Internationaler Strafgerichtshof
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Der Internationale Strafgerichtshof, IStGH (französisch Cour pénale internationale, CPI ; englisch International Criminal Court, ICC – im deutschen Sprachgebrauch hat sich weder ICC noch IStGH einheitlich durchgesetzt) ist ein ständiges Gericht mit Gerichtsbarkeit über Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und das Verbrechen der Aggression (noch nicht definiert, eine Definition soll zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen). Der IStGH ist eine unabhängige Internationale Organisation mit Sitz in Den Haag, deren Beziehungen zu den Vereinten Nationen über ein Kooperationsabkommen geregelt ist. Er ist nicht mit dem umgangssprachlich als „UN-Kriegsverbrechertribunal“ bezeichneten Internationalen Strafgericht für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) bzw. dem Internationalen Strafgericht für Ruanda (ICTR) zu verwechseln.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Statut
Die Grundlage des IStGH ist das so genannte Rom-Statut. Auf eine Definition des Tatbestands des Angriffskriegs konnte sich die Gründungskonferenz nicht einigen. Solange diese nicht vorliegt, was laut IStGH nicht vor 2009 zu erwarten ist, übt der IStGH seine Gerichtsbarkeit über das „Verbrechen der Aggression“ nicht aus.[1] Zudem konnte die Forderung nach universeller Zuständigkeit nicht durchgesetzt werden. Zur Rechenschaft gezogen werden kann ein Täter grundsätzlich nur dann, wenn er einem Staat angehört, der das Statut ratifiziert hat oder wenn die Verbrechen auf dem Territorium eines solchen Vertragsstaates begangen wurden.
Das IStGH-Statut enthält Regelungen zum Straf-, Strafprozess-, Strafvollstreckungs-, Gerichtsorganisations-, Rechtshilfe- und Auslieferungsrecht.
Kerngrundsätze des IStGH sind:
- die Zuständigkeit und Gerichtsbarkeit für die o. g. „schwersten Verbrechen, welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes“ berühren;
- der Vorrang der nationalen Gerichtsbarkeit, soweit diese existiert und fähig und willens ist, die Strafverfolgung tatsächlich zu betreiben;
- die individualstrafrechtliche Verantwortlichkeit natürlicher Personen, unabhängig eines von ihnen bekleideten, offiziellen Amtes;
- die prinzipielle Möglichkeit zur Annahme freiwilliger, finanzieller Beiträge von natürlichen und juristischen Personen und
- die Konstitutierung als ständige Einrichtung.
Im Statut sind grundlegende Strafrechtsprinzipien verankert, z. B. die Grundsätze des Rückwirkungsverbotes (nullum crimen sine lege) und des Verbotes der Doppelbestrafung (ne bis in idem). Die Anklagebehörde kann Ermittlungsverfahren kraft Amtes einleiten.
[Bearbeiten] Geschichte
Das Rom-Statut wurde am 17. Juli 1998 mit 120 Ja-Stimmen gegen sieben Nein-Stimmen bei 21 Enthaltungen von der UN-Bevollmächtigtenkonferenz in Rom angenommen. Nach Hinterlegung der 60. Ratifikationsurkunde ist das Rom-Statut am 1. Juli 2002 in rascher Zeit in Kraft getreten. Die feierliche Vereidigung der ersten 18 Richter fand am 11. März 2003 statt. Erster Chefankläger ist Luis Moreno-Ocampo. Das Statut wurde inzwischen von 100 Staaten ratifiziert. Der erste Angeklagte des Gerichts ist seit August 2006 Thomas Lubanga. Ihm wird zu Last gelegt, als Gründer und Führer der bewaffneten Miliz Union des Patriotes Congolais in der Demokratischen Republik Kongo Kinder zwangsrekrutiert und in kriegerischen Auseinandersetzungen eingesetzt zu haben.
[Bearbeiten] Unterzeichnerstaaten
Bis zum 1. Januar 2007 hatten 104 Staaten das Rom-Statut zum Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) ratifiziert, unter anderen
- In Afrika: Benin, Botsuana, Burkina Faso, Burundi, Demokratische Republik Kongo, Djibouti, Gabun, Gambia, Ghana, Guinea, Kenia, die Komoren, Kongo, Lesotho, Liberia, Malawi, Mali, Mauritius, Namibia, Niger, Nigeria, Sambia, Senegal, Sierra Leone, Südafrika, Tansania, Tschad, Uganda und die Zentralafrikanische Republik.
- In Amerika: Antigua und Barbuda, Argentinien, Barbados, Belize, Bolivien, Brasilien, Costa Rica, Dominica, Dominikanische Republik, Ecuador, Guyana, Honduras, Kanada, Kolumbien, Mexiko, Panama, Paraguay, Peru, St. Kitts und Nevis, St. Vincent und die Grenadinen, Trinidad und Tobago, Uruguay und Venezuela.
- In Asien: Afghanistan, Kambodscha, Jordanien, Mongolei, Osttimor, Südkorea und Tadschikistan.
- In Europa: Albanien, Andorra, Belgien, Bosnien und Herzegovina, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Island, Italien, Kroatien, Georgien, Lettland, Liechtenstein, Litauen, Luxemburg, Malta, Mazedonien, Montenegro, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, San Marino, Serbien, Slowakei, Slowenien, Spanien, Schweden, Schweiz, Ungarn, Vereinigtes Königreich und Zypern.
- In Ozeanien: Australien, Fidschi, Marshallinseln, Nauru, Neuseeland und Samoa.
41 andere Staaten unterzeichneten den Vertrag, ratifizierten ihn aber nicht, unter anderen
[Bearbeiten] Befürwortung des IStGH
Um eine Verwirklichung des IStGH auch gegen den Widerstand der USA und anderer Staaten haben sich insbesondere die Länder der Europäischen Union bemüht, da es der EU wie auch den anderen Unterzeichnerstaaten ein wichtiges Anliegen ist derart schwere und schreckliche Verbrechen wie Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch auf Internationaler Ebene durch ein unabhängiges Gericht ahnden zu können. Andernfalls wäre man immer an den oft schwer erzielbaren Konsens im UN-Sicherheitsrat und die nationale Strafverfolgung gebunden. Die Straftatbestände, die in die Zusändigkeit des IStGH fallen, berühren wegen ihrer Schwere die Internationale Gemeinschaft als Ganzes. Die Einführung eines International tätigen Strafgerichtshofes stärkt folglich das UN-System.
Eine wesentliche Rolle bei der Durchsetzung des IStGH hatte auch die Coalition for an International Criminal Court (CICC), ein Zusammenschluss von weltweit mehr als 1.500 nichtstaatlichen Organisationen, die 1995 vom World Federalist Movement initiiert wurde. Die CICC wurde zum Teil von der EU finanziert, wodurch sie sich auf Seiten der Gerichtshofsgegner dem Vorwurf der Parteilichkeit aussetzte.
[Bearbeiten] Ablehnung des IStGH
Härtester Opponent des IStGH sind die USA. Die US-Regierung hat im Jahr 2000 das Statut des IStGH unterzeichneten, aber schon 2002 die völkerrechtlich unübliche, aber zulässige Rücknahme der Unterzeichnung erklärt. Durch den Abschluss bilateraler Verträge mit IStGH-Vertragsparteien und anderen Staaten eine Auslieferung von US-Staatsangehörigen an den IStGH vorsorglich auszuschließen versuchen. 2002 wurde der American Service-members' Protection Act rechtskräftig, der den US-Präsidenten implizit dazu ermächtigt, eine militärische Befreiung von US-Staatsbürgern vorzunehmen, die sich in Den Haag vor dem IStGH verantworten müssten. Eine Zusammenarbeit mit dem Gericht wird US-Behörden verboten. Zudem könne allen Staaten, die nicht Mitglied der NATO sind und das Statut ratifizieren, die US-Militärhilfe gestrichen werden.
Hauptkritikpunkte der USA und Staaten, die ähnlich argumentieren:
- das Fehlen eines Normenkontrollverfahrens, wobei aufgrund der Eigenart des Völkerrechts ein Normenkontrollverfahren bisher in keinem Bereich des Völkerrechts zu finden ist
- die Möglichkeit US-Staatsangehörige vor dem IStGH anzuklagen, wenn diese vom IStGH ahndbare Straftaten in Unterzeichnerstaaten begehen, obwohl die USA gar nicht das Rom-Statut ratifiziert haben
- die noch nicht vorhandene Definition des Tatbestandes der Aggression (Dieser Tatbestand wird jedoch solange sich die Unterzeichnerstaaten auf keine Definition einigen können, nicht vom IStGH angewandt)
- dass der IStGH von sich aus tätig werden kann, ohne dabei an eine Resolution des UN-Sicherheitsrates gebunden zu sein,
- die Komplementarität des IStGH: Der Internationalen Strafgerichtshof kann selbst beurteilen, ob die zuständigen nationalen Gerichte nicht Willens oder in der Lage sind die Strafverfolgung aufzunehmen und sodann ein Verfahren aufnehmen; würde man hingegen der Kritik nachkommen, würde man es jedoch dem potenziellen Angeklagten in die Hand geben über die Einleitung seiner eigenen Strafverfolgung zu entscheiden
- Unvereinbarkeiten mit der US-amerikanischen Verfassung:
- Da das Verfahren vor dem IStGH ohne Geschworene stattfindet und das Opfer unter gewissen Umständen nicht in der Verhandlung anwesend sein muss, stehen die USA auf dem Standpunkt, dass ein Beitritt zum Rom-Statut verfassungsrechtlich unzulässig sei. Das Fehlen einer Jury (Geschworene) und der weit entwickelte Opferschutz vor dem IStGH sind nicht mit der amerikanischen Verfassung vereinbar, da die Jury und das direkte Kreuzverhör zwischen Verteidiger und Opfer in der mündlichen Verhandlung nach US-amerikanischem Rechtsverständnis elementare Grundsätze eines Strafverfahrens darstellten.
- Gefährdung militärischer und geheimdienstlicher Geheimnisse: Da der IStGH weisungsfrei ist, könnten brisante Geheimnisse und Informationen, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind, nicht zurückgehalten werden. In nationalen Strafverfahren ist die Staatsanwaltschaft den Weisungen des Justizministers unterworfen. Kritiker des IStGH, aber auch die überwiegende Meinung in der Rechtswissenschaft sehen im Fehlen einer Weisungsunterworfenheit der Anklägerseite einen rechtsstaatlichen Mangel.
Weitere Staaten, die das Rom-Statut nicht ratifiziert haben, sind die Volksrepublik China, Indien, Irak, Iran, Israel, Kuba, Nordkorea, Pakistan, Russland, Syrien und die Türkei.
Kritiker werfen den USA vor, dass hinter der wenig überzeugenden Sorge vor „willkürlichen Prozessen“ gegen US-Bürger, mit der die Bush-Regierung ihre Ablehnung des IStGH begründet, die begründete Angst vor durchaus berechtigten Verfahren gegen Verbrechen amerikanischer Bürger und va. Soldaten stehe. Die seit Dezember 2003 bekannt gewordenen Misshandlungen von Kriegsgefangenen im Irak seitens Angehöriger der US-Militärpolizei, die laut im Juni 2004 offiziell veröffentlichten Regierungspapieren auf Genehmigung und auf Anweisungen aus der Militärführungsebene erfolgten, haben dazu geführt, dass der US-Antrag auf Verlängerung der Immunität vor dem UN-Sicherheitsrat am 24. Juni 2004 mangels Erfolgsaussicht zurückgezogen wurde.
[Bearbeiten] Siehe auch
[Bearbeiten] Literatur
- Andreas Bummel: Meilenstein des Völkerrechts - Der Internationale Strafgerichtshof. In: Mainzer Zeitschrift für Jurisprudenz. Nr. 1, 2001. [1]
- Sascha Rolf Lüder: The legal nature of the International Criminal Court and the emergence of supranational elements in international criminal justice. In: International Review of the Red Cross. Nr. 84, 2002, S. 79 - 92. [2]
- Mandana Biegi: »So Long as There Is Breath in Me«. Warum die Vereinigten Staaten kein Vertragsstaat des Internationalen Strafgerichtshofs werden und der Rest der Welt heimlich erleichtert ist. In: Vereinte Nationen. Nr. 54, 2006, S. 160 - 163.
[Bearbeiten] Weblinks
- Internationaler Strafgerichtshof (englisch, französisch)
- Informationsseite des deutschen Auswärtigen Amtes
- Website der Koalition für den ICC (englisch)
- American Service-Member' Protection Act auf dem Server des IStGH (PDF, englisch)
- Der Internationale Strafgerichtshof und die Position der USA
- Der Internationale Strafgerichtshof − Ausstellung
[Bearbeiten] Quellen
Bitte beachten Sie den Hinweis zu Rechtsthemen! |