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Hanns-Martin Schleyer - Wikipedia

Hanns-Martin Schleyer

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Hanns-Martin Schleyer (* 1. Mai 1915 in Offenburg; † 18. Oktober 1977 bei Mülhausen, Elsass) war ein deutscher Manager und Wirtschaftsfunktionär. Durch seine nationalsozialistische Vergangenheit und seine Rolle als Arbeitgeberpräsident war er in besonderem Maße der Kritik durch die deutsche Studentenbewegung der 1960er Jahre ausgesetzt. Seine Entführung und Ermordung durch die Terrororganisation Rote Armee Fraktion während des so genannten Deutschen Herbstes waren der Höhepunkt einer der schwersten Krisen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Hanns-Martin Schleyer war der einzige Sohn des Landgerichtsdirektors Ernst Schleyer und dessen Frau Helene (geb. Rheitinger). In der Geburtsurkunde wird sein erster Vorname Hans mit nur einem n eingetragen. Er selbst schreibt sich zeitlebens aber Hanns-Martin Schleyer.

Nach dem Abitur 1933 in Rastatt beginnt Schleyer ein Studium der Rechtswissenschaft in Heidelberg, wo er dem Corps Suevia Heidelberg, einer schlagenden Studentenverbindung, beitritt.

Er ist schon früh ein überzeugter Nationalsozialist. Nach Mitgliedschaft in der Hitler-Jugend seit 1931 wird er am 1. Juli 1933 Mitglied der SS. Während des Studiums engagiert er sich in der NS-Studentenbewegung und findet im Heidelberger Studentenführer Gustav Adolf Scheel einen ersten wichtigen Mentor. Im Sommer 1935 wirft Schleyer seinem Corps „mangelnde nationalsozialistische Gesinnung“ vor und tritt unter öffentlichem Protest aus der Verbindung aus, als der übergeordnete Kösener SC-Verband sich weigert, alle jüdischen Alten Herren aus dem Corps auszuschließen. Schleyer selbst kommentiert dies mit den Worten „Ich werde es nie verstehen können, dass ein Corps aus der Auflage, zwei Juden aus der Gemeinschaft zu entfernen, eine Existenzfrage macht“. Darauf wird er vom CC der Suevia c.i. excludiert (exclusio cum infamia, d. h. Ausschluss mit Schimpf und Schande). Dies ist bis heute die höchste Strafe, die von Studentenverbindungen verhängt wird. Damit werden Schleyer von Seiten der Suevia die waffenstudentischen Ehrenrechte abgesprochen. Nach dem Kriege wird er trotzdem wieder aufgenommen und Vorsitzender der Alten Herren sowie Ehrenmitglied. Schleyer beginnt seine erste Karriere als Funktionär in der nationalsozialistischen Studentenschaft. Er tritt am 1. Mai 1937 in die NSDAP ein und wird ab dem Sommersemester des selben Jahres Leiter des Heidelberger Studentenwerkes. 1938 beendet er sein Studium mit dem ersten juristischen Staatsexamen. Nach dem „Anschluss“ Österreichs ist er ab dem Sommersemester 1938 auf besonderen Wunsch Scheels, mittlerweile Reichsstudentenführer, Leiter des Studentenwerks in Innsbruck. 1939 erfolgt dort seine Promotion zum Dr. jur. nach österreichischem Recht. Von Sommer 1940 bis Juni 1941 leistet er seinen Wehrdienst an der Westfront ab, aus dem er wegen einer Verletzung als dienstuntauglich entlassen wird.

Er übernimmt dann die Leitung des Studentenwerks der Universität in Prag. Am 1. April 1943 tritt er als Sachbearbeiter in den Zentralverband der Industrie für Böhmen und Mähren ein. Hier wird er dann später Leiter des Präsidialbüros und persönlicher Sekretär des Präsidenten Dr. Bernhard Adolf, der maßgeblich für die „Arisierung“ und Germanisierung der böhmischen Industrie verantwortlich ist.

Nach dem Tod Schleyers kursiert in der linken Szene das Gerücht, er sei ein enger Vertrauter Reinhard Heydrichs gewesen. So sagte 1978 zum Beispiel der damalige Studentenführer Daniel Cohn-Bendit[1] in einem Interview mit dem ORF: „Dieser Herr Heydrich pflegte an jedem Tag mit einem anderen Herrn gemeinsam in seinem Auto zu fahren. [...] Dieser andere Herr hieß Schleyer.“[2][3] Bernt Engelmann konstruiert die Möglichkeit, dass Schleyer im Prag der letzten Kriegstage an Geiselerschießungen beteiligt gewesen sei. Diese Vorwürfe sind jedoch nicht durch historische Quellen belegt.

Anfang Mai 1945, bei oder kurz vor Ausbruch des tschechischen Aufstandes, verlässt Schleyer Prag und flieht zu seinen Eltern nach Konstanz. Hier wird er am 18. Juli 1945 vom französischen Militär verhaftet. Er bleibt drei Jahre lang in Baden interniert, da er innerhalb der SS einen Offiziersrang (Untersturmführer), das entspricht dem Range eines Leutnants, bekleidet hatte. Am 24. April 1948 wird er aus der Kriegsgefangenschaft entlassen. Im Entnazifizierungsverfahren wird er zunächst als Minderbelasteter eingestuft. Hiergegen legt Schleyer Widerspruch ein, im Revisionsverfahren wird er im Dezember 1948 als Mitläufer eingestuft.

Am 1. März 1949 beginnt er seine Tätigkeit als Referent bei der Industrie- und Handelskammer Baden-Baden.

Zum 1. Oktober 1951 wechselt er als Sachbearbeiter zur Daimler-Benz AG. Hier übernimmt er im Mai 1953 die Leitung des Hauptsekretariats und ist zugleich Assistent des Vorstandsvorsitzenden Dr. Fritz Könecke. Durch Protektion Köneckes steigt er rasch auf; ab dem 1. Januar 1956 ist er Leiter der Personalabteilung, und zum 1. Januar 1959 wird er als stellvertretendes Mitglied in den Vorstand berufen. Seit dem 1. Oktober 1963 ist er dann ordentliches Vorstandsmitglied, zuständig für das Ressort Personal- und Sozialwesen. Von 1968 bis 1971 ist ihm außerdem das Ressort Unternehmensplanung übertragen, das er aber wegen der Wahl von Joachim Zahn zum Vorstandsvorsitzenden – ein Amt, das Schleyer ebenfalls anstrebt – abgibt.

Nach dieser Niederlage konzentriert sich Schleyer, der anders als Zahn den Ausbau der Nutzfahrzeugsparte bei Daimler forcieren wollte, verstärkt auf seine Arbeit für die Arbeitgeberverbände. Von 1962 bis 1968 ist er Vorsitzender des Verbandes der Metallindustrie Baden-Württemberg. Am 6. Dezember 1973 wird Schleyer zum Präsidenten der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) gewählt. Ab dem 1. Januar 1977 amtiert er zusätzlich als Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI).

Seit 1970 ist Schleyer Mitglied der CDU. Am 12. Februar 1970 wird er zum Ehrensenator der Universität Innsbruck ernannt.

Schleyer war auch stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Pegulan-Werke AG, die sein Studienfreund und Corpsbruder Fritz Ries nach dem Krieg aufbaute.[4]

Durch seine harte Haltung in den Arbeitskämpfen der 1960er Jahre – umstritten sind etwa die Aussperrungen 1963 –, seine nationalsozialistische Vergangenheit und wohl auch durch seine – vor allem im Fernsehen – aggressiv bzw. brutal wirkende äußere Erscheinung (die New York Times beschrieb ihn als "Karikatur des hässlichen Kapitalisten") gibt Schleyer ein ideales Feindbild für die 68er-Bewegung ab. Durch die Darstellung in Bernt Engelmanns Tatsachenroman Großes Bundesverdienstkreuz aus dem Jahr 1974 rückt Schleyer zusätzlich als Schlüsselfigur eines angeblichen rechtskonservativen Netzwerks ins Licht der Öffentlichkeit, mit dessen Hilfe das Tandem Helmut Kohl und Kurt Biedenkopf in Bonn an die Macht gebracht werden solle.

Entführung und Ermordung

Gedenkstelle in Köln
Gedenkstelle in Köln

Am 5. September 1977 wird Schleyer in Köln entführt (Schleyer-Entführung, Deutscher Herbst). Schleyers Fahrer und drei Leibwächter in einem nachfolgenden Auto werden sofort erschossen, der Arbeitgeberpräsident selbst wird von den RAF-Leuten verschleppt. Schleyers Entführer fordern die Freilassung von elf RAF-Mitgliedern. Die Bundesregierung unter Helmut Schmidt entscheidet sich, nicht auf die Forderungen der Entführer einzugehen. Sie bleibt auch nach der Entführung des Lufthansa-Passagierflugzeugs Landshut bei ihrer harten Haltung. Die entführte Maschine wird von GSG-9-Beamten gestürmt und die Geiseln befreit. Am selben Tag begehen die RAF-Gefangenen Selbstmord. Nachdem er in Köln, den Niederlanden und in Brüssel gefangen gehalten worden war, wird Schleyer am darauffolgenden Tag, dem 19. Oktober 1977, durch drei Kopfschüsse ermordet. Die Identität des Mörders wird von den noch lebenden Beteiligten der Entführung bis heute geheim gehalten.

Nach Schleyers Tod

Vor der Beerdigung Schleyers auf dem Friedhof Stuttgart-Sillenbuch findet am 25. Oktober 1977 in Stuttgart unter großer Aufmerksamkeit der Medien ein Staatsakt statt, bei dem fast alle führenden deutschen Politiker anwesend sind. Die Beileidsbekundung von Bundeskanzler Schmidt bei Schleyers Witwe wird teils auch als eine Art Entschuldigung verstanden - die Angehörigen Schleyers sind mit der harten Haltung der Bundesregierung nicht einverstanden. Sie haben bereits ein Lösegeld von 15 Millionen DM bereitgestellt; als dessen Übergabe durch die Behörden verhindert wird, stellt Schleyers Sohn Hanns-Eberhard einen Antrag auf Anordnung der Freilassung der RAF-Häftlinge beim Bundesverfassungsgericht, der wenige Stunden vor Ablauf des letzten RAF-Ultimatums abgelehnt wird.

1977 gründen der BDA und der BDI die Hanns-Martin-Schleyer-Stiftung, die heute hauptsächlich junge Wissenschaftler im Bereich der Rechts-, Wirtschafts- und Kulturwissenschaften fördert. In Stuttgart-Bad Cannstatt wird 1983 die Hanns-Martin-Schleyer-Halle eingeweiht. In vielen Städten Deutschlands wurden Straßen nach Schleyer benannt.

Familie

Hanns-Martin Schleyer war über seinen Großvater verwandt mit dem Schöpfer der Plansprache Volapük, dem Prälaten Johann Martin Schleyer.

Seit dem 21. Oktober 1939 war Schleyer mit Waltrude Ketterer (* 1916), der Tochter des Arztes Dr. Emil Ketterer (SA-Obergruppenführer und Stadtrat in München) verheiratet. Aus ihrer Ehe gehen vier Söhne hervor (Hanns-Eberhard *1944, Arnd *1949, Dirk *1952, Jörg *1954).

Schleyers Witwe und vor allem sein Sohn Hanns-Eberhard Schleyer (der seit 1989 Generalsekretär des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks ist) haben sich immer wieder als Vertreter der RAF-Opfer in der Öffentlichkeit zu Wort gemeldet, etwa in der Diskussion um eine Ausstellung über die RAF, die von Januar bis Mai 2005 in Berlin stattfand.

Literatur

  • Lutz Hachmeister: "Schleyer. Eine deutsche Geschichte". Beck: München, 2004 (ISBN 3-406-51863-X) Online-Leseprobe (Einleitungskapitel)
  • Klaus Pflieger: "Die Aktion "Spindy". Die Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Dr. Hanns-Martin Schleyer". NOMOS Verlagsgesellschaft: Baden-Baden, 1997 (ISBN 3-7890-4598-5)
  • Carsten Polzin: Deutscher Herbst im Bundesverfassungsgericht - Zur verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen Dimension terroristischer Entführungsfälle.
  • Dokumentation der Bundesregierung zur Entführung von Hanns Martin Schleyer. Goldmann, 1977, ISBN 3-442-11154-4
  • Peter-Jürgen Boock: Die Entführung und Ermordung des Hanns Martin Schleyer. Eine dokumentarische Fiktion von Peter-Jürgen Boock.. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main, 2002, ISBN 3821839767

Filme

  • "Schleyer - Eine deutsche Geschichte", Dokumentation über das Leben von Hanns-Martin Schleyer von Lutz Hachmeister, 2003.
  • "Todesspiel", 2-teiliges Doku-Drama über die Entführung Hanns-Martin Schleyers von Heinrich Breloer, 1997.
  • "Deutschland im Herbst"

Weblinks

Quellen

  1. Warum sind Sie so frech?“, Tagesspiegel, 10.November 2001
  2. Die Geschichte von Hanns Martin Schleyer, Alhambra Sondernummer „20 Jahre deutscher Herbst“, Oktober 97, Seite 7 (gepostet im Projekt „Schwarze Katze“ auf projekte.free.de)
  3. Gerhard Zwerenz: Der vergessene Bernt Engelmann, Ossietzky 22/2002
  4. Heinz-Klaus Mertes: Der Bund fürs Leben. In: manager magazin 06/1975, S. 74-77.

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