBN 3-937786-57-0