Jesus außerhalb des Christentums
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Jesus von Nazaret gilt im Christentum als Sohn Gottes und wird als Jesus Christus verehrt. Aber die schriftliche Überlieferung des Neuen Testaments und der urchristlichen Apokryphen hat auch andere Religionen sowie die neuzeitliche Philosophie und Literatur beeinflusst. Das Spektrum der Rezeption reicht von einer herausragenden Rolle und hoher Wertschätzung über relativierende Einordnung in das eigene Glaubenssystem bis zu Gleichgültigkeit oder betonter Ablehnung in nichtreligiösen Weltanschauungen. Dabei sind die Sichtweisen auf die Person Jesus von den je eigenen Glaubensvoraussetzungen, oft aber auch von historischen Konflikten mit Kirchen und Christen mitbestimmt.
Der Artikel stellt Jesusbilder einiger wichtiger Religionen, Philosophien und Dichter überblicksartig dar.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Judentum
Das Judentum sieht Jesus von Nazaret nicht als göttlichen Erlöser an, da er die jüdischen Erwartungen an den Messias nicht erfüllt habe. Andererseits waren die ersten Anhänger Jesu Juden, wie er selbst auch. Sie konnten Jesus und seine Botschaft vom Reich Gottes allein mit Hilfe der hebräischen Bibel, des Tanach, verstehen.
Die meisten Schlüsselbegriffe des Neuen Testaments - z.B. Gerechtigkeit, Gnade, Buße, Nächstenliebe, Versöhnung, Barmherzigkeit, Sünde - stammen aus dem jüdischen Glauben. Auch die von den frühen Christen angefertigten Evangelien bezeichnen Jesus mit jüdischen Begriffen:
- Rabbi (Schriftlehrer) (seine Jünger: Mk 9,38; 11,21; der reiche junge Mann: Mk 10,17; die Pharisäer: Mk 12,14.32)
- Prophet, der heilt und die Gottesherrschaft verkündet. So nannte Jesus sich auch selbst (Mk 6,4)
- wiedergekommener Elija (im Volk: Mk 8,28)
- falscher Prophet (die Sadduzäer: Mk 14,58)
- „Sohn Davids“, Befreier der Armen (der blinde Bartimäus: Mk 10,47)
- Christos als griechische Übersetzung von Messias (Simon Petrus: Mk 8,29).
Jesus wurde also von seinen frühen Anhängern, aber auch Gegnern, ganz im Rahmen des jüdischen Glaubens wahrgenommen.
Nach dem verlorenen Aufstand der Juden gegen die römische Herrschaft, der mit der Zerstörung des Tempels im Jahre 70 endete, setzte sich die Richtung der Pharisäer durch. Im gegenseitigen Abgrenzungsprozess galt das noch stark von Judenchristen geprägte Christentum nun als unvereinbar mit dem Judentum und wurde auf der Synode von Jawne (um 72) ausgegrenzt. Der Bruch erfolgte im Zuge der urchristlichen Mission der Nichtjuden, die die Mehrheitsverhältnisse veränderte, und reagierte auf den christlichen Antijudaismus, der von den Heidenchristen ausging.
Der seit etwa 200 entstehende babylonische Talmud nennt Jesus daraufhin meist nur „jenen Mann“, vermeidet also seinen Namen, beschreibt ihn als falschen Propheten und Verführer Israels, der Zauberei trieb, über die Weisen spottete und nur fünf Jünger hatte. Er sei am Vorabend des Passahfestes gehängt worden, nachdem sich trotz vierzigtägiger Suche kein Entlastungszeuge für ihn gefunden habe (bSanhedrin 43a; vgl. Mk. 14, 53-64). Der römische Philosoph Celsus aus dem 2. Jahrhundert fügt hinzu, er sei uneheliches Kind des römischen Soldaten Panthera gewesen (vgl. Thomasevangelium Logion 105; Gerd Lüdemann).
Im Mandäismus - einer Religion, die im Judentum zeitgleich zum Christentum entstand und sich auf Johannes den Täufer bezieht - wird Jesus wie im Talmud als „falscher“ oder „Lügenprophet“ betrachtet.
Im heutigen Judentum wird Jesus von einigen Theologen als genuiner Lehrer der Tora und echter jüdischer Prophet gesehen, der den Völkern den Glauben an JHWH, den Gott Israels, vermittelt hat. Seit 1945 versuchen jüdische Theologen wie Martin Buber, David Flusser, Pinchas Lapide, Schalom Ben-Chorin, Abraham Heschel und andere Jesus in positiver Weise ins Judentum „heimzuholen“: nicht als Messias, aber als eine herausragende jüdische Figur.
Messianische Juden erkennen Jesus als den Messias an, halten aber zugleich an jüdischen Bräuchen fest und verbinden sie mit dem christlichen Gottesdienst.
[Bearbeiten] Manichäismus
Der Manichäismus entstand im 3. Jahrhundert n. Chr. und war bis ins 6. Jahrhundert in weiten Teilen Nordafrikas, Italiens und Kleinasiens verbreitet; in Zentralasien gab es manichäische Minderheiten bis ins 13. Jahrhundert hinein. Seine Lehre gilt als komplexe Systembildung des Gnostizismus, der durch einen strengen Dualismus zwischen Materie und Geist bzw. Seele geprägt war.
Der Stifter Mani (*um 215 in Babylon, † 276) kam früh mit syrischen Judenchristen, Zoroastrismus und Buddhismus in Berührung und formte aus diesen Einflüssen eine Erlösungslehre, die auf die Befreiung der Seelen aus dem Kerker der „finsteren" Materie und ihre Rückkehr in das vorzeitliche und ewige „Reich des Lichtes" zielt. Nach seinen Lehren verkörpert Jesus wie vor ihm Moses und Israels Propheten eine Erscheinung des „Dritten Gesandten", den der „Vater des Lichts" (Gott, hier als Gegensatz zum Schöpfer der Materie gedacht) in die Welt schickt, um die Menschen über ihren göttlichen Ursprung aufzuklären und ihre im Körper gefangenen Lichtteilchen, die Geistfunken ihrer unsterblichen Seelen, für die Rückkehr in die Lichtwelt zu sammeln.
„Jesus der Glanz" spielt bereits in der Kosmologie Manis eine zentrale Rolle: Er wird mit der Schlange der Paradiesgeschichte identifiziert, die Adam und Eva vom Baum der Erkenntnis (Gnosis) zu essen gibt (Gen 3). Während die geschaffene Welt als Vermischung von Materie und Geist in Manis Lehre negativ gewertet wird, deutet er den Sündenfall positiv um als ersten Schritt in Richtung der Erlösung. Jesus als Lichtgestalt ist für ihn auch eine von vier Gottheiten, die jedem Menschen nach seinem Tod begegnen, um seine Seele zu „wiegen" und entweder zur weiteren Läuterung in ein neues irdisches Dasein (Reinkarnation) oder auf die Reise zur Lichtwelt zu senden.
Mani selbst sah sich als letzter, zum »Siegel der Propheten« berufener Bote des Lichts, der Buddha, Zarathustra, Moses und Jesus folgen und alle ihm bekannten Religionen in ein gemeinsames Lehrsystem integrieren sollte, um die hinter ihnen liegende befreiende Wahrheit zu verkünden. Er lehrte seine Anhänger eine von Armut, Askese und sexueller Enthaltsamkeit geprägte strenge Lebensführung als Weg zur Erlösung nach dem Tod. Seine Lehre machte wegen ihrer Anpassungsfähigkeit an vorgegebene religiöse Motive und Traditionen dem Christentum und später dem aufkommenden Islam zeitweise ernsthafte Konkurrenz. Sie wurde daher von beiden heftig verfolgt.
Die Alte Kirche traf schon um 180 gegen die mit Manis Lehre verwandte Lehre Marcions die Entscheidung zur Beibehaltung der Hebräischen Bibel und damit gegen den prinzipiellen Dualismus von Materie („Böse") und Geist („Gut"), für die Einheit von Schöpfung und Erlösung in ein und demselben Heilshandeln Gottes. Sie wies damit theoretisch auch den Antijudaismus zurück, den der Manichäismus enthielt, obwohl sie ihn praktisch weithin übernahm.
In vielen Spielarten der heutigen Esoterik sind manichäische Motive enthalten; Jesus gilt auch dort als eine, aber keine volle und nicht die einzige Verkörperung einer Gottesidee, die einem Gegenprinzip gegenübergestellt wird. Meist werden seine Kreuzigung wie auch seine leibliche Auferstehung - die zentralen Heilsdaten im Neuen Testament - abgelehnt oder umgedeutet (Doketismus).
[Bearbeiten] Islam
Der Koran (Quran), die heilige Schrift des Islam, nennt Jesus von Nazaret Isa bin Marjam („Jesus, Sohn der Maria“) und erzählt einige Episoden aus seinem Leben. Seine Darstellung unterscheidet sich von den Evangelien des Neuen Testaments: Jesus gilt hier als einer der Vorläufer Mohammeds, die die Menschheit wie dieser zum einen Gott führen. Damit wird er dem Propheten, der Gottes letztgültige Offenbarung empfangen habe, untergeordnet. Aber seine Botschaft sei mit der Mohammeds identisch: Allah ist mein Herr, so dient ihm. (Sure 43, 65).
Da der Koran die christliche Vorstellung von der Trinität Gottes ablehnt (Sure 5, 116), sieht er Jesus nicht als Sohn Gottes (Sure 9, 30; 19, 36). Aber seine besondere Aufgabe wird gleichwohl anerkannt: Er ist Gottes Gesandter für sein Volk, die Juden (Sure 4, 169), und wird in diesem Sinn sogar „Mahdi“ (Messias) genannt (Sure 5, 76.79). Er habe den Israeliten eine Schrift gebracht, die mit der himmlischen „Urkunde“ von Gott identisch sei, aber später – auch von den Christen – verfälscht worden sei. Demnach sind die Koranberichte über Jesus für die Muslime die endgültige wahre Offenbarung dieses Propheten.
Muslime achten und verehren Jesus in vieler Hinsicht, da er im Koran der wichtigste Vorläufer Mohammeds ist. Mit der Jungfrauengeburt der Maria erkennen sie auch seine göttliche Herkunft an (Sure 3, 45-48):
- Gedenke, da die Engel sprachen: 'O Maria, Allah gibt dir frohe Kunde durch ein Wort von Ihm: Sein Name soll sein der Messias, Jesus, Sohn der Maria, geehrt in dieser und in jener Welt, einer der Gottnahen. Und er wird zu den Menschen in der Wiege reden und im Mannesalter und einer der Rechtschaffenden sein.' Sie sprach: 'Mein Herr, wie soll mir ein Sohn werden, wo mich kein Mann berührt hat?' Er sprach: 'So ist Allahs Weg, Er schafft, was Ihm gefällt. Wenn Er ein Ding beschließt, so spricht Er nur zu ihm: Sei! und es ist.' Und Er wird ihn das Buch lehren und die Weisheit und die Thora und das Evangelium.
Jesus gilt dem Koran daher nicht nur als echter Sohn Ibrahims (Abrahams), sondern als sündloser Mensch mit außergewöhnlichem Charakter und besonderen Fähigkeiten. Auch einige der Wunder Jesu werden im Koran erzählt: Er habe Vögel aus Lehm gemacht, Aussätzige geheilt, sei auf dem Meer gewandelt und habe Tote auferweckt. Seine Botschaft sei die Erneuerung des Gesetzes (der Tora) für die Juden gewesen: Damit habe er Hoffnung und Furcht zugleich vermittelt, so dass Allah ihn schließlich zu sich erhöhte. Er sitze nun zur Rechten Gottes, werde die Menschen nach dem Tod nach ihren Taten richten und für sie Fürsprache einlegen (Sure 5, 110).
Wegen dieser und ähnlicher Koranstellen diskutiert die islamische Theologie sogar Jesu Auferstehung. Doch sein stellvertretender Tod durch Kreuzigung – das Glaubenszentrum der Urchristen im Neuen Testament – wird im Koran abgelehnt: Er sei in Lebensgefahr gewesen, doch Gott habe ihn gerettet, indem ein anderer Mann an seiner Stelle gekreuzigt worden sei, den man für ihn gehalten habe (Sure 4, 156). Damit blieb der islamische Glaubensgrundsatz gewahrt, dass Gottes Gerechtigkeit seine Gesandten auch vor tödlicher Bedrohung schütze und nicht an seine Feinde ausliefern könne.
Vor allem dem Sufismus (islamische Mystik) gilt Jesus als der Prophet der Liebe, der die Menschen zur Gottesliebe führt und die Einung der Seele mit Gott in ekstatischer Verzückung ermöglicht. Manche islamische Reformtheologen (M. al-Aqqad, M. as-Sibai) sehen in ihm auch einen Sozialreformer, der mit seiner Tora-Auslegung – wie Mohammed – gerechte Verhältnisse gelehrt und Armenfürsorge begründet habe.
Während Muslime den gerechten Lebenswandel und die Verantwortung vor Gott als gemeinsame Lehre Abrahams, Jesu und Mohammeds betonen, wird der Gedanke an Jesu Selbsthingabe für die Menschheit, an darin begründete Vergebung, Barmherzigkeit und Gnade Gottes kaum erwogen. Dass Gott geschehene Schuld im Endgericht nicht anrechnen werde, ist für Muslime vom Koran her kaum denkbar. Die Vorstellung einer Schuldübernahme ist hier theologisch ausgeschlossen: Jeder Gläubige muss sich am Ende selbst vor Gott verantworten.
[Bearbeiten] Hinduismus
Jesusbilder im religiös sehr heterogenen Kulturbereich Indiens (meist unter dem Oberbegriff Hinduismus zusammengefasst) sind vor allem von drei Hauptfaktoren bestimmt:
- der uralten vedischen, später brahmanistischen Philosophie
- der traditionellen polytheistischen Toleranz der Religionen Asiens
- der Erfahrung mit westlicher Kolonialherrschaft und imperialistischer Missionsgeschichte.
Zu ersten Begegnungen von Indern und den vom Gnostizismus beeinflussten syrischen Thomaschristen kam es im 6. Jahrhundert. Im 17. Jahrhundert verkündetete der Jesuit Roberto de Nobili Christus erstmals in hinduistischen Begriffen und gewann so etwa 40.000 indische Christen. Doch erst im 19. Jahrhundert setzten sich einige hinduistische Gelehrte mit der Person Jesu auseinander:
- Keshab Chandra Sen (1838-1884) nannte Jesus einen Orientalen, der zu Indien gehöre und die Hindus aufrufe, „christusförmig“ zu leben.
- Ramakrishna Paramahamsa (1836-1886) sah in einer Christusvision Jesus als Inkarnation Gottes an und lehrte seitdem die Synthese aller Religionen.
- Swami Vivekananda (1862-1902) deutete Jesus Christus mithilfe der Advaita-Lehre Sankaras.
- Swami Akhilananda (1894-1962) sah Jesus als echten Yogi, der alle drei Arten des Yoga geübt und den Weg zum Samadhi („rechter Versenkung") gezeigt habe.
- Für Swami Abhedananda war er der Sohn Gottes, der alle Dualität aufhebe. In ihm höre jeder Gedanke der Trennung von Gott und Mensch für immer auf; als der gewaltige Einbruch des göttlichen Wesens breche er alle Barrieren und Grenzen des menschlichen Bewusstseins nieder.
Diese Rezeption Jesu unterscheidet sich in einigen Zügen deutlich von der im Judentum, Islam und westlichen Atheismus. Ich und der Vater sind eins (Joh 10,30): Gerade mit Jesu Göttlichkeit und Inkarnation haben Hindus meist kein Problem. Sie sehen ihn oft wie selbstverständlich als volle Manifestation des Krishna- oder Buddha-Wesens, das in Menschengestalt auf die Erde „herabgestiegen“ (Avatara) sei, um den Menschen ihr eigenstes Wesen zu offenbaren, damit sie werden können, was sie von Ewigkeit her sind (Sri Aurobindo). Auch seine Armut, sein Leiden und Sterben werden als totale Hingabe an Gott und Selbsterniedrigung, die Gottes Wesen entspricht, gewürdigt und akzeptiert.
Damit erkennen Hindus Jesus aber nicht als einzige Gestalt des Göttlichen an. Das wäre nach ihrem Verständnis eine eigenmächtige Verzerrung:
- Gott ist größer als Jesus ... Würde Gott sich auf eine einzige Inkarnation festlegen, dann würden wir Gott begrenzen und verfügbar machen. Gott ist grenzenlos. Wer könnte diesen Ozean ausschöpfen?
Die Menschwerdung Gottes dient der Gottwerdung des Menschen. Darum ist Jesu Menschsein für Hindus kein vergangenes Ereignis, sondern findet in jeder Menschenseele statt, die sich dem Göttlichen (Brahman oder Atman) öffnet. Hier steht Jesus als Mensch mit jedem Guru, Weisheitslehrer oder Heiligen auf einer Ebene und erhält keine besondere universale Erlöserrolle. Seine Versuchung in der Wüste, seine Gleichnisse und Wunder, sein Gebet in Getsemani werden als meditative Wahrheiten aufgenommen; sonstige Details seiner historischen Existenz (z.B. die Tora-Auslegung, das Ehescheidungsverbot u.a.) werden dagegen als unwesentlich erachtet. Oft wird jedoch gegenüber westlicher Vereinnahmung seine asiatische Herkunft betont.
Während die westliche Theologie im 19. und 20. Jahrhundert oft nicht mehr wagte, von Gottes Offenbarung in Christus zu reden, ihn zum Vorbild allgemeiner Religiosität und Humanität machte und Christentum mit zeitweise modernen politischen Ideologien eng verknüpfte, hielten Inder gerade die theologische Dimension des „Heiligen“ (Rudolf Otto) und des „Geheimnisses“ (Eberhard Jüngel), die sich allem menschlichen Begreifen entzieht, fest. So schrieb der indische Dichterphilosoph Rabindranath Thakur schon vor 1936 - als es noch kaum Religionsdialoge gab - in Jesus, die große Seele:
- Offenbarung Gottes mitten unter den Menschen! Die Lehre Jesu ist keine Wahrheit, die man in einen Vers der Heiligen Schrift einschließen kann, sondern sie zeigt sich als Wahrheit seines Lebens. Bis heute blieb sie lebendig wie ein immergrüner Feigenbaum, der immer neue Zweige hervortreibt.
[Bearbeiten] Buddhismus
Buddha lehrte in ähnlicher Weise wie Jesus: Ich bin der Weg, das Licht oder das Leben. Er zeigt den Weg zur Erlösung vom Anhaften des Geistes: Dieser sei prinzipiell jedem fühlenden Wesen zugänglich und bedürfe keines Erlösers. Im Gegensatz zum Brahmanismus lehrt er das An-Atman, die Leerheit (Shunyata) und Nichtigkeit aller Substanzvorstellungen. Demgemäß sehen Buddhisten personale Gottesbilder allenfalls als nützlich, aber nicht als notwendig an.
Damit wird Jesus eine „Göttlichkeit“ im westlichen Sinn abgesprochen; doch seine „Buddhanatur“ – die in vieler Hinsicht der „Gottebenbildlichkeit“ jedes Menschen ähnelt − wird anerkannt. Darum kann Jesus als spiritueller Lehrer auf dem Weg zur Erleuchtung betrachtet werden, der selber den Weg vom Zorn zum Erwachen (von der Tempelaustreibung zum Gebet in Getsemani) gegangen sei.
In manchen Schulen wird Jesus darum auch als ein echter Bodhisattva, also ein vollkommen selbstloser barmherziger Mensch anerkannt und damit Buddha nahezu gleichrangig an die Seite gestellt: so z.B. von Tenzin Gyatso, dem heutigen 14. Dalai Lama, der höchsten Autorität im tibetischen Buddhismus. So kann Jesus gelegentlich auch mit dem wiederkommenden Buddha Maitreya oder dem Amitabha (Amida Buddha) im japanischen Jodo Shinshu gleichgesetzt werden. Auch solche mythischen Bilder betonen seine Barmherzigkeit und Hingabe an Andere.
Während Christen oft das Fehlen einer Sünden- und Gnadenlehre bei Buddha bemängeln, sehen Buddhisten Jesu Feindesliebe und Vergebung, die der Gekreuzigte seinen Mördern schenkte, als vorbildliche Verwirklichung der Buddhanatur. Gerade dies ist für Buddhisten Zeichen seiner Erleuchtung. Diese Achtung hat wiederum auf westliche Interpreten zurückgewirkt, die die vergessene mystische Tradition im Christentum wiederentdecken, wiederbeleben und dadurch einen Beitrag zur Versöhnung der Kulturen von Orient und Okzident leisten wollen.
Eine solche Rückwirkung asiatischer Rezeption Jesu ist auch in der Feministischen Theologie zu finden. Hanna Wolff beschrieb beispielsweise Jesus als ersten „anima-integrierten Mann“ der Antike, der die weiblichen Anteile seiner Seele angenommen und Frauen darum anders als die patriarchalische Umwelt behandelt habe. Sie folgte damit der Anima-Animus-Lehre des Tiefenpsychologen Carl Gustav Jung, der diese ebenfalls im Anschluss an asiatische Anthropologie, vor allem den Daoismus, entwickelt hatte.
Allen asiatischen Rezeptionen Jesu ist jedoch gemeinsam, dass sie die jüdisch-christliche Eschatologie – also die Vorstellung einer zielgerichteten Heilsgeschichte, die die Weltgeschichte „durchkreuzt“ und beendet – nicht teilen. Historie ist Schein und „ewige Wiederkehr des Gleichen“; alle Möglichkeiten der Selbstverwirklichung sind schon im wahren entgrenzten oder aufgelösten Selbst – der Buddhanatur, dem Brahman oder dem Dao − angelegt. So ist Erlösung eigentlich immer eine Rückkehr zu sich selbst, in dem die Subjekt-Objekt-Spaltung aufgehoben ist. Die radikale Verwandlung der ganzen Welt dagegen, die für die jüdische Apokalyptik entscheidend war, kommt erst seit der Begegnung mit christianisierten Völkern in den Blick (Michael von Brück).
[Bearbeiten] Paganismus
Antike und moderne Heiden (oft unter dem Oberbegriff Paganismus oder Neopaganismus zusammengefasst) sehen Jesus teilweise als außergewöhnlichen Menschen, der über besondere Kräfte als Rhetoriker, Heiler oder Magier verfügt habe. So werden etwa die Wunder Jesu von der Esoterik mit indianischer Naturheilkunde oder schamanistischen Heilritualen in Beziehung gebracht.
Im Mittelalter richtete sich die traditionelle kirchliche Sexualfeindlichkeit gegen die eigenständige Weisheit der Frauen und ging bis zu exzessiver Hexenverfolgung; das durch die Sakramente und den Klerus vermittelte Heil sollte konkurrenzlos durchgesetzt werden. Feudaladel, Fürsten- und Kirchenmacht unterstützten sich gegenseitig. Dabei ging viel durch eigene Erfahrung und orales Lernen erworbenes Naturwissen verloren. Dass Jesus Arzt der realen Kranken war und Seele und Leib in Einklang bringen wollte, wird erst in jüngster Zeit auch theologisch wieder ernst genommen.
[Bearbeiten] Neuzeitliche Jesusbilder
[Bearbeiten] Leben-Jesu-Forschung
Hauptartikel: Leben-Jesu-Forschung
Mit der Befreiung der Wissenschaft von kirchlicher Bevormundung konnte sich die historische Erforschung der Religionen, zunächst vor allem des Christentums entfalten. Sie hat die Entstehungsgeschichte der Bibel allmählich aufgehellt und dabei viele Einblicke in jüdische Wurzeln, hellenistische und gnostische Einflüsse im NT gewonnen.
Die historische Kritik richtete sich anfangs vor allem gegen kirchliche Dogmen, die aus der Bibel hergeleitet wurden, später gegen übernatürliche Mythologie und bestritt zum Teil sogar Jesu Existenz. Radikale Skepsis sieht ihn als unhistorisches Konstrukt, das die frühen Christen aus zirkulierenden Motiven, Legenden und Mysterienkulten zusammengestellt haben sollen. Dies vertreten aber heute nur noch wenige Außenseiter. Albert Schweitzer wies schon 1899 nach, dass gerade das Postulat eines historischen Jesus „hinter“ den Schriften der Urchristen sehr oft eigene Vorstellungen in diese hineinprojizierte.
Die vergleichende Religionswissenschaft sah Jesus oft als Religionsstifter, da das Christentum von ihm ausging und sich auf ihn bezieht. Heute jedoch weiß man, dass Jesus als Jude nur in Israel wirken und keine neue Religion gründen, sondern das Judentum reformieren wollte. Das Christentum war anfangs eine innerjüdische Sekte und wurde erst Jahrzehnte nach seinem Tod zu einer eigenen, aus dem Verbund des Judentums herausgelösten Religion.
[Bearbeiten] Philosophie seit der Aufklärung
Das Zeitalter der Aufklärung stand einerseits ganz im Zeichen der Emanzipation von Kirche, Aberglauben, Mythologie und Heteronomie. Sie entwickelte die neuzeitliche Religionskritik, die das Christentum und darüberhinaus alle Religion von verschiedenen Ansätzen aus ablehnt als
- Metaphysik (Immanuel Kant),
- Projektion (Ludwig Feuerbach),
- Ideologie der Klassengesellschaft (Karl Marx) oder
- Zwangsneurose (Sigmund Freud).
Dies hat vielfältig auf die Sicht Jesu im aufgeklärten Bürgertum Europas eingewirkt.
Die Kirchen zogen sich angesichts von Säkularisierung, Rationalismus, aufstrebender Demokratie- und Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert großenteils auf orthodoxe Dogmatik, pietistische Innerlichkeit und Diakonie zurück und blieben mit den konservativen Kräften, vor allem Adel, Monarchie und Bürgertum verbündet.
Gleichwohl hat sich die aufgeklärte Philosophie die Gestalt Jesu, aber auch sonstige biblische und theologische Ideen auf ihre Weise angeeignet und sie in humanistische, moralisch-ethische oder revolutionäre Handlungsmaximen übersetzt. Kants Kategorischer Imperativ wurzelt unverkennbar in der „Goldenen Regel“ der Bergpredigt wie auch anderer Religionen. Der „absolute Weltgeist“ Hegels ist ein Versuch, das Wirken des transzendenten Heiligen Geistes in die Arbeit des dialektischen Begreifens zu übersetzen und im vernünftigen Fortschritt der Weltgeschichte wiederzufinden.
Der Däne Sören Kierkegaard nahm mit seinem radikal-subjektiven Glaubenswagnis bereits den Existenzialismus des 20. Jahrhunderts vorweg. Karl Jaspers stellt im Anschluss an den frühen Martin Heidegger die Frage nach der Eigentlichkeit und Unbedingtheit menschlicher Existenz. Er spitzt sie auf den Appell zum „Vollzug des Existenzerlebens“ zu, das für ihn - anders als für die eher atheistischen Existenzialisten Jean Paul Sartre oder Albert Camus - notwendig über sich hinausweist und den Bezug auf das Ganze des Daseins und seinen transzendenten Grund enthält. Diesen Grund des Ganzen versucht er mit dem Ausdruck des „Umgreifenden“ zu fassen. Aber nicht nur Jesus, sondern auch andere „maßgebende Menschen“ mit unvergleichbarer historischer Wirkung können für ihn zur Darstellung und Sprache des Absoluten werden.
Auch Vertreter des Marxismus haben sich für Jesus interessiert. Friedrich Engels sah ihn als Anführer einer frühen Armutsbewegung in der römischen Klassengesellschaft, die zumindest tendenziell auf Überwindung der Sklaverei und eine klassenlose Gesellschaft zielte. Rosa Luxemburg stellte Jesus gegen den polnisch-russisch-deutschen Klerus (das Kirchenpersonal) und dessen biblisch unbegründete Sozialismus-Feindschaft. Im christlich-marxistischen Dialog seit 1965 galt Jesus als Bewahrer einer humanen zweckfreien Ethik (Leszek Kolakowski) oder des „subjektiven Faktors“ im Prozess der revolutionären Veränderung (Milan Machovec) oder als Prediger einer „Revolution im Gottesbegriff“, der das Hoffnungspotenzial des „Atheismus im Christentum“ und der „konkreten Utopie“ freigesetzt habe (Ernst Bloch).
[Bearbeiten] Literatur
Auch in der profanen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts findet man eine große Fülle verschiedener Jesusbilder. Er konnte u.a. als humanes Vorbild, Menschen- und Kinderfreund, philosophischer Weiser, strenger Moralist oder politischer Widerstandskämpfer dargestellt werden.
Seit 1800 bis etwa 1960 entstanden eine Fülle von Romanen, in denen Jesus eine Art Leit- und Identifikationsfigur für die Armen und Schwachen, ihre Hoffnungen, ihre menschlichen Dramen bildet. Berühmt wurden u.a. Fjodor Dostojewskis Der Großinquisitor in seinem Roman Die Brüder Karamasow. Aus katholischem Hintergrund, auch in polemischer Abgrenzung dazu, stammen Romane, in denen das Vorbild Jesu kirchliche Amtsträger zur Nachfolge ohne Heldenpose bringt:
- Jan Dobrazynski: Gib mir deine Sorgen. Die Briefe des Nikodemus (Polen 1952)
- George Bernanos: Tagebuch eines Landpfarrers (Frankreich 1935)
- Graham Greene: Die Kraft und die Herrlichkeit (England 1940).
- Auch Rolf Hochhuths Der Stellvertreter lässt sich dieser Richtung zuordnen.
Aber auch in nichtkirchlicher Literatur der Kriegs- und Nachkriegszeit spielt Jesus eine wichtige Rolle als der, der sich dem Wahnsinn des Mordens verweigert oder im Schicksal leidender, aber auch überlebender Menschen abgebildet wird:
- Anna Seghers: Das siebte Kreuz (1942)
- Wolfgang Borchert: Jesus macht nicht mehr mit (erschienen 1949)
- Peter Huchel: Bericht eines Pfarrers vom Untergang seiner Gemeinde (in: Chauseen, Gedichte 1963)
- Heinrich Böll: Entfernung von der Truppe (1965)
- Heinrich Böll: Und sagte kein einziges Wort (1953). Bereits hier hatte Böll mit dem Roman das Schweigen Jesu vor Pilatus gegen die penetrante fromme Beredsamkeit gestellt und in der „Zärtlichkeit Christi“ den Sinn des Menschseins angedeutet.
- Wolfgang Koeppen: Der Tod in Rom (1954). Koeppen berief sich auf den leidenden Jesus als Gegenbild zur korrupten Machtinstitution Kirche.
In ähnliche Richtung kritisieren folgende Autoren unter Berufung auf Jesus die Kirche als Exponent der verkommenen nachchristlichen Gesellschaft:
- Fritz Hochwälder: Das Heilige Experiment (1963)
- Wolfgang Hildesheimer: Monolog (1964)
- Friedrich Dürrenmatt: Essay über Israel (1976).
Während Jesus bei Max Frisch in Nun singen sie wieder. Versuch eines Requiems (1945) noch als tote Gestalt den Kriegsopfern Brot und Wein reicht und damit die sinnlose Liebe als letzte Rettung gegen die Verzweiflung symbolisiert, endet Frischs Stück Andorra (1965) mit dem Verrat an und dem Kreuzesschrei der Hauptperson.
[Bearbeiten] Siehe auch
[Bearbeiten] Literatur
allgemein
- Georg Friedrich Vicedom: Jesus Christus und die Religionen der Welt. Aussaat Verlag, Wuppertal 1966.
- Ulrich Kühn: Christologie. UTB 2393. Vandenhoeck&Ruprecht, Göttingen 2003, S.17-45. ISBN 3-8252-2393-0
- Horst Georg Pöhlmann: Wer war Jesus von Nazareth? GTB Siebenstern, Gütersloh 1976, ISBN 3-579-01423-4
- Karl Hoheisel: Jesus III (außerchristlich). In: Reallexikon für Antike und Christentum. Bd 17. Hiersemann, Leipzig 1941, Stuttgart 1996, Sp. 837-878, ISBN 3-7772-9427-6
- Elmar Klinger: Jesus und das Gespräch der Religionen. Das Projekt des Pluralismus. Echter Verlag, 2006, ISBN 3-429-02779-9
Judentum
- Hans Küng, Pinchas Lapide: Jesus im Widerstreit. Ein jüdisch-christlicher Dialog. 2. Auflage. Kösel, München 1988, ISBN 3-466-20073-3
- Johann Maier: Jesus von Nazareth in der talmudischen Überlieferung. Erträge der Forschung, Bd 82. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1978, ISBN 3-534-04901-2
- Fritz H. Rothschild (Hrsg.): Christentum aus jüdischer Sicht. Institut Kirche und Judentum, Berlin/Düsseldorf 1998, ISBN 3-923095-27-9
philosophische Rezeption
- Karl Jaspers: Die maßgebenden Menschen. (Berlin 1967). in: Die großen Philosophen. 5. Auflage. Piper, München 1995, S.105-230. ISBN 3-492-21002-3
- Ernst Bloch: Atheismus im Christentum. Suhrkamp Verlag, 1985. ISBN 3-518-28163-1
- Milan Machovec: Jesus für Atheisten. 5. Auflage. Kreuz Verlag, Stuttgart-Berlin 1977. ISBN 3-7831-0387-8
literarische Rezeption
- Karl-Josef Kuschel: Im Spiegel der Dichter. Mensch, Gott und Jesus in der Literatur des 20. Jahrhunderts. Düsseldorf, Patmos 2000. ISBN 3-491-69021-8
- Karl-Josef Kuschel: Jesus im Spiegel der Weltliteratur. Düsseldorf, Patmos 1999. ISBN 3-491-72423-6
[Bearbeiten] Weblinks
- Aktuelle Literatur zu Jesus in den Religionen
- Tod, Wiedergeburt und Erlösung im Manichäismus
- Gerhard Bodendorfer: Jüdische Stimmen zu Jesus
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