Der Zauberberg
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Der Zauberberg ist ein 1924 veröffentlichter Roman von Thomas Mann. Er handelt vom Reifeprozess eines jungen Mannes namens Hans Castorp. Während eines siebenjährigen Aufenthalts in einem Tuberkulose-Sanatorium trifft Castorp unterschiedlichste Menschen, die ihn mit Politik, Philosophie, aber auch Liebe, Krankheit und Tod konfrontieren.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Inhalt
[Bearbeiten] Ankunft im Sanatorium
Castorp, einziges Kind einer Hamburger Kaufmannsfamilie, ist nach dem Tod seiner Eltern zunächst bei seinem Großvater, dann bei seinem Onkel Tienappel aufgewachsen und hat schließlich ein Studium der Schiffbautechnik begonnen. Vor dem geplanten Eintritt als Volontär bei einer Schiffswerft reist er in die Schweizer Alpen, um dort im Sanatorium Berghof nahe Davos seinen Vetter Joachim Ziemßen zu besuchen.
Ursprünglich beabsichtigt er, nur drei Wochen zu bleiben. Die Atmosphäre der von Hofrat Behrens und dem Psychoanalytiker Dr. Krokowski geleiteten Tuberkulose-Anstalt übt jedoch eine eigenartige Faszination auf Castorp aus. Beim Mittagessen trifft er auf vor Atemnot röchelnde oder Blut hustende Patienten, und auch auf die aufgrund ihres Pneumothorax aus der Lunge pfeifende Hermine Kleefeld. Er gewinnt den Eindruck, dass Krankheit den Menschen vergeistige und veredele, während Personen von robuster Gesundheit zu einer gewissen Einfalt neigten. Abstoßend findet er demgemäß die Kombination „krank und dumm“, wie er sie bei der „mörderlich ungebildeten“, zu fortwährenden Stilblüten neigenden Karoline Stöhr antrifft.
[Bearbeiten] Settembrini
Bald lernt Castorp den Literaten Lodovico Settembrini kennen, einen Humanisten, Freimaurer und „individualistisch gesinnten Demokraten“, der ihm allmählich zum väterlichen Freund wird. In zahllosen Belehrungen über philosophische und politische Fragen aller Art betätigt sich der Italiener bereitwillig als pädagogischer Förderer Castorps. Jenen erinnert die Mischung aus geschmeidig-elegantem Gebaren und abgetragener Kleidung an einen „Drehorgelspieler“. Der Humanist, dessen erklärter Leitstern die „Sonne der Aufklärung“ ist, bejaht, ehrt, liebt „den Körper (…), die Schönheit, die Freiheit, die Heiterkeit, den Genuss“. Er sieht sich selbst als Vorkämpfer der „Interessen des Lebens (…) gegen sentimentale Weltflucht“ und jedwede Romantik. Konsequenterweise erscheint ihm sogar die nachklassische Musik „politisch verdächtig“, zumal sie, so der Aufklärer, es verstehe, zu manipulieren. Zwei Prinzipien lägen im ewigen Kampf um die Welt, „die Macht und das Recht, die Tyrannei und die Freiheit, der Aberglaube und das Wissen, das Beharren und der (…) Fortschritt“, Europa und Asien. Gemäß geheiligter Familientradition nimmt Settembrini an dem Kampf im Sinne „der Aufklärung, der vernunftgemäßen Vervollkommnung“ teil. Analyse tauge zwar „als Werkzeug der Aufklärung und der Zivilisation (…) insofern sie dumme Überzeugungen erschüttert, natürliche Vorurteile auflöst und die Autorität unterwühlt (…) indem sie befreit, verfeinert, vermenschlicht und Knechte reif macht zur Freiheit“. Schädlich, „eine unappetitliche Sache“ sei sie indes, „insofern sie die Tat verhindert, das Leben an den Wurzeln schädigt.“ Eindringlich warnt Settembrini daher seinen Schützling insbesondere davor, sich allzu sehr dem morbiden Reiz der Anstalt hinzugeben, empfiehlt ihm gar die Abreise nach Hamburg.
[Bearbeiten] Madame Chauchat
Des Weiteren lernt Castorp die 28jährige Russin Madame Clawdia Chauchat kennen, die „kirgisenäugige“ Gattin eines wohlhabenden Beamten aus Daghestan am Fuße des Kaukasus, „schlaff, fiebrig und innerlich wurmstichig“. Obgleich verheiratet, trägt sie keinen Ehering, hat dieser doch „etwas Abweisendes und Ernüchterndes, (...) ein Symbol der Hörigkeit“. Am Mittagstisch fällt sie stets durch Zu-Spät-Kommen, lautes Türenschlagen, das Drehen von Brotkugeln und ähnliche Ungezwungenheiten auf.
Anfänglich bringt Castorp der Russin neugieriges Interesse entgegen, lässt sich von seiner Tischgenossin Engelhardt ausführlich über sie berichten. Schon mit Blick auf ihren zweifelhaften Gesundheitszustand sieht er in dem „stillen Verhältnisse“ zunächst aber lediglich „ein Ferienabenteuer, das vor dem Tribunal der Vernunft (... nicht bestehen) kann“. Sehr bald steigert sich die affektierte Anteilnahme in innige Verliebtheit. Angeheizt wird Castorps Begehren noch durch eine gewisse Eifersucht auf Hofrat Behrens, dem Frau Chauchat „beinahe täglich“ Modell für seine Ölgemälde sitzt.
Settembrini warnt ihn eindringlich und eifersüchtig davor, ihren Reizen zu erliegen. In ihr sieht er ein Abbild des von ihm verachteten Asiens, der Heimat fortschrittsfeindlicher „Parther und Skythen“. Die im Sanatorium grassierende Sinnenlust erscheint ihm vor dem Hintergrund dekadenter Trägheit geradezu frevelhaft. Mehr noch – gerade am schlechten Beispiel von Madame Chauchat bewahrheite sich eindrucksvoll seine These, wonach Krankheit nicht nur eine Folge, sondern eine Form der Liederlichkeit sei.
Während eines Karnevalsfestes bittet Castorp Frau Chauchat bei einem Zeichenspiel um einen Bleistift. Sie überreicht ihm „ein kleines silbernes Crayon (…), dünn und zerbrechlich (…), zu ernsthafter Tätigkeit nicht zu gebrauchen“. Es kontrastiert zu dem Stift, den sich Castorp einst in seiner Jugend von seinem homoerotisch verehrten Mitschüler Přibislav Hippe ausgeliehen hatte, dem „versilberten Crayon mit einem Ring, den man aufwärts schieben musste, damit der rot gefärbte Stift aus der Metallhülse wachse“ - ein eindeutig phallisches Motiv. Nachdem Frau Chauchat ihre unmittelbar bevorstehende Rückreise nach Daghestan angekündigt hat, gesteht ihr Castorp in einer ergreifenden, großteils in französischer Sprache gehaltenen Szene überschwänglich seine Liebe.
[Bearbeiten] Castorps Eingewöhnung
Nicht zuletzt mit Blick auf die äußere Routine des geregelten Sanatoriumlebens mit seinen festen Aufsteh-, Essens-, Untersuchungs- und Ruhezeiten nimmt Castorp die Zeit subjektiv anders wahr, sie wirkt auf ihn wie eine „ausdehnungslose Gegenwart“. Zunächst hält er sich für völlig gesund, eine Einschätzung, die die Klinikleitung nicht teilt. Auf Hofrat Behrens’ Rat bleibt er vorerst auf dem Berghof, nimmt zunehmend an therapeutischen Maßnahmen wie den Liegekuren teil. Die resolute Oberin Adriatica von Mylendonk verkauft ihm sogar ein Fieberthermometer, damit er, wie die anderen Berghofbewohner, mehrmals täglich seine Temperatur messen kann. So wird auch im Rahmen einer Röntgenuntersuchung auf Castorps Lunge eine „feuchte Stelle“ gefunden, die sich zunehmend ausweitet. Die Tagesordnung der Patienten beginnt, „in seinen Augen das Gepräge einer heilig-selbstverständlichen Unverbrüchlichkeit anzunehmen, so dass ihm das Leben im Flachlande drunten (…) fast sonderbar und verkehrt erschien.“
Selbstverständlich besucht er Dr. Krokowskis Vortragsreihe, in der der Psychoanalytiker die zentrale These behandelt, dass „Krankheitssymptom(e) (…) verkappte Liebesbetätigung und alle Krankheit verwandelte Liebe“ sei. Schließlich treibt Castorp diverse Studien etwa auf medizinischem und psychologischem Gebiet.
[Bearbeiten] Naphta
Settembrini, unheilbar krank, verlässt den Berghof, um ins nahegelegene Dorf zu ziehen. Er bezieht Quartier im Haus eines "Gewürzkrämers", in dem auch sein intellektueller Widerpart wohnt, der asketische Jesuit Naphta, ein zum Katholizismus konvertierter galizischer Jude mit bewegter Vergangenheit. Naphta ist ein brillanter, rhetorisch begabter und sophistisch-kalter Logik verpflichteter Intellektueller, vor dessen Einflüssen Settembrini seinen jungen Freund erfolglos fernzuhalten versucht. In anarcho-kommunistischer Tradition strebt er nach der Wiederherstellung des „anfänglichen paradiesisch justizlosen und gottesunmittelbaren Zustands“ der „Staat- und Gewaltlosigkeit (…), worin es weder Herrschaft noch Dienst gab, nicht Gesetz noch Strafe, kein Unrecht, keine fleischliche Verbindung, keine Klassenunterschiede, keine Arbeit, kein Eigentum, sondern Gleichheit, Brüderlichkeit, sittliche Vollkommenheit.“ Nach Abschaffung „der Greuel des modernen Händler- und Spekulantentums (…) der Satansherrschaft des Geldes, des Geschäfts“ sei ein totalitärer, auf Terrorismus gestützter Gottesstaat zu errichten; das Prinzip der Freiheit sei ein überlebter Anachronismus.
[Bearbeiten] Ziemßens Weggang und Tod
Auch Vetter Joachim Ziemßen kehrt dem Sanatorium zwischendurch den Rücken, um sich als Soldat aktiv und dienstwillig dem Weltleben zuzuwenden. Mit verschlimmertem Leiden kommt er nach einer Weile zurück, versucht die ihm verbleibenden Wochen noch nach Kräften zu genießen und stirbt schließlich auf dem Berghof. Im Rahmen einer der von Dr. Krokowski geleiteten spiritistischen Sitzungen wird sein Geist aus dem Totenreich heraufbeschworen.
[Bearbeiten] Der Schneetraum
Hauptartikel: Hans Castorps Schneetraum
Während eines Skiausflugs ins Hochgebirge, mutwillig Gefahr im „weißen Nichts“ der Schneelandschaft suchend, gerät Hans Castorp in einen lebensbedrohlichen Schneesturm. Er muss ihn im Windschatten eines Heuschobers abwarten und schläft, erschöpft von der ungewohnten Anstrengung, ein. In diesem Schneetraum sieht er eine „wunderschöne Bucht am Südmeer“, mit „verständig-heiterer, schöner, junger Menschheit“, „Sonnen- und Meereskinder“, die einander „mit Freundlichkeit, Rücksicht, Ehrerbietung“ begegnen. Im Rücken dieser verklärten Szenerie spielt sich freilich höchst Schauerliches ab: Zwei Hexen zerreißen und fressen über flackerndem Feuer ein kleines Kind. Halb erwacht und die beiden Traumbilder vergleichend, erkennt Hans Castorp, dass menschliche Form und Gesittung letztlich die Bewältigung des Grässlichen und Rohen in uns sind. Nun zweifelt er an seinen einseitigen Mentoren Settembrini und Naphta, aber auch an den Gegensatzpaaren „Tod-Leben“, „Krankheit-Gesundheit“, „Geist-Natur“. Der Mensch sei vornehmer als sie, und weil sie nur durch ihn existieren, sei er Herr über die Gegensätze. Aus Sympathie mit dem Menschengeschlecht beschließt Hans Castorp, das Wissen um den Tod zwar nicht zu verdrängen, aber fortan folgenden Leitsatz zu beherzigen: „Der Mensch soll um der Güte und Liebe willen dem Tode keine Herrschaft einräumen über seine Gedanken.“
[Bearbeiten] Mynheer Peeperkorn
Schließlich kehrt auch Clawdia Chauchat zurück, in Begleitung des niederländischen Kaffee-Pflanzers Mynheer Pieter Peeperkorn. Ungeachtet seiner Eifersucht gegen den neuen Rivalen, zeigt sich Castorp von dessen kraftstrotzender Vitalität beeindruckt: In mancher Hinsicht verzwergen gegen ihn seine intellektuellen Mentoren Naphta und Settembrini. Mit „sommersprossig-nagelspitzer Kapitänshand“ trinkt Peeperkorn Wein aus Wassergläsern, er experimentiert mit Chinarinde, Schlangengiften und Drogen, das Leben betrachtet er als „ein hingespreitet Weib, mit dicht beieinander quellenden Brüsten (…), das in herrlicher, höhnischer Herausforderung unsere höchste Inständigkeit beansprucht, alle Spannkraft unserer Manneslust, die vor ihm besteht oder zuschanden wird.“ Peeperkorn kann den intellektuellen Disputen zwischen Settembrini und Naphta wenig abgewinnen. Seine Rhetorik ist nicht viel mehr als Phrasendrescherei, wobei es Peeperkorn häufig nicht gelingt, seine Sätze zu Ende zu führen. Er überzeugt einzig vermöge der Wucht seiner Persönlichkeit. Hans Castorp erlebt zu seinem Erstaunen, was persönliche Ausstrahlung und Charisma bewirken können. Nach schwerer Erkrankung, den Verlust seiner Lebens-, insbesondere Manneskraft fürchtend, stirbt Peeperkorn durch Suizid mit Gift, das er sich durch einen sonderbar konstruierten, an „das Beißzeug der Brillenschlange“ erinnernden Apparat injiziert. Madame Chauchat verlässt den Berghof daraufhin für immer.
[Bearbeiten] Endphase
Gegen Ende des Romans verflachen die Aktivitäten der meisten Berghofbewohner zu Langeweile und banalem Zeitvertreib wie Briefmarkensammeln, Fotografieren und Schokoladeessen. Castorp wendet sich mit Vergnügen dem neu angeschafften Grammophon zu, auf dem er sich u. a. Schuberts Lied Der Lindenbaum anhört. Der zwischen Settembrini und Naphta von jeher schwelende weltanschauliche Streit eskaliert indes. Schließlich mündet er gar in einem Pistolenduell, in dessen Verlauf sich Naphta aus Wut und Verzweifelung selbst tötet.
Aus dem ursprünglich geplanten dreiwöchigen Aufenthalt im Sanatorium waren für Castorp mittlerweile sieben Jahre geworden. Erst der Ausbruch des Ersten Weltkriegs ist der unerwartete „Donnerschlag“, der den vermeintlich Endgültigen aus der Passivität in Abgeschiedenheit reißt. Hastig kehrt die internationale Patientenschaft des Berghofs in ihre Herkunftsländer zurück, darunter auch Hans Castorp selbst. Dessen überstürzte Rückreise führt ihn jedoch in eine vollkommen veränderte – entbürgerlichte – Welt.
Im letzten Kapitel zieht Castorp, Schuberts Lindenbaum auf den Lippen in den Krieg. Als gewöhnlicher Heeressoldat im Schlachtgetümmel anonymisiert, nimmt er an einem der zahllosen Angriffe an der Westfront teil. Dort gerät er schließlich aus dem Blickfeld, wobei sein Überleben im Kugelhagel ungewiss erscheint.
[Bearbeiten] Interpretation
[Bearbeiten] Allgemeines
Der Zauberberg ist in gewissem Sinne eine Parodie auf den klassischen deutschen Bildungsroman. Wie dessen übliche Protagonisten verlässt Hans Castorp sein Vaterhaus und begegnet, im Sanatorium, Kunst, Politik und der Liebe. Besonders in den Gesprächen mit seinen Mentoren Settembrini und Naphta lernt er eine Reihe verschiedener Ideologien kennen. Anders jedoch als im klassischen Bildungsroman führt die „Erziehung“ auf dem Zauberberg nicht dazu, Hans Castorp in ein tüchtiges und selbstbewusstes Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft zu wandeln. Vielmehr mündet sein persönlicher Entwicklungsprozess ins Leere, in die jede Individualität auflösenden Stahlgewitter des ersten Weltkriegs.
[Bearbeiten] Zusammenhang mit „Der Tod in Venedig“
Nach Bekunden des Autors war der ursprünglich als Novelle konzipierte Zauberberg als heiter-ironisches Gegenstück, als „Satyrspiel“ zu der erst 1912 vollendeten Novelle „Der Tod in Venedig“ gedacht. Ihre Atmosphäre sollte „die Mischung von Tod und Amüsement“ sein, die Mann beim Besuch seiner Frau im Sanatorium kennengelernt hatte. „Die Faszination des Todes, der Triumph rauschhafter Unordnung über ein der höchsten Ordnung geweihtes Leben, die im Tod in Venedig geschildert ist, sollte auf eine humoristische Ebene übertragen werden.“
Und so stellt der Zauberberg in vielerlei Hinsicht die Antithese zur genannten Novelle dar. Dem etablierten Schriftsteller Gustav von Aschenbach steht hier ein junger, lebensunerfahrener Ingenieur gegenüber. Dem schönen polnischen Knaben Tadzio entspricht die „asiatisch-schlaffe“ Russin Madame Chauchat, der Cholera in Venedig schließlich die Tuberkulose im Sanatorium.
[Bearbeiten] Zauber- und Bergsymbolik
Die Bezüge des Romans zu seinem Titel sind vielschichtig: Der „Zauberberg“ als Ort der Entführung ist spätestens seit dem Rattenfänger von Hameln ein Motiv der deutschen Literatur. In Eichendorffs Erzählung Das Marmorbild wird gleich zu Anfang ausdrücklich vor dem „Zauberberg“ gewarnt, in den „die Jugend“ gelockt wird und von wo „keiner wieder zurückgekehrt ist“. Die Geschichte selbst handelt explizit von der Verführungskraft des Verfalls in Form einer auf einer Anhöhe gelegenen Schlossruine, in der die Sinne (der Realitäts- wie der Zeitsinn) getäuscht werden.
Der Schauplatz der Handlung in Manns Roman, das Sanatorium Berghof, liegt nicht nur rein geographisch im Gebirge, sondern stellt auch, wie ein realer Berg, eine hermetisch abgeschlossene Welt für sich dar. Diese bildet überdies einen Gegensatz zu Castorps Heimat, dem nüchternen, geschäftlichen und (im Falle Joachim Ziemßens) tödlichen „Flachland“.
Zum Blocksberg, wo sich im ersten Teil von Goethes Faust Hexen und Zauberer zu einem obszön-höllischen Fest treffen, wird das Sanatorium in jener grotesken mit „Walpurgisnacht“ überschriebenen Karnevalsszene, während der Castorp Madame Chauchat seine Liebe gesteht.
Des Weiteren gemahnt das Sanatorium an den Venusberg, einen verbreiteten, nicht zuletzt aus Richard Wagners Oper Tannhäuser bekannten Topos der deutschen Literatur, eine Art „höllisches Paradies“, einen Ort der Wollust und Zügellosigkeit. Dort verläuft die Zeit anders: Der Besucher glaubt, im Venusberg nur wenige Stunden verbracht zu haben. Hat er aus ihm aber herausgefunden, so sind sieben Jahre vergangen. Auch Castorp geraten die ursprünglich geplanten drei Berghof-Wochen letztlich zu sieben Jahren.
Aber auch sonst sind Anspielungen auf Märchen und Mythologie allgegenwärtig: Settembrini vergleicht Hofrat Behrens mit dem Totenrichter Rhadamanthys und das Sanatorium Berghof mit dem Schattenreich, in dem Hans Castorp wie ein Odysseus hospitiert. Mit dem Schneetraum in dem Kapitel „Schnee“ greift Thomas Mann den Nekyia-Mythos auf, die Hadesfahrt. Nach seiner Rückkehr vom Hades ist Hans Castorp vorübergehend in der Lage, tiefgreifende Schlussfolgerungen zu ziehen. – Behrens vergleicht die Vettern mit Castor und Pollux, Settembrini sich selbst mit Prometheus. – Die ungebildete Frau Stöhr bringt, wenngleich verwechselnd, Sisyphos und Tantalus ins Spiel.
Die üppigen Krankenmahlzeiten werden mit dem Tischlein-Deck-Dich aus dem Märchen verglichen, Frau Engelhardts hartnäckige Suche nach Madame Chauchats Vornamen erinnert an die Königstochter im Rumpelstilzchen. Castorp trägt nicht nur den Vornamen der Märchenfigur Hans im Glück, sondern teilt auch dessen frohgemute Naivität. Am Ende verliert er wie dieser den Lohn von sieben Jahren, endet sein vielschichtiger Reifeprozess auf dem Zauberberg doch in dem sinnlosen Tod auf dem Schlachtfeld. Schließlich klingt natürlich auch das Siebenschläfer-Motiv an.
Selbst der Verkauf des Thermometers durch die Oberin gerät zum Initationsritus, der Castorp endgültig in die verschworene Gemeinschaft der Berghof-Bewohner aufnimmt. Sogar der Name der Oberin Adriatica von Mylendonk scheint einer anderen Welt zu entstammen. „Mein Herr, hier mutet Manches mittelalterlich an.“, meint Settembrini hierzu.
Wie ein roter Faden durchzieht den Roman die Märchen-Zahl Sieben. Sieben Jahre verbringt Castorp auf dem Berghof; der groteske Karneval, ein Höhepunkt des Romans, findet nach sieben Monaten statt. Weiter taucht die Zauberzahl in den jeweils sieben Buchstaben langen Nachnamen der Vettern auf, in der Zahl der Tische im Speisesaal sowie als Quersumme in Castorps Zimmernummer 34. Settembrinis Name enthält die Zahl auf italienisch. Als Mynheer Peeperkorn seinen Entschluss zum Suizid in einer pathetischen Zeremonie besiegelt, sind sieben Personen zugegen.
[Bearbeiten] Krankheit und Tod
Krankheit und Tod sind in dem Roman allgegenwärtig. Nahezu alle Protagonisten leiden in unterschiedlichem Maße an Tuberkulose, die auch den Tagesablauf, die Gedanken und Gespräche beherrscht („Verein Halbe Lunge“). Immer wieder sterben auch Patienten an der Krankheit, wie etwa Barbara Hujus, die dem Leser durch die düstere Viatikum-Szene im Gedächtnis bleibt, oder Vetter Ziemßen, der „heroisch“ wie ein antiker Held aus dem Leben scheidet. In den Gesprächen mit Settembrini und Naphta wird die Todesthematik schließlich auf eher metaphysischer Ebene disputiert. Neben die krankheitsbedingten Todesfälle treten schließlich mehrere Suizide (Peeperkorn, Naphta) sowie der Tod des Protagonisten auf dem Schlachtfeld.
Zum Tod und zur Krankheit in seinem Roman kommentiert Thomas Mann: „Was er (gemeint ist Castorp) begreifen lernt, ist, daß alle höhere Gesundheit durch die tiefen Erfahrungen von Krankheit und Tod hindurchgegangen sein muß (...). Zum Leben, sagt einmal Hans Castorp zu Madame Chauchat, zum Leben gibt es zwei Wege: der eine ist der gewöhnliche, direkte und brave. Der andere ist schlimm, er führt über den Tod, und das ist der geniale Weg. Diese Auffassung von Krankheit und Tod, als eines notwendigen Durchganges zum Wissen, zur Gesundheit und zum Leben, macht den Zauberberg zu einem Initiationsroman.“
[Bearbeiten] Zeit
Verwoben mit der Leben/Tod-Thematik ist der Begriff der Zeit, ein weiteres zentrales Motiv im Zauberberg. Obwohl der Roman chronologisch aufgebaut ist, verläuft die Handlung nicht in gleichmäßiger Geschwindigkeit, sondern beschleunigt zunehmend. Die ersten fünf Kapitel, etwa die Hälfte des Textes, beschreiben zeitdehnend und detailreich lediglich das erste von Castorps sieben Zauberbergjahren, das dem Protagonisten täglich Neues, Interessantes bringt.
Die letzten beiden Kapitel drängen, raffen und verdichten indes einen Zeitraum von sechs für Castorp eher von Routine und Monotonie geprägten Jahren. Der Asymmetrie im Romanaufbau entspricht auf der Erzählebene selbst einer verzerrte Zeitwahrnehmung durch den Protagonisten selbst.
Schließlich wird im Roman fortwährend über das Phänomen der Zeit auch auf theoretischer Ebene diskutiert: Über die Frage etwa, inwieweit „Interessantheit und Neuheit des Gehalts die Zeit vertreibe, das heißt: verkürze, während Monotonie und Leere ihren Gang beschwere und hemme.“. Erörtert wird auch das Problem der „Erzählbarkeit“ von Zeit, des Zusammenhangs zwischen der Dauer eines Berichts und der Länge des Zeitraums, auf den er sich bezieht (Erzählzeit, erzählte Zeit).
[Bearbeiten] Erotik
Der Protagonist Hans Castorp teilt die bisexuelle Orientierung seines Autors. So liebt er einerseits emphatisch die Russin Clawdia Chauchat. Seine homoerotische Ausrichtung kommt indes in seiner Neigung zu seinem Jugendfreund Přibislav Hippe zum Ausdruck, aber auch in der Faszination, die der lebenskräftige Weltmensch Peeperkorn auf Castorp ausübt. Verbunden werden die beiden Aspekte seiner Sexualität durch das Symbol des Bleistifts: Sowohl von Přibislav als auch von Clawdia borgt er sich einen „Crayon“. Während dieser „dünn und zerbrechlich ist“, erinnert der seines Schulfreundes, für den pubertierenden Castorp geradezu eine verehrte Reliquie, in Größe und Gestalt erkennbar an den Penis.
Im Laufe des Romans wird die Thematik vielfach ironisch gebrochen. In den Liebesschwüren Castorps auf dem Karneval, die keineswegs frei von Komik sind. In den Röntgenbildern, die Hofrat Behrens Castorp zu „Studienzwecken“ zeigt, „ein Frauenarm, Sie ersehen es aus seiner Niedlichkeit. Damit umfangen sie uns beim Schäferstündchen“. Schließlich in der seltsamen Dreierbeziehung, die Castorp und Clawdia zu gemeinsamen Verehrern Peeperkorns werden lässt. Nicht zu vergessen die homoerotische Beziehung zwischen Castorp und Settembrini, erstmals referenziert durch Naphta, der Castorps Bewunderung für Peeperkorn mit der Bemerkung kommentiert, dass dieser ihm doch bereits seine Clawdia weggenommen habe, und fragt ihn, warum er dagegen nichts unternehme. Naphta erinnert Settembrini daran, dass auch der Angesprochene selbst bisher nichts gegen Clawdia und Peeperkorn unternommen habe, die seiner und Naphtas Beziehung zu Castorp im Grunde nur hinderlich sind. Nach der Duell-Aufforderung Naphtas fährt Hans Castorp mit S. in einem Pferdeschlitten und hält dessen Hand. Er umarmt ihn vor dem ersten Schusswechsel, den S. bewusst fehlorientiert, und S. sagt ihm mit verzücktem Gesichtsausdruck "ti amo". Mit Beginn der Schlittenfahrt ändert sich auch die wechselseitige Anredeform vom förmlichen "Sie" zum vertrauten "Du". Auch das homoerotische Interesse Fräulein Engelhards an Mme Chauchat sollte in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben. Fräulein E. solidarisiert sich mit Castorp in der gemeinsamen Verehrung der Angebeteten, um solcherart quasi als Trittbrettfahrerin einer realistischeren Beziehung teilhaftig zu werden. Während des Karnevals sucht Frl. Engelhard die Nähe Castorps, auf dass der Blick Clawdias, der Castorp wahrnimmt, gleichzeitig auch auf sie fällt.
[Bearbeiten] Musik
Wie so oft bei Thomas Mann – etwa in den Buddenbrooks oder in Doktor Faustus – spielt auch im Zauberberg die Musik eine entscheidende Rolle. Die Musik steht hier für die von Hans Castorp letztlich überwundene „Sympathie mit dem Tod“ (eine Formulierung des Komponisten Hans Pfitzner, die Thomas Mann oft aufgriff). In dem Kapitel „Fülle des Wohllauts“ bespricht Thomas Mann eingehend fünf Musikstücke: Giuseppe Verdis Aida, Claude Debussys Prélude à l'après-midi d'un faune, Georges Bizets Carmen, Charles Gounods Margarete und Franz Schuberts Am Brunnen vor dem Tore. Vor allem das zuletzt genannte Lied wird für Thomas Mann zum Inbegriff romantischer Todessehnsucht, deren Überwindung letztlich das große Thema des Zauberberg ist. Nicht umsonst summt Hans Castorp in der Schlussszene des Buchs, auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs, den Lindenbaum vor sich hin. Hier wird der romantische Todeskult, wie er sich etwa in Richard Wagners – von Thomas Mann sehr geschätztem – Tristan und Isolde findet, drastisch parodiert.
[Bearbeiten] Figuren
Zahlreiche Zeitströmungen finden sich in bestimmten Figuren des vielschichtigen Zauberberg-Kosmos verkörpert.
[Bearbeiten] Castorp
Hans Castorp, nach des Autors eigenem Bekunden ein „Gralssucher“ in der Tradition Parzivals, ein „reiner Tor“, bleibt im Grunde relativ blass und mittelmäßig gezeichnet. Er steht für das deutsche Bürgertum, das sich, zwischen widersprüchlichen Einflüssen hin- und hergerissen, zu höchsten humanistischen Leistungen aufschwingen kann, aber auch dumpf-philiströser Kulturfeindlichkeit ebenso anheimfallen wie radikaler Ideologie. Wie bei Thomas Mann üblich verbirgt sich hinter der Namenswahl auch hier eine tiefere Bedeutung. „Hans“ steht einerseits für den deutschen Allerweltsnamen schlechthin. Viele Märchenfiguren tragen ebenfalls diesen Namen, wie etwa der bereits erwähnte Hans im Glück. Wichtig ist zudem die biblische Konnotation: Hans als Kurzform von Johannes verweist auf den Lieblingsjünger Jesu sowie den Evangelisten, dem die Offenbarung zuteil wird. Die auf Castorp wirkenden Einflüsse werden durch weitere Hauptfiguren des Werks vertreten:
[Bearbeiten] Settembrini
So repräsentiert Settembrini etwa die bürgerlichen Wertordnungen, die lebensbejahende Welt der Arbeit und des tätigen Schaffens. Deutlich wird dies etwa, soweit er Castorps Hang zur Morbidität entgegenwirkt, vor seiner Liebe zur kranken Madame Chauchat warnt und versucht, seinem Schützling positive Lebensperspektiven aufzuzeigen. Auch vertritt er mit Humanismus und Demokratie, mit Aufklärung, Toleranz und Menschenrechten ein positives kulturpolitisches Programm. Bei aller Anlage zum Guten ist Settembrini dennoch innerlich voller Widersprüche und mitunter einer extremen Ambivalenz unterworfen, zeigt er sich doch gelegentlich als kriegslüsterner Nationalist und unverhohlener Rassist, der seine Gewaltverherrlichung des öfteren in pathetische Revolutionsrhetorik kleidet. Symbolisch kommt Settembrinis „aufklärende“ und damit „erhellende“ Funktion darin zum Ausdruck, dass er Castorp zumeist im Dunkeln vorfindet, vor dem Gespräch aber das Licht anknipst. Sein verehrter Lehrmeister Carducci hat gar eine Hymne auf einen anderen, negativen Lichtbringer geschrieben: Auf Luzifer, „la forza vindice della ragione“. Sich selbst vergleicht er mit Prometheus, der Gestalt aus der griechischen Mythologie, die den Menschen das Feuer und damit Erleuchtung gebracht hat. Von seinem Gegenspieler Naphta wird Settembrini als „Zivilisationsliterat“ verspottet. Tatsächlich ist die Figur ursprünglich auch als Karikatur des westlich orientierten, liberal-demokratischen Schriftstellertyps, wie ihn etwa Thomas Manns Bruder Heinrich verkörperte, angelegt worden. Parallel zur Entstehungsgeschichte des Romans vollzog sich die Hinwendung des Autors zur demonstrativen Bejahung der demokratischen Weimarer Republik. Aus diesem Grund darf angenommen werden, dass die Figur Settembrinis – insbesondere in den späteren Kapiteln – bisweilen zum Sprachrohr des Autors Thomas Mann wird. Die äußere Erscheinung Settembrinis orientiert sich am italienischen Komponisten Ruggiero Leoncavallo.
[Bearbeiten] Naphta
Naphta indes steht für die zersetzenden Kräfte, den Extremismus von beiden Seiten, wie er sich in der Weimarer Republik zunehmend etablieren konnte, für die Selbstzerstörung, die in ein totalitäres System führen sollten. Sein heterogen aus radikal-ideologischen Versatzstücken aller Art geformtes Weltbild trägt ebenso kommunistische, anarchistische wie faschistoide Züge. In dem Sinne ist seine Religiosität nicht nur christlich, sondern beispielsweise auch pantheistisch orientiert. Zentrale Werte werden durch brillant-kalte Intelligenz und sophistische Rhetorik ihres Sinnes entkleidet und ad absurdum geführt, „als wollte er wahrhaben, dass sich die Sonne um die Erde drehe“. Naphta verkörpert letztlich eine anti-humane, anti-aufklärerische Gedankenwelt. Naphta konkurriert mit Settembrini um die Gunst ihres wissbegierigen Schülers Hans Castorp. Letzterer erkennt an, dass die ätzende Rabulistik in den Wortgefechten zumeist obsiegt. Der Streit der beiden unversöhnlich gegeneinander stehenden Weltanschauungen eskaliert schließlich in einem Pistolenduell. Zuvor jedoch, im Schneekapitel, als er seine beiden Mentoren als „Schwätzer“ entlarvt, hat der umkämpfte Hans Castorp zugunsten Settembrinis eingestanden, dass jener es immerhin gut meine. Es ist gewiss kein Zufall, dass Naphta in Thomas Manns ursprünglicher Romankonzeption nicht vorgesehen war, sondern erst später eingearbeitet wurde. Als mögliche Vorbilder für die Figur werden eine Reihe radikaler Persönlichkeiten der Epoche genannt, u.a. Leo Trotzki und Georg Lukács. Bemerkenswert ist, dass Thomas Mann (prä-)faschistisches, antihumanes Gedankengut ausgerechnet von einem Juden vertreten lässt – wie übrigens später auch im Doktor Faustus, wo faschistisches Denken durch den Juden Dr. Chaim Breisacher repräsentiert wird.
[Bearbeiten] Clawdia Chauchat
Clawdia Chauchat verkörpert im Roman die erotische Verführung, wenn auch in ihrer morbiden, zu „asiatischer Schlaffheit“ degenerierten Form. Nicht zuletzt sie ist es, die Castorp länger als geplant auf dem Zauberberg verweilen lässt. Sinneslust, die männlichen Tatendrang hemmt – die Liste literarischer Vorbilder reicht von Circe bis hin zu den Nymphen in Wagners Venusberg. Auffallend erscheint die vielfach zum Ausdruck kommende, an Baudelaires berühmtes Gedicht in den Fleurs du mal erinnernde Katzen-Symbolik: Als „kirgisenäugig“ wird die Russin bezeichnet, ihr Nachname erinnert an das französische chaud chat, „heiße Katze“. Im Vornamen tauchen Krallen auf, englisch claws genannt. In der Figur der Clawdia soll Thomas Mann eine Mitpatientin seiner Frau namens Clawelia literarisch verarbeitet haben.
[Bearbeiten] Mynheer Peeperkorn
Der erst relativ spät auftretende Mynheer Peeperkorn, der neue Partner von Madame Chauchat, zählt zu den markantesten Figuren des Romans. Von Settembrini als „dummer alter Mann“ geschmäht, erinnert er erkennbar an jene zwiespältigen Figuren aus Manns früheren Werken, denen der Autor bzw. sein jeweiliger Protagonist ob ihrer naiv-vitalen Kraft Bewunderung, Neid und Verachtung gleichermaßen entgegenbringt. Zu nennen sind insbesondere Herr Klöterjahn aus der Novelle „Tristan“ sowie Tonio Krögers lebenskräftiger Freund Hans Hansen. Während diese aber nüchtern und sachlich dargestellt werden, trägt Peeperkorn mit seinem kruden Vitalitätskult groteske Züge. Er gerät zur Karikatur des Dionysischen. Seinen Kontrast verkörpert Joachim Ziemßen, dem jeglicher dionysische Wesenszug fehlt. Peeperkorn und Ziemßen gehen letztlich an ihrer Einseitigkeit zugrunde – nicht jedoch der „mittelmäßige“ Hans Castorp. Im Laufe seines Aufenthalts auf dem Zauberberg gelingt es ihm, die Gegensätze apollinisch und dionysisch zu bewältigen.
Äußere Erscheinung und Wesenszüge Peeperkorns sind angelehnt an den älteren Gerhart Hauptmann, daneben trägt er aber auch einige von Thomas Mann kritisch bewertete Züge Goethes.
[Bearbeiten] Joachim Ziemßen
Vetter Joachim Ziemßen schließlich erscheint als Vertreter der soldatisch-treuen Pflichterfüllung. Eine Figur, die sich – wenn auch nur vordergründig – den Herausforderungen des Lebens stellt und ihnen durch aktives Tätigwerden zu begegnen sucht. Trotz der vermeintlichen Andersartigkeit besteht zwischen Joachim und seinem Vetter Hans durchaus eine Seelenverwandtschaft. Hofrat Behrens spielt darauf an, wenn er die Vettern scherzhaft Castor und Pollux nennt. Zwischen beiden herrscht beredtes Schweigen – wichtig ist gerade das, was nicht offen gesagt wird. Parallel laufen auch die Liebesgeschichten der beiden Cousins ab. Während aber Hans sich allzu bereitwillig in den Rausch seiner Verliebtheit in Madame Chauchat ergibt, versagt sich Joachim, selbst heftig der ebenfalls russischen Mitpatientin Marusja verfallen, seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen. Stattdessen setzt er, der ähnlich wie sein Vetter Gefährdete, willentlich alles daran, den hermetischen Mikrokosmos des Zauberbergs und seine körperliche, vor allem aber geistige Morbidität zu verlassen – um jedoch moribund zurückzukehren. Mit seinem stets tadellosen Benehmen und der ruhigen, zurückhaltenden Art gewinnt Joachim von Beginn an die Sympathie des Lesers für sich. Entsprechend anrührend ist das Kapitel „Als Soldat und brav“ (eine Zeile aus Goethes Faust zitierend), welches seine resignative Rückkehr, sein stilles Leid und gefasstes Sterben schildert. Die Figur des „braven Joachim“ weckt Anklänge an das in Thomas Manns Werken wiederholt aufgegriffene Motiv des heiligen Sebastian. Die Entschlossenheit, ein schweres Schicksal in Würde zu ertragen, erinnert an weitere bekannte Leistungsethiker wie Gustav Aschenbach oder Thomas Buddenbrook, die letztlich ebenso wie Joachim an ihrer selbstauferlegten Starre scheitern.
[Bearbeiten] Weitere Figuren
Klinikleiter Hofrat Behrens trägt Züge des Dr. Jessen, jenes Mediziners, der seinerzeit Manns Frau Katia behandelt hatte. Vom Autor wird er wenig schmeichelhaft porträtiert, als „stiernackig (...) mit vorquellenden, blutunterlaufenen Augen, blauen Backen, Stumpfnase und riesigen Händen und Füßen“. Geredet haben soll er wie „die Karikatur eines forschen Korpsstudenten“. Karikiert wird insbesondere auch Jessens Neigung, aus wirtschaftlichem Interesse den Patienten medizinisch nicht indizierte Verlängerungen ihres Aufenthalts anzuraten. Den Besucher Thomas Mann selbst etwa hatte der Mediziner seinerzeit wegen eines harmlos-lästigen Katarrhs ein halbes Jahr in der Klinik behalten wollen.
Hinter Dr. Krokowski wird der Psychoanalytiker Georg Groddeck vermutet, der auch als Wegbereiter der Psychosomatik gilt. In seinem Sanatorium Marienhöhe bei Baden-Baden hatte er ab 1912 Vorträge gehalten, in denen er in ähnlicher Weise Zusammenhänge zwischen Liebe und Krankheit herstellt, wie dies Dr. Krokowski auf dem Berghof tut. Seine Thesen hat er insbesondere auch in dem 1913 veröffentlichten Werk „Nasamecu“ (natura sanat – medicus curat) niedergelegt. Auch fällt natürlich schon rein äußerlich der lautliche Anklang „Kro“-„Gro“ auf.
Pate gestanden für die ungebildete, ordinäre Frau Stöhr, die etwa „desinfiszieren“ statt „desinfizieren“ sagt und „kosmisch“ mit „kosmetisch“ verwechselt, hat eine gewisse Frau Plür, eine von Katias Mitpatientinnen.
[Bearbeiten] Entstehungsgeschichte
Äußerer Anlass für das Werk war ein Sanatoriumsaufenthalt von Thomas Manns Frau Katia in Davos im Jahre 1912 (Waldsanatorium, Davos Platz, Dr. F. Jessen). In zahlreichen, heute nicht mehr erhaltenen Briefen hatte sie ihrem Mann vom Alltag in der Heilanstalt berichtet. Bei einem dreiwöchigen Besuch lernte ihn Thomas Mann auch aus eigener Anschauung kennen. Ursprünglich hatte er die Absicht gehabt, die dort empfangenen Eindrücke im Rahmen einer Novelle zu verarbeiten; sie sollte „eine Art von humoristischem, auch groteskem Gegenstück“, ein „Satyrspiel“ zum 1912 erschienen Tod in Venedig werden und in der Neuen Rundschau veröffentlicht werden.
Bereits 1913 begann Thomas Mann mit der Niederschrift und unterbrach hierfür sogar die Arbeit am Felix Krull. 1915 zwang ihn der Ausbruch des Ersten Weltkriegs zu einer Pause. Die Arbeit sollte erst 1920 wieder aufgenommen werden, nachdem zwischendurch u.a. Herr und Hund, der Gesang vom Kindchen sowie die Betrachtungen eines Unpolitischen erschienen waren. Die ursprünglich geplante „Novelle“ war mittlerweile zu einem zweibändigen Roman angewachsen, zu einer „ausgedehnten short story“, wie Thomas Mann später augenzwinkend kommentieren sollte. 1924 erschien das Werk im S. Fischer Verlag.
Im Zauberberg verwendete Motive und Anspielungen sind im Werk Thomas Manns schon in der 1903 erschienenen Erzählung Tristan vorweggenommen: Anton Klöterjahn bringt seine lungenkranke Frau Gabriele in ein Bergsanatorium. Dort lernt sie den Schriftsteller Detlev Spinell kennen. Dieser bringt sie dazu, ein Stück aus Wagners Oper Tristan und Isolde auf dem Klavier vorzuspielen, obwohl ihr die Ärzte jede Anstrengung untersagt haben.
[Bearbeiten] Wirkungsgeschichte
[Bearbeiten] Weimarer Republik
Beim Publikum stieß der Zauberberg sofort auf große Resonanz und erreichte bereits nach vier Jahren eine Auflage von 100.000 Exemplaren. Übersetzungen erfolgten bislang in 27 Sprachen, darunter alle größeren europäischen Idiome. Auf Englisch gibt es sogar fünf, auf Japanisch zwei Versionen.
Erhebliche Verärgerung rief der Roman indes bei einer ganzen Reihe von Zeitgenossen hervor, die im Zauberberg karikiert worden waren. Zu nennen ist insbesondere der alte Gerhart Hauptmann, der – für weite Kreise erkennbar – als Vorbild für die Figur des trunksüchtigen, anti-intellektuell gezeichneten Lebemanns Mynheer Peeperkorn gedient hatte. Trotz eines wortreichen Entschuldigungsbriefes vom 11. April 1925, in dem Thomas Mann bekennt, sich „versündigt“ zu haben, sollte es bis zum Goethejahr 1932 dauern, bis Hauptmann seinem jüngeren Kollegen endgültig verzieh.
Pikiert zeigte sich auch Dr. Jessen, der Davoser Anstaltsarzt, der 1912 Thomas Manns Frau Katia behandelt hatte, und sich unschwer im „geschäftstüchtigen“ Hofrat Prof. Behrens wiedererkannte. Aus Kollegenkreisen wurde ihm gar nahegelegt, den Autor zu verklagen, wobei jedoch die Erwartung einer gewissen Publicity für die Klinik und den Ort Davos mitgespielt haben mag. Jessen ließ indes die Sache letztlich auf sich beruhen. Auch im Übrigen stieß der Zauberberg bei der Ärzteschaft auf erhebliche Kritik. Vom fachlich-medizinischen Standpunkt konnte freilich gegen die Schilderung des Sanatoriumsbetriebs nichts eingewandt werden.
In den Kreisen der literarischen Fachwelt erfuhr der Zauberberg indes großteils positives Echo. Erwähnt sei etwa Arthur Schnitzler, der, obgleich selbst Arzt, die Vorbehalte seiner Kollegen gegen den Roman nicht teilte. Wohlwollend urteilten auch Georg Lukács, der sich zu Thomas Manns Verwunderung in der Figur des Leo Naphta nicht erkannte, André Gide sowie Ernst Robert Curtius. Kritischer fielen indes die Voten von Carl Sternheim, Alfred Döblin und insbesondere Bertolt Brecht aus, der Mann als „regierungstreuen Lohnschreiber der Bourgeoisie“ schmähte. Die Begründung des Stockholmer Komitees für den Nobelpreis im Jahr 1929 bezog sich wegen der Abneigung des Jurymitglieds Fredrik Böök gegen Manns zweiten Roman in erster Linie auf Die Buddenbrooks.
[Bearbeiten] Drittes Reich
Die Nationalsozialisten schmähten zwar den Zauberberg als „Lob der Dekadenz“ und Verunglimpfung des von ihnen propagierten „soldatischen Heldentums“. Gleichwohl erschien das Werk nicht auf der schwarzen Liste von Goebbels' Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda. In welchem Maße bei der berüchtigten Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933 auch Thomas Manns Werke betroffen waren, wird bis heute kontrovers diskutiert.
[Bearbeiten] Nachkriegszeit
Nach seinem Tod geriet Thomas Mann als „bürgerlicher“ Autor und damit auch sein Hauptwerk Der Zauberberg zunehmend in die Kritik linker Literatenkreise, wie etwa der Gruppe 47 oder der Inneren Emigration. Ihren Höhepunkt erreichen sollte diese Tendenz, nicht zuletzt auch unter dem Einfluss der 68er-Bewegung, im Thomas-Mann-Jahr 1975. Seither ist indes eine Mann-Renaissance zu beobachten. Zurückzuführen ist sie insbesondere auch auf das Wirken des einflussreichen Kritikers Marcel Reich-Ranicki, der in einem Interview bekannt hat, „keine besseren“ deutschen Romane zu kennen als Goethes Wahlverwandtschaften und eben den Zauberberg.
Nachdem der Roman lange Zeit als „unverfilmbar“ gegolten hatte, wagte sich 1981 der Münchner Filmproduzent Franz Seitz an diese Aufgabe (s.u.).
Der Roman Castorp des polnischen Schriftstellers Paweł Huelle handelt vom Studium des Protagonisten in Danzig, wo dieser laut einem Hinweis im Zauberberg vier Jahre am Polytechnikum zugebracht haben soll. Der Roman erschien 2004 in deutscher Sprache.
[Bearbeiten] Verfilmung
1981 ließ Franz Seitz den Roman unter der Regie von Hans W. Geißendörfer verfilmen. Die deutsch-französisch-italienische Coproduktion weist eine Länge von 7 Stunden in der Kino-, sowie 2½ Stunden in der Fernsehfassung auf. Darsteller: Christoph Eichhorn als Castorp, Rod Steiger als Peeperkorn, Marie-France Pisier als Clawdia Chauchat, Hans Christian Blech, Flavio Bucci als Settembrini, Charles Aznavour als Naphta, Alexander Radszun, Margot Hielscher, Gudrun Gabriel, Ann Zacharias, Irm Hermann, Kurt Raab, Rolf Zacher, Tilo Prückner u. a.
[Bearbeiten] Musik
Der Kölner Minimal-Techno-Musiker Wolfgang Voigt veröffentlichte 1999 unter dem Projektnamen Gas das Album Zauberberg, welches im Titel und indirekt in den düsteren Klangkompositionen auf Manns Werk Bezug nimmt.
[Bearbeiten] Lesungen
- Hörbuch Verlag: der hörverlag 10 CDs ISBN 3899402588
- Hörbuch Verlag: der hörverlag 8 Kassetten ISBN 3899402839
- Hörbuch Verlag: Deutsche Grammophon 15 CDs ISBN 382911317X
[Bearbeiten] Literatur
[Bearbeiten] Textausgaben
- Der Zauberberg. Große kommentierte Frankfurter Ausgabe. Bd 5/1-2. S. Fischer, Frankfurt am Main 2002, ISBN 3100483243 (Gut edierte Ausgabe, umfangreicher Kommentarband)
- Der Zauberberg. Fischer-Taschenbuch, Frankfurt 1991, ISBN 3596294339
[Bearbeiten] Sekundärliteratur
- Nadine Heckner, Michael Walter: Thomas Mann. Der Zauberberg. Hollfeld, September 2006.
- Rudolf Kassner: Geistige Welten. Ullstein, Frankfurt 1958, S. 85–90.
- Borge Kristiansen: Zu Bedeutung und Funktion der Settembrini-Gestalt in Thomas Manns Zauberberg. In: Gedenkschrift für Thomas Mann. Text und Kontext, Kopenhagen 1975, S. 95ff. ISBN 87-980394-1-5
- Hermann Kurzke: Wie konservativ ist der Zauberberg? In: Gedenkschrift für Thomas Mann. Text und Kontext, Kopenhagen 1975, S. 137ff. ISBN 87-980394-1-5
- Herbert Lehnert: Leo Naphta und sein Autor. In: Orbis Litterarum. Blackwell, Oxford 37.1982, S. 47ff. ISSN 0030-4409
- Michael Maar: Geister und Kunst. Neuigkeiten aus dem Zauberberg. Carl Hanser Verlag, München Wien 1995
- Hans Mayer: Thomas Manns Zauberberg als Pädagogische Provinz. In: Sinn und Form – Beiträge zur Literatur. Aufbau-Verl., Berlin 1.1949. ISSN 0037-5756
- Lotti Sandt: Mythos und Symbolik im Zauberberg von Thomas Mann. Haupt, Bern 1979. ISBN 3258028540
- Klaus Schröter: Thomas Mann. Rowohlt, Reinbek 1995, S. 99ff. ISBN 3-499-50677-7
- Günther Schwarberg: Es war einmal ein Zauberberg. Steidl, Göttingen 2001. ISBN 3-88243-775-8. (Das Buch bietet keinen exakten Nachweis von Zitaten; Bibliographie, Register und Bildnachweis fehlen)
- Eva Wessel: Der Zauberberg als Chronik der Dekadenz. In: Thomas Mann – Romane und Erzählungen. Reclam, Stuttgart 1993, S. 121ff. ISBN 3-15-008810-0
- Thomas Sprecher: Davos im Zauberberg. NZZ Verlag, Zürich. ISBN 3770531191
- Birte vom Bruck: Davos/Schweiz. Alexander Spengler – Pionier der Klimatherapie. in: Deutsches Ärzteblatt. 101.2004,6(06.02.), S. A-357 (Der kurze Artikel beinhaltet Informationen zur damaligen Tuberkulosetherapie, zum Waldsanatorium (Fotografie von 1920) und zum Aufenthalt der Manns)
[Bearbeiten] Weblinks
- Thomas Mann-Figurenlexikon online
- Zu den realen Vorbildern der Figuren
- Volltextsuche in Thomas Manns Werken
- Hans Castorps Schneetraum (2006)
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