Geschichte der Stadt Wetzlar
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Die Geschichte der Stadt Wetzlar ist geprägt durch ihre Zeit als Freie Reichsstadt und Sitz des Reichskammergerichts vom Mittelalter bis zum Ende des Heiligen Römischen Reichs 1806 sowie durch ihre Entwicklung zur Industriestadt ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
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[Bearbeiten] Vor- und Frühgeschichte
Bereits in der Altsteinzeit war die Wetzlarer Region, so auch in Dalheim (Wüstungen Dalheim und Wanendorf), besiedelt. Durch die vom Klima begünstigte Lage blieben dort die Menschen auch in der Würmeiszeit vor rd. 50.000 Jahren. Man findet hier alte Gräberfelder. In der Bronzezeit dominierten Hügelgräber, wie man sie beispielsweise im Finsterloher Wald antrifft.
Innerhalb der Wüstung Wanendorf, unterhalb von Wetzlar-Dalheim Richtung Kloster Altenberg / Solms-Oberbiel, hat man längs der Lahn an der westlichen Stadtgrenze, mehrere größere Siedlungsreste ausgemacht. Die jüngsten umfangreichen Ausgrabungen haben dort 7000 Jahre alte Siedlungen einer Bandkeramik - Kultur, hervorgebracht. Deren Fachwerkhäuser hatten einen je 30m langen Grundriss. Sie wurden von und einem rd. zwei Meter tiefen Graben sowie einem vorgelagertem Wall geschützt. Zur Sicherstellung der Wasserversorgung bestanden zwei voneinander unabhängige Brunnen innerhalb der Befestigung.
Weitere Siedlungen in der unmittelbaren Nähe werden gegenwärtig freigelegt, sie haben germanischen Ursprung. Deren Grubenhäuser waren ebenfalls mit Graben und Wall versehen. Sie stammen z.T. aus der Zeit um die Zeitenwende, und waren für die Dauer von ca. 1400 Jahren besiedelt. "Eine derartige Siedlungskontinuität über mehrere Kulturphasen ist einmalig", urteilen die Experten. Die Keramik und Metallfunde zeigen einen regen Kontakt zu dem nahe gelegenen römischen Limes.
[Bearbeiten] Kelten und Römer
Mindestens schon in der keltischen La-Tène-Zeit wurde in und um Wetzlar aus Rolllagern Eisenerz gewonnen und vor Ort in Rennöfen zu Schmiedeeisen verhüttet. Auf der Gemarkung Wetzlars bestanden drei keltische Siedlungen. Der in der Nähe liegende Dünsberg war eine keltische Fluchtburg, wo wahrscheinlich kurz vor der Zeitenwende eine Schlacht zwischen Römern und Kelten stattgefunden hat. Über das Schicksal der dortigen Kelten ist nichts bekannt. Vor nicht allzu langer Zeit wurden an der östlichen Stadtgrenze Wetzlars, weitere "Römerfunde" gemacht: In Waldgirmes, unmittelbar an der östlichen Stadtgrenze Wetzlars, befand sich eine zivile römische Siedlung im Aufbau und in Dorlar gab es ein römisches Militärlager. Ein altes römisches Wegenetz um Wetzlar ist vorhanden. Die Römer zogen sich nach der Schlacht im Teutoburger Wald möglicherweise nicht alle aus dieser Region in den südlichen Taunus zurück. Fest steht: die „Römische Geschichte in Deutschland“ muss, zumindest für diesen Abschnitt, ergänzt oder neu geschrieben werden.
[Bearbeiten] Die Stadt und ihre Vorgängersiedlungen
Die Endsilbe des Stadtnamens -lar verweist auch auf eine Siedlung keltischen Ursprungs (vgl. auch Goslar, Fritzlar, Mainzlar, Dorlar, Aßlar, usw.). Eine weitere Deutung der Ortsnamensendung „-lar“: - altfränkisch „hlar/hlari“. Das Ortsnamen-Grundwort „-lar“ bedeutet etwas Ähnliches wie „Hürde“ oder „Gerüst/Gestell“. Vermutlich war damit eine „zaunähnliche Befestigung“ eines Hofes oder Dorfes gemeint. „Lar-Ortsnamen“ sind grundsätzlich nicht mit Personennamen verbunden, und haben eine markante Lage an Flussmündungswinkeln. Die „Lar-Orte“ sind vermutlich bis zum 3. Jahrhundert entstanden. (Aus „Die Siedlungslage der Ortsnamen des Bonner Raumes / Naturraum, Toponymie und Siedlungsgründung“ von Gregor Berhorst, Bonn 1990)
Wetzlar lag an Furten durch Lahn und Dill und an der Kreuzung zweier Handelsstraßen, wovon eine von Antwerpen über Köln und den Westerwald nach Wetzlar und weiter über Friedberg nach Frankfurt am Main führte. In der näheren und weiteren Umgebung von Wetzlar wurde außerdem schon damals Erz gefunden. Vermutlich bestand deshalb hier schon früh eine keinem Landesherren gehörige, sondern reichsunmittelbare fränkische Straßenfeste, welche die Furten sichern sollte.
Das tatsächliche Gründungsdatum der Stadt ist bisher nicht bekannt oder belegt. Die Stadt Wetzlar oder deren Vorgängersiedlungen entstanden aber möglicherweise bis zum 3.Jh., die Endsilbe "-lar" weist darauf hin. Sicher nachgewiesen ist die Existens seit dem 8. Jahrhundert.
Die Stiftungs-Urkunde Nr 3146 vom Jahr 832, aus dem Lorscher Codex (freigegeben vom Bayr. Hauptstaatsarchiv München, Sig, I/192///-: hier ein Auszug aus der Übersetzung: "Im Namen Gottes errichte ich, Ingold, eine Stiftung zu Ehren des heiligen Märtyrers (Nazarius), dessen Leib im Lorscher Kloster ruht, in dem der ehrwürdige Adalung das Amt des Abtes bekleidet. Es ist mein Wille, daß meine Gabe für ewige Zeitren dargereicht sei, und ich bestätige, daß sie durchaus freiwillig geboten wurde. Ich schenke im Gau Logenehe (im Lahngau) , im ..., ferner in Weftifa (Wettifa; Wetz, N.-O.-, am Wetzbach s. Wetzlar/Lahn) eine Hofreite und dreißig Morgen Land. Geschlossen und gefertigt. Geschehen im Lorscher Kloster am 24.Sept. im 19.Jahr (832) des Kaisers Ludwig (des Frommen)." (16;99;100)
Der Konradiner Gebhard, Graf in der Wetterau und ab 904 Herzog von Lothringen, ließ 897 eine Salvatorkirche (Erlöserkirche) weihen, welche frühere Bauten ersetzte. Zu Beginn des 10. Jahrhunderts erfolgte die Gründung des Marienstiftes/Dom, eines Kollegialstiftes, durch Gebhards Söhne Hermann I., einem späteren Herzog von Schwaben, und Udo, Graf in der Wetterau.
[Bearbeiten] Freie Reichsstadt
Zu einem unbekannten Zeitpunkt erwarb Wetzlar das Marktrecht und damit die Möglichkeit, Marktzoll zu erheben, im Laufe der Jahre entstand eine Marktsiedlung. Die Vorgänger des Marienstiftes auf dem Domhügel waren sicher mit ein Kristallisationspunkt, an dem sich vor allem an Feiertagen Gläubige, Händler und Handwerker trafen.
Der Hohenstaufenkaiser Friedrich I. Barbarossa schuf im Wetzlarer Gebiet eine Reichsvogtei und stellte 1180 die Bürger Wetzlars den Bürgern Frankfurts gleich. Wetzlar wurde Freie und Reichsstadt und blieb es bis 1803. Zum Schutz der Stadt, und um die Wetterau als Reichsland zu sichern, baute er hoch über Wetzlar die Reichsburg Kalsmunt um oder aus. Die Herkunft des Namens der Reichsburg Kalsmunt ist nicht eindeutig geklärt. Nicht ausgeschlossen werden kann die folgende Deutung: Kals- = Karls und -munt = Vasall, d. h. ein Lehensmann des Fränkischen Hofes. Demnach handelte es sich um eine Anlage aus der Zeit Karls des Großen. Zur selben Zeit wurden Münzenberg, Stadt und Burg Friedberg und Büdingen gegründet, die alle der Sicherung der Wetterau dienten. Auf der Reichsburg Kalsmunt wurden die kaiserlichen Münzen für Wetzlar geprägt. Die Handelsstraße, die bei Wetzlar die Lahn durchquerte, die Wetzlarer Eisenerzeugnisse, von denen heute noch der Eisenmarkt in der Wetzlarer Altstadt (forum ferri) zeugt, Wollweberei und Lederverarbeitung erwiesen sich als eine gute Basis für die weitere Entwicklung der Stadt.
[Bearbeiten] Der falsche Kaiser Tile Kolup
Im Jahre 1285 kam der falsche Kaiser Dietrich Holzschuh genannt Tile Kolup, der sich als Friedrich II. ausgab (der tatsächlich schon 1250 in Italien gestorben war), nach Wetzlar. Er zog von Neuss kommend dem rechtmäßigen König Rudolf von Habsburg nach Frankfurt entgegen.
Ein Jahr zuvor hatten sich einige Reichsstädte, darunter Frankfurt, Wetzlar und Friedberg gegen eine neue, von Rudolf von Habsburg erhobene Steuer gewehrt. Nachdem der König bereits die aufsässige Stadt Colmar besiegt hatte, zog er weiter nach Mainz, um in die Wetterau zu ziehen. Nach Verhandlungen, bei denen Wetzlar versprach, die geforderte Steuer zu entrichten, bestand eigentlich keine Notwendigkeit mehr, nach Wetzlar zu ziehen. Die Kunde von der Anwesenheit des falschen Kaisers in Wetzlar hatte jedoch genau dies zur Folge.
Als König Rudolf daraufhin nach Wetzlar zog, nahmen die Stadtoberhäupter Tile Kolup fest und lieferten ihn aus. Unter der Folter verriet der falsche Kaiser seinen richtigen Namen. Er wurde als Zauberer, Ketzer und Gotteslästerer zum Flammentod verurteilt und am nächsten Tag in Wetzlar verbrannt.
[Bearbeiten] Blütezeit
Bis 1250 war der größte Teil der Stadtbefestigung, deren Reste man heute noch besichtigen kann, fertig gestellt. Die Ringmauer war ca. 1700 m lang und bis zu 10 m hoch. Fünf Tore und einige kleinere Pforten schlossen die Stadt im Belagerungsfall von der Außenwelt ab. Die bis heute erhaltene steinerne Lahnbrücke wurde erstmals 1288 erwähnt. Es gab ein Hospital zum Heiligen Geist (1262 urkundlich erwähnt), Franziskaner, Dominikaner, Karmeliter, Zisterzienser, den Deutschen Ritterorden und Prämonstratenserinnen. Die „Grauen“ und die „Blauen Nonnen“ verweisen auf die Anwesenheit zahlreicher Beginengemeinschaften Beginenorden in der Stadt. Das Leben spielte sich auf dem Buttermarkt, dem Fischmarkt, dem Kornmarkt und dem Eisenmarkt ab. Im 15. Jh. arbeiteten hier bereits fünf Brauereien. Bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts wird die Stadt auf 6.000 Einwohner geschätzt, doppelt so viele wie die nahegelegene Reichsstadt Friedberg. Sie war damit für diese Zeit und im Vergleich zu anderen Städten in Deutschland, bereits eine Großstadt. Frankfurt hatte damals etwa 10.000 Einwohner. Um 1350 war dann der Höhepunkt der mittelalterlichen Stadtentwicklung erreicht.
[Bearbeiten] Stadtbankrott
Ein Brand vernichtete 1334 Teile der Stadt, und 1349 wütete die Pest in der Stadt. Alle Juden der Stadt wurde daraufhin bei lebendigem Leibe verbrannt, weil man glaubte, dass sie schuld an der Pest gewesen seien. Nebenbei entledigte man sich dadurch auch vieler Gläubiger. Jahrzehntelange Fehden mit den Grafen von Solms, die versuchten, Wetzlar zu einer solmsischen Landstadt zu machen, bedrohten die lebenswichtigen Handelsstraßen. Deshalb wurde im Wetzlarer Norden die Burg Hermannstein (1373-79) zum weiteren Schutz der Stadt errichtet. Der Kaiser unterstützte zwar die Stadt, jedoch nicht sehr erfolgreich. Zur Geldbeschaffung wurden Leibrenten ausgegeben. Die kriegerischen Auseinandersetzungen dauerten an, unter anderen in den Jahren 1349, 1360, 1364 (Falkensteiner Fehde), 1373 (Sternerkrieg), 1375 und 1384. 1392 konnte mit den Grafen von Solms Friede geschlossen werden. Weil Wetzlar seine Schulden aus den Leibrenten nicht begleichen konnte, kam es 1370 zu einem Aufstand der Zünfte gegen die bis dahin alleinregierenden Schöffen. 1387 fiel die Stadt unter Zwangsverwaltung, wurde aber in den Rheinisch-Schwäbischen Städtebund aufgenommen. Der Versuch eines Bürgers der Stadt, Johann von Weidbach, genannt Henne Haberkorn, gegen den Willen des Rates und eines Teiles der Bürgerschaft, sich an die Landgrafschaft Hessen anzulehnen, endete mit dessen sowie weiterer fünf Bürger Tötung. 1417 erhielten die Grafen von Nassau-Weilburg Schirm- und Schutzrechte im Namen des Kaisers. Damit schien die Reichsunmittelbarkeit zwar noch nicht reichsrechtlich, aber de facto aufgehoben.
Im Jahre 1418 stellte Wetzlar erneut die Zahlungen ein, aber die Gläubiger ließen nicht locker. 1422 verhängte König Sigismund die Reichsacht, 1422 die verschärfte Aberacht. Die Stadt war umgeben von begehrlichen Territorialherren und völlig verarmt. Die Einwohnerzahl war auf 2.000 gesunken, und sie war trotzdem noch Reichsstadt.
[Bearbeiten] Von der Reformation bis zum Dreißigjährigen Krieg
Die Reformation erreichte Wetzlar 1525. Es zählte 1544 zu den evangelischen Reichsständen. Das katholische Marienstift blieb erhalten, denn man einigte sich darauf, den Chorraum den katholischen Stiftsherren und das Kirchenschiff der evangelisch-lutherisch gewordenen Gemeinde für Gottesdienste zu überlassen. Aus Wallonien zogen 1586 calvinistische Glaubensflüchtlinge nach Wetzlar. Ihnen wurde die ehemalige der Chor der Franziskanerkirche (heute die Untere Stadtkirche) zugewiesen. Noch heute zeugt der Begriff "Reformiertes Treppchen" für den unteren Teil der Straße "Jäcksburg" (Jakobsburg) von der Anwesenheit der Flüchtlinge.
Im Laufe des 16. Jahrhunderts wurde Wetzlar wiederum von der Pest heimgesucht, insbesondere in den Jahren 1529-32 und 1536-64, als mehr als 1.100 Menschen der Seuche zum Opfer fielen. Mehrere Hochwasser von Lahn und Dill setzten der Stadt weiter zu.
Ab 1618 war Wetzlar von spanischen Truppen und kurzzeitig von der Armee Tillys besetzt. Plünderungen im Umland und Einquartierungen belasteten die Bewohner. Im Jahre 1631 näherten sich schwedische Truppen der Stadt, was die Spanier zum Abzug veranlasste. Erneut hauste die Pest, und 1643 richtete ein Hochwasser wiederum große Zerstörungen an. Am Ende des Dreißigjährigen Krieges zählte die Stadt nur noch 1.500 Einwohner.
[Bearbeiten] Das Reichskammergericht in Wetzlar
Ein Glücksfall für Wetzlar war die 1689 vollzogene Verlegung des höchsten Gerichtes des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, des Reichskammergerichts (RKG), nach Wetzlar. Anlass der Verlegung war die Verwüstung des vormaligen Sitzes des Gerichtes, Speyer, während des Pfälzischen Erbfolgekrieges. Die Bevölkerungszahl wuchs wieder, weil nunmehr Gerichtsangehörige mit Frauen, Kindern und Bediensteten, zusammen rund 1.000 Menschen, in die Stadt kamen. Handwerker wie Buchdrucker, Perücken- und Hutmacher fanden plötzlich ein Auskommen, Gasthäuser fanden durch den regen Gerichtsverkehr neue Gäste. Kaufleute und Handwerker stellten sich auf den gehobenen Geschmack ihrer neuen Kundschaft ein. Im Laufe der Jahre entstanden die größtenteils heute noch zu besichtigenden prachtvollen Stadtpalais im Stil des Barock und Rokoko, die das Bild der Altstadt neben den mittelalterlichen Bauten prägen. Während der großen Visitation am Reichskammergericht (1767-76) war die ständige Ansammlung adliger, insbesondere aus dem Hochadel, und reicher Familien in der Stadt so groß, dass sie nur etwa von Regensburg mit der Reichsversammlung, und der kaiserlichen Hauptstadt Wien übertroffen wurde.
Im Bild rechts ist die Alte Kammer abgebildet, die, nach dem Umzug in die Neue Kammer im Herzoglichen Haus (im letzten Krieg leider stark beschädigt und danach abgerissen) und später ins von Ingelheimsche Palais, als Kanzlei, zu Audienzen und zu Sitzungen der Visitationsbehörde genutzt wurde.
[Bearbeiten] Goethe in Wetzlar
Von Mai bis September 1772 war Johann Wolfgang Goethe am Reichskammergericht als Praktikant eingeschrieben. Seine glücklose Romanze mit Charlotte („Lotte“) Buff während dieser Zeit und der Selbstmord seines Praktikantenkollegen Karl Wilhelm Jerusalem regten Goethe zu seinem weltberühmten Briefroman „Die Leiden des jungen Werther“ an, mit dem er Wetzlar weltweit bekannt machte. Goethe kam im November 1772 noch einmal für einige Tage nach Wetzlar. Seine „alte Wunde“, die Liebe zu Lotte, war bei dieser Gelegenheit wieder „aufgerissen“, was ihm seinen erneuten Abschied nicht leichter machte. Das Lotte-Haus in der Lotte-Straße erinnert noch heute an diesen Schauplatz der Weltliteratur.
Ein Teil der direkten Vorfahren Goethes mütterlicherseits stammt aus Wetzlar. Über Wetzlar selbst sagte Goethe, dass der Zustand der Stadt nicht gerade bezaubernd sei, jedoch lobte Goethe besonders das nahe Umland der freien Reichsstadt als eine unbeschreibliche Schönheit der Natur.
[Bearbeiten] Das Ende der Freien Reichsstadt
Im Jahre 1789 war die Französische Revolution ausgebrochen. Trotz eines Waffenstillstandes hatten französische Truppen den Rhein überschritten, sie wurden jedoch in der Schlacht bei Wetzlar von Erzherzog Karl von Österreich geschlagen. Mit der Ernennung zum Reichsfeldmarschall 1796 begann seine selbständige militärische Laufbahn. Er warf General Jourdan durch die Gefechte von Wetzlar und Uckerodt über den Rhein zurück. Sie konnten aber nach einem neuen Vorstoß die Stadt besetzen und hier ihr Hauptquartier errichten. Der oberkommandierende General Hoche der franz. Westarmee, starb hier am 19. September 1797 im so genannten Herzoglichen Haus und wurde mit einem prunkvollen Trauergeleit von Wetzlar nach Koblenz überführt. Mit der Auflösung des Reichs 1806 endete auch die Existenz des Reichskammergerichts. Die französisch besetzte Freie und Reichsstadt Wetzlar verlor bereits 1803 ihre Reichsunmittelbarkeit im Zuge der Mediatisierung. Als Grafschaft Wetzlar wurde sie dem Kurfürsten von Mainz, Carl Theodor von Dalberg, unterstellt. Gemeinsam mit den Fürstentümern Regensburg und Aschaffenburg war Wetzlar Teil des neu fundierten kurerzkanzlischen Staates, der mit dem Reichskammergericht in Wetzlar, dem Reichstag in Regensburg und der Würde des Erzkanzleramtes bis 1806 formal eine zentrale Stellung im Reichsgefüge einnahm. Nach dem Wiener Kongress fiel Wetzlar 1815 an Preußen, und 1822 wurde die Stadt Sitz des Landrates des neu geschaffenen Landkreises Wetzlar.
[Bearbeiten] Wetzlar als preußische Provinzstadt
Der nun preußische Landkreis lag als isolierte Exklave weit außerhalb des übrigen preußischen Territoriums. Der östliche Nachbar war das Großherzogtums Hessen, der westliche das Herzogtum Nassau. Wetzlar wurde der preußischen Rheinprovinz zugeordnet, deren Gebiet jedoch erst rund 60 km westlich der Stadt begann.
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war Wetzlar Garnisonsstadt und lebte überwiegend vom Ackerbau. Ab 1830 emigrierten viele Wetzlarer auf Grund der drückenden Armut und der reaktionären preußischen Politik. Erst 1845 wurde in Preußen mit der Einführung der Gewerbefreiheit der Zunftzwang aufgehoben.
Nach dem Deutschen Krieg 1866 okkupierte Preußen die Länder Nassau und Kurhessen und schloss sie 1868 zur neuen Provinz Hessen-Nassau zusammen. Obwohl Wetzlars westliche und nördliche Umgebung nun ebenfalls preußisch war, blieb der Landkreis Teil der fernen Rheinprovinz. Erst viel später, 1932, wurde der naheliegene Anschluss an die Provinz Hessen-Nassau vollzogen. Das östliche Umland gehörte dagegen weiterhin zu Hessen.
Die administrative Isolierung Wetzlars von seiner näheren Umgebung während des 19. Jahrhunderts fand in die Mentalität der Bewohner und in die lokale Identität Eingang, ein Umstand, der noch in den 1970er Jahren zum großen Hindernis für die hessische Gebietsreform wurde.
[Bearbeiten] Wetzlar wird Industriestadt
Die Industrialisierung begann mit der Schiffbarmachung der Lahn. Schon Jahrhunderte vorher war im heutigen Stadtgebiet von Wetzlar und in der Umgebung Erz gewonnen worden, das mit Hilfe von Holzkohle von den umliegenden Wäldern verhüttet wurde. (siehe hierzu auch Bergbau und Hüttenwesen im Lahn-Dill-Gebiet)
Mit der Eröffnung zweier Eisenbahnlinien 1862/63 der Lahntalbahn, Koblenz - Wetzlar und der Dill - Strecke (Köln-Gießener Eisenbahn), die sich in Wetzlar trafen, fand die Stadt Anschluss an ferne Rohstoff- und Absatzmärkte und damit eine neue Bestimmung: Wetzlar wurde Industriestandort. Der erste Wetzlarer Hochofen der Gebrüder Buderus wurde 1872 in Betrieb genommen. Über 100 Jahre lang wurde in der Sophienhütte das im Lahn-Dill-Gebiet gefundene Eisenerz (Roteisenstein) verarbeitet. Die Berlin-Wetzlarer Eisenbahn, die so genannte Kanonenbahn (1880), mit der Strecke Berlin-Wetzlar-Koblenz-Metz hatte zunächst eher einen militärisch-strategischen Hintergrund. Der Streckenabschnitt über Potsdam südwestlich Berlin heißt noch heute Wetzlarer Strecke/Wetzlarer Bahn.
Es entstanden Unternehmen der optischen und feinmechanischen Industrie mit Weltruf wie Leitz (Leica), Hensoldt (Zeiss), Pfeiffer, Philips, Loh, Seibert, Hollmann und viele andere.
Eisenerzeugung und -verarbeitung haben in Wetzlar eine lange Tradition mit Firmen wie Buderus AG, Röchling, Berghütte, Carolinenhütte, Herkules und, gleichsam als Nebenprodukt, die industrielle Zementherstellung. Klein- und Mittelbetriebe entwickelten sich zu beachtlichen Industrieunternehmen. Sie haben die Stadt weitaus bekannter gemacht als die meisten anderen Persönlichkeiten ihrer Geschichte.
[Bearbeiten] Erzbergbau und Hüttenwesen
Mindestens schon in der keltischen La-Tène-Zeit wurde in und um Wetzlar aus Rolllagern Eisenerz gewonnen und vor Ort in Rennöfen zu Schmiedeeisen verhüttet. Rolllager sind Stellen, an denen Erzminen an die Erdoberfläche treten, so dass man die eisenerzhaltigen Klumpen nur aufsammeln musste. Eine der ersten schriftlichen Erwähnungen des Bergbaus in Wetzlar war die der Grube Juno anno 780 im Lorscher Codex. Im ersten Fall wurden zwei Gruben dem Kloster Lorsch geschenkt, im anderen Fall wurden die Zehntabgaben eines Bauern an Eisen pro Jahr festgelegt.
Im 13. Jahrhundert standen der Bergbau, das Hüttenwesen und der Eisenhandel in Wetzlar in voller Blüte, und die Dokumente über Eisenerzgruben und Schmelzöfen häuften sich. Das Roheisen wurde bis nach Frankfurt am Main gehandelt. Auf dem Kalsmunt, auf dem Lahnberg (Eisenberg) und in der heutigen Avignonanlage werden Erzgruben erwähnt. 1328 wurde der erste Altar im Dom der Heiligen Barbara (der Schutzheiligen der Bergleute) gewidmet. Heute steht auf dem Eisenmarkt in Wetzlar eine sehr schöne Statue der heiligen Barbara auf dem Eisenmarktbrunnen. 1361 wurde die Zunftordnung der Wetzlarer Schmiedemeister von Kaiser Karl IV. bestätigt.
Mit dem Aufkommen von eisernen Öfen wurden Ofenplatten aus Eisen gebraucht, was zur Folge hatte, dass der Wetzlarer Bergbau und das Hüttenwesen, Waldschmieden und Handwerk wieder aufblühten. Eine besondere Bedeutung hatte der Eisenkunstguss und die Herstellung von Waffen. Dieser Aufschwung bewirkte gleichzeitig seinen eigenen Niedergang, denn zur Herstellung eines Wagens Roheisen wurden 32 Wagen Holz benötigt, um die zur Reduktion des Eisens benötigte Holzkohle zu erzeugen. Der Holzbedarf für die Schmelzwerke war so hoch, dass bald alle Berge um Wetzlar abgeholzt waren und die Holzkohle deshalb zu hohen Kosten von weit her herangeschafft werden musste. Bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts war das Hüttenwesen in Wetzlar nahezu verschwunden, der Bergbau bestand in geringerem Maße weiter, weil das Eisenerz nach außerhalb, wo noch genügend Wälder zur Verfügung standen, verkauft werden konnte.
Der Bedarf auswärtiger Schmelzöfen wuchs zu Beginn des 19. Jahrhunderts immer weiter, und die kleinen Gruben wurden zu größeren Gruben zusammengefasst (Grube Raab, Buderus). Nach der Gründung des Deutschen Zollvereins wurde das Wetzlarer Erz bis in den Vogelsberg, das Elsaß, zur Saar und ins Ruhrgebiet transportiert. Allein im Wetzlarer Stadtgebiet wurden zwischen 1830 und 1839 elf neue Gruben eröffnet. 1841 entstand das erste Wetzlarer Puddel- und Walzwerk. Die Schiffbarmachung der Lahn 1847 brachte nur eine kleine Erleichterung bei der Bewältigung der Transportprobleme, weil sie an über 200 Tagen im Jahr entweder wegen Hochwasser oder wegen Niedrigwasser nicht schiffbar war. Erst der Bau der Lahntalbahn brachte den Durchbruch.
Bergschulen waren Lehranstalten zur Ausbildung von Privatgrubenbeamten (Obersteigern, Gruben-, Maschinen-, Poch-, Wäschsteigern, Werkmeistern, Grubenrechnungsführern, Markscheidern), zuweilen auch von Unterbeamten für das fiskalische Berg- und Hüttenwesen. Im preußischen Staat bestandt eine solche u. A. in Wetzlar (Meyers Konvers. Lexikon, Bd.2).
1869 waren allein im Stadtgebiet 100 Bergwerke in Betrieb. 1872 wurde der erste Hochofen der Buderus'schen Sophienhütte angeblasen. Das Erz kam aus Wetzlar, der Kalkstein kam aus Wetzlar, Wasser war genug vorhanden, der Koks kam per Eisenbahn aus dem Ruhrgebiet. Bis 1981, als die Sophienhütte stillgelegt wurde, blieb sie allerdings das einzige Hochofenwerk. Ab 1887 wurden nach und nach Erzbergwerke in Wetzlar stillgelegt, nur kurz unterbrochen durch den Ersten Weltkrieg, weil ausländische Erze, die im Tagebau gewonnen wurden, auf dem Weltmarkt billiger angeboten wurden. 1926 kam der Wetzlarer Bergbau ganz zum Erliegen.
[Bearbeiten] Wetzlar im 20. Jahrhundert
Im Zuge der fortschreitenden Industrialisierung wuchs die Stadt über ihre mittelalterlichen Stadtgrenzen hinaus. 1903 erfolgte die Eingemeindung von Niedergirmes mit seinen ausgedehnten Industrieanlagen und dem Bahnhofsviertel. Zum Ende des Ersten Weltkrieges wurde die Einwohnerzahl von 15.000 überschritten. Aufgrund zunehmender Verkehrsprobleme wurde eine Ringstraße im Westen der Altstadt gebaut und damit die alte steinerne Lahnbrücke durch eine weitere Brücke entlastet.
Im Zweiten Weltkrieg war die Stadt als Industrieschwerpunkt das Ziel schwerer Bombenangriffe, die das Bahnhofsviertel und den Stadtteil Niedergirmes zu großen Teilen zerstörten. Die historische Altstadt blieb jedoch von den Angriffen weitgehend verschont. Während des Krieges mussten auch in Wetzlar Zwangsarbeiter für die Rüstungsindustrie arbeiten, zum Schutz vor Bomben teilweise sogar in unterirdischen Produktionshallen unter dem Hauserberg. Schätzungen zufolge müssten sich zum Ende des Zweiten Weltkriegs ungefähr 4.000 bis 5.000 Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene im Gebiet der Stadt aufgehalten haben. Zwischen September 1946 und März 1949 befand sich in Wetzlar ein DP-Lager, in dem zeitweise bis zu 4.200 jüdische Displaced Persons untergebracht waren.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Wetzlar im Rahmen der Neugliederung Deutschlands dem neu gegründeten Bundesland Hessen zugeordnet. Der gewaltige Zuzug von Heimatvertriebenen und Flüchtlingen führte zu einer Verdopplung der Einwohnerzahl auf über 30.000 zum Beginn der 1950er Jahre. Als die Arbeitsnachfrage in den 60er und 70er Jahren groß war, wurden zudem viele südeuropäische Arbeitnehmer als Gastarbeiter nach Wetzlar geholt. Viele neue Wohnviertel wie z. B. Dalheim, die Neue Wohnstadt, Sturzkopf und später das Blankenfeld wurden erschlossen und die bebaute Stadtfläche vervielfachte sich. Der zunehmende Autoverkehr machte u. a. eine Aufständerung der Bundesstraße 49 notwendig, die seitdem als Hochstraße das Bahnhofsviertel überspannt.
[Bearbeiten] Die Stadt Lahn
Wetzlar war Schauplatz des spektakulärsten Projekts der hessischen Gebietsreform: nach rund zehn Jahren Vorplanung, zunächst von allen Parteien mitgetragen, wurde am 1. Januar 1977 die Stadt Lahn gegründet. Sie bestand aus den beiden bisherigen Städten Wetzlar und Gießen und 14 zwischen ihnen liegenden Landgemeinden. Wetzlar brachte außerdem den 1972 eingemeindeten Stadtteil Dorlar mit in die „Ehe“. Der Landkreis Wetzlar wurde mit dem Dillkreis und dem Landkreis Gießen zum neuen Lahn-Dill-Kreis zusammengeschlossen. Lahn wurde kreisfreie Stadt, Sitz der Kreisverwaltung des Lahn-Dill-Kreises wurde Wetzlar, das nun den Namen Lahn-Wetzlar führte.
Das Projekt der gemeinsamen Lahnstadt stieß in Wetzlar, trotz ursprünglicher Zustimmung, schon früh auf Bedenken. Gießen war größer und als Sitz der neuen Stadtverwaltung vorgesehen, außerdem (für die handelden Akteure mindestens genauso wichtig) sollte der bisherige Gießener Oberbürgermeister auch Oberbürgermeister von Lahn werden, der bisherige Wetzlarer Bürgermeister nur sein Stellvertreter.
Neben der Angst, als vermeintlicher Juniorpartner in die Fusion zu gehen, kam auch die im 19. Jahrhundert geprägte administrative Isolation Wetzlars zum Tragen: Die Stadt war vorher nie hessisch, bis 1945 gehörte sie zu Preußen, Gießen dagegen immer zu Hessen. Die Landesgrenze bildete 140 Jahre lang eine Barriere für den Austausch der beiden Nachbarstädte. Die Verflechtungen Gießens mit Friedberg, halb so groß wie Wetzlar, aber doppelt so weit entfernt, waren beispielsweise intensiver als die zwischen Gießen und Wetzlar.
Zum Zeitpunkt der „Stadtgründung“ leisteten in Wetzlar alle Beteiligten Widerstand gegen die gemeinsame Stadt, hinzu kam die ursprüngliche Erfinderin des Projekts, die hessische CDU. Nachdem letztere mit großem Abstand die Wahlen zum Stadtparlament der neuen Stadt gewann, leitete die SPD/FDP-Landesregierung die Wiederauflösung der Lahnstadt ein.
Zum 31. Juli 1979 wurde Lahn wieder aufgelöst und Wetzlar wieder zur eigenständigen Stadt. Das Abenteuer hatte sich für Wetzlar jedoch insofern „gelohnt“, als dass die Stadt Wetzlar von Lahn acht der bisherigen Stadtteile hinzugewinnen konnte. Sie waren ohnehin schon lange, bis auf drei (Blasbach, Dutenhofen und Münchholzhausen), fest mit der Stadt verwachsen. So wurde Fläche und Einwohnerzahl gegenüber 1977 deutlich vergrößert. Der ehemalige Stadtteil Dorlar fiel jedoch an die neue Gemeinde Lahnau. Der Landkreis Gießen wurde vom Lahn-Dill-Kreis wieder abgetrennt, erhielt jedoch einige Gemeinden aus dem nördlichen und südlichen Altkreis Wetzlar, sowie aus dessen unmittelbarem Gießener Umland hinzu.
[Bearbeiten] Literatur
- Heinrich Gloël: Goethes Wetzlarer Zeit. Berlin 1911, Nachdruck Druckerei Will, Wetzlar 1999.
- Herbert Flender: Geschichte von Stadt und Kreis Wetzlar. Wetzlar 1975.
- Herbert Flender, Gerd Scharfscheer: Wetzlarer Stadtchronik. Wetzlar 1980.
- Karsten Porezag: Geschichte von Eisenerzbergbau und Hüttenwesen in historischer Stadtgemarkung. Wetzlar 1987.
- div. Autoren: u.a. die Publikationen der städtischen Sammlungen, Museumsverwaltung Wetzlar.
- Bayr.Staatsarchiv, München: Urkunde aus Lorcher Codex