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Helmut Gollwitzer

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Helmut Gollwitzer (* 29. Dezember 1908 in Pappenheim im Altmühltal/Bayern; † 17. Oktober 1993 in Berlin) war evangelischer Theologe, Schriftsteller und Sozialist. Als prominenter Schüler Karl Barths engagierte er sich in der Bekennenden Kirche der NS-Zeit, später in der „Kampf-dem-Atomtod“-Bewegung der 1950er und der Studentenbewegung der 1960er Jahre. Als Professor an der Freien Universität Berlin war er ein enger Freund und Wegbegleiter von Rudi Dutschke.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Leben

Gollwitzer stammte aus einem lutherischen und national-konservativen Pfarrhaus im überwiegend katholischen Altmühltal in Bayern. Er war als Schüler in der Jugendbewegung der 1920er Jahre aktiv und studierte dann von 1928 bis 1932 Philosophie in München und evangelische Theologie, u.a. bei Paul Althaus in Erlangen und Friedrich Gogarten in Jena. Doch Karl Barth in Bonn wurde sein wichtigster Lehrer, der seine eigene Haltung zeitlebens prägte.

Von 1933 an war Gollwitzer scharfer Kritiker der „Deutschen Christen“ und seit 1934 Mitglied der „Bekennenden Kirche“ (BK). Er gehörte dort zum Flügel der so genannten „Dahlemiten“, die nicht nur die staatlichen Übergriffe auf die evangelische Kirche, sondern auch die Rassenpolitik des Nationalsozialismus ablehnten. Er stand dem Antijudaismus auch innerhalb der BK zunehmend kritisch gegenüber. Nachdem Barth den Beamteneid auf Adolf Hitler verweigert hatte und Deutschland deshalb verlassen musste, folgte Gollwitzer ihm in die Schweiz und promovierte 1937 in Basel bei ihm mit einer Arbeit über die Abendmahlslehre bei Martin Luther und Johannes Calvin.

Im selben Jahr übernahm er die Pfarrstelle des inzwischen inhaftierten Leiters der BK, Martin Niemöller, an der Sankt-Annen-Kirche in Berlin-Dahlem und bildete dort illegal den theologischen Nachwuchs der BK aus. Seit der Reichspogromnacht 1938 verhalf er vom NS-Regime verfolgten Juden zur Flucht bzw. Ausreise. Seine Kontakte zu Widerständlern in der Wehrmacht brachten ihm 1940 mehrere Verhaftungen und Redeverbot ein. Da er den Kriegsdienst mit der Waffe ablehnte, wurde er im Zweiten Weltkrieg als Sanitäter an der Ostfront eingesetzt.

1945 geriet er in sowjetische Kriegsgefangenschaft und kam in ein Arbeits- und Umerziehungslager. Über seine Erlebnisse dort schrieb er ein Buch, in dem er sich intensiv mit dem Marxismus-Leninismus sowjetischer Prägung auseinandersetzte: „...und führen wohin Du nicht willst.“ Dieser authentische Bericht erschien 1951, wurde rasch ein Bestseller und in mehrere Sprachen übersetzt. Der damalige Bundespräsident Theodor Heuss beschrieb es als „großes geschichtliches Dokument“.

1950 wurde Gollwitzer als Nachfolger Barths ordentlicher Professor für Systematische Theologie in Bonn, wo er bis 1957 lehrte. In diesen Jahren engagierte er sich stark gegen die deutsche Wiederaufrüstung, vor allem gegen die Atombewaffnung der Bundeswehr im Rahmen der NATO. Mit seinem Vortrag „Die Christen und die Atomwaffen“ vom Juni 1957 reagierte er auf den „Göttinger Appell“ der Physiker um Carl Friedrich von Weizsäcker und löste eine nachhaltige ethische Debatte in der EKD aus, die sich bis weit in die katholische Kirche und Ökumene hinein fortsetzte. Unter konsequenter Anwendung der kirchlichen Kriterien für einen „gerechten Krieg“ kam er zur kompromisslosen „Verwerfung“ aller Massenvernichtungsmittel. Die damalige Debatte drohte die evangelische Kirche zu spalten: In der Folge wurde Gollwitzer in eine Kommission berufen, die 1959 mit den „Heidelberger Thesen“ einen Kompromiss erarbeitete. Darin wurde die „Bereithaltung“ von Atomwaffen zur Abschreckung als „noch mögliche christliche Handlungsweise“ akzeptiert, sofern die Abschaffung aller Atomwaffen vorrangiges politisches Ziel bleibe. Dieses führte entgegen Gollwitzers Intentionen in der Folge nicht zur Überwindung, sondern zur Rechtfertigung des militärischen Abschreckungskonzepts der NATO.

Seit 1957 lehrte Gollwitzer dann an der Freien Universität Berlin im neu gegründeten Institut für Evangelische Theologie. 1961 sollte er Karl Barths Lehrstuhl an der Basler Universität übernehmen, doch die Basler Behörden legten dagegen wegen seiner „unklaren“ Einstellung zum Kommunismus ein Veto ein. So blieb Gollwitzer bis zu seiner Emeritierung 1975 in Berlin, wo er zeitweise auch an der Kirchlichen Hochschule lehrte. Er nahm von Anfang an regen Anteil an den Anliegen der kritischen Studenten, die er als einer von ganz wenigen Hochschullehrern aktiv unterstützte. Er engagierte sich für die 68'er Studentenbewegung, war befreundet mit Rudi Dutschke und Seelsorger von Ulrike Meinhof, setzte sich auch als Mitglied der Internationale der Kriegsdienstgegner/innen (IDK) gegen den Vietnamkrieg und das Wettrüsten ein. Obwohl von studentischen Kreisen gern als Vertreter des Establishments apostrophiert, wurde er als einer der engagiertesten Dialogpartner hoch geschätzt.

Der Theologe, der sich stets für einen Dialog zwischen Christen und Juden einsetzte, wurde 1989 mit der Ernst-Reuter-Plakette ausgezeichnet und erhielt mehrere Ehrendoktorwürden.

Er war seit 1951 kinderlos verheiratet mit Brigitte Gollwitzer, geb. Freudenberg, † 1986.

[Bearbeiten] Lebenswerk

Gollwitzers theologisches Anliegen als „Lehrling Luthers“ ist die Menschlichkeit Gottes. In der Gestalt Jesu Christi ist Gott Mensch aber nicht nur für den Einzelnen, sondern für diese Welt geworden: Darum versteht Gollwitzer Theologie als eine eminent praktische Wissenschaft, als ein Nachdenken über die Lebensfolgen des Evangeliums. Ging es ihm zunächst um die Überwindung konfessioneller Gegensätze - er arbeitete viel über Luther und Calvin -, so verlor dies mehr und mehr zu Gunsten seines politischen Engagements im Zeitgeschehen an Bedeutung. Der christliche Glaube spielt sich für ihn nicht in seelischen oder kirchlichen Privatbezirken, Theologie nicht in Elfenbeintürmen ab, sondern „draußen vor der Tür“ (Wolfgang Borchert), nämlich bei den Armen, den Verlassenen und den Opfern unmenschlicher Gesellschaftsordnungen.

Gollwitzer denkt wie der frühe Karl Barth radikal eschatologisch: Das Reich Gottes, das zu schaffen Menschen unmöglich ist, hat Jesus Christus bereits in die Welt gebracht, die Revolution Gottes hat schon begonnen. Daher können Christen sich unmöglich mit dem Bestehenden abfinden und aus den sozialen und politischen Konflikten ihrer Gegenwart heraushalten. Sie können sich aber auch nicht einfach mit einer der gegebenen „Parteien“ identifizieren, da sie vom Evangelium her immer die radikalste „Vorhut“ der Veränderung sein müssen.

Hier kommt Gollwitzers eigenständiger Sozialismus ins Spiel: Der verheißenen Zukunft Gottes entspricht in der Gegenwart ein Standort des Christen, der die gegebene Wirtschafts- und Sozialordnung kritisch „unterhöhlt“, sie in Richtung gerechterer, sozialerer Verhältnisse umstürzt und verändert, da sie den Armen hier und jetzt keine Zukunft bieten kann. Damit folgt der Christ unter den heutigen Bedingungen Jesus selber nach, der diesen Kampf für die Befreiung zur Solidarität (Buchtitel Gollwitzers) mit den Armen unter damaligen Bedingungen führte und vorlebte. Die Freiheit, die uns Gottes Gnade schenkt, besteht nicht im Festhalten von Privilegien, sondern im Dienst an und im Teilen mit den Armen. So heißt Glaube Mitarbeit »an der Humanisierung der menschlichen Gesellschaft auf das Reich Gottes, der wirklich menschlichen Gesellschaft hin“.

Während Gollwitzer diese Auffassung – der Christ beteiligt sich am Aufbau einer humanen Gesellschaft in Analogie zum Reich Gottes und im Konflikt mit inhumanen Systemen – schon früh vertrat, kam in den 1960er Jahren durch den intensiven Dialog mit der Studentenbewegung ein starker Antikapitalismus hinzu: Er gelangt nun zu einer radikalen Kritik am inhumanen kapitalistischen Gesellschaftssystem, bei der er unbefangen Elemente der marxistischen Kritik der politischen Ökonomie aufgreift. Seit etwa 1970 ist Gollwitzer bekannt für die klare und in der deutschen evangelischen Theologie fast nur von ihm vertretenen These: „Sozialisten können Christen, Christen müssen Sozialisten sein.“ (zitiert nach Adolf Grimme).

[Bearbeiten] Werke

  • Befreiung Zur Solidarität: Einführung in Die Evangelische Theologie. München (Chr. Kaiser Verlag) 1978
  • Die Kapitalistische Revolution. München (Chr. Kaiser Verlag) 1974
  • Krummes Holz - aufrechter Gang, München (Chr. Kaiser Verlag) 1970, ISBN 3-459-00594-7
  • ...und führen wohin Du nicht willst, München (Chr. Kaiser Verlag) 1951

[Bearbeiten] Zitate

„Der Übergang von der einen Gesellschaft zur anderen ist eine veritable Revolution – wenn überhaupt eine gesellschaftliche Veränderung Revolution zu heißen verdient, dann diese. Ob diese Revolution uns anstelle des drohenden [...] Untergangs in Barbarei möglich sein wird, ob sie sich in heftigen Umbrüchen oder evolutionär aufeinanderfolgenden Schritten vollziehen wird, [...] ob mit irregulärer Gewalt verbunden oder nur durch die legale Gewalt des Stimmzettels, das alles hängt von Umständen ab, über die wir nicht verfügen und die von Land zu Land verschieden sein mögen.[...] Es geht also um die sozialistische Weltrevolution.“


„Das [...]der politischen Verantwortung zugemutete Ziel der klassenlosen Gesellschaft, in der Ausbeutung und Herrschaft gelöst sind, schließt also die Forderung des antikapitalistischen und antiimperialistischen Kampfes in sich.“


„Erfülltes Leben ist Leben, das nicht um sich selbst kreist,
das in offenen Beziehungen zu anderen gelebt wird,
das sich von anderem Leben in Anspruch nehmen läßt,das Liebe gibt,
das geliebt wird, weil es Liebe gibt.“


„Die Nacht wird nicht ewig dauern.
Es wird nicht finster bleiben.
Die Tage, von denen wir sagen, sie gefallen uns nicht,
werden nicht die letzten Tage sein.
Wir schauen durch sie hindurch vorwärts auf ein Licht,
zu dem wir jetzt schon gehören und das uns nicht loslassen wird.
Das ist unser Bekenntnis.“

(entnommen aus dem GOLLWITZER-BREVIER, (Chr. Kaiser Verlag)


„Das Wort Sühne weist hin auf die Notwendigkeit zur Versöhnung. Versöhnung ist eine wichtige Voraussetzung für Frieden. Das Wort Sühne erinnert an vergangene und gegenwärtige Schuld und Schuldverflechtungen. Schuld können auch Kinder für ihre Väter oder Väter für ihre Kinder auf sich nehmen. Das Wort Sühne hat mit materieller Entschädigung und Wiedergutmachung nichts zu tun. Es weist weit darüber hinaus. Das Wort Sühne bedeutet: Wir müssen aus der Geschichte lernen, Folgerungen zu ziehen, Fehler einzugestehen, umzudenken, umzukehren von falschen Wegen und neue Wege suchen.“ (Helmut Gollwitzer, 1962)

[Bearbeiten] Weblinks

Andere Sprachen
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