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Schwulst - Wikipedia

Schwulst

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Schwulst (von mhd. swulst zu swëllen „Anschwellung“) war ursprünglich der Ausdruck für Schwellung oder das Geschwollene. Das Adjektiv schwulstig wurde im Neuhochdeutschen schon von Luther in der übertragenen Bedeutung für aufgeblasene Worte verwendet. Der Begriff ist in der übertragenen Bedeutung von Aufgeblasenheit besonders seit dem 18. Jahrhundert in der Rhetorik und Poetik nachgewiesen. Für das Wort schwulstig ist seit dieser Zeit auch die Form schwülstig in Gebrauch.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Wortgeschichte

[Bearbeiten] Herkunft und Verwendungen

Das Wort wird im Deutschen Wörterbuch der Brüder Grimm analog zu Geschwulst als Femininum geführt.[1] Seine Bedeutung im medizinischen Sinne deckt sowohl Tumor als auch Ödem ab, d. h. unterschiedliche Formen der innerlichen und äußerlichen Schwellungen. Andere Belege verwenden es auch als den Bauch der Schwangeren.[2]

Johann Christoph Adelungs Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart (1774–86) unterscheidet die Schwulst als Körperschwellung und den Schwulst als (...) eine Art des Stolzes, da man sich in einem hohem Grade mehrerer Vorzüge mit Worten und Geberden rühmet, als man wirklich besitzet; in welchem Verstande doch das Beywort schwülstig üblicher ist.[3] Hier zeigt sich bereits, dass der heutige Sprachgebrauch von Schwulst und schwülstig das im übertragenen Sinne Aufgeblasene und Vordergründige meint, eine Formulierung, die pars pro toto von der Eigenschaft auf den Ausdruck deutet.

Im übertragenen Sinn als Metonymie etwa der „stolzgeschwellten Brust“ sind damit auch Stolz und Aufgeblasenheit an sich gemeint; diese Wortbedeutung findet sich bei Friedrich Schiller, Johann Gottfried Herder und Gotthold Ephraim Lessing.[2] Auch der Barockdichter Daniel Caspar von Lohenstein hatte das Wort zuvor selbst in seinem Ibrahim Bassa (1689) benutzt, jedoch in der Bedeutung einer anschwellenden Welle.[2]

Verwandte Prägungen sind Schwülstel und Schwulstfresser[2] für einen adipösen Menschen, schwulsterig und schwülsterig[2] für eine sichtbare Schwellung. Ein Schwülstling galt als jemand, der sich schwülstig ausdrückt.[2] Luther wandte das Wort zwar als auffgeblasen[2] in seiner Sprache um, seine Bibelübersetzung zeigt allerdings die Stellen

  • Ich will euch heimsuchen mit Schrecken, Schwulst und Fieber. 3 Mose 26,16
  • Der Herr wird dich schlagen mit Schwulst, Fieber, Hitze, Brunst, Dürre, giftiger Luft und Gelbsucht und wird dich verfolgen, bis er dich umbringe. 5 Mose 28,22

[Bearbeiten] Negative Konnotation

Johann Christoph Gottsched, der kritische Reformator
Johann Christoph Gottsched, der kritische Reformator

Schwulst und vor allem das gebräuchlichere Adjektiv schwülstig hat meist eine abwertende Bedeutung. Eine vermehrt pejorative Verwendung des Begriffs setzte mit dem Wandel der Stilnormen in den 1730er Jahren ein. Insbesondere kritisierte Johann Christoph Gottsched in seiner Critischen Dichtkunst (1730) Schwulst als eine extreme Form der stilistischen Ausarbeitung und führte als Gegenargumente unter anderem die aus der humanistischen Tradition stammenden Forderungen nach Deutlichkeit und Klarheit, aber schlicht auch die Kategorie des Geschmacks an (hierbei verarbeitete er Tendenzen der zeitgenössischen Rhetorik und Ästhetik). Er kennzeichnete Schwulst als Verfallserscheinung und verglich diese mit dem Hellenismus und der römischen Kaiserzeit, wobei er auch moralische Kategorien miteinbezog. Eine positive Sicht des Schwulstes blieb nach Gottsched selten. Versuche in diese Richtung unternahmen Moses Mendelssohn und August Wilhelm Schlegel.

Der Philosoph Karl Popper benutzte in einem polemischen nicht autorisierten Brief (Wider die großen Worte[4]) den Begriff abwertend, indem er die Sprache des dialektischen Philosophen Hegel und seiner Nachfolger als Schwulst bezeichnete (siehe auch: Hegelei).

Innerhalb der Literatur haben erst die Darstellungen des 20. Jahrhunderts durch eine vorurteilsfreie Betrachtung von Gongorismus und Schwulststil im wissenschaftlichen Kontext den Begriff wieder von seiner abfälligen Einschätzung befreit. Er gilt als ein authentischer Ausdruck der frühbarocken Weltsicht. In der Umgangssprache ist die negative Konnotation jedoch nach wie vor erhalten.

[Bearbeiten] Schwulst als Stilphänomen

Im übertragenen Sinn wird es auch für eine dem Inhalt unangemessene und übertrieben ausgeschmückte und ausführliche Sprech-, Denk- und Schreibweise verwendet. Wann welche Stilebene angemessen sei, versucht Johann Georg Krünitz mit folgendem Beispiel zu erklären:

„Man wolle z. B. in einer gewöhnlichen Rede sagen, es wird Tag! und man drückt dies durch die Worte aus: Schon hebt Aurora ihr Strahlenantlitz aus den Fluthen des Meeres empor. Was übrigens in Hinsicht des Ausdrucks in einer Art der Rede Schwulst seyn kann, ist es nicht in einer andern. Braucht aber der Schwulst in der Beimischung erhabener Begriffe und Vergleichungen zu gemeinen, niedrigen Gegenständen, so bleibt er in jeder Art des Vortrags tadelhaft; z. B. ein Geistlicher sagte in einer Leichenpredigt auf eine Bauerfrau: ‚Klagt ihr Eichen im Thale Josephat, denn die Ceder auf Libanon ist gefallen!‘ In der Leichenrede am Sarge einer Königinn möchte sie eher ihren Platz finden, aber nicht an dem einer Landfrau, wo diese Apostrophe nur Lachen erregt.“

Johann Georg Krünitz: Oekonomische Encyklopädie[5]

Die übermäßige Ausschmückung („ornatus“ in der Rhetorik) wurde in Frankreich auch als Phöbus, im englischsprachigen Raum als Bombast bezeichnet. Schwulst kann jederzeit entstehen, wird aber insbesondere der minderwertigen Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts zugeschrieben.

[Bearbeiten] Der Schwulststil in der deutschen Barockliteratur

Seit dem letzten Drittel des 17. Jahrhunderts wird der Begriff Schwulst vor allem auf unterschiedliche literarische Phänomene des späten Barockzeitalters übertragen. Zum Verständnis des bis in die Gegenwart negativ konnotierten Stilbegriffs, der nicht wie Euphuismus, Konzettismus oder Marinismus auf literaturimmanente Titel, Begriffe oder Namen zurückgeht, sondern allein die äußere Erscheinungsform anzeigt, muss die Entwicklung der deutschen Literatur beleuchtet werden. Darin zeigt sich auch, dass der Schwulststil kein einheitliches Phänomen war, sondern in unterschiedlichsten Ausformungen eines gemeinsamen Prinzips auftrat.

[Bearbeiten] Rhetorik und Dichtung

Das Verständnis von Inhalt und Ausdruck wandelte sich in der europäischen Gelehrtenliteratur der Renaissance grundlegend. Während die spätmittelalterliche Scholastik noch nach dem aristotelischen Stilvorbild schwergängige, aber präzise formulierte Texte produziert hatte, rückten im 15. Jahrhundert die rhetorischen Mittel ins Interesse der Schriftsteller, darunter vornehmlich Pathosformeln, Allegorien und bildhafte Symbolformeln.[6] Textgattungen wie Lehrdichtung oder Drama wurden unter dem Einfluss von Francesco Petrarca und dessen Zeitgenossen langsam den Regeln der normativen Poetik entzogen. Dies ging mit der stetigen Emanzipation von Philosophie und Literatur gegenüber der bisher vorherrschenden Theologie einher. Das Verhältnis von Pragmatik und ästhetischer Gestaltung kehrte sich allmählich um; nicht mehr Sein und Denken bestimmten den Ausdruck. Vielmehr nahm die Rhetorik am Ende des Prozesses selbst in Anspruch, die Richtschnur für philosophische Teilgebiete wie Ontologie und Logik zu sein.[6]

Julius Caesar Scaligers Poetik legte den Grundstein für die Verbindung von Rhetorik und Dichtung
Julius Caesar Scaligers Poetik legte den Grundstein für die Verbindung von Rhetorik und Dichtung

Den wichtigsten und am meisten beachteten Beitrag zu einer Neubewertung im Geist des Humanismus leistete Julius Caesar Scaliger mit seinen 1561 posthum erschienenen Poetices libri septem. Er maß die Dichtung noch an den Zweckkategorien docere („belehren“), delectare („erfreuen“) und movere („bewegen“), hob aber die grundsätzliche Unterscheidung von Rhetorik und Dichtung hinsichtlich der ästhetischen wie auch didaktischen Ziele der Literatur auf.[7] Die Tragödie erfuhr in seiner Poetik eine Umdeutung; hatte Aristoteles allein ihr die Katharsis als Wirkungszweck zugebilligt, so erweiterte Scaliger diese Möglichkeit – immer unter dem vorherrschenden Motiv des docere, der moralischen Belehrung – auf alle Dichtung.

Die Festschreibung des Unterschieds von Tragödie und Komödie im Sinne Scaligers ist für lange Zeit die Regel geblieben; er gleich die Herkunft der Tragödie aus dem Edlen bzw. der Komödie aus dem Gemeinen der Struktur der damaligen Ständegesellschaft an, unternimmt also eine Gattungsunterscheidung im sozialen Kontext der dramatischen Figuren. Scaligers Grund für diese Ordnung der Dramenformen beruht auf seiner rhetorischen Interpretation des Mimesis-Begriffs. Dessen Wirklichkeitsbezug ist nun unter der Perspektive des Wahrscheinlichen zu sehen, d. h. nicht das Sein wird nachgeahmt, sondern dessen mögliche Erscheinungsformen.[7] Der Zweck ist eine höhere suggestive Kraft auf den Zuschauer und Leser. Dieser ästhetische Ansatz herrschte während des gesamten Barockzeitalters, nicht nur im Drama, sondern auch in der sich entwickelnden Oper.

[Bearbeiten] Vorbilder und Einflüsse

Im Gegensatz zu Italien und Spanien fand die Renaissance in der deutschen volkssprachlichen Dichtung nur wenig Widerhall. Die Wahrnehmung sozialer, politischer und wissenschaftlicher Umbrüche im Wandel zur Neuzeit blieben vor allem auf Universitäten und Fürstenhöfe beschränkt. Noch bis ans Ende des 16. Jahrhunderts hatte sich das Frühneuhochdeutsche nicht endgültig als Literatursprache durchgesetzt. Erst nach der Reformation wandten sich humanistische Autoren dem Deutschen als Schriftsprache zu, spalteten aber die Leserschaft in ein höfisch-gelehrtes und ein bürgerlich-volkstümliches Lager.[8] Die Verheerungen des Dreißigjährigen Krieges erschwerten den Anschluss an die zeitgenössischen europäischen Entwicklungen zusätzlich.

Der eigentliche Zeitrahmen des barocken Schwulsts umfasst dabei etwa die Spanne zwischen Paul Flemings Übersetzung von Giovanni Battista Guarinis Schäferdichtung Il pastor fido und Barthold Heinrich Brockes als letztem Ausläufer. Für den Transport des Schwulsts formten sich geeignete Textsorten aus, so etwa der Staatsroman oder der heroisch-galante Roman, der höfische Lebensart und Heldentum in eines zu bringen versuchte.

Eine weitere Eigenart des barocken Schwulsts war der Umfang, den dafür typische Publikationen annehmen konnten. Daniel Caspar von Lohensteins 1689/90 posthum erschienener Schlüsselroman Großmütiger Feldherr Arminius umfasst allein im Inhaltsverzeichnis mehr als hundert, das Gesamtwerk über dreitausend Folioseiten. Noch in den so genannten sprechenden Titeln, die etwa seit dem Humanismus mit dem sich etablierenden Buchdruck in die Gestaltungshoheit der Dichter gelangten, spiegelt sich das Streben nach Umfang wider. Beispielhaft hierfür ist Johann Michael Moscheroschs Wunderliche vnd Wahrhafftige Gesichte Philanders von Sittewalt. In welchen Aller Welt Wesen / aller Mänschen Händel / mit jhren Natürlichen Farben / der Eitelkeit / Gewalts / Heucheley vnd Thorheit / bekleidet: öffentlich auff die Schauw geführet / als in einem Spiegel dargestellet / vnd von Männiglichen gesehen werden.

[Bearbeiten] Die Rolle der Sprachgesellschaften

Martin Opitz, Schöpfer der ersten deutschen Poetik
Martin Opitz, Schöpfer der ersten deutschen Poetik

Im Zentrum der Sprach- und Dichtungstheorie stand die Sprachpflege, die von den Sprachgesellschaften betrieben wurde und in Justus Georg Schottelius’ Abhandlung Ausführliche Arbeit von der teutschen Haubtsprache (1663) in die erste wissenschaftliche Arbeit über die neuhochdeutsche Sprache mündete. Die Suche nach fremden Vorbildern fand ihr Ziel in der – nicht selten unreflektierten – Übernahme von Vers- oder Gattungsformen anderer Literaturen, die fortan als Norm galten. Trotz ihres heute vordergründig erscheinenden Sprachpurismus, dessen Forderungen sich in der Textproduktion kaum unmittelbar niederschlugen, trat doch der Wille hervor, eine eigenständige nationale Sprache und Literatur zu schaffen.[9] Ohne das ideelle Wirken der Sprachpfleger hätte sich die junge Hochsprache nicht gegen die Vielfalt der gesprochenen Dialekte und die Literatursprachen Latein und Französisch behaupten können, auch nicht gegen die Verwahrlosung der Sprache durch den Einfall der Kriegsarmeen.[10]

Die Gelehrtenliteratur des 17. Jahrhunderts entwickelte demnach ihr Stilideal nicht im europäischen Vergleich, sondern nach den Vorbildern der lateinischen Rhetorik.[8] Eine erste Poetik der neuhochdeutschen Dichtung entwickelte Martin Opitz erst 1617 im Buch von der Deutschen Poeterey nach dem Vorbild Julius Caesar Scaligers, die systematisch genug war, um eine nachhaltige Wirkung auf die gesamte Literatur zu hinterlassen[10], auch auf die volkstümliche Dichtung, die unter dem Einfluss des Konflikts zwischen Reformation und Gegenreformation ihre Ausdrucksmittel steigerte.[11] Opitz’ Poetik zog allein in den Jahren 1640–45 zehn Arbeiten über die deutsche Versdichtung nach sich.[10] Beachtenswert sind in diesem Zusammenhang August Buchners viel beachtete, posthum gedruckte Werke Kurzer Weg-Weiser zur deutschen Tichtkunst (1663) und Anleitung zur deutschen Poeterey (1665). Buchner nimmt direkt Bezug auf die Sprache seiner Zeitgenossen und fordert:

„Damit die Rede auch sauber / rein und höfflich seyn möge / ist von nöthen / daß man sich derer Wörter enthalte / die etwas bedeuten / das zwar vor sich nicht unehrlich und schandbar / doch aber so beschaffen ist / darob ein reinlich und schamhafter Mensch einen Eckel und Unwillen fassen könnte (...). Darümb wolte ich mich / zum Exempel / des Worts / Schmieren / oder / Beschmieren / wenn ich nett und sauber reden wolte / nimmer gebrauchen.“

August Buchner: Anleitung zur deutschen Poeterey[12]

August Buchner, der Sprachpfleger
August Buchner, der Sprachpfleger

Indessen war Opitz’ Poeterey auch eine eklektische Zusammenstellung von Literaturlehren gewesen, die er im außerdeutschen Sprachraum vorgefunden hatte; viele seiner Ratschläge waren wenig überdacht und dienten eher der Systematisierung als der Reformation einer deutschen Literatur. Er wandte sich gegen das Lateinische als Literatursprache, übernahm aber die antike Rhetorik; er gab unbekümmert das Volkslied und dessen bis ins Mittelalter reichende Tradition auf, übernahm aber die französische Gattungspoetik als formales Vorbild für eine erneuerte Literatur.[13] Besonders die Tragödie blieb in seinem Standesdenken weiter dem höfischen Publikum vorbehalten, so dass Lessing erst 1755 mit Miss Sara Sampson ein bürgerliches Trauerspiel verfassen konnte.

Die von Opitz empfohlenen Stilmittel waren einseits der Alexandriner, den er dem Knittelvers vorzog, andererseits ein anschauliches und gepflegtes Deutsch[13] – das aber in der barocken Ästhetik die Anschaulichkeit nur zu leicht übertrieb. Hierzu zählen nicht zuletzt Stilelemente in den Texten der Vertreter der Zweiten Schlesischen Dichterschule wie z. B. Lohenstein, Andreas Gryphius, David Schirmer oder Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau.

[Bearbeiten] Materialer und formaler Schwulst

Generell sind beim Schwulststil zwei Ausprägungen unterscheidbar, die materiale und die formale.[14] Beide fußen auf der Technik der Amplifikation, die auf unterschiedlichen Gestaltungsebenen realisiert wurde.

Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen verband Inhalt und Form
Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen verband Inhalt und Form

Der materiale Schwulst ist eine Erscheinung von Werk und Werkidee. Ein Roman wie Lohensteins Arminius, der aus dem Geist der Polymathie, dem Ideal einer umfassenden Bildung heraus angelegt wurde, enthielt so ein breites Spektrum an Sachwissen, das in gelehrten Disputationen von der Erzählung abschweift und dem Leser einen Überfluss an Wissenschaftlichem (und Unwissenschaftlichem) bietet. Joseph von Eichendorff nannte den Roman später eine tollgewordene Enzyklopädie.[15] Diese Kritik entstand jedoch erst im Zuge der Aufklärung; die Zeitgenossen schätzten den Autor dafür hoch.

Auch die überbordende Stofffülle eines Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen, der mit dem Simplicissimus Teutsch (1668) den bekanntesten Schelmenroman des deutschen Barock liefert, ist materialer Schwulst. Dieser jedoch behält die Werkform im Auge, insbesondere im Simplicissimus, der mannigfaltige Quellen verbindet. Volksbücher, Schwanksammlungen und Sagen fließen zusammen mit enzyklopädischen Schriften der Zeit, aus denen der Autor fast wörtlich zitiert; daneben sind Eberhard von Wassenbergs Teutscher Florus, ein Geschichtswerk über den Dreißigjährigen Krieg, und Georg Philipp Harsdörffers Prosawerke Ausgangsmaterialien für Grimmelshausen. Der Erzähler wendet Montagetechniken an, um die Fülle der Bilder und Motive in ein geschlossenes Werk einzubetten.

Im materialen Schwulst wird die Haltung des Euphuismus widergespiegelt, die ein Weltbild zwischen den Polen Vernunft und Affekt entwirft und zeitpolitische Bezüge einnimmt.[15] Eine ethisch begründete Rationalität steht bei diesen Autoren im Vordergrund.

Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau, der Manierist des barocken Schwulsts
Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau, der Manierist des barocken Schwulsts

Der formal-künstlerische Schwellprozess, wie ihn z. B. Johann Klaj und Harsdörffer initiierten, geht auf die die romanischen Literaturen zurück. Harsdörffer war in direkten Kontakt mit italienischen Dichtern gekommen. Ihren Manierismus, den Concetti-Stil, die überfrachtete Sprache mitsamt ihrer Lautmalerei, ihrer Stilfiguren- und Tropenfülle übernahm er in seine Poesie. Die Dichtung erweckte bald den Eindruck, bloß eine Häufung ausgefeilter Stilmittel zu sein, mehr Künstlichkeit als Kunst.[14] Auch neue Wortprägungen brachte der Stil, um die sprachliche Empfindsamkeit zu erweitern. Als Beispiele seien Hoffmannswaldaus Kompositionen donnerhart (eine Synästhesie), hochmächtiggroß oder heiligsüß genannt[16], letztere für die zeitgenössischen Leser stark pleonastisch, da seit dem Mittelalter süeze als fest stehende Chiffre für die Heiligkeit Gottes stand.

Ein wichtiger Aspekt ist der bereits im Mittelalter aus religiösen Gründen kultivierte Memento-mori-Gedanke, der in Teilen der Schwulstdichtung eine Ästhetik des Hässlichen schuf. In drastischen Wendungen wird das Abstoßende geschildert.

„Graues Haar voll Laus’ und Nüsse /
Augen von Scharlach / voll Flüsse /
Blaues Maul voll kleiner Knochen /
Halb verrost’ und halb zerbrochen.

Blatterzunge / krank zu sprachen /
Affischs’zürnen / Narren-Lachen /
Runzelvolle / mag’re Wangen /
Die wie gelbe Blätter hangen.

Halshaut gleich den Morianen /
Arme / die mich recht gemahnen /
Wie ein Kind ins Kot gefallen /
Brüste / wie zween Druckerballen.“

Georg Greflinger: An eine sehr häßliche Jungfrau[12]

Genauso findet diese Ästhetik Eingang in die geistliche Dichtung, um z. B. Leiden und Tod Christi oder die Vorstellung von der Hölle in einer noch größeren Intensität darzustellen, als es die barocken Mystiker vermocht hatten. Zugleich ist die Deutlichkeit von Vanitas- und Leidensmotiven eine künstlerische Verarbeitung der Zeitgeschichte, wie sie in Gryphius’ Tragödie Ermordete Majestät oder Carolus Stuardus König von Gross Brittannien (1657) genauso vorkam wie in seinem umfangreichen lyrischen Werk.

„Ach! und Weh!
Mord! Zetter! Jammer, Angst, Creutz! Marter! Würme! Plagen.
Pech! Folter! Hencker! Flamm! Stanck! Geister! Kälte! Zagen!
Ach vergeh!
Tieff und Höh’!
Meer! Hügel! Berge! Felß! wer kan die Bein ertragen?
Schluck Abgrund! ach schluck ein! die nichts denn ewig klagen!
Je und Eh! Schreckliche Geister der tunckelen Hölen, ihr die ihr martret und Marter erduldet
Kan denn der ewigen Ewikeit Feuer nimmermehr büssen diß, was ihr verschuldet?
O grausamm’ Angst stets sterben, sonder sterben!
Diß ist Flamme der grimmigen Rache, die der erhitzete Zorn angeblasen:
Hir ist der Fluch der unendlichen Straffen, hier ist das immerdar wachsende Rasen:
O Mensch! Verdirb, umb hier nicht zu verderben.“

Andreas Gryphius: Die Hölle[17]

Athanasius Kircher, der Poetiker der Metaphern-Maschine
Athanasius Kircher, der Poetiker der Metaphern-Maschine

In ihren extremen Ausformungen gerät der Schwulst zu einem artifiziellen Leerlauf, wofür der Theoretiker Athanasius Kircher in seiner Ars Magna Sciendi (1669) das Modell einer Metaphern-Maschine[14] entwarf: eine normative Regelpoetik, die vom Entwurf der Handlung bis zum gezielten Einsatz greller Effekte eine Anleitung zur Literaturproduktion sein will. Quirinus Kuhlmann gab an, Prosawerke auf Kirchners Direktiven verfasst zu haben.[18] Gerade diese übermäßige Theatralik und Realitätsferne forderte später die Kritiker der Aufklärung heraus.[14] Die Umständlichkeit des Ausdrucks hatte auch den Vorteil, hinter den Sprachbildern einen erotischen Nebensinn verstecken zu können. Der an Giambattista Marino geschulte Schäferdichter Hans Aßmann Freiherr von Abschatz übte dies – trotz vordergründiger Distanzierung davon – bis zur kaum verhüllten Obszönität aus.[19]

Insgesamt erscheint der materiale Ansatz traditioneller als der formale.[15] Er wird in der späteren Wahrnehmung weniger mit der negativen Konnotation des Schwulstbegriffs in Verbindung gebracht.

[Bearbeiten] Schwulststile in anderen europäischen Literaturen

Der Schwulststil tritt in Deutschland erst als Spätentwicklung innerhalb der europäischen Barockliteraturen auf.[11] Er wurde zuvor in vielen europäischen Literaturen des Zeitalters realisiert. Gemeinsam ist allen die Übertreibung und Verzerrung bis ins Bizarre, das dem Leser späterer Epochen gekünstelt, maßlos übertrieben und aufgeblasen – eben schwülstig – vorkommt. Jedoch sind Mittel und Zweck der Hyperbolisierung in formaler und inhaltlicher Hinsicht sehr unterschiedlich und haben auch unterschiedliche Wirkungen erzielt.

[Bearbeiten] Gongorismus und Kultismus im spanischen Siglo de Oro

Der Gongorismus bzw. Kultismus (span. estilo culto, culteranismo oder cultismo „gebildeter Stil“) ist das die gesamte Barockliteratur am meisten beeinflussende Stilphänomen des Zeitalters. Es prägte die spanische Literatur im Siglo de Oro als Teil seiner Nationalkultur, die sich ungeachtet der Renaissance als eigentliche Neuinterpretation mittelalterliche Ideale verstand.[20] Die Literatur ist dabei als Bestandteil der gesamten Kultur zu sehen. Sie stand unter italienischem Einfluss. Dieser wurde weniger in der vorwiegend von Mystik und Erasmismus geprägten geistlichen Literatur oder in der Volksdichtung eines Lope de Vega sichtbar als in der lyrischen Dichtung. Poeten wie Juan Boscán Almogaver und Garcilaso de la Vega führten Stoffe und Formen der Renaissance ein. Sie etablierten den Endecasillabo und das Terzett, schließlich das Sonett.[21]

Luis de Góngora...
Luis de Góngora...
... und Francisco de Quevedo, die Antipoden des Siglo de Oro
... und Francisco de Quevedo, die Antipoden des Siglo de Oro

Ausgehend vom Manierismus in Architektur und Malerei entwickelte das spanische Barock den Gongorismus zu einer reichen Blüte, die noch in ihren Nachwirkungen auf das 20. Jahrhundert nachdrücklicher, pathetischer, „barocker“ als vergleichbare europäische Literaturen erscheint.[22] Das barocke Stilverständnis, das Einzelne nur im Zusammenhang mit dem Ganzen zu sehen, wurde hier zuerst zur Meisterschaft geführt. Gerade für die Dichtung, die z. B. in der Ästhetisierung des Hässlichen die Gestaltung aus dem Gegensätzlichen entdeckte, entstanden hier neue Sichtfelder, die die Chiaroscuromanier der zeitgenössischen Maler nachahmten.[22] Mit dem Libro de erudición poética (1611) verfasste Luis Carrillo eine Poetik, die die bisherigen praktischen Ansätze der Sevillaner Dichterschule um Fernando de Herrera systematisch ausbaute. Sie wurde rasch als maßgebliche Schrift anerkannt.

Die Schreibweise begriff sich selbst als aristokratische Geisteshaltung und wandte sich bewusst gegen das allgemeine Publikum und dessen Geschmack.[23] Nach Luis de Góngoras „dunklen“, verrätselten Dichtungen, die sich in Europa rasch als Stilvorbild ausbreiteten, schuf der Gongorismus damit die stärkste Ausprägung von Schwulst, zu der u. a. die Schriften des Nationaldichters Miguel de Cervantes zählen.

„Era de el año la estación florida
en que el mentido robador de Europa
– media luna las armas de su frente,
y el Sol, todos los rayos de su pelo –,
luciente honor del cielo,
en campos de zafiro pace estrellas;
cuando el que ministrar podía la copa
a Júpiter mejor que el garzón de Ida,
– naufrago y desdeñado, sobre ausente –,
lagrimosas, de amor, dulces querellas
da al mar; que condolido,
fue a las ondas, fue al viento
el mísero gemido,
segundo de Arïón, dulce instrumento.“

Luis de Góngora: Soledades I (1613/14)[24]

„Es war die Zeit, wo Mai das Jahr bekränzte
und, der Europen hinterrücks entführte,
den Halbmond auf der Stirn im Wappenschilde
und sein Gelock wie Sonnenstrahl entfaltend,
im Himmelslichte waltend
die Sterne weidet auf saphirnen Auen:
da ließ – o wenn ihn Jupiter erkürte,
daß er statt Idas Schenk den Wein kredenzte! –
gestrandet fern vom heimischen Gefilde
aufs Meer ein Jüngling Liebestränen tauen,
die, mit verhaltnen Klagen
dahin in Wehmutskreisen
von Wind und Meer getragen,
verebbten wie Arions süße Weisen.“

– Deutsche Übersetzung von Rudolf Grossmann[24]

Kennzeichen des Gongorismus sind auf der Wortebene die häufige Verwendung von – teilweise seltenen und schwer verständlichen – Fremdworten, Neologismen und überladenen Stilfiguren, geschraubten und spitzfindigen Wortspielen, Umschreibungen, überladenen Bildern[23] und nicht selten esoterischen Chiffren, zahlreichen rhetorischen Figuren wie Anapher und Epipher und die Neigung zur antithetischen Zuspitzung. Er zielt damit auf eine akribische Durchformung von Poesie und Prosa im Großen wie im Kleinen. Der Satzbau und die Grammatik nähern sich ebenfalls dem Latein an, was besonders in den späteren Strömungen nichtromanischer Sprachen wie im Englischen oder Deutschen zu erheblichen Verständnisschwierigkeiten führt. Zudem setzten gongoristische Dichter gerade den verschachtelten Satzbau und freie Wortstellungen als künstlerische Mittel ein, weshalb die zeitgenössische Kritik früh einsetzte. Die Gegnerschaft zwischen Góngora, dem Kunstdichter, und dem Volksdichter Lope de Vega entzündete sich daran.[25]

Francisco de Quevedo, selbst zwar ein Konzettist, aber wie Grimmelshausen als Erzähler dem formalen Schwulst abgeneigt und ein persönlicher Feind Góngoras, parodierte diese Sprachexperimente in einem „Rezept“ als beißende Satire auf die Schwulstpoetik.

„Quien quisiere ser Góngora en un día
la jeri aprenderá gonza siguiente:
fulgores arrogar, joven, presiente,
candor, construye métrica armonia;
poco, mucho, sí, no, purpuracía (...).“

Francisco de Quevedo: Aguja de navegar cultos (1631)[26]

„Wer in einem Tag Góngora sein möchte,
lerne das fol-Kauder-gende Welsch:
Schimmer, an sich reißen, jung, fühlt vor,
Reinheit, konstruiert, Metrik, Harmonie;
wenig, viel, ja, nein, Purpurei (...)“

– Deutsche Übersetzung[26]

Andere Dichter wie Díaz de Rivas, Salcedo Coronel oder Salazar Mardones[27] verteidigten Góngora in einem für das 17. Jahrhundert einzigartigen Kunststreit, der die Grenzen der ernsthaften Literaturkritik verließ und schließlich zu einer heftig geführten Polemik mit öffentlichen Beleidigungen ausartete.[28]

So wie der deutsche Schwulst später die sozialen Umbrüche der Kriegszeit verarbeiten sollte, ist auch der Kultismus als Reaktion auf den politischen Niedergang Spaniens im Lauf des 17. Jahrhunderts deutbar.[22] Er war im Wesentlichen eine Flucht vor der Realität in ein Ideal von Schönheit und Perfektion[25], eine Form von L’art pour l’art. Der Gongorismus kam zwar in den folgenden Jahrhunderten in Verruf und mit ihm Góngora selbst, doch fand er in spanischsprachigen Schriftstellern wie Federico García Lorca, Gerardo Diego, Rafael Alberti und Rubén Darío im 20. Jahrhundert neue Wertschätzung, Nachahmung und seine volle Rehabilitation.

[Bearbeiten] Marinismus im italienischen Barock und Konzettismus in Spanien

Baltasar Gracián, Theoretiker des Konzettismus
Baltasar Gracián, Theoretiker des Konzettismus

Der Marinismus (ital. marinismo), der nach Giambattista Marino benannt wurde und auf dessen Hauptwerke Adone (1623) und La strage degli innocenti (1633) zurückgeht, fand neben dem Schöpfer und Vorbild in Claudio Achillini einen bekannten Nachahmer. Er fand in ganz Europa Resonanz und mündete in den spanisch-italienischen Konzettismus.

Prägend für diesen Stil ist weniger die sprachliche Ausuferung als der inhaltliche Aspekt, die Verwendung der Antithetik in einer gesteigerten Form. Der Marinismus bricht mit der aristotelischen Poetik, da er Metaphern, Vergleiche und Allegorien vollkommen unterschiedlicher, sogar disparater Wirklichkeitsbereiche zusammenbringt und durch die gesuchte Analogie eine überraschende, einprägsame neue Weltsicht erzeugt. Die aristotelische Sicht, die später Johann Christoph Gottsched zu seinem negativen Urteil bringen sollte, wird hier bis an die Grenzen geführt oder bewusst überschritten.

„Läßt dieses Bild den Gottessohn erschauen?
Weh, Himmelsherr! sind dies die holden Wangen,
Den Engeln teuer, davon Glut empfangen
Die Rose, Milch die Lilie der Auen?

Sind dies die heitern Augen, dies die Brauen,
Daraus zur Sonne Strahl und Feuer drangen,
Das Haar, das Gold zu Sternen ließ gelangen?
O weh, Blut will aus Wunden niedertauen!

Welch rohe Hand beging wohl solche Roheit?
Und welches Mitleid, Beispiel wahrer Hoheit,
Zog reines Linnen um die heil’gen Glieder?

Sei irren Geistes Spiegel immer wieder
Der neue Gott als Gottmensch. Menschenleid
Zwang Gott in Menschenform mit Ähnlichkeit.“

Giambattista Marino: Ecce homo des Raffael von Urbino. Deutsche Übersetzung von Edward Jaime[29]

Die wichtigsten Theoretiker des Konzettismus sind Emanuele Tesauro und Baltasar Gracián, der wichtigste Autor Francisco de Quevedo, der einer der Meister des barocken Schelmenromans war.

[Bearbeiten] Euphuismus in der englischen Renaissanceliteratur

Der Euphuismus, benannt nach John Lylys Roman Euphues (1578, dt. Der Wohlgeratene) ist eine ausgesprochen intellektualisierte Form des Schwulstes. Der Verfasser schlüpft hier in die Rolle eines Poeta doctus, der mit gelehrten Anspielungen auf die römische und griechische Mythologie dem Leser das Verständnis erschwert, indem er ihm Rätsel aufgibt. Diese Strömung hatte ihre ideellen Wurzeln im elisabethanischen Weltbild, das den mittelalterlichen Ordo-Gedanken mit einer dem Absolutismus vergleichbaren Staatsphilosophie verband.

William Shakespeares Dramen greifen den Euphuismus auf
William Shakespeares Dramen greifen den Euphuismus auf

Der literarische Zeitgeschmack von Theater und Prosa wurde von Hof und Aristokratie bestimmt,[30] so dass die Literatur der englischen Renaissance sich vor allem auf italienische und spanische Einflüsse wie die Erzähltradition Giovanni Boccaccios und die von ihm entwickelte Novelle stützt. Ein Hauptaugenmerk war dabei die Verbindung von moralisch-didaktischem Inhalt aus dem Humanismus mit der spätmittelalterlichen Prosa in der Folge Geoffrey Chaucers. Schon vor Lyly hatte George Pettie manieristische Elemente in seine Prosa einfließen lassen, die neben ihrer Handlungsarmut vor allem aus Reden, Monologen und Betrachtungen, Reimen und Gemeinplätzen bestand[30] und den Gegensatz von Vernunft und Leidenschaft thematisierte; Robert Greene folgte ihm darin. Der stark antithetische Prosastil versuchte fehlenden Inhalt durch rhetorische Kunstfertigkeit zu überdecken. Dies führte nicht selten zu einer Bombastik, die den späteren Lesern als die innere und äußere Form sprengend vorkommt. Dabei nutzten die Autoren u. A. die Kanzleisprache als Vorbild.[30] Auch die Misogynie, eine Haltung der präziösen Literatur, erscheint schon vereinzelt.

Wichtig wurde der dramatische und rhetorische Impuls; bereits kurze Zeit später übertrug Lyly den Euphuismus auf das elisabethanische Theater und verfasste eine Reihe höfischer Komödien, die fast alle öffentlich oder am Königshof aufgeführt wurden. Der euphuistische Typ verband einen kunstvoll gegliederten Aufbau nach klassisch-antiken Vorbildern mit dem traditionellen Witz der englischen Bühnentradition.[31] William Shakespeares Komödie Viel Lärm um Nichts (1599) greift ihn auf humoristische Weise in den Figuren Benedikt und Beatrice auf. Gleiches geschieht in Verlorene Liebesmüh (1593), dessen Witzbold Costard sich durch sein gestelztes Latein auszeichnet, was im Wort Honorificabilitudinitatibus endet – er macht damit den Lehrer Holofernes lächerlich. Die Tragödie Romeo und Julia (1595) zeigt ebenfalls den Einfluss des Euphuismus auf die Sprache Shakespeares.

Romeo: O, she doth teach the torches to burn bright!
It seems she hangs upon the cheek of night
Like a rich jewel in an Ethiope’s ear;
Beauty too rich for use, for earth too dear!
So shows a snowy dove trooping with crows,
As yonder lady o’er her fellows shows.
The measure done, I’ll watch her place of stand,
And, touching hers, make blessed my rude hand.
Did my heart love till now? forswear it, sight!
For I ne’er saw true beauty till this night.“

William Shakespeare: Romeo und Julia, 1. Akt, 5. Szene[32]

Romeo: O, sie nur lehrt die Kerzen, hell zu glühn!
Wie in dem Ohr des Mohren ein Rubin,
So hängt der Holden Schönheit an den Wangen
Der Nacht; zu hoch, zu himmlisch dem Verlangen.
Sie stellt sich unter den Gespielen dar,
Als weiße Taub’ in einer Krähenschar.
Schließt sich der Tanz, so nah’ ich ihr: ein Drücken
Der zarten Hand soll meine Hand beglücken.
Liebt’ ich wohl je? Nein, schwör’ es ab, Gesicht!
Du sahst bis jetzt noch wahre Schönheit nicht.“

– Deutsche Übersetzung von August Wilhelm von Schlegel[33]

John Donne und die Metaphysische Dichtung steigerten den Euphuismus bis an die Grenzen der Verständlichkeit. In der neueren Literatur wurde er durch T. S. Eliot und André Breton wieder aufgegriffen.

[Bearbeiten] Preziosität im französischen Barock

Als preziös und Preziosität (von frz. précieux „edel“, „kostbar“, „affektiert“ und préciosité „Affektiertheit“, „Geziertheit“) galten in Frankreich etwa seit Mitte des 17. Jahrhunderts Lebens-, Empfindungs- und Ausdrucksweisen von äußerster oder übersteigerter, gewissermaßen schwülstiger Kultiviertheit; diese wurden vorab der Pariser Salonkultur zugeschrieben, und die Begrifflichkeit fand insbesondere im abschlägigen Namen Preziöse für ein weibliches Publikum Anwendung, das sich in genannter Art höchst auffällig hervorgetan haben soll.

Mit einer programmatisch handelnden Bewegung oder Gruppe bestimmter Frauen und Männer fügen sich Preziosität und Preziöse allerdings nicht zusammen. Die jüngere Forschung, die den Begriff der Preziosität mittlerweile in ein emanzipatorisches Umfeld setzt, versteht „die Preziösen“ sogar als travestierende Schöpfung der Literatur und Literaturkritik ihrer Zeit mit Molières Theaterstück Les Précieuses ridicules (Die lächerlichen Preziösen, uraufgeführt 1659, gedruckt 1660) als Dreh- und Angelpunkt.

[Bearbeiten] Quellen

  1. Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch. Leipzig 1854–1960. Bd. 15, Sp. 2751
  2. a b c d e f g Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch. Leipzig 1854–1960. Bd. 15, Sp. 2752
  3. Johann Christoph Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Leipzig 1774–86. Bd. 3, Sp. 1759
  4. Karl Raimund Popper: Wider die großen Worte. In: DIE ZEIT Nr. 39 vom 24. September 1971, S. 8
  5. Johann Georg Krünitz: Oekonomische Encyklopädie oder allgemeines System der Staats- Stadt- Haus- und Landwirthschaft. Berlin 1773–1858. Bd. 151, S. 608
  6. a b Jörg Villwock: Rhetorik und Poetik: theoretische Grundlagen der Literatur. S. 98. In: Propyläen Geschichte der Literatur. Literatur und Gesellschaft der westlichen Welt. Berlin 1984, Bd. 3, S. 98–120
  7. a b Jörg Villwock: Rhetorik und Poetik: theoretische Grundlagen der Literatur. S. 99. In: Propyläen Geschichte der Literatur. Literatur und Gesellschaft der westlichen Welt. Berlin 1984, Bd. 3, S. 98–120
  8. a b Gunter E. Grimm: Die Suche nach der eigenen Identität. Deutsche Literatur im 16. und 17. Jahrhundert. S. 326 f. In: Propyläen Geschichte der Literatur. Literatur und Gesellschaft der westlichen Welt. Berlin 1984, Bd. 3, S. 326–369
  9. Gunter E. Grimm: Die Suche nach der eigenen Identität. Deutsche Literatur im 16. und 17. Jahrhundert. S. 352 f. In: Propyläen Geschichte der Literatur. Literatur und Gesellschaft der westlichen Welt. Berlin 1984, Bd. 3, S. 326–369
  10. a b c Horst Dieter Schlosser: dtv-Atlas zur deutschen Literatur. 3. Auflage. München 1983, S. 113
  11. a b Horst Dieter Schlosser: dtv-Atlas zur deutschen Literatur. 3. Auflage. München 1983, S. 111
  12. a b Zit. nach: Marian Szyrocki: Die deutsche Literatur des Barock. Stuttgart 1979. S. 209 f.
  13. a b Horst Dieter Schlosser: dtv-Atlas zur deutschen Literatur. 3. Auflage. München 1983, S. 115
  14. a b c d Gunter E. Grimm: Die Suche nach der eigenen Identität. Deutsche Literatur im 16. und 17. Jahrhundert. S. 355. In: Propyläen Geschichte der Literatur. Literatur und Gesellschaft der westlichen Welt. Berlin 1984, Bd. 3, S. 326–369
  15. a b c Gunter E. Grimm: Die Suche nach der eigenen Identität. Deutsche Literatur im 16. und 17. Jahrhundert. S. 357. In: Propyläen Geschichte der Literatur. Literatur und Gesellschaft der westlichen Welt. Berlin 1984, Bd. 3, S. 326–369
  16. Zit. nach: Werner König: dtv-Atlas zur deutschen Sprache. München 1978. S. 106
  17. Quelltext auf Wikisource, abgerufen am 17. Februar 2007
  18. Marian Szyrocki: Die deutsche Literatur des Barock. Stuttgart 1979. S. 258
  19. Marian Szyrocki: Die deutsche Literatur des Barock. Stuttgart 1979. S. 223
  20. Vicente Cantarino: Die spanische Literatur des Goldenen Zeitalters. (Deutsch von Peter Hahlbrock) S. 302. In: Propyläen Geschichte der Literatur. Literatur und Gesellschaft der westlichen Welt. Berlin 1984, Bd. 3, S. 301–325
  21. Vicente Cantarino: Die spanische Literatur des Goldenen Zeitalters. (Deutsch von Peter Hahlbrock) S. 314. In: Propyläen Geschichte der Literatur. Literatur und Gesellschaft der westlichen Welt. Berlin 1984, Bd. 3, S. 301–325
  22. a b c Vicente Cantarino: Die spanische Literatur des Goldenen Zeitalters. (Deutsch von Peter Hahlbrock) S. 304. In: Propyläen Geschichte der Literatur. Literatur und Gesellschaft der westlichen Welt. Berlin 1984, Bd. 3, S. 301–325
  23. a b Martin Franzbach: Geschichte der spanischen Literatur im Überblick. Stuttgart 1993. S. 132
  24. a b www.bibliele.com, abgerufen am 10. Februar 2007
  25. a b Vicente Cantarino: Die spanische Literatur des Goldenen Zeitalters. (Deutsch von Peter Hahlbrock) S. 315. In: Propyläen Geschichte der Literatur. Literatur und Gesellschaft der westlichen Welt. Berlin 1984, Bd. 3, S. 301–325
  26. a b Hans-Jörg Neuschäfer (Hrsg.): Spanische Literaturgeschichte. 3. Auflage, Stuttgart/Weimar 2006. S. 121
  27. Martin Franzbach: Geschichte der spanischen Literatur im Überblick. Stuttgart 1993. S. 133
  28. Hans-Jörg Neuschäfer (Hrsg.): Spanische Literaturgeschichte. 3. Auflage, Stuttgart/Weimar 2006. S. 120
  29. litlinks.it, abgerufen am 10. Januar 2007
  30. a b c Claus Uhlig: Dichtung und Prosa in England. S. 271 ff. In: Propyläen Geschichte der Literatur. Literatur und Gesellschaft der westlichen Welt. Berlin 1984, Bd. 3, S. 258–280
  31. Harald Zielske: Drama und Theater in England, den Niederlanden und Deutschland. S. 148. In: Propyläen Geschichte der Literatur. Literatur und Gesellschaft der westlichen Welt. Berlin 1984. Bd. 3, S. 131–173
  32. Wikisource, abgerufen am 10. Februar 2007
  33. Wikisource, abgerufen am 10. Februar 2007

[Bearbeiten] Literatur

[Bearbeiten] Allgemein

  • Karl Gutzkow: Dionysius Longinus, oder Ueber den ästhetischen Schwulst in der neuern deutschen Litteratur. Stuttgart 1878
  • Gustav René Hocke: Manierismus in der Literatur. Sprach-Alchimie und esoterische Kombinationskunst. Hamburg 1959
  • Wilfried Barner: Barockrhetorik. Untersuchungen zu ihren geschichtlichen Grundlagen. Tübingen 1970 ISBN 3-484-10130-X
  • Gerd Henniger (Hrsg.): Beispiele manieristischer Lyrik. München 1970
  • Peter Schwind: Schwulst-Stil. Historische Grundlagen von Produktion und Rezeption manieristischer Sprachformen in Deutschland 1624–1738. (Dissertation) Bonn 1977 ISBN 3-416-01319-0
  • Sabine Rossbach: Moderner Manierismus. Literatur – Film – Bildende Kunst. Frankfurt am Main/Berlin/Bern 2005 ISBN 3-631-52523-0

[Bearbeiten] Gongorismus und Konzettismus

  • Andrée Collard: Nueva poesía. Conceptismo, culteranismo en la crítica española. 2. Auflage. Madrid 1971
  • Henning Mehnert: Bugia und argutezza. Emanuele Tesauros Theorie von Struktur und Funktionsweise des barocken Concetto. In: Romanische Forschungen 88 (1976), S. 195–209
  • Robert V. Young: Richard Crashaw and the Spanish golden age. New Haven 1982 ISBN 0-300-02766-4
  • María Cristina Quintero: Poetry as play. ‚Gongorismo’ and the ‚Comedia’. Amsterdam 1991 ISBN 90-272-1761-0 und ISBN 1-55619-304-1

[Bearbeiten] Euphuismus

  • Clarence Griffin Child: John Lyly and Euphuism. Münchner Beiträge zur romanischen und englischen Philologie Bd. 7. Erlangen 1894

[Bearbeiten] Weblinks

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