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Hungersnot

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Eine Hungersnot ist ein Phänomen, bei dem ein großer Anteil der Bevölkerung einer Region oder eines Landes unterernährt ist und Tod durch Verhungern in großem Maße zunimmt. Hunger war früher so weit verbreitet, dass er neben Krieg, Pestilenz und Tod einer der vier Apokalyptischen Reiter war. Nicht selten führten Hungersnöte zu Hungerrevolten.

Trotz der viel größeren technologischen und ökonomischen Möglichkeiten der modernen Welt kommen Hungersnöte noch in vielen Teilen der Welt vor, meistens in den so genannten Entwicklungsländern. Den größten Teil des heutigen Welthungers machen allerdings nicht akute Hungersnöte aus, sondern der chronische Hunger armer Bevölkerungsschichten.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Ursachen

Ursache von Hungersnöten sind Missernten bei gleichzeitig fehlender Vorratshaltung durch natürliche Gründe wie Unwetter, Schädlinge, sonstige Naturkatastrophen und künstliche Hungersnöte, hervorgerufen durch Krieg, oder absichtlich mit genozidaler Absicht ausgelöst.

Seit den 1970er Jahren werden zunehmend nicht nur die natürlichen und ökonomischen Ursachen der Hungersnöte betrachtet, sondern auch die sozialen und politischen Gründe analysiert. Der Wirtschaftswissenschaftler Amartya Sen hat festgestellt, dass es in keiner funktionierenden Demokratie jemals zu einer Hungersnot gekommen sei.

Hunger hat eine starke Auswirkung auf die Demographie. Beispielsweise ist beobachtet worden, dass länger andauernde Hungerperioden zu einer Verringerung der Zahl der weiblichen Kinder führen können (siehe auch Kindestötung). Demographen und Historiker debattieren die Ursachen dieser Tendenz. Einige glauben, dass Eltern absichtlich männliche Kinder bevorzugen (indem sie weibliche Kinder verkaufen oder nach der Geburt töten, siehe Neonatizid). Andere glauben, dass biologische Prozesse (Amenorrhoe) die Ursache sein können.

Wie Amartya Sen beobachtet, ist Hunger normalerweise ein Problem der Nahrungsmittelverteilung und der Armut betroffener Bevölkerungsschichten, nicht ein absoluter Mangel an Nahrung.

In vielen Fällen wie dem Großen Sprung nach vorn, Nordkorea in der Mitte der 1990er oder Simbabwe seit 2000 kann Hunger als Resultat der Regierungspolitik angesehen werden. Im schlimmsten Fall wird Hunger zum Werkzeug einer repressiven Regierung gegen eine unerwünschte Bevölkerungsgruppe, wie im Holodomor in der Ukraine während der 1930er Jahre.

In anderen Fällen wie Somalia oder Sudan ist Hunger eine Konsequenz des Krieges, da Nahrungsmittelverteilungssysteme unterbrochen und landwirtschaftliche Aktivitäten verunmöglicht werden.

Heute werden Stickstoff-Düngemittel, neue Schädlingsbekämpfungsmittel, Neulandgewinnung und andere landwirtschaftliche Technologien als Waffen gegen den Hunger verwendet. Sie erhöhen die Getreideernte um das Zwei-, Drei- oder Vielfache. Industrieländer teilen diese Technologien mit Entwicklungsländern, die ein Hungerproblem haben. Da jedoch Hunger in der heutigen Zeit normalerweise die Folge von Kriegen oder Verteilungsproblemen ist, ist es fraglich, wie viel Auswirkung neue landwirtschaftliche Technologien auf dieses Problem haben würden.

Obwohl rechnerisch genügend Nahrungsmittel für die gesamte Weltbevölkerung vorhanden wären, gibt es auch im 21. Jahrhundert vor allem in Afrika immer noch katastrophale Hungersnöte.

[Bearbeiten] Ursachen von Hungersnöten

(am Beispiel der Sahelzone)

Grundsätzlich kann festgestellt werden, dass neben den natürlichen Ursachen der ausbleibenden Niederschläge oder Niederschlägen zur falschen Zeit und Erosionsschäden vor allem der Mensch zu Hungersnöten beiträgt:

  • durch unterlassene Hilferufe und Gegenmaßnahmen
  • allgemeine Kriegswirren
  • fehlende Anreize zur Überschussproduktion (zu tiefe staatl. Aufkaufpreise)
  • Vermarktungsverbote
  • Anbau von Exportprodukten (Baumwolle, Erdnüsse) anstelle von Grundnahrungsmitteln
  • Verstaatlichung von Großbetrieben; niedrige Produktivität, unrationelle Arbeitsweise
  • fehlende Infrastruktur
  • hoher Bevölkerungsdruck
  • durch kolonialzeitliche Grenzfestsetzungen in Vielvölkerstaaten
  • politische Willkürmaßnahmen der Machthaber

[Bearbeiten] Folgen

Anhaltender schwerer Hunger führt dazu, dass man Schlechtschmeckendes isst (z.B. Eicheln), dass Esstabus gebrochen werden (z.B. Menschenfleisch gegessen wird), dass die Hungernden z.B. Verfaultes oder Verkeimtes essen (Seuchengefahr), oder am Ende gänzlich Ungeeignetes, z.B. Schuhwerk.

[Bearbeiten] Hungersnöte in der Geschichte

[Bearbeiten] Europa

Protest gegen den Hunger im Ersten Weltkrieg
Protest gegen den Hunger im Ersten Weltkrieg

[Bearbeiten] Westeuropa

In Westeuropa waren Hungersnöte bis ins 19. Jahrhundert verbreitet.

  • 1315–1317 Hungersnot in weiten Teilen Europas
  • 1618–1648 Hungersnöte als Folge des Dreißigjährigen Krieges
  • 1771–1772 Hungersnot in Sachsen und der Lausitz, ausgelöst durch Überschwemmungen und naßkalte Witterung
  • 1816–1817 Hungersnot in weiten Teilen Europas, ausgelöst durch den Ausbruch des Vulkans Tambora in Indonesien
  • 1845–1849 Ausfall der Kartoffelernte durch Kartoffelfäule, Lebensmittelknappheit; Große Hungersnot in Irland mit 1.500.000 Toten und einer Auswanderungswelle nach Nordamerika

[Bearbeiten] Russland und UdSSR

[Bearbeiten] Asien

[Bearbeiten] China

  • 1333–1337 große Hungersnot mit 4.000.000 Toten.
  • 1876–1879 große Hungersnot in Nordchina mit 11.000.000 Toten.
  • 1892–1894 große Hungersnot mit 1.000.000 Toten.
  • 1896–1897 große Hungersnot mit 5.000.000 Toten.
  • 1920–1921 Hungersnot in Nordchina mit 500.000 Toten.
  • 1928–1929 große Hungersnot mit 10.000.000 Toten.
  • Die größte Hungersnot in China, und vielleicht der ganzen Weltgeschichte, wurde von 1959–1961 durch den Großen Sprung nach vorn ausgelöst, ein soziales Experiment, dem 30–43 Mio. Menschen zum Opfer fielen.

[Bearbeiten] Indien

  • 1630–1631 gab es eine große Hungersnot in Indien. Aufzeichnungen zeigen, dass Kannibalismus so verbreitet war, dass menschliches Fleisch auf dem freien Markt verkauft wurde.
  • 1770 erste bengalische Hungersnot mit 6.500.000 Toten.
  • 1866 Hungersnot in Bengalen und Orissa mit 1.500.000 Toten.
  • 1876–1878 große Hungersnot mit 5.000.000 Toten.
  • 1896–1897 und 1899–1902 große Hungersnot; 100 Mio. Betroffene; Schätzungen über Tote variieren stark, bis zu 11 Mio.
  • 1943–1944 eine weitere Hungersnot in Bengalen.
  • 1966 drohende Hungersnot in Bihar. Die USA teilten 900.000 Tonnen Korn zu, um den Hunger zu bekämpfen.

[Bearbeiten] Andere asiatische Länder

[Bearbeiten] Nahost

  • 1916–1918 Hungersnot im türkisch-deutsch besetzten Libanon während des Ersten Weltkriegs infolge einer alliierten Seeblockade sowie Requirierungen durch die schlecht versorgten Truppen; außerdem infolge des hohen Spezialisierungsgrades der libanesischen Landwirtschaft, wo Grundnahrungsmittel importiert und stattdessen z. B. Weinbau und Seidenraupenzucht betrieben wurden (ca. 100.000 Tote, in einem damals von 450.000 Menschen bewohnten Gebiet)

[Bearbeiten] Kleinasien

[Bearbeiten] Afrika

Hunger ist auch im Afrika der modernen Zeit weit verbreitet. Klimaschwankungen, Dürren, Bodenunfruchtbarkeit, Erosion und Heuschreckenschwärme können zu Ernteausfällen führen. Weitere Unsicherheitsfaktoren sind politische Instabilität, bewaffnete Konflikte und Bürgerkriege, Korruption und Misswirtschaft, außerdem eine Handelspolitik, die die afrikanische Landwirtschaft schädigt. Schließlich hat AIDS langfristige ökonomische Effekte auf die Landwirtschaft, indem es die in der Landwirtschaft tätige Bevölkerung dezimiert.

[Bearbeiten] Prävention

Hungersnöte können verhindert werden durch folgende Maßnahmen:

  • Vorratshaltung, sowohl staatlicherseits als auch von privater Seite
  • Geburtenkontrolle
  • Erhöhung der landwirtschaftlichen Produktion
  • Schutz der natürlichen Ressourcen
  • Beseitigung der Ursachen von Ernteschädlingen
  • Unterstützung benachteiligter ländlicher Bevölkerungsgruppen (Kleinbauern, Landlose)
  • Sicherung des Rechts auf Nahrung insbesondere für ärmere Bevölkerungsgruppen

[Bearbeiten] Siehe auch

[Bearbeiten] Literatur

  • Jean Ziegler: Wie kommt der Hunger in die Welt? Ein Gespräch mit meinem Sohn, Bertelsmann, München 2002, ISBN 3-570300595
  • Josef Nussbaumer c/o Guido Rüthemann: Gewalt.Macht.Hunger. Schwere Hungerkatastrophen seit 1845 (http://www.studienverlag.at/titel.php3?TITNR=1558 )
  • Mike Davis: Die Geburt der Dritten Welt, Verlag Assoziation, 2004, ISBN 3-935936117
  • Gunnar Heinsohn: Lexikon der Völkermorde, Rowohlt, Hamburg 1998, ISBN 3-499-22338-4
  • Amartya Sen: Poverty and Famines: An Essay on Entitlement and Deprivation, Oxford University Press; Reprint edition (February 1, 1984)
  • William Easterly: The elusive quest for growth - Economist's adventures and misadventures in the tropics, The MIT Press, Cambridge, Massachusetts, 2001

[Bearbeiten] Weblinks

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