Armut
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Armut bezeichnet den Mangel an Chancen, ein Leben zu führen, das gewissen Minimalstandards entspricht.
Die Maßstäbe und die Vorstellungen über die Ursachen von Armut sind örtlich und zeitlich sehr verschieden. Die WHO definiert Armut beispielsweise anhand des Verhältnisses des individuellen Einkommens zum Durchschnittseinkommen im Heimatland einer Person. Danach sei arm, wer monatlich weniger als die Hälfte des durchschnittlichen Einkommens (Median) seines Landes zur Verfügung hätte.
In Deutschland lag nach der abweichenden Definition der Europäischen Union (60 % des mittleren Einkommens) die Armutsgrenze im Jahr 2003 bei einem monatlichen Einkommen von 938 Euro.
Daneben können auch andere Merkmale der Armut herangezogen werden, zum Beispiel, ob der Haushalt genügend Geld für Heizung, regelmäßige Mahlzeiten, ausreichende Kleidung und andere lebensnotwendige Dinge hat.
Im theoretischen Grundverständnis unterscheiden sich
- ökonomische Konzepte, die Armut als Mangelversorgung mit materiellen Gütern und Dienstleistungen verstehen
von
- soziokulturellen Konzepten, die auch nichtmaterielle Bedürfnisse thematisieren. So wird im Hinblick auf die ungleiche Verteilung von Bildungstiteln und Bildungskompetenzen inzwischen auch von absoluter und relativer Bildungsarmut gesprochen.
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Arten von Armut
Man unterscheidet im Allgemeinen zwischen mehreren Kategorien, insbesondere absolute, relative und transitorische Armut.
Absolute Armut
Um einen Überblick über die Probleme der Entwicklungsländer zu ermöglichen, hat der Präsident der Weltbank, Robert Strange McNamara, den Begriff der absoluten Armut eingeführt. Er definierte absolute Armut so:
- „Armut auf absolutem Niveau ist Leben am äußersten Rand der Existenz. Die absolut Armen sind Menschen, die unter schlimmen Entbehrungen und in einem Zustand von Verwahrlosung und Entwürdigung ums Überleben[1] kämpfen, der unsere durch intellektuelle Phantasie und privilegierte Verhältnisse geprägte Vorstellungskraft übersteigt.“
Weltweit leiden fast 1 Milliarde Menschen (rund 850 Millionen) an Hunger bzw. Unterernährung, darunter 170 Millionen Kinder. Alle 5 Sekunden stirbt ein Kind unter fünf Jahren, ingesamt sterben täglich etwa 100.000, d. h. pro Jahr 30 Millionen Menschen an Unterernährung. [2]
Auch in Wohlstandsgesellschaften existiert absolute Armut, etwa bei Drogenabhängigen oder Obdachlosen (77.000 Obdachlose allein in Nordrhein-Westfalen) oder bei Personen, die aus verschiedenen Gründen nicht in der Lage sind, soziale Sicherungssysteme (zum Beispiel Sozialhilfe) in Anspruch zu nehmen.
Absolute und Relative Armut
Der absolute Armutsbegriff definiert einen Einkommensmangel unterhalb einer festgelegten Existenzgrenze. Ein Beispiel ist das Konzept der Weltbank, welche Armut als Einkommen unterhalb eines Dollars am Tag definiert. Dagegen steht das Konzept der „relativen Armut“. Hier ist die Bezugsgrenze beispielsweise die Hälfte des Durchschnittseinkommens in Deutschland. So definieren meist Wohlstandsgesellschaften also vom Umfeld her. (Relative Armut kann als Unterversorgung mit materiellen und immateriellen Ressourcen von Menschen bestimmter sozialer Schichten im Verhältnis zum Wohlstand der jeweiligen Gesellschaft bezeichnet werden).
Die sozio-kulturelle Verarmung, der Mangel an Teilhabe an der Gesellschaft durch finanziellen Mangel, sehen Soziologen teilweise als noch gravierendere gesellschaftliche Herausforderung.
Transitorische und strukturelle Armut
Armut kann zeitweise, oder dauerhaft vorhanden sein. Transitorische (vorübergehende) Armut gleicht sich für den Betroffenen im Verlauf der Zeit wieder aus. Dies ist der Fall, wenn zu bestimmten Zeiten die Grundbedürfnisse befriedigt werden können, aber zu anderen Zeiten nicht. Dies kann durch zyklische Schwankungen, wie Zeiten kurz vor der Ernte, oder auch azyklisch, zum Beispiel durch Katastrophen, auftreten.
Dem entgegen steht der Begriff der strukturellen Armut. Die liegt vor, wenn eine Person einer gesellschaftlichen Randgruppe angehört, deren Mitglieder alle unter die Armutsgrenze fallen, ohne große Chancen, in ihrem Leben aus dieser Randgruppe auszubrechen. Ein Beispiel ist die Bevölkerung von Elendsvierteln. In Verbindung damit wird oft von einem Teufelskreis der Armut oder Armutskreislauf gesprochen: die Nachkommen der in struktureller Armut lebenden Menschen werden ebenfalls ihr Leben lang arm sein (zum Beispiel mangelnde sexuelle Aufklärung, die zu frühen Schwangerschaften führt und eine Ausbildung unmöglich macht, aber auch beispielsweise Diskriminierung wegen der Wohnsituation etc.).
Bekämpfte und verdeckte Armut
Manchmal werden auch die Bezieherinnen und Bezieher einer Grundsicherungsleistung (Sozialhilfe, Arbeitslosengeld II, Sozialgeld, Bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsunfähigkeit) als arm bezeichnet. Zu dieser so genannten „bekämpften Armut“ kommt noch die „verdeckte Armut“ von Personen, die einen Anspruch auf eine Grundsicherungsleistung hätten, diesen aber nicht geltend machen (siehe auch Dunkelziffer der Armut).
Freiwillig gewählte Armut
Ordensleute der römisch-katholischen Kirche legen in der Regel ein Armutsgelübde ab. Das verpflichtet sie, auf persönliche Einkünfte und ein eigenes Vermögen zu verzichten. Dieses Gelübde stellt einen der drei evangelischen Räte dar.
Armutsgrenzen
Die absolute Armutsgrenze ist bestimmt als Einkommens- oder Ausgabenniveau, unter dem sich die Menschen eine erforderliche Ernährung und lebenswichtige Bedarfsartikel des täglichen Lebens nicht mehr leisten können. Die Weltbank sieht Menschen, die weniger als 1 PPP-US-Dollar pro Tag verdienen, als arm an. [3]
Relative Armutsgrenzen beziehen sich auf verschiedene statistische Maßzahlen für eine Gesellschaft (zum Beispiel Durchschnitt oder Median des Einkommens).
Eine in Politik und Öffentlichkeit benutzte Angabe der relativen Armutsgrenze ist dabei 50 % oder 60 % des Durchschnittseinkommens. So wird seit 2001 in den Mitgliedsländern der EU derjenige als arm bezeichnet, der weniger als 60 % des Medians hat. Von Kritikern dieser Festlegung der relativen Armut wird argumentiert, dass sie wenig über den tatsächlichen Lebensstandard der Menschen aussage. Vielmehr ergäben sich Widersprüche bei Anwendung dieser Maßzahl. Wer jetzt weniger als 50 % vom Durchschnittseinkommen zu Verfügung habe, würde auch dann, wenn sich alle Einkommen verzehnfachten, weniger als 50 % vom Durchschnitt haben. Er bliebe also weiterhin relativ arm. Kritisiert wird, dass relative Armutsgrenzen die Armutsproblematik mit der Verteilungsproblematik vermischten.
Gelegentlich wird auch krisitiert, dass der Wegzug oder Vermögensverlust eines Reichen den Durchschnitt senken und daher die relative Armut in einem Land verringern würde, und es umgekehrt zu einer Erhöhung der relativen Armut komme, wenn ohne Veränderungen bei anderen Einkommensbeziehern ein Nicht-Armer sein Einkommen steigern kann. Dieser Kritikpunkt trifft aber nur bei Berechnung der Armutsgrenze aufgrund des arithmetischen Mittels (Durchschnitt im engeren Sinne) zu, aber nicht, wenn, wie in der EU, der Median (das 50. Perzentil) verwendet wird, da der Median auf extreme Ausreißer nicht so sensibel reagiert wie das arithmetische Mittel.
Da eine scharfe Trennung zwischen arm und reich praktisch nicht vorkommt, ist für die relative Armutsgrenze auch der Begriff der Armutsrisikogrenze gebräuchlich.
Sowohl absolute wie auch relative Armutsgrenzen sind nicht ohne normative Vorgaben umzusetzen. Weder die Wahl eines bestimmten Prozentsatzes vom Durchschnittseinkommen zur Bestimmung relativer Armut noch die Bestimmung eines Warenkorbes sind wertfrei begründbar. Darum wird über sie in politischen Prozessen entschieden.
Ursachen
Als Hauptursachen von Armut werden genannt:
- Kriege und Bürgerkriege,
- politische Strukturen (zum Beispiel Diktatur, ungerechte internationale Handelsregeln),
- ökonomische Strukturen (ungleiche Einkommensverteilung, Korruption, Überschuldung, Ineffizienz, Mangel an bezahlbarer Energie),
- Staatsversagen,
- technologische Rückständigkeit,
- Bildungsrückstand,
- Kinder [4][5][6],
- Naturkatastrophen,
- Epidemien und
- zu starkes Bevölkerungswachstum.
Hauptrisikofaktoren von relativer Armut sind Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung, auch als Folge fehlender Betreuungsmöglichkeiten für Kleinkinder. Alleinerziehende hatten in Deutschland im Jahr 2003 mit 35,4% das zweithöchste Armutsrisiko. Als Risikofaktoren gelten weiterhin stark ungleiche Einkommensverteilung, Bildungsmangel und chronische Erkrankungen. Bis ins 19. Jahrhundert hinein (in den USA auch heute noch) wurde bzw. wird Armut überwiegend nicht als gesellschaftlich verursacht, sondern als individuell verschuldet oder »gottgewollt« betrachtet.
In Europa setzte sich im Zuge der Industrialisierung und der Auseinandersetzung um die Soziale Frage die Auffassung durch, dass Armut durch staatliche Maßnahmen verringert werden kann. Armutsbekämpfung stand etwa im Vereinigten Königreich am Ausgangspunkt der modernen Sozialpolitik. Inzwischen wird die Wirksamkeit sozialpolitischer Armutsbekämpfung aber in vielen Industrieländern durch neue Erscheinungsformen von Armut in Frage gestellt. Insbesondere hat sich gezeigt, dass auch eine zu hohe Staatsquote zu hoher Arbeitslosigkeit führen kann (insbesondere in Westeuropa).
Ausmaß
Armut weltweit
Nach Angaben der Weltbank hatten im Jahr 2001 weltweit ca. 1,1 Mrd. Menschen (entspricht 21% der Weltbevölkerung) weniger als 1 US-Dollar in lokaler Kaufkraft pro Tag zur Verfügung und galten damit als extrem arm. (Zum Vergleich: 1981 waren es noch 1,5 Mrd. Menschen, damals 40 % der Weltbevölkerung; 1987 1,227 Mrd. Menschen entsprechend 30 %; 1993 1,314 Mrd. Menschen entsprechend 29 %).
Die größte Zahl dieser Menschen lebt in Asien; in Afrika ist allerdings der Anteil der Armen an der Bevölkerung noch höher. Die Mitglieder der UN haben sich beim Millenniumsgipfel im Jahr 2000 auf das Ziel geeinigt, bis zum Jahr 2015 die Zahl derer, die weniger als 1 US-Dollar am Tag haben, zu halbieren (Punkt 1 der Millenniums-Entwicklungsziele). Nach Angaben der Weltbank vom April 2004 kann dies gelingen, allerdings nicht in allen Ländern. Während durch einen wirtschaftlichen Aufschwung in Teilen Asiens der Anteil der Armen deutlich zurück ging (in Ostasien von 58 auf 16 Prozent), hat sich in Afrika die Zahl der Ärmsten erhöht (in Afrika südlich der Sahara von 1981 bis 2001 fast verdoppelt). In Osteuropa und Zentralasien wurde eine Zunahme der extremen Armut auf 6 Prozent der Bevölkerung errechnet. Zieht man die Armutsgrenze bei zwei US-Dollar pro Tag, gelten insgesamt 2,7 Milliarden Menschen und damit fast die Hälfte der Weltbevölkerung als arm. Die folgende Tabelle gibt eine Rangfolge der 32 ärmsten Länder der Welt, gemessen am Anteil der Bevölkerung mit weniger als 1 US-Dollar pro Tag:
Armut in Deutschland
Das vom Statistischen Bundesamt errechnete monatliche Nettoäquivalenzeinkommen betrug 2002 in den westdeutschen Ländern 1217 Euro, in den ostdeutschen Ländern 1008 Euro. Nach den EU-Kriterien für die Armutsgrenze (60 %) liegen die Armutsgrenzen demnach bei 730,20 Euro für den Westen und 604,80 Euro für den Osten. In der Regel liegt das sozio-kulturelle Existenzminimum, das auf der Basis von Verbraucherbefragungen des Statistischen Bundesamtes durch die Bundesregierung festgelegt wird, noch unter dieser Grenze.
Nach Zahlen aus dem »Zweiten Armuts- und Reichtumsbericht«, den die Bundesregierung im März 2005 vorgelegt hat, galten im Jahr 2003 13,5 Prozent der Bevölkerung als arm. 2002 waren es nach diesen Angaben noch 12,7 Prozent, 1998 12,1 Prozent. Mehr als ein Drittel der Armen sind allein Erziehende und ihre Kinder. 19 Prozent sind Paare mit mehr als drei Kindern.
Kinder und Jugendliche haben in Deutschland ein hohes Armutsrisiko. 15 Prozent der Kinder unter 15 Jahren und 19,1 Prozent der Jugendlichen zwischen 16 und 24 Jahren sind betroffen. Die Zahl der Kinder in Deutschland, die von Sozialhilfe leben, stieg 2003 um 64.000 auf 1,08 Millionen und hat 2004/2005 1,45 Millionen erreicht. Im Jahre 2006 verdoppelte sich die gemessene Zahl von Kindern, die auf Sozialhilfeniveau leben, gegenüber 2004 nach Angaben des Kinderschutzbundes mit Berufung auf eine Statistik der Bundesagentur für Arbeit auf 2,5 Millionen von 15 Millionen, also eines von sechs in Deutschland lebenden Kindern bis 18 Jahren. Dieser Zahl liegen genauere Daten als früheren Schätzungen zugrunde.[7]
Nach Angaben des UN-Kinderhilfswerks Unicef wächst die Armut von Kindern in Deutschland stärker als in den meisten anderen Industrieländern. Dabei sind starke regionale Unterschiede festzustellen. So nach Forschungen der Ruhr-Uni Bochum sind in im reichen Bayern nur 6.6% der Kinder als arm zu bezeichnen (als Indikator für Armut galt der Bezug von Sozialgeld), in Berlin hingegen 30,7%.
Zudem habe die Armut erheblichen Einfluss auf die Bildungschancen, was unter anderem die jüngste AWO-Studie nachwies.
Bei der Kinderarmut in Deutschland können laut AWO-Studie[8] neun Dimensionen unterschieden werden:
- Materielle Armut
- Bildungsbenachteiligung
- Geistige/kulturelle Armut
- Soziale Armut
- Fehlende Werte
- Seelische/emotionale/psychische Armut
- Vernachlässigung
- Falsche Versorgung
- Ausländerspezifische Benachteiligung
Dem gegenüber ist die Altersarmut in Deutschland rückläufig: von 13,3 Prozent 1998 auf 11,4 Prozent im Jahr 2003. Längerfristig wird hier ein Wiederanstieg erwartet, weil die derzeit vielen Arbeitslosen, Teilzeitbeschäftigten, Minijobber und Geringverdienenden geringere Renten bekommen werden und allgemein das Rentenniveau aller zukünftigen Rentner (und aller heutigen Arbeitnehmer) im Zuge der Reformen gesenkt wurde. Einer Studie zufolge, die das Deutsche Institut für Altersvorsorge (DIA) 2005 vorlegte, droht nahezu jedem dritten Bürger Verarmung im Alter. Grund sei neben der steigenden Lebenserwartung, die Rentenreformen von 2001 und 2004, die das gesetzliche Rentenniveau um rund 18 Prozent sinken ließen und die fehlende Bereitschaft zu privater Altersvorsorge, die viele Bürger nicht zahlen wollen oder können (etwa 60%).
Obschon die Armut in Deutschland steigt, wird sie selten als Armut benannt. In den letzten Jahren wird stellvertretend der Begriff sozial schwach benutzt, zunehmend auch in der substantivierten Form Sozialschwache. Der Begriff ist schillernd und lässt sich interpretieren sowohl als Hinweis auf die schwache gesellschaftliche Stellung als auch auf einen Mangel an sozialer Kompetenz; im letzteren Fall - so eine Kritik - setzt dieser Begriff euphemistisch die Zuschreibung „asozial“ fort. Die Arbeiterwohlfahrt lehnt die Verwendung der Bezeichnung „sozial schwach“ ab, da es ihrer Auffassung nach einen Mangel an sozialer Kompetenz vortäusche. „Diese ‚sozial Schwachen‘“, so ihr Bundesvorsitzender Wilhelm Schmidt, „sind alles andere als sozial schwach. Von den meisten [finanzschwachen] Eltern wird eine nur schwer vorstellbare Stärke verlangt, ihre Situation täglich zu bewältigen und für ihre Kinder zu sorgen.“ In der Armuts- und Bildungsforschung wird dieser Begriff ebenfalls vermieden.
Ähnlich umstritten ist der Begriff Unterschicht oder Neue Unterschicht. Eine demoskopische Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung löste im Oktober 2006 eine starke Debatte aus, da festgestellt worden ist, dass 8% der Bevölkerung zum „abgehängten Prekariat“ zu zählen sind. Diese Debatten wurde die „Unterschichten-Debatte“ genannt, obschon der Begriff „Unterschicht“ in der Studie vermieden wurde. Im gleichen Zeitraum kam eine vergleichende Studie der Hans-Böckler-Stiftung zum Resultat, dass Deutschland unter 24 europäischen Staaten den Platz 21 auf der Sozial-Rangliste einnahm. In diese Studie flossen die Kriterien Einkommensverteilung und soziale Absicherung, Arbeitsmarkt, Bildungs- und Ausbildungschancen, Geschlechtergleichstellung und Generationenverhältnis ein.
Der Sozialexperte des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in Deutschland Ulrich Schneider äußerte im November 2006 seine Befürchtung: "Die Altersarmut wird deutlich zunehmen". [9]
Armut in Österreich
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Nach Angaben des Sozialministeriums („Bericht über die soziale Lage 2003-2004“) waren 2003 in Österreich über eine Million Menschen (13,2 Prozent der Bevölkerung) armutsgefährdet, das heißt, von Einkommensarmut betroffen. Im Jahr 2002 waren es noch 900.000 oder 12 Prozent, 1999 11 Prozent. Als Armutsgefährdungsschwelle gelten 60 Prozent des mittleren Einkommens (Medianeinkommen). Etwa jede/r Achte muss demnach mit weniger als 785 Euro monatlich auskommen.
Frauen sind (mit 14 Prozent) leicht überproportional armutsgefährdet.
Neben der Einkommensarmut als Indikator für die finanzielle Situation eines Haushalts wird in Österreich von „akuter Armut“ gesprochen, wenn zusätzlich zur finanziellen Benachteiligung gewisse Mängel oder Einschränkungen in grundlegenden Lebensbereichen auftreten (zum Beispiel Zahlungsrückstände bei Miete, oder wenn Heizung, Urlaub, neue Kleider, Essen, unerwartete Ausgaben nicht leistbar sind). Von akuter Armut waren 2003 467.000 Menschen (5,9 Prozent der Bevölkerung) betroffen. Im Jahr davor waren es noch 300.000 Menschen oder 4 Prozent. Nach einem Bericht der Armutskonferenz sind erstmals Daten über so genannte Working Poor verfügbar: in Österreich seien 57.000 Menschen (2003) von Armut trotz Arbeit betroffen. Des weiteren hängt der Grad der Armutsgefährdung von der Art des Beschäftigungsverhältnisses ab:
- Teilzeitbeschäftigte mit bis zu 20 Stunden wöchentlicher Arbeitszeit haben ein dreifaches, bei 21 bis 30 Stunden ein doppelt so hohes Risiko armutsgefährdet zu sein, als Personen, die zwischen 31 und 40 Stunden beschäftigt sind.
Des weiteren kritisiert der Schattenbericht der Armutskonferenz zum 2. Nationalen Aktionsplan für soziale Eingliederung 2003–2005 der österreichischen Bundesregierung, dass Langzeitarbeitslose und Migranten und Migrantinnen in diesem Plan vollkommen fehlten.
Siehe auch: Leben im Wiener Untergrund
Armut in den USA
Nach Angaben des Armutsberichts des Amts für Volkszählungen vom August 2005 ist in den USA die Zahl der Menschen mit Einkommen unterhalb der Armutsgrenze 2004 zum vierten Mal in Folge angestiegen. 12,7 Prozent der Bevölkerung oder 37 Millionen Menschen seien arm. Dies ist ein Anstieg gegenüber dem Vorjahr von 0,2 Prozentpunkten. Der Anstieg sei vor allem auf den höheren Anteil von Weißen zurückzuführen. Als arm gilt eine vierköpfige Familie, wenn sie weniger als rund 19.310 Dollar im Jahr ausgeben kann. Für Alleinstehende liegt die Grenze bei etwa 9.650 Dollar.
Armut und Umwelt
Armut ist in vielen Teilen der Welt auch eine der wichtigsten Ursachen für Gefährdung und Zerstörung der Umwelt. Die in der Armut begründeten schwerwiegenden Nöte und Probleme lassen den Umweltschutz in den Hintergrund treten. Die für den Schutz mitunter notwendigen finanziellen Mittel können in Regionen mit großer Armut nicht aufgebracht werden. Klaus Töpfer, der Leiter der UNO-Umweltbehörde UNEP, bezeichnete Armut als „das größte Gift für die Umwelt“; Erfolge im Umweltschutz setzten eine Bekämpfung der Armut voraus.
Siehe auch
- Armutsquote
- Ausbeutung
- Existenzminimum
- Welthunger, Hunger
- Kinderarbeit, Arbeiterkinder
- Lebenslage (Lebenslagenkonzept in der Soziologie)
- Netzwerkarmut
- Niedriglohn; Niedriglohn-Job; Niedriglohnsektor; Working Poor
- Obdachlosigkeit
- Pauperisierung
- Poverty Reduction Strategy Papers
- Reichtum
- Reproduktion (Bildung)
- Soziales
- Weltsozialforum
- Wohlstand
Zitate
„Würden die 17 reichsten Niedersachsen das Land verlassen, dann hätten wir 100.000 Arme weniger.“ Christian Wulff, Ministerpräsident von Niedersachsen über die relative Armutsmessung (das trifft aber bei der in der EU verwendeten Berechnungsmethode nicht zu, siehe Abschnitt Armutsgrenzen).
„Reicher Mann und armer Mann // Standen da und sahn sich an. // Und der Arme sagte bleich: // Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich.“ - aus dem Gedicht „Alfabet“, Bertolt Brecht 1934. (q:Bertolt Brecht)
Literatur
- Altgeld, Thomas und Petra Hofrichter, Reiches Land, kranke Kinder? Gesundheitliche Folgen von Armut bei Kindern und Jugendlichen, Mabuse-Verlag 2000, ISBN 3933050219
- Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Lebenslagen in Deutschland - Der 2. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. 2005. Download ohne Zahlen-Anhang / Pdf-Datei 1,8 MB. - Pressetext dazu, kurz.
- Diamond, Jared: Arm und reich. Die Schicksale menschlicher Gesellschaften. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt 1999 ISBN 3-596-14539-2
- Nadja Klinger, Jens König: Einfach abgehängt. Rowohlt Berlin, 2006. 224 S. ISBN 3871345520. Rezensionen in der Frankfurter Allgemeine Zeitung - FAZ vom 2. Oktober 2006 und aus die tageszeitung der taz-Bericht der Autorinnen vom 20. Sep.2006, S. 3
- Loccumer Initiative kritischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (Hrsg.): Armut als Bedrohung. Der soziale Zusammenhalt zerbricht. Ein Memorandum. Mit einer Einführung von Oskar Negt Hannover 2002 ISBN 3-930345-35-8
- Mielck, Andreas: Soziale Ungleichheit und Gesundheit. Einführung in die aktuelle Diskussion Bern 2005 ISBN 3-456-84235-X
- Roth, Eike: Globale Umweltprobleme - Ursachen und Lösungsansätze. Friedmann Verlag, München 2004, ISBN 3-933431-31-X.
- Rügemer, Werner: Arm und reich. 2. Auflage, Transcript Verlag, Bielefeld 2003, ISBN 3-933127-92-0.
- Sachs, Jeffrey: Das Ende der Armut, Siedler Verlag 2005, ISBN 3886808300.
- Schultheis, Franz und Kristina Schulz (Hrsg.): Gesellschaft mit begrenzter Haftung. Zumutungen und Leiden im deutschen Alltag Konstanz 2005 ISBN 3-89669-537-1
- Sedmak, Clemens (Hrsg.): Option für die Armen. Freiburg-Basel-Wien 2005 ISBN 3-451-28777-3
- Strengmann-Kuhn, Wolfgang (2006): Vermeidung von Kinderarmut in Deutschland durch finanzielle Leistungen. Zeitschrift für Sozialreform/ Journal of Social Policy Research, 52 (2006), 4, 439-466.
- Wißmann, Hans und Diethelm Michel unter anderem: Armut. In: TRE 4 (1979), 69-121 (historische, religionsgeschichtliche und theologische Aspekte)
Weblinks
Commons: Armut – Bilder, Videos und/oder Audiodateien |
- Sitchwort "Armut" in: Schubert, Klaus/Martina Klein: Das Politiklexikon. 3., aktual. Aufl. Bonn: Dietz 2003
- "Hintergrund aktuell: Neue Armut in Deutschland" - Dossier der Bundeszentrale für politische Bildung
- Reichtum und Armut als Herausforderung für kirchliches Handeln mit einem ausführlichen Versuch, den Armutsbegriff zu differenzieren
- Interview mit Mohammad Yunus, Friedensnobelpreisträger 2006
Armut weltweit
- Ursachen von Armut, Zahlen und Prognosen (Deutsch)
- Armutsforschung der Weltbank (Englisch)
- Social Watch Deutschland und International (Englisch), siehe auch Social Watch Deutschland
- Human Development Report 2006 der UNDP (Englisch)
Europäische Union
Belgien
- Zweijahresbericht 2005 (PDF-Datei) des Dienstes zur Bekämpfung von Armut, Prekären Lebensumständen und Sozialer Ausgrenzung
Deutschland
- Armutsbericht 2005 der deutschen Bundesregierung (PDF-Datei)
- Gewerkschaft für Erziehung und Bildung: Kommentar zum Armutsbericht 2005 der Bundesregierung
- Armutsbericht 2006 der Arbeitnehmerkammer Bremen (PDF-Datei), enthält auch überregionale Daten
- Artikelserie zu Armut und Reichtum in der Marktwirtschaft - und verbreiteten Illusionen darüber
- DIE ZEIT: Nur die Reichen werden reicher
- Armut als Bedrohung. Der soziale Zusammenhalt zerbricht Ein Memorandum der Loccumer Initiative kritischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
- Harald Neuber: Deutschland, dein Armutszeugnis,Telepolis, 03. März 2005
Österreich
Schweiz
- Definition der Armutsgrenze und Ausmaß der Armut in der Schweiz
- Armut in der Schweiz, Liste 13, Liste gegen Armut und Ausgrenzung.
Die Bewegung der Erwerbslosen und Ausgegrenzten in der Schweiz, bietet auf Ihrer Homepage, Texte zur Armut an.
Fußnote
- ↑ definitionen: Was ist Hunger? (taz vom 11.6.2002, S. 3)
- ↑ Vgl.: Agenda 21 (Landesinstitut für Schule und Weiterbildung, Soest): Hunger, Unterernährung - Einführung/Überblick - Daten/Zahlen für 2004
- ↑ The World Bank Group: Quick Reference Tables
- ↑ DGB: Armutsbericht ist Aufforderung zum Handeln, PM vom 02. Mai 2005 zum 2. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung
- ↑ Lehrer-online: Armut in Deutschland, Basistexte und ein beispielhaftes Schulprojekt aus Bremen, 29. November 2006
- ↑ Marie-Luise Hauch-Fleck: Rechnen, bis es passt / Die Bundesregierung manipuliert das Existenzminimum – zum Schaden aller Steuerzahler, DIE ZEIT (Nr. 01/2007), 28.Dezember 2006
- ↑ Pressemeldung des Kinderschutzbundes vom 27. Juli 2006.
- ↑ Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik: Arm dran (?)! Lebenslagen und Lebenschancen von Kindern und Jugendlichen. Zu Armut und Benachteiligung in Deutschland
- ↑ Der Tagesspiegel, Nr. 19379, Mittwoch, 22. November 2006, Wirtschaft, S. 17, "Immer mehr Senioren brauchen Geld vom Staat"