Andreas Hillgruber
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Andreas Fritz Hillgruber (* 18. Januar 1925 in Angerburg, Ostpreußen; † 8. Mai 1989 in Köln) war ein bekannter deutscher Historiker und als solcher Spezialist für die militärische, politische und diplomatische Deutsche Geschichte zwischen 1871 und 1945, also die Geschichte des Deutschen Reichs.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Leben
Andreas Hillgruber, Sohn eines Lehrers, diente von 1943 bis 1945 in der Wehrmacht und war in der Folge bis 1948 Kriegsgefangener in Frankreich. Nach seiner Freilassung studierte er an der Universität Göttingen, an der er 1952 mit einer Arbeit über die deutsch-rumänischen Beziehungen im Zweiten Weltkrieg promovierte. Von 1954 bis 1964 arbeitete er als Lehrer für Deutsch und Geschichte. Zeitweise war er der jüngste Gymnasialdirektor in Hessen. 1965 bis 1968 lehrte er als Professor an der Universität Marburg, von 1968 bis 1972 an der Universität Freiburg und von 1972 bis zu seinem Tod 1989 an der Universität Köln.
Seit 1960 war Hillgruber mit Karin Zieran verheiratet, mit der er drei Kinder hatte. Der Bonner Professor für Staatsrecht, Christian Hillgruber, ist der jüngere Sohn Andreas Hillgrubers.
[Bearbeiten] Werk
[Bearbeiten] Positionen
Hillgrubers Spezialgebiet war die deutsche Geschichte zwischen 1871 und 1945, dabei insbesondere die politischen, diplomatischen und militärischen Aspekte, wobei er Militärgeschichte nicht um ihrer selbst Willen betrieb, sondern sie im Wechselspiel mit der politischen Geschichte betrachtete. Letzteres lässt die zuweilen abwertend gemeinte Bezeichnung Hillgrubers als Militärhistoriker außer Acht. Für Hillgruber gab es viele Elemente der Kontinuität in der deutschen Außenpolitik zwischen 1871 und 1945, ganz besonders im Verhältnis zu Osteuropa.
Im Rahmen der „Fischer-Kontroverse“ stimmte Hillgruber der These von Fritz Fischer teilweise zu, die besagte, dass Deutschland für den Ersten Weltkrieg hauptsächlich mitverantwortlich war. Allerdings lehnte Hillgruber die These von Fischer ab, dass der Erste Weltkrieg aufgrund der imperialistischen Weltmachtsbestrebungen des Deutschen Reiches ausgelöst wurde.
Hillgruber vertrat dazu die Auffassung, die Unterschiede zwischen der Außenpolitik des deutschen Kaiserreiches, der Weimarer Republik und der nationalsozialistischen Außenpolitik seien nur geringfügig gewesen. Er argumentierte, dass die Außenpolitik im „Dritten Reich“ eine extrem radikalisierte Version der traditionellen deutschen Außenpolitik war. Was während der Weimarer Republik ein Ziel der Außenpolitik war, nämlich der Anschluss Österreichs an das deutsche Reich sowie die Re-Militarisierung des Rheinlandes, war für die Nazis nur der Anfang ihrer Bestrebungen, ganz Europa zu beherrschen.
Anfang 1950 betrachtete er den Zweiten Weltkrieg als einen konventionellen Krieg. Diese Einstellung änderte sich im Lauf der Jahre, und 1965 argumentierte Hillgruber, dass der Krieg für Hilter ein erbarmungsloser, ideologischer Krieg war, in dem dem Gegner keine Gnade gezeigt werden sollte.
Hillgruber war der Ansicht, dass Hitler die treibende Kraft hinter dem Holocaust war. Diese Theorie widerspricht der als „funktionalistische Schule“ bezeichneten Lehre, die Historiker wie Hans Mommsen vertreten. Schon in seiner Habilitationsschrift äußerte Hillgruber die These, dass Hitlers Entscheidung, 1941 in die Sowjetunion einzumarschieren, rassenideologisch begründet war, da Hitler unter dem Einfluss des Sozialdarwinismus Land für die seiner Ansicht nach „höherwertige Rasse“ der Arier gewinnen wollte. Eng verknüpft war hier auch die Entscheidung, Menschen „minderer Rasse“ als Sklavenvölker auszubeuten oder auszurotten.
Hillgruber war der Auffassung, dass Hitler ein fanatischer Ideologe war, der einen Stufenplan verfolgte, dessen Zielsetzungen waren: (1.) Die Ausrottung der angeblich „jüdisch-bolschewistischen“ Führungsschicht sowie der Juden in Ostmitteleuropa, (2.) die Gewinnung von Kolonial- und „Lebensraum“ für das Dritte Reich sowie (3.) die Dezimierung und Unterwerfung der slawischen Bevölkerung unter deutsche Herrschaft in neu zu errichtenden sogenannten „Reichskommissariaten“. Weiterhin sei geplant gewesen (4.) die Errichtung eines autarken, blockadefesten „Großraumes“ Kontinentaleuropa unter Hitlers Herrschaft, wobei die eroberten sowjetischen Gebiete die ökonomischen Ergänzungsräume bilden und die kontinentale Vorherrschaft gewährleisten sollten, um das Fernziel einer „Weltmachtstellung“ erreichen zu können.
Hillgruber sah den Zweiten Weltkrieg in Europa eigentlich als zwei verschiedene Kriege an, nämlich erstens einen normalen Krieg zwischen den westlichen Mächten und Nazideutschland, den Hitler zwar verursachte, aber nicht wirklich beabsichtigt habe, und zweitens den Vernichtungskrieg Nazideutschlands gegen die Sowjetunion, der gnadenlos und brutal mit dem Ziel der rassischen und ideologischen Ausrottung geführt wurde. Dieser Krieg sei das eigentliche Ziel Hitlers gewesen.
[Bearbeiten] Hillgruber im „Historikerstreit“
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Hillgruber wurde einer auch außerfachlichen Öffentlichkeit bekannt durch seine Rolle im Historikerstreit, in dem er die Position vertrat, dass der Holocaust nicht einzigartig gewesen sei. Für ihn erreichten Stalins Verbrechen eine ähnliche Dimension wie die Verbrechen Hitlers. Für ihn war der Holocaust eine große Tragödie, allerdings eine von vielen, die im 20. Jahrhundert passierten. Hillgruber verglich den Holocaust mit den Geschehnissen während der Vertreibung der Deutschen aus Osteuropa. Für ihn waren beide Ereignisse gleich tragisch und die Nazis waren letztendlich für beide verantwortlich.
Hillgrubers Thesen wurden von seinen Gegnern stark kritisiert. Insbesondere warf man ihm vor, dass er verdränge, dass ohne den Einmarsch Deutschlands in die Sowjetunion eine Vertreibung der Deutschen aus den ostdeutschen Gebieten gar nicht stattgefunden hätte. Die Leiden der deutschen Vertriebenen würden von Hillgruber isoliert dargestellt, ohne Berücksichtigung der Leiden der polnischen, russischen, jüdischen etc. Bevölkerungen.
In den folgenden Jahren wurde gegen Hillgrubers Position immer mehr polemisiert, teilweise in völliger Unkenntnis seiner früheren Schriften. Übersehen wurde beispielsweise auch, dass er seit Anfang der 1980er Jahre zu den schärfsten Kritikern des seinerzeit populären David Irving gehörte, der sich erst Jahre später offen zu seinen neonazistischen Überzeugungen bekannte. In den Jahren nach dem Historikerstreit wurde Hillgruber vorgeworfen, seine Krebserkrankung nur vorzutäuschen, um sich einer klaren Stellungnahme zu entziehen. Dieser Vorwurf wurde spätestens seit 1988 entkräftet, als Hillgruber krankheitsbedingt seinem Lehrauftrag nur noch zeitweise nachkommen konnte.
[Bearbeiten] Hillgruber und die „Hitler-Tagebücher“
Als der Stern im April 1983 mit der Behauptung, die „verschollenen“ Tagebücher Adolf Hitlers über Mittelsmänner aufgestöbert zu haben, an die Öffentlichkeit trat und deren Veröffentlichung ankündigte, erklärte Hillgruber, dass es sich nur um Fälschungen handeln könne. Zusammen mit anderen Historikern setzte er durch, dass die Kladden einer chemisch-physikalischen Untersuchung durch kriminaltechnische Labors beim Bundesarchiv in Koblenz, beim Bundeskriminalamt und bei der Bundesanstalt für Materialprüfung unterzogen wurden, um die tatsächliche Entstehungszeit der Dokumente zu klären. Daraufhin wurde Hillgruber in einem Leitartikel des Stern namentlich als „Archivayatollah“ bezeichnet, der vor lauter Staub keinen Blick mehr für die Wahrheit habe. Am 23. April ließ die Chefredaktion des Stern sogar verkünden, dass die Geschichte des „Dritten Reiches“ nun neu geschrieben werden müsse. Doch kurz nach der Veröffentlichung der ersten Auszüge, die von einer ans Absurde grenzenden Hintergrundstory begleitet waren, wurden die Ergebnisse der technischen Untersuchungen veröffentlicht, und die angeblichen Tagebücher erwiesen sich als eine nicht sonderlich geschickte Fälschung (→Schtonk!).
[Bearbeiten] Trivia
- Der Gründer und Herausgeber des Spiegel, Rudolf Augstein, der gern und in polarisierender Form zu historischen Fragen Stellung bezog, nannte Hillgruber in einer Rezension seines Buches Zweierlei Untergang einen „konstitutionelle[n] Nazi“. Begrifflich gesehen ist dies ein Widerspruch. Es ist bekannt, dass Augstein den Zusatz „konstitutionell“ hinzufügte, um einer Beleidigungsklage durch Hillgruber zu entgehen.
- Der Zufall will es, dass Hillgruber, einer der führenden Experten für die Geschichte des Deutschen Reichs (1871-1945), am 18. Januar geboren wurde, dem Jahrestag der Kaiserkrönung in Versailles (1871), und am 8. Mai starb, dem Jahrestag des endgültigen Zusammenbruchs des Deutschen Reichs (1945). Sein Leben währte mit 64 Jahren allerdings zehn Jahre kürzer als die 74 Jahre andauernde Existenz des „Reichs“.
[Bearbeiten] Publikationen
- Hitler, König Carol und Marschall Antonescu: die deutsch-rumänischen Beziehungen, 1938-1944, 1954 (Dissertation).
- Hitlers Entschluss zum Angriff auf Russland (Eine Entgegnung). In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Bd. 2 (1954), S. 240-254.
- Hitlers Strategie: Politik und Kriegsführung, 1940-1941. 1965 (Habilitationsschrift).
- Deutschlands Rolle in der Vorgeschichte der beiden Weltkriege. 1967.
- Kontinuität und Diskontinuität in der deutschen Außenpolitik von Bismarck bis Hitler. 1969.
- Bismarcks Außenpolitik. 1972.
- „Die Endlösung“ und das deutsche Ostimperium als Kernstück des rassenideologischen Programms des Nationalsozialismus. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Bd. 20 (1972), S. 133-153.
- Deutsche Geschichte, 1945-1972: Die „Deutsche Frage“ in der Weltpolitik. 1974.
- Deutsche Großmacht- und Weltpolitik im 19. und 20. Jahrhundert. 1977.
- Otto von Bismarck: Gründer der europäischen Großmacht Deutsches Reich. 1978.
- Europa in der Weltpolitik der Nachkriegszeit (1945-1963). 1979.
- Sowjetische Außenpolitik im Zweiten Weltkrieg. 1979.
- Die Gescheiterte Großmacht: Eine Skizze des Deutschen Reiches, 1871-1945. 1980.
- Der Zweite Weltkrieg, 1939-1945: Kriegsziele und Strategie der großen Mächte. 1982.
- Die Last der Nation: Fünf Beiträge über Deutschland und die Deutschen. 1984.
- The Extermination of the European Jews in Its Historical Context. In: Yad Vashem Studies, Bd. 17 (1986).
- Zweierlei Untergang: Die Zerschlagung des Deutschen Reiches und das Ende des europäischen Judentums. 1986.
- Die Zerstörung Europas: Beiträge zur Weltkriegsepoche 1914 bis 1945. 1988.
[Bearbeiten] Literatur
- Dülffer, Jost (Hg.), Deutschland in Europa: Kontinuität und Bruch. Gedenkschrift für Andreas Hillgruber. Frankfurt: Propyläen, 1990.
- „Historikerstreit“: Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der nationalsozialistschen Judenvernichtung. München: Piper 1987.
[Bearbeiten] Weblinks
Personendaten | |
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NAME | Hillgruber, Andreas |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Historiker |
GEBURTSDATUM | 18. Januar 1925 |
GEBURTSORT | Angerburg, Ostpreußen |
STERBEDATUM | 8. Mai 1989 |
STERBEORT | Köln |